Anti-AKW-Proteste – „Wir werden überall da sein, wo sie uns nicht haben wollen“

Michael Wilk bei seiner Rede

Nach langen Jahren der Agonie hat sich die Anti-Atom-Bewegung mit voller Wucht zurückgemeldet. Bei den für Deutschland größten Anti-Atom-Protesten aller Zeiten demonstrierten rund 150.000 Menschen bundesweit gegen die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung, den Atomausstieg aufzukündigen. Überall, wo die Parteien das Bild nicht beherrschten, gingen die Forderungen aber deutlich weiter – so wurde bereits im Aufruf zur zentralen süddeutschen Demonstration im südhessischen Biblis der sofortige Ausstieg gefordert. Auch wurde vielfach der Zusammenhang zwischen der Atomenergie und unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung thematisiert.

 

So verortete auch Michael Wilk vom AKU Wiesbaden in Biblis die Anti-Atom-Proteste im emanzipatorischen Gesamtprojekt, das auf die Überwindung von Herrschaft und Unterdrückung zielt und sich daher nicht mit einem „Green New Deal“ zufrieden geben kann, wie ihn sich Parteipolitiker jeder Couleur und das Kapital wünschen. Nur ein massiver Druck der Straße könne die Verhältnisse ändern, und zwar in Form legitimen, praktischen Widerstands. Hier das konsolidierte Manuskript seiner Rede:

 

„Liebe Leute,

wir stehen heute hier mit zigtausenden Menschen vor dem ältesten AKW der Republik. Hier in Biblis kam es 1987 beinahe zu einem GAU. Damals klemmte ein Ventil. Die Panne wurde erst übersehen, dann wurde sie verheimlicht, und kam erst ein Jahr später doch noch an die Öffentlichkeit. Ein GAU in den Ausmaßen von Tschernobyl in einer der dichtbesiedeltsten Regionen der Welt hätte noch eine ganz andere Dimension. Es wäre eine unvorstellbare Katastrophe. Und wir hatten seit der Inbetriebnahme von Biblis über 800 meldepflichtige Vorfälle.

Wir können daraus nur den Schluss ziehen: Dieses Ding gehört abgeschaltet – sofort!

 

Laufzeitdiskussionen verfehlt – Wir fordern: „sofort abschalten“


In dem Moment, wo wir Biblis stillegen, strahlt es ohnehin noch Tausende von Jahren. Insofern brauchen sich die Leute, die immer sagen, sie haben Angst um ihren Job, keine Sorgen machen – sie haben noch lange Arbeit, das Ding zu bewachen und zu demontieren.


Aber ganz wichtig: es geht nicht nur um Biblis, es geht auch nicht nur um Neckarwestheim, auch wenn das besonders alte Schrottmeiler sind. Es wurde schon gesagt: wir haben heute eine konzertierte Aktion, im Norden die Menschenkette, in Ahaus am Zwischenlager, und hier in Biblis. Wir ziehen an einem Strang. Es geht um die Abschaltung aller Anlagen. Nicht dass die etwa denken – und ich halte das für möglich – dass sie ein, zwei Altreaktoren stilllegen wollen, um uns damit zu befrieden. Das wird nicht laufen. Alle Reaktoren sind brandgefährlich, alle gehören abgeschaltet und stillgelegt, und zwar sofort.


Das einzige, was wirklich sicher ist an dem Betrieb von Atomkraftanlagen ist der Profit der Betreiber. Pro Tag spült ein einzelnes AKW ca. 1,5 Millionen Euro in die Kassen der Betreiber. Während einige das schnelle Geld machen, bleibt das Risiko für alle. Pro Jahr entsteht in einem Block ungefähr die 1200fache Menge der radioaktiven Substanz einer Hiroshima-Bombe – diese radioaktiven Gifte sind neben der Abgabe von Strahlung im sogenannten Normalbetrieb ein Riesenproblem. Die Entsorgung ist völlig unklar. Und die Leukämierate bei Kleinkindern ist in der Nähe von AKW signifikant erhöht.
Wir stellen fest: „Keine Laufzeitverlängerung“ ist die völlig falsche Diskussion. Die Dinger sind so gefährlich, dass wir nicht übertreiben, wenn wir fordern: „Sofort abschalten!“


Praktischer Widerstand gegen kriminelle Gewalttäter ist legitim


Ich bezeichne den Betrieb von Atomanlagen als Körperverletzung. Eine Körperverletzung die staatlich bewacht, gefördert und gesetzlich abgesichert ist. Wer atomare Gifte produziert, wer die Risiken kleinredet, eine ungeklärte Entsorgung über Tausende von Jahren Folgegenerationen aufbürdet – handelt kriminell. Nicht die Menschen, die auf die Straße gehen, um diesem kriminellen Treiben ein Ende zu setzen, sind kriminell, nicht die Menschen, die in Gorleben die Castoren blockieren und die Strecken lahm legen, sind kriminell – sondern die Betreiber. Das sind Kriminelle, das sind Gewalttäter, und nicht die Leute, die sich legitim wehren.


Und das gilt auch für diejenigen, die dies staatlich legitimieren und absegnen. Denn die Betreiber handeln nach dem Motto „Profit ohne Skrupel“, aber sie handeln legal, staatlich abgesegnet, staatlich gefördert. Und sie halten Aufsichtsratspöstchen vor, die an verdiente Mitarbeiter von Parteien später dann ganz automatisch vergeben werden. Das ist der Unterschied zwischen legal und legitim. Wir sind vielleicht nicht immer legal, aber wir sind legitim hier.


Was viele heute nicht mehr wissen: Block A wurde 1974 in Betrieb genommen, Block B 1976. Damals waren noch zwei weitere Blöcke geplant, die nur aufgrund heftigen Widerstands nicht gebaut wurden.
Auch heute ist nicht nur Protest notwendig, sondern auch legitimer, praktischer Widerstand. Und Protest und Widerstand sind angesichts der momentanen Politik notwendiger denn je, jetzt wo erneut Laufzeitverlängerungen von 10, 20, bis zu 60 Jahren diskutiert werden.
Und hier von dieser Stelle versprechen wir den politisch Verantwortlichen: „Nicht mit uns!“


Kein Vertrauen in Parteipolitik – Nur der Druck der Straße ändert die Verhältnisse!


Ich möchte an dieser Stelle für die organisierenden Initiativen sagen: Wir freuen uns über die vielen Tausende unterschiedlichsten Menschen, die heute hier erschienen sind. Und wir sehen auch – das war in Berlin so, das war auch woanders so – irgendwie haben die Parteien eine unglaubliche Affinität zur Bühne, damit sie gut in den Medien, im Fernsehen erscheinen. Auf dem Platz sind überhaupt nicht so viele von den Grünen oder der SPD oder von der Linken. Ich will da auch niemanden bevorzugen oder benachteiligen. Aber, verdammt nochmal, hier sind sehr, sehr viele Menschen, viel mehr als nur die Parteien, und diese Menschen sind hier, weil sie wissen: Nur der Druck der Straße ändert die Verhältnisse!


Wir freuen uns über alle, die hier sind, aber wir haben in den letzten Jahren gelernt zu unterscheiden zwischen einfachen Parteimitgliedern – und an dieser Stelle sei der Dank den vielen Leuten, die uns hier geholfen haben, das zu stemmen – zwischen der Basis der Parteien und den sogenannten Parteispitzen. Und wir wissen genau – und das werden manche vielleicht nicht gerne hören, aber sie werden sich es anhören müssen, weil wir leider nicht an Gedächtnisschwund leiden – wir wissen genau, wie der faule Atomkonsens zustandegekommen ist. Und es ist genau das Ergebnis dieses miesen Kompromisses, was wir heute ausbaden müssen. Hätte damals irgendjemand darauf bestanden, sofort abzuschalten, müssten wir heute hier nicht stehen.


Wir alle hier wissen, dass der Atomkonsens aus der damaligen Regierungszeit von Rot-Grün ein fauler Deal war, der uns jetzt nach dem Regierungswechsel teuer zu stehen kommt. Mit Teilabschaltungen und gedrosselten Strommengen haben die AKW-Betreiber die im Vertrag angelegte Lücke genutzt, um sich an den geplanten Abschaltterminen vorbei, in die jetzige Legislaturperiode zu mogeln. Die Kritik an einer Politik der Kungelei mit den Energiekonzernen, die wir damals äußerten, hat sich übel bewahrheitet. Dies hat uns noch misstrauischer gemacht.


Rot-Grün und die Zwischenlagerfrage


2004 lobte der Vorsitzende des Deutschen Atomforums ganz besonders die gute Zusammenarbeit mit der rot-grünen Bundesregierung. So laufe der Betrieb der Kernkraftwerke „im Großen und Ganzen frei von politischen Störungen“. Dies gelte „insbesondere für die Gewährleistung der Entsorgung der abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken“. Wir erinnern uns: damals wurden Zwischenlager an den einzelnen AKWs eingerichtet, weil die Betreiber Probleme hatten, den Atomdreck durch die Republik zu karren. Sie wären damals beinahe an ihrem eigenen Atommüll erstickt, weil die Entsorgungsfrage nicht geklärt war. Erst die genehmigten Zwischenlager, leider unter Rot-Grün, brachten eine Lösung, und besonders gelobt wurde damals vom Deutschen Atomforum ein gewisser Herr Trittin.


Ich wollte es nur mal sagen. Schwamm drüber von mir aus, aber wir werden lernen aus dem Fehler der Vergangenheit. Darum haben die heute aufrufenden Initiativen und Verbände, für die Aktion hier in Biblis konsequent festgelegt, Parteien keine Bühne zu bieten. Wir vertrauen vor allem uns, den Basisinitiativen und wir sind misstrauisch gegenüber Parteien, die ihre Ideologie und ihre Herrschaftsstrategie eher an 5-Jahres-Legislaturperioden ausrichten als an dem, was menschlich und politisch richtig ist. Macht korrumpiert – viel Macht korrumpiert viel!
Aber die große Menge der Anwesenden zeigt auch, wie viele Menschen wieder bereit sind auf die Straße zu gehen, aktiv zu werden und nicht den Parlamenten das Feld zu überlassen. Wir wollen keine faulen Kompromisse mehr, kein Laufzeitgekungel, es gibt nur eines – und wir werden euch dazu die Hölle heiß machen – abschalten und zwar sofort!


Noch länger Atomkraft zu betreiben, ist selbst nach den Maximen des realen Marktes, des kapitalistischen Marktes, ein Fehler – behindert doch der Weiterbetrieb von Atomanlagen den notwendigen Ausbau regenerativer Energien.
Ganz wichtig an dieser Stelle: wir haben in den letzten Monaten in Wiesbaden mit vereinten Kräften einen Riesen-Kohleblock verhindert. Wir wehren uns gemeinsam mit den Initiativen, die gegen die Kohlekraft auf die Straße gehen, und gemeinsam setzen wir uns ein für regenerative, alternative Energien.


Keine ökologischen Kampfpanzer – kein „Green New Deal“


Wir, die wir hier stehen, wir haben Kraft und Energie und Entschlossenheit. Wir hier auf dem Platz haben viel mehr Energie und Power als die da hinten in ihrem AKW produzieren können. Wir als soziale und ökologische Bewegung sind auch die Schrittmacher in Sachen gesellschaftlicher Perspektive. Wir richten uns eben nicht nach Fünf-Jahres-Maximen der Legislaturperioden und nach politisch-ökonomischer Tagespragmatik. Wir sagen nicht nur was Recht ist, sondern was wir für richtig halten.
Wir sagen deshalb: „Abschalten sofort“ ist notwendig, aber dabei lassen wir es nicht bewenden: Wir arbeiten auch an einem Umbau der Gesellschaft, in der Mensch und Natur zählt und nicht Ausbeutung, Vernutzung und Profitmaximierung.


Denn es ist schon erforderlich, radikaler zu fragen: Ist ein wenig Bioöl im Getriebe dieses Gesellschaftssystems genug?

Alle Großkonzerne haben sich inzwischen die Ökologie auf die Fahnen geschrieben. Sie, die sie uns jahrelang als fortschrittsfeindlich bezeichnet haben, haben von uns gelernt. Siemens, RWE, die Autoindustrie – alle, selbst einige der konservativsten Vertreter des Kapitalismus machen inzwischen auf Öko. Ich warte darauf, dass Krauss-Maffei den ersten ökologischen Kampfpanzer baut, der dann ebenfalls ökologisch sauber, mit Absegnung der Parteien, nachhaltig deutsche Interessen am Hindukusch verteidigt.


Nicht nur ökologisch ambitionierte Politiker, sondern auch Wirtschaftsbosse diskutieren die Idee des „Green New Deal“ und die Möglichkeit mit „öko“ aus der ökonomischen Krise zu kommen. Sie beklagen, dass zuwenig Milliarden, die auf unser aller Kosten in die durch die Banken verursachte Krise gepumpt werden, ökologisch eingesetzt werden. Und schon wieder reden sie von Profitmaximierung und Umsatzsteigerung, von „höher, schneller, weiter“ und Wachstum. Aber alles mit Ökosiegel…

Das ist nicht das, was wir unter ökologisch und sozial verstehen. Ökologie wie wir sie verstehen, bricht mit den Maximen eines ungezügelten Wachstums.


Und: Ökologie ist keine deutsche und keine europäische Angelegenheit.
Wir sehen den Widerstand gegen menschenverachtende Projekte der Energiekonzerne und gegen die Strategie der gefälligen Politiker nicht losgelöst von der sozialen Wirklichkeit. Es geht nicht nur um Ökologie. Es geht darum, ob sich Herrschaftsstrategien in diesem Land, in Europa, ja weltweit durchsetzen lassen. So wie die Profite der einen steigen, so verarmen andere Teile der Gesellschaft, Giftmüll der Industrienationen wird den Ärmsten der Welt vor die Füße gekippt, Verelendung und Hunger interessieren nicht, solange die Waren- und Kapitalströme in die richtigen Taschen fließen. Die Arroganz der Macht zeigt sich in vielen Facetten. Wir müssen und werden die Zusammenhänge sehen und wir begreifen uns deshalb auch als eine soziale Bewegung, die Nein sagt zu Entmündigung und Ausbeutung.


Wir sind heute hier, wir werden im Herbst in Gorleben sein. Und wir werden überall da sein, wo sie uns nicht haben wollen.“

 

Die Rede wurde gehalten auf der Umzingelungsdemo in Biblis am 24. April 2010. Ein Audio-Mitschnitt findet sich auf freie-radios.net

Michael Wilk ist Arzt, Autor mehrerer Bücher und Aktivist beim Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden (AKU).

Danke an little k für die Fotos!

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Wir finden, gerade im Kampf gegen die Atomenergie, sollte mehr die Basis zu Wort kommen und nicht die Obermacker. Das ist ein Problem, das es auch in anderen Bereichen (beispielsweise der Friedensbewegung gibt). Die Platzhirsche bestimmen das Terrain. Micha Wilk hört sich schon immer gerne reden. Wo ein Mikrofon ist, ergreift er es. Wir erinneren uns noch gut an das Grenzcamp 2003 hier in Köln, als er über unseren Lautsprecherwagen die Polizei bat, für die Menschen auf dem Camp an den Rheinwiesen das gesperrte Wasser wieder anzudrehen. Und damit hat er die anstehende Räumung entpolitisiert und sie zu einer Frage des Wassers gemacht. Das ganze sollte medienwirksam sein - aber er hat nichts mit dem Camp-Plenum oder mit der Vorbereitungsgruppe abgesprochen. Es war ein Alleingang - und verließ die Basis emanzipatorischen Handelns.

Die Leute im Camp brauchten Wasser... Was daran entpolitisiert sein soll weißt nur du allein... Sonst noch Sorgen? Wie wäre es mit etwas mehr Inhalt zum Thema AKW!