[frankreich] erlebnisbericht

dieses erzeugnis ist weder vollständig noch hat es struktur, gar hat es irgendeinen sinn, oder inhalt, ganz im wie die realität die es hervorgebracht hat. vielmehr ist es der ausdruck einer einzigen sehnsucht das nun folgende überall zu erleben und das zu erkunden was darüber hinaus geht.

 

"die revolution ist nicht gekommen die aufstände schon".

 

tafeln werden zu barrikaden, uni's besetzt, verbarrikadiert, plätze werden angeeignet, verteidigt, fabriken bestreikt, raffinerien blockiert, die energieversorgung eines landes lahmgelegt, das netz aus waren gerät ins stock wird sabotiert. die akteur*innen sind dabei so vielseitig wie die verwendenten mittel. keine*r sah ihn kommen doch nun hat er jede*n erfasst.

 

er ist nicht mehr wegzudenken wie der geruch von tränengas in den urbanen zentren frankreichs. seit monaten mischt sich hier der gestank von pisse und adrenalin mit dem von verbrannten plastik und tränengas. der aufstand erfasst alles. spinnennetze aus zerborstenen scheiben geben den einkaufsstraßen ein lebendiges antlitz, farbflecken zieren die betonwüste. die niemals schimmernde oberfläche trägt ihre risse nach aussen, jede*r sieht es, jede*r fühlt es.

 

in den städten fällt das laufen schwer, routiniertes gehen auf bekannten wegen wird zur stolperfalle durch fehlende pflastersteine und betonplatten oder zum slalom zwischen glasscherben. was die polizei nicht schafft, erledigt dann die straßenreinigung, das unsichtbar machen der radikalen sehnsüchte. diese spuren lassen sich nicht verwüsten, sie sind das einzig beständige in diesem unbeständigen.

 

mensch schmeckt sie sogar durch, die revolte. mit zitronenkonzentrat getränkte vermummung, um im nebel aus tränengas atmen zu können, die salzigen, brennenden tränen, die mittels maloxan und adrenalin gestoppt werden. das gas stoppt uns nicht, es ist zum unliebsamen begleiter geworden, der uns nicht aufhält, höchstens lenkt.

 

abgestumpft von der organisierten traurigkeit des immer gleichen schufen sie ihren größten feind. das meer nie geweinter tränen spült das frei, was sich unter den scherben des verängstlichen ich's verbirgt, ein verborgenes verdrängtes, verleugnetes, verbotenes gefühl: die wut! sie bricht aus, überwindet die stimmung einer permanenten kontrolle, die zum zustand einer gesamten gesellschaft wurde. durch kontrolle und die angst vor ihr wurden wir uns selbst fremd. so schaffen sie sich ihren größten feind, verbunden in der produktiven wut, vertraut in dieser vollständigen fremdheit. dabei überschreiten wir grenzen, erst unsere eigenen, dann die zwischen uns und letztlich alle diese trennungslinien. wer die bullen angreift, mit der absicht diese welt, die sie verteidigen, zu überwinden, öffnet einen freiraum. jeder "dieser" steine liegt außerhalb der institutionell befriedeten ungleichheit.

 

'nui debout' war immer wieder genau so ein raum. in tradition der platzbesetzung nahm sich hier die weiße bürgerliche mitte einen öffentlichen ort, jenes gut gebildete millieu, das selbst so elloquent sprechen kann wie die politik die ihr darum auch so gerne zuhört. weil sie so gut sprechen können und sich dabei selbst so gerne zuhören, vergessen sie häufig das was sie sagen zu leben. mittels aus spanien importierte großgruppenkommunikationsregeln werden demokratische rituale verbreitet. in dieser tradition lassen die cyoten eine traurige person aus der vergangenheit als zukunftsgestalt auferstehen, yannis varoufakis wurde am 6.3. ein ihm all zu bekanntes forum geboten.

 

doch mensch kommt zusammen und diskutiert. unterschiedliche arbeitsgruppen kümmern sich um den selbstschutz, bekannte nazis werden vom platz geschmissen, essen wird bereit gestellt, rechtsberatungen finden statt, eine gruppe arbeitet ein einer neuen verfassung, flucht wird zum thema gemacht.

jenseits der arbeitsgruppen kommen menschen regelmäßig in der großen versammlung zusammen und tauschen sich über zentrale themen aus, dabei geht es immer wieder um die frage der gewalt, um die gewalt die jenseits des gesetzes liegt. einige begreifen sie als selbstschutz gegen bullen, die uns dann angreifen, wenn sie wollen, andere ergänzen wenn wir sie jedoch angreifen, dann bestimmen wir wenigstens den moment der konfrontation. andere lehnen sie ab, da sonst nur über den sachschaden berichtet wird, statt über die legitimen forderungen und die verhandlungsposition geschwächt wird. wieder andere entgegnen "the world or nothing".

 

für sie ist die "reine gewalt" eine handlungsposition. diese reine gewalt unterbricht endlich die verbindungslienie von gewalt und recht. wie bei der revolutionären, recht schaffenden gewalt, welche dafür kämpft eine neu konstitution zu erkämpfen und somit selbst teil der verknüpfung von gesetz und seiner gewaltförmigen durchsetzung wird. oder recht erhaltende gewalt, die das bestehende aufrecht erhält und verteidigt. reine gewalt erscheint nicht als ein mittel zum zweck des erkämpfens, verteidigens oder des regierens, sondern als eine gewalt die rein handelt und mittels ihrer puren destruktivität wirkt.

 

' manif sauvage', wilde demos zogen gerade zu den anfängen der bewegung gegen das arbeitsgesetz durch die städte frankreichs. dabei ging es nie um dieses gesetzesvorhaben. wer die arbeitsgesellschaft abschafft, braucht auch kein arbeitsgesetz. sie zogen vorbei an schulen, uni's und trugen dabei offen ihre millitantes selbstverständnis nach außen. vorbei an berufsbildungszentren, in dem die ausbildung für maurer*innen darin besteht mauern aufzubauen und diese wenige tage später wieder einzureißen. hier muss mensch keine*m den irrsinn dieses systems erklären und so fanden die leute auch wenig später große freude daran genau diese steine zum ersten mal sinnvoll nutzen. auch starteten diese ' manif sauvage' regelmäßig am 'place de la republic' und boten so unterschiedlichsten leuten die möglichkeit sich zu beteiligen, ihre wut auf die herrschende ordnung einen kollektiven ausdruck zu verleihen. eine vermassung subversiven verhaltens, in dem demos immer wieder als feiräume genutzt wurden, die nicht nur regelkonform die stille ordnungsmacht der selbstkontrolle reproduzierten, sondern stets ein 'target' verfolgen. um das gefühl der eigenen ohnmacht zu durchbrechen, wird auf dem weg von a - b ausgebrochen, barrikaden errichtet, einfach nur geflyert, ein gebäude gestürmt eine kreuzung besetzt, mit farbe gearbeitet oder die bullen angegangen. immer wieder wird versucht so den fluss der dinge zu unterbrechen.

 

wenn die aktuelle bewegung nun als so wild, spontan, schlagfertig erscheint liegt es auch daran dass sich in dieser jahrelangen praxis netzwerke entwickelten, die die demos immer als ein möglichkeitsraum begriffen in dem gewalt nur ein taktisches mittel ist, dessen grundlage in der massenhaften anwendung liegt, dessen legitimation und vollzug sich nicht von diesen erfahrungen trennen lassen. diese netzwerke und die erfahrungen begründen die dauer und intensität des derzeitigen protestzyklus, nicht jedoch dessen ursache.

 

die erfahrung geht über das adrenalin und das ohrenbetäubende klirren von scheiben hinaus. während die reine gewalt das destruktive moment bildet ist die solidarität das verbindende moment. sie wird nicht organisiert, sie organisiert sich, ist ein organischer bestandteil des widerstandes. in ihr werden wir zum leben erweckt, sind nicht mehr bloß verwaltete objekte in einem alle lebensbereiche erfassenden produktionsprozess. es ist schon paradox dass wir diesen überlebensinstinkt brauchen um den internalisierten strukturen der arbeitsteiligen welt zu entrinnen, zum ersten mal zu leben. erschöpft treffen sich in diesen momenten weder arbeitende, schülies, arbeitslose, noch studierende im schatten des feuers, sondern solidarisch kämpfende und lachen gemeinsam über den emporsteigenden phönix

 

Wenn du gelacht hast

hat es geklappt

 

du bist der pathetik überdrüssig

 

flüchte auf die straße

 

wir sehen uns

im schatten des feuers

 

 

erlebnistage

 

lebenslänglich

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"du bist der pathetik überdrüssig"? - dann lies nicht diese als erlebnisbericht getarnte verherrlichung von straßenkampf! Wer etwas über die situation in frankreich erfahren will, kann sich die ersten zwei absätze glatt schenken, den rest eigentlich auch. Schwülstige metaphern, pseudointellektualität, todessehnsucht und romantisierte überhöhung von 'authentizität' - das alles rührt aus der unfähigkeit, die geschehnisse der gegenwart rational zu begreifen. ernst jünger hätte es nicht besser hingekriegt.

ders nicht begreift bist du mit deiner deutschen kartoffeligkeit. by the way warst du schonmal dort oder wo anders wo es nach aufstand gerochen hat, griechenland italien? ach hab vergessen du analysierst ja noch rational....

 

deswegen sind die menschen in frankreich auch 5mal weiter als hier, weil sie verstanden haben das nur auf der straße dem öffentlichen raum oder einer besetzung tatsächliche begenung stattfindet. du kannst deine welt soviel rational analysieren wie du willst oder alle auf linie gehaltenen kommunist*innen vor dir, aber das hat uns auch noch nie dem kommunismus näher gebracht...

 

in der tatsächlichen begegnung werden auch erst räume eröffnet und es gibt möglichkeiten, andere wege zu gehen wie aktuell in rennes wo gewerkschafter*innen mit den autonomen gemeinsame sache machen...

 

by the way guter text:

und ab nach paris am 14 juni

ist ein artikel über mili paris: https://linksunten.indymedia.org/de/node/176223 hier auch noch ein interview mit ihnen: https://edicioneschafa.wordpress.com/2016/04/14/the-mili/ und noch drei andere autonome texte aus frankreich auf englisch: http://ill-will-editions.tumblr.com/post/145569191344/the-wisdom-of-riot... http://ill-will-editions.tumblr.com/post/143642477739/build-the-hacienda... http://ill-will-editions.tumblr.com/post/141852068114/331-call-to-blocka... huhu spießi im ersten kommentar: noch am analysieren?wie findest du den die aufstände in den banlieus 2005?bestimmt haben die vorort-kids nicht die situation analysiert...oder vielleicht doch das ganze intuitiv mit ihrer negation und nicht-forderung stellen besser verstanden als du?!