Angriffe auf Pegida-Anhänger bewusst verschwiegen?

Erstveröffentlicht: 
08.07.2016

Dass das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz den Leipziger Pegida-Ableger Legida im Vergleich zu seinem Dresdner Vorbild als „deutlich radikaler“ bewertet, sei hier nur am Rande erwähnt. Und nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle an die körperlichen Angriffe auf Journalisten und die Ausschreitungen am Legida-Jahrestag im Januar erinnert, wobei 250 Personen aus der rechtsextremistischen und Hooliganszene den in der linken Szene beliebten Stadtteil Connewitz überfielen, Schaufensterscheiben zerschlugen und Autos in Brand steckten. Die Bewertung des Pegida-Ablegers und die Ereignisse rund um das Demonstrationsgeschehen in Leipzig sind keine Rechtfertigung für den heimtückischen Angriff auf einen Legida-Anhänger Anfang der Woche. Auf den Fall aufmerksam gemacht hat die Redaktion ein Leser, verbunden mit der Frage, warum hierüber bislang nicht berichtet wurde. War hier die „Lügenpresse“ am Werk?

 

Doch der Reihe nach: Der Leser aus Würzburg schickte uns per E-Mail den Hinweis auf ein Foto der Facebook-Seite von Legida. Darauf zu sehen ist ein Mann, übel zugerichtet, blutend und offenbar in einem Krankenwagen liegend. Überschrieben ist das Bild mit „Versuchter Mordanschlag auf Legida-Ordner“. Dazu die Erklärung, dass „vermummte Schläger“ das Opfer nach dessen Rückkehr von der Demonstration am vergangenen Montag vor dessen Haustüre erwartet hätten, und unter anderem mit Eisenstangen „minutenlang auf Kopf und Gesicht“ des Mannes eingeschlagen hätten. 

 

Recherche in Leipzig


Nun widerspräche es der journalistischen Sorgfaltspflicht, Facebook-Einträge ungeprüft als Nachrichten zu veröffentlichen. Und so begann die Redaktion zu recherchieren. Im Bericht der Leipziger Polizei über die Legida-Demo vom Montag fand sich kein Hinweis auf den Überfall. Also setzte sich die Redaktion mit den Beamten in Verbindung.

 

Die Antwort aus Leipzig fiel knapp aus: Am Dienstag habe es eine entsprechende Meldung dazu gegeben. Nach längerer Suche auf den Internetseiten der Polizeidirektion Leipzig wurden wir schließlich fündig.

 

Zwischen Berichten über Verkehrsunfälle und Einbrüche – im Landkreis, nicht in der Stadt Leipzig – bestätigt die Polizei unter der Überschrift „Erbärmlich und feige!“ die Geschichte. Das 37-jährige Opfer sei am Montagabend nach der Legida-Demo vor seiner Wohnung in Böhlen von „vier bis fünf Personen“ angegriffen worden. „Mittels eines bisher unbekannten Gegenstandes wurde auch mehrmals gegen seinen Kopf geschlagen. Danach ließen sie von ihm ab und verschwanden im Dunkeln.“ Der Mann erlitt laut Polizei „schwere Kopfverletzungen, einen Armbruch und Schnittverletzungen“. Wer die „dunkel bekleideten und vermummten“ Täter sind, ist bislang unbekannt. Da „ein politisch motivierter Hintergrund“ nicht ausgeschlossen werden konnte, ermittelt nun der Staatsschutz. 

 

Fokus auf die Region


Warum steht das erst jetzt in der Zeitung? Sicher nicht, weil die Redaktion den Fall ursprünglich vertuschen wollte. In diesem Falle, wäre es ein Leichtes gewesen, die E-Mail des Lesers zu löschen und zu ignorieren, anstatt nun an prominenter Stelle darüber zu berichten. Der Grund ist viel banaler: Für eine Regionalzeitung, die den Fokus vor allem auf die eigene Region legt, ist es schlichtweg nicht möglich, alle Polizeiberichte bundesweit zu sichten und auszuwerten. Auch über die Nachrichtenagenturen, die diese Zeitung ergänzend zu eigenen Korrespondenten mit überregionalen Nachrichten versorgen, erreichte uns keine Meldung über die unsägliche Prügelattacke.

 

Doch der erwähnte Leser kritisiert, dass auch über Angriffe auf Pegida-Anhänger in der Region nicht berichtet worden sei: „Auch in Würzburg haben wir nach Pegida-Veranstaltungen schon mindestens zwei Überfälle beziehungsweise Anschläge erlebt, deren Veröffentlichung ich vermisst habe“, schreibt er weiter, ohne konkret auf die Fälle einzugehen.

 

Hat die Zeitung also doch geschwiegen? Über Angriffe gegen Wügida-Demonstranten vor unserer Redaktionstüre? Ein Blick ins Online-Archiv der Zeitung genügt. So wurde unter anderem darüber berichtet, dass Vertreter der linksextremen Antifa an den Gegenprotesten teilnahmen und es zu Konfrontationen mit Wügida-Demonstranten kam. 

 

Spirale der Gewalt


Dabei wurde auch der mutmaßlich übelste Angriff auf Wügida-Anhänger nicht verschwiegen: Am 26. Januar 2015 wurden laut Polizei- und Zeitungsbericht nach der Kundgebung zwei Wügida-Teilnehmer von fünf Gegendemonstranten mit Steinen angegriffen und verletzt. Die Täter konnten zunächst fliehen, wurden aber später festgenommen. Wie eine Nachfrage vom Freitag bei Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Würzburg ergab, wurde einer der mutmaßlichen Täter vom Landgericht Würzburg inzwischen freigesprochen; hier steht nun ein Berufungsverfahren an. Gegen den zweiten Täter wurde am 21. Oktober 2015 Klage erhoben. Ein Verhandlungstermin steht noch aus, man wolle zunächst das Urteil aus dem Berufungsverfahren gegen den ersten Täter abwarten, hieß es.

 

In Leipzig scheint sich unterdessen die Gewaltspirale weiterzudrehen. Nachdem die Legida-Hintermänner in ihrem Facebook-Eintrag einen sächsischen Grünen-Politiker beschuldigt hatten, die Schläger angestiftet zu haben, will die Neonazi-Szene die weiteren Ermittlungen offenbar nicht abwarten: Seit Dienstag ist der Politiker Zielscheibe massiver Drohungen im Internet, am Mittwoch erschienen Neonazis vor der Anwaltskanzlei des Grünen und enthüllten dort ein Transparent, auf dem sie ihn als „Auftragskiller“ brandmarkten.

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…jeder Schrott festgehalten werden?