Podiumsdiskussion in Saalfeld: Kreis an der Spitze bei rechter Gewalt

Erstveröffentlicht: 
05.09.2016
2016 zählte die mobile Opferberatung Ezra 22 rechtsradikale Angriffe und Bedrohungen in Saalfeld-Rudolstadt. Damit liegt der Kreis vor Erfurt, so ein Ezra-Vertreter bei einer Podiumsdiskussion in Saalfeld.

 

Saalfeld. Bei rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt liegt der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt "in diesem Jahr an der Spitze". Das erklärte Sven Peter von der Erfurter Opferberatungseinrichtung Ezra - Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt - am Samstagabend eingangs einer Podiumsdiskussion in Saalfeld. Bei der vom Bündnis "Zivilcourage und Menschenrechte" im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt organisierten Veranstaltung im Klostermuseum stellten sich die Podiumsgäste dem Thema "Anstieg rechter Gewalt und wie Zivilgesellschaft reagieren soll".

 

Laut Ezra-Mitarbeiter Peter seien in diesem Jahr bereits 22 rechtsradikal motivierte Angriffe und Bedrohungen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt durch Ezra registriert worden. Zum Vergleich: Im gesamten Land Thüringen sind es 2016 bis dato "über 90 Fälle", wie Peter auf OTZ-Anfrage erläuterte. 2014 seien es lediglich 54 Vorfälle im gesamten Land gewesen, im Jahr danach, 2015, bereits 121 Fälle.

 

Die Häufung in Saalfeld-Rudolstadt erklärte Sven Peter "mit neuen Strukturen" in der rechtsradikalen Szene, etwa die neu gegründete so genannte "Anti-Antifa Ostthüringen". Podiumsgast Thomas Endter vom Bündnis "Zivilcourage und Menschenrechte" (Zumsaru) erklärte, er sei bereits mehrfach von Rechtsextremen bedroht worden. Nach einer Veranstaltung auf dem Saalfelder Marktplatz sei ihm zugeraunt worden "Wir sehen uns noch mal!" Endter: "Da bekommt man schon ein mulmiges Gefühl." Bei einem zweiten Vorfall im Gorndorfer Stadtteilzentrum, bei dem er sich zu seiner Sicherheit einschließen musste, "hatte ich richtig Angst", so Endter weiter. Er sei froh gewesen, dass die Polizei "in Mannschaftsstärke" anrückte.

 

In der Presse habe es dann bloß geheißen, "Jugendliche hätten randaliert". Man fange an, führte Endter aus, "andere Wege nach Hause zu gehen, um nicht irgendwelchen Schlägern in die Arme zu laufen". Podiumsgast Heike Döbler aus Kahla berichtete von einem Anschlag auf das dortige Stadtteilzentrum: "Kaputte Scheiben, es roch nach Brand". "Befremdlich" sei sie die Reaktion der Bevölkerung gewesen. Es habe keine Mahnwache gegeben. "Ich hätte mir gewünscht, dass man es zutiefst verurteilt." Niemand habe etwas gesehen oder gehört. "In Kahla", sucht sie nach einer Erklärung, "findet man es gar nicht so falsch..."

 

Sven Peter bestätigte, dass "die Solidarität aus der Mitte der Gesellschaft oft ausbleibt". Der Dortmunder Blogger Robert Rutkowski alias "Korallenherz" berichtete, dass auch er bedroht worden sei und bisweilen via Umwege über den Keller in seine Wohnung geht. Der Podiumsgast, der sich "Gabriel" nennt und aktiv ist bei der Saalfelder Kampagne "Last days of april", erklärte, Gewalt gehöre zur Nazi-Ideologie. Der junge Mann erinnerte sich an eine Tafel in der Gedenkstätte Buchenwald, auf der steht: "Es gibt keine Nazi-Ideologie ohne Gewalt".

 

Gabriel: "NS-Ideologie gibt den Einzelnen frei zum Abschuss durch das Kollektiv." In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum meinte eine ehemalige Sportlehrerin, deren Vater in Auschwitz gewesen sei, der Grund für die Eskalation rechter Gewalt sei "das Ausbleiben der Entnazifizierung in der BRD" - eine These, die nur verhaltenen Zuspruch fand. Heike Döbler: "National war die DDR auch." Gegen Ende der von Carolin Hutter (Radio SRB) moderierten Diskussion sagte "Gabriel" einen Satz, der eine Erklärung sein könnte für viele weitere Phänomene bis hin zur Popularität Donald Trumps: "Die Menschen wollen keine vernünftigen Lösungen mehr."

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an Heike Döbler : wenn ich eines in der DDR gelernt ... sorry : beigebracht bekommen habe .... so war das der Internationalismus. Die DDR betrachtete sich zwar als "anderer" deutscher Staat, aber ansonst wurde da auf Deutschland geschissen !