Das Integrationsgesetz: Die endgültige Abschaffung des Asylrechts?

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Im Bundestag findet heute, 3.1.2016, die erste Lesung zum „Integrationsgesetz“ statt. Eine fundamentale Beschneidung des Asylrechts steht bevor.

 Wie aus einer Pressemitteilung des Deutschen Institut für Menschenrechte hervorgeht, enthält der Entwurf des Integrationsgesetzes vorgesehene Änderungen des § 29 Abs. 1 Nr. 4 Asylgesetz, die zu einer fundamentalen Beschneidung des Asylrechts führen könnte. Diese Regelung wurde nachträglich in den Entwurf aufgenommen und ist von der Bundesregierung bislang nicht öffentlich erwähnt worden.

 

Dazu erklärt das Institut:
„Die Bundesregierung scheint mit einer Einzelregelung im Integrationsgesetz die Grundlage für eine gravierende Einschränkung des deutschen Asylrechts legen zu wollen. Der Gesetzentwurf sieht bisher vor, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein Drittstaat bereit ist, die Antrag stellende Person wieder aufzunehmen. Damit könnten Menschen ohne inhaltliche Prüfung ihres Asylantrags in Staaten, die nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union sind und die auch nicht als ’sichere Drittstaaten‘ im Sinne des Grundgesetzes anerkannt sind, abgeschoben werden. Auf diese Weise würden die hohen Hürden für die Einstufung von Staaten als ’sichere Drittstaaten‘ abgebaut. Eine solche Regelung wäre weder mit dem Recht auf Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes noch mit flüchtlings- und menschenrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen. Diese garantieren nämlich eine individuelle und unvoreingenommene Prüfung von Asylverfahren im Einzelfall.“

 

Der Entwurf geht weit über die Grundgesetzänderung von 1992 hinaus und bedeutet letztendlich die endgültige Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Als erste würde das vermutlich AntragstellerInnen aus der Türkei treffen.


Die ganze Pressemittelung des Institut für Menschenrechte lesen.

 

Die Neoliberalisierung des Asylrechts

 

Neben der nun publik gemachten Änderung des Entwurfes des „Integrationsgesetztes“, der Verabschiedung des Asylpaket II Anfang diesen Jahres, der Verabschiedung des Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz und den vorangegangen Asylrechtsverschärfungen, sowie der Ausweitung der Liste der „Sicheren Herkunftsstaaten“ auf Länder des Balkans und des Maghreb, stellt das sogenannte „Integrationsgesetz“ schon als solches eine weitere fundamentale Beschneidung von Grundrechten für Geflüchtete dar. Mit dem neuen Gesetzt wird unter dem Motto „Fördern und Fordern“ die Prekarisierung der Lebenswirklicht tausender Menschen institutionell festgeschrieben.

 

Dazu eine ausführliche Stellungnahme der GUUA und mehr Hintergrundinforamtionen hier lesen.

 

PRO ASYL kritisiert am Integrationsgesetz insbesondere:


– Zwangsweise Wohnortzuweisungen beschneiden unzulässig die Freizügigkeit von anerkannten Flüchtlinge
– Leistungseinschränkungen halten Flüchtlingen ihr Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vor.
– Die Verschärfung des Aufenthaltsrechts wird zu einer großen Unsicherheit unter Flüchtlingen führen.
– Die zwangsweise Ausübung von Ein-Euro-Jobs wird Flüchtlinge prekarisieren, statt ihnen echte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Weitere Erläuterungen von Pro Asyl zum „Integrationsgesetz“ und der Änderungen zum Thema Drittstaaten.

Die GUUA schliesst aus dem Entwurf zu dem neuen Gesetz:


„Das „Integrationsgesetz“ ist im eigentlichen Sinne reaktionär. Es befindet sich damit in unseliger Tradition der Asylpakete I und II. Die Ziele sind klar: asyl- und migrationspolitisch eine weitreichende Entrechtung der Betroffenen. Und sozialpolitisch eine möglichst umfassende Ökonomisierung, die im Flüchtlingsrecht bislang noch nicht vollständig umgesetzt war. Für diese Ziele schafft die Bundesregierung nun ein neues Durchsetzungsinstrument: die körperliche Exklusion in Form der Drohung, den Standort Deutschland verlassen zu müssen – zumindest aber nie ganz ankommen zu dürfen.“

 

Eine Kultur des Unwillkommens und Desinteresse


Mit dem „Integrationsgesetz“ wird aber auch einmal mehr sehr deutlich, wie es um die sogenannte „Willkommenskultur“, zumindest auf staatliche Ebene tatsächlich steht. Einerseits wurde aufgrund der starken Migrationsbewegung entlang der „Balkanroute“ im vergangenen Jahr für einige Monate das europäische und deutsche Grenzregime ausser Kraft gesetzt und kurzzeitig das Ankommen der Menschen aus Syrien und anderen Ländern an deutschen Bahnhöfen beklatscht. So wurde anderseits und gleichzeitig massiv eine Bleibeperspektive für einen Großteil der Asylsuchenden abgeschafft und mit dem EU-Türkei-Deal die Externalisierung des EU-Aussengrenzen vorangetrieben. Über die tödlichen Folgen dieser Politik berichtete Human Rigths Watch bereits im Mai. Laut „Ärzte ohne Grenzen“ hat der Deal auch zu einem Dominoeffekt geführt, aufgrund dessen rund 100.000 geflüchtete Menschen nun in einer Art Pufferzone an der türkischen Grenze festsitzen. Und um es auch noch einmal klar zu benennen, die Schliessung des humanitären Korridors entlang der Balkanroute und der Deal mit der Türkei haben nicht dazu geführt, dass sich weniger Menschen auf den Weg machen oder Todesopfer an den Grenzen vermieden werden. Im Gegenteil, die Fluchtrouten sind wieder länger und gefährlicher geworden, die Todeszahlen im Mittelmeer und an den Zäunen Europas steigt. Allein in den ersten Monaten des Jahres 2016 wurden über 2500 Ertrunkene gezählt. Nur führt das nicht einmal mehr zu einem moralischen Aufschrei.

 

Um so dringlicher stellt sich angesichts dieser Entwicklungen die dringende Frage, in welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wieviel Entrechtung von Schutzsuchenden wollen wir noch hinnehmen, egal ob hier in Deutschland, auf dem Mittelmeer oder an den Grenzen? Bei wieviel Tragödien wollen wir noch zu sehen? Und warum interessiert es kaum jemanden, was da im Bundestag seit Monaten im Schnellverfahren passiert? Warum herrscht mehr oder weniger ein Schweigen? Wo ist die sogenannte Zivilgesellschaft? Wo sind all die freiwilligen HelferInnen und UnterstützerInnen, die sich letztes Jahr „Willkommen!“ auf die Fahnen geschrieben haben? Und wie könnte eine (radikale) linke und solidarische Perspektive angesichts der starken Migrationsbewegungen einerseits und der Verschärfungen des Asylrechts bei gleichzeizeitig zunehmenden Rassismus und Rechtsruck anderseits, tatsächlich aussehen? Welche neuen Bündnisse und Strategien braucht es, um dieser Situation ernsthaft und grundlegend zu begegnen?

 

Für ein Recht auf Rechte!

 

3.6.2016

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