Worte wie Wackersteine

Einen Steinwurf von der Messehalle entfernt: Parolen in der Hamburger Markstraße
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Erstveröffentlicht: 
03.12.2016

Wie sich Autonome in Hamburg auf Ausschreitungen am Rande von G-20-Gipfelund OSZE-Treffen vorbereiten – und warum es der Politik seit Jahren schwerfällt,den Extremisten Einhalt zu gebieten.

Von Mona Jaeger

 

HAMBURG, 2. Dezember - Der Anführer zeichnet einen Schlachtplan in den feuchten Sand. Eine geschwungene Linie, das ist die Karolinenstraße. Links neben der Linie ein Viereck, das sind die nördlichen Messehallen, rechts daneben ein Rechteck, die südlichen Messehallen. Die drei Männer, eher noch Jungs, grölen. „Die Scheiben am Osteingang müsste man auch mal ordentlich bearbeiten“, sagt einer. „Ein kleines Feuerchen, es ist doch so kalt“, ein anderer und bläst sich in die Hände. Mit drei Bier haben die drei sich ihre Phantasie bunt getrunken. Sie beschließen, einen Rundgang zu machen, einen „alternativen Spaziergang“ um die Hamburger Messehallen, wie sie es nennen.

Noch sind die Straßen frei und kaum Absperrungen zu sehen. Die Stadt Hamburg will die Bewohner, so wenig wie möglich, mit den Vorbereitungen auf das OSZE-Treffen Ende nächster Woche in den Messehallen behelligen. Dann reisen Dutzende Delegationen nach Norddeutschland, um hier zu tagen. Das Treffen ist auch die Generalprobe für den G-20-Gipfel, der im Sommer hier stattfinden wird und zu dem Putin, Erdogan und Trump anreisen werden. Mehr als 13 000 Polizisten werden die OSZE-Veranstaltung sichern, Hubschrauber werden in der Luft und Wasserwerfen am Boden sein. Denn die große linke Szene in Hamburg, aber vor allem auch die linksextremistische haben sich angekündigt.

„Die scheiß Kriegstreiber und Folterer können zu Hause bleiben. Hamburg soll das Geld für was Vernünftiges ausgeben“, sagt einer der Jungs, der Anführer. Er trägt eine schwarze Lederjacke, auf dem Rücken ist in weißer Schrift ein großes „A“ gemalt. „A“ wie Antifa. Er sei kein aktives Mitglied, aber Sympathisant, sagt er beim Rundgang. Die Hallen liegen eingequetscht zwischen Sternschanze und St.Pauli, den beiden linksalternativen Vierteln Hamburgs. Im Quartier Sternschanze steht auch die „Rote Flora“, seit 1989 besetzt und heiliges Symbol der linken Hamburger Subkultur – und Ausgangspunkt so mancher Krawalle.

Doch nicht nur da. Die drei Jungs kommen am Südeingang der Messe an. Es ist schon dunkel, Bauscheinwerfer sind aufgestellt, Handwerker sägen und schrauben im grellen Licht. Ein Teil der Glaseingangstür ist mit Brettern verriegelt, Scheiben im Vordach sind geborsten und gesplittert. Am späten Samstagabend, gegen 23 Uhr, kamen hier 30 bis 50 vermummte Personen vorbei, sie zündeten Müllcontainer, Reifen und ein Motorrad an. Die Glasfront des Südeingangs wurde schwer beschädigt. Die Polizei kam zu spät, die Täter waren schon lange weg und schwer einzuholen, denn sie hatten Nägel auf der Straße verteilt. Wenige Stunden später erschien auf einer Internetseite der Szene ein Bekennerschreiben: „Die Messe ist ein Symbol für den (bisher) nicht endenden Kreislauf von Produzieren und Konsumieren, von dieser Warengesellschaft, die Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausschließt und andere einschließt. Wir wollen diesen Kreislauf wie auch die Messe zerstören.“ Worte wie Wackersteine.

„Gute Aktion“, sagt der Anführer der Jungs, der aus der Tasche seiner Lederjacke noch ein Bier gefischt hat. „Ich kenne die Menschen hier im Karolinenviertel. Die wollen diesen Politmist nicht.“

Aber das an die Messe grenzende Karolinenviertel ist längst nicht mehr so, wie er es sich noch vorstellt. Vielleicht kann man nirgends so gut beobachten wie hier, wie sich ein Quartier gentrifizieren kann. Die Altbauten sind hübsch, ziehen heute aber keine Hausbesetzer mehr an, sondern gutverdienende junge Familien, die oft noch irgendwie links sind, das breite Angebot im Bio-Supermarkt aber sehr schätzen.

Manche Läden tragen hier noch subversive Namen, „U2“ oder „Panter“, aber sie verkaufen längst sehr teure Hüte und sehr teure Kerzenhalter. Im angrenzenden Schanzenviertel wählten bei der Bürgerschaftswahl vor einem Jahr 2,9 Prozent der Bürger die CDU, 29,1 Prozent die Linkspartei, 27 Prozent die Grünen und 26,6 Prozent die SPD. Die Bewohner kämpfen noch für ihre Ideale – ein bisschen. Der politische Gegner wird nicht mehr niedergebrüllt, sondern gesiezt. Am Balkongeländer eines Altbaus hängt eine Fahne: „Stoppen Sie TTIP!“

Die Linksextremisten, von denen es in Hamburg laut Verfassungsschutzbericht vom vergangenen Jahr 1090 gibt, mussten sich eine andere Strategie überlegen, um ihre Ziele in die breite Bevölkerung zu tragen. Das machen sie so: Sie sprechen Probleme an, die auch von nichtextremistischen Menschen als Probleme angesehen werden, und verkaufen das als Ausprägung unserer Staats- und Gesellschaftsform, der kapitalistischen Herrschaftsweise, die allesamt abgeschafft werden müsste. Ein Beispiel ist der OSZE-Gipfel in den Messehallen. Die umliegenden Bewohner freuen sich nicht darauf. Sie nervt es, dass sie in die Sicherheitszone nur mit Personalausweis vorgelassen werden, ihr Auto vorher listen lassen müssen. Und dass sie Besucher an den Kontrollstellen abholen müssen, damit niemand Unbefugtes in den Sicherheitsbereich kommt. Die Cafébesitzer befürchten Einnahmeverluste. Die Eltern müssen sich überlegen, wo sie ihre Kinder betreuen lassen, denn manche Kitas schließen. Und sie ärgert es, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihnen als Hamburger die beiden Gipfel aufgedrückt hat, weil sie ihre Heimatstadt gebeten hatte, Gastgeber zu sein. Die Linksextremisten basteln sich daraus die Legende, dass sie im Sinne der meisten Hamburger kämpfen, Feuer legen und Scheiben einschmeißen.

Hamburg kann auch deswegen auf eine schier unendliche Geschichte des Krawalls zurückblicken, die längst nicht nur aus gewalttätigen 1.-Mai-Demonstrationen besteht. In den achtziger und neunziger Jahren ging es vor allem um besetzte Häuser, inzwischen wieder mehr um Personen und Institutionen. Im Oktober erst drangen mehrere Personen auf das Grundstück von Hans Walter Peters vor, des Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Banken. Sie beschädigten sein Auto mit Buttersäure. Im September verübten Linksextremisten einen Brandanschlag auf mehrere Autos von Polizeidirektor Enno Treumann. In ihrem Bekennerschreiben dichteten sie: „10 000 mal kontrolliert / 10 000 ist nichts passiert / aber heute Nacht / hat es Buuum gemacht.“

Das klingt alles ein bisschen nach Jahrmarkt und Folklore. Auch deswegen fällt es Hamburg seit vielen Jahren schwer, dem Linksextremismus Einhält zu gebieten. Die Zahl der Gewalttaten liegt auf hohem Niveau und ändert sich kaum. Zwar gibt es verglichen mit den Vorjahren heute weniger Linksextremisten in der Stadt, aber der Anteil der Gewaltbereiten unter ihnen ist laut Verfassungsschutzbericht 2015 deutlich gestiegen.

Gerade vor solch kritisierten Großveranstaltungen wie dem OSZE-Gipfel fällt es manchen schwer, zu erkennen, was noch legitimer Protest ist und was schon reiner Krawall. Der Studierendenausschuss der Hochschule für Angewandte Wissenschaften plant an diesem Samstag und Sonntag eine „Aktionskonferenz“ gegen den G-20-Gipfel in Hamburg. Viele Gruppen und Bündnisse wollen daran teilnehmen. Under anderem die „Interventionistische Linke“, laut Verfassungsschutzbericht 2015 eine linksextremistische Vereinigung, die Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen will. Die „Interventionistische Linke“ bezeichnet sich selbst als militant und distanziert sich von der Einschätzung, sie sei eine „gemäßigt auftretende“ Organisation. Als der Studierendenausschuss das Programm seiner Veranstaltung vorstellte, saß zwar niemand von der „Interventionistischen Linken“ dabei, aber dafür Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft. Auf die Frage, ob es sie störe, zusammen mit einer vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe an einer Veranstaltung teilzunehmen, antwortet sie gegenüber dieser Zeitung: „Auch wenn Gruppen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, gilt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es gibt keinerlei Hinweise auf geplante Straftaten seitens des Bündnisses. Aus diesem Grund ist die Vorabkriminalisierung des Bündnisses und ihrer Mitglieder nicht nachvollziehbar.“

Immer mal wieder sympathisieren Vertreter der Linkspartei mit Protesten, die über das übliche Transparentemalen hinausgehen. Die Hamburger Bürgerschaft hat schon oft darüber diskutiert. Aber dieses Mal ist etwas anders: Die AfD sitzt in der Bürgerschaft.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz führt seit jeher eine harte Linie gegenüber Linksextremisten. Das muss der Sozialdemokrat wegen des Schill-Traumas seiner Partei tun. 2001 verlor die SPD die Wahl in Hamburg gegen die rechtspopulistische Schill-Partei. Seither will sich Scholz nicht mehr nachsagen lassen, er gehe zu sanft mit Linksextremisten um. Vor allem jetz nicht, wo die AfD überall im Land im Aufschwung ist; vergangenes Jahr holte sie aus dem Stand 6,1 Prozent bei der Bürgerschaftswahl. Für den vergangenen Mittwoch hatte sie eine aktuelle Stunde zum Thema Linksextremismus beantragt. Der AfD ging es dabei weniger um das Wohl der Stadt als um die eigene Profilierung als Partei, die das leidige Thema nun endlich einmal anpacke. „In dieser Stadt können die Linksautonomen machen, was sie wollen“, sagte der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Dirk Nockemann. Er machte der rot-grünen Koalition schwere Vorwürfe. Tatsächlich verurteilten alle Parteien – auch die Linkspartei – in der Bürgerschaft während der Debatte den Brandanschlag auf die Messehallen. Arno Münster von der SPD sprach von „Wirrköpfen“, die eine „absolute Minderheit“ unter den Demonstranten stellten. Die Polizei werde nicht zurückweichen, auch ihr Einsatzkonzept nicht ändern.

„Das werden wir ja noch sehen, ob die Polizei nicht doch ein bisschen zurückweichen wird“, sagt der Anführer der linken Sympathisanten am Ende des Rundgangs. In dem Bekennerschreiben kündigt die linksextremistische Gruppe weitere Gewalttaten an. „Ich freue mich“, sagt der Junge mit der schwarzen Lederjacke und blickt vom Karolinenviertel auf die andere Straßenseite. Die Messehallen, der Tagungsort, sind nur einen Steinwurf entfernt.

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geiles Nixblicken, A für Antifa, meist hat so ein A auf Lederjacken ja auch n Kreis drum und heisst Anarchie, aber wer weiß sowas heutzutage schon, obs "der Anführer" weiß?

Toller Artikel, maximal zwei Halbsätze gehen durch...

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