Fuck nations, squat the world - Report aus dem Nordkiez

Squatting

Anlässlich des Aufrufs „Fuck nations, squat the world“ erscheint dieser Text im Original in deutsch und englisch. Die Diskussionen über Squats, rechtsfreie Räume und die koordinierte anarchistische Aktion werden überall auf der Welt geführt. Der „rebellische Nordkiez“ in Friedrichshain ist sicherlich für mehr Leute von Interesse, als dort allgemein angenommen wird. Und das, was außerhalb dieses Tellerrands geschieht, z.B. die faschistischen und staatlichen Angriffe auf griechische Squats und den Stadtteil Exarcheia, ist damit verbunden.

 

Bericht aus dem Nordkiez, wo der Ausnahmezustand jetzt Normalität ist

 

Es gab schon unzählige Episoden in diesem Kiez. Unsere Geschichte ist die einer unruhigen Gegend, die seit 26 Jahren Ort autonomer Kämpfe ist. Wir schreiben die Geschichte weiter, indem wir die Episode „Gefahrengebiet“ für beendet erklären.

 

Rückblick

 

„Gefahrengebiet“ ist eine staatliche Auszeichnung für Orte, in denen für das Gewaltmonopol des Staates eine konkrete Gefahr besteht. Der Friedrichshainer Nordkiez hat diese Auszeichnung schon viel länger verdient und wurde viele Jahre als einer der geheimen Favoriten in Berlin gehandelt. Im Oktober 2015, nach einem heißen Sommer, war es dann soweit. Zunächst der gesamte Nordkiez, wenig später noch größere Teile Friedrichshains, wurden offiziell für rechtlos, also zum Gefahrengebiet, erklärt. Per Ausnahmezustand fanden innerhalb der folgenden Monate laut polizeilicher Statistik mehrere tausend Personenkontrollen statt. De facto wurden täglich Menschen durchs Viertel gejagt, gefangen, manchmal geprügelt, und bis auf die Unterwäsche gefilzt.

 

Die zunehmende Repression wurde von ebenso zunehmender Bereitschaft zur Organisierung und Widerstand begleitet. Neue Allianzen unter der Anwohnerschaft entstanden, und durch verschiedene Aktionsformen geriet der Ausnahmezustand mehr und mehr ins Kreuzfeuer. Struktur und Know-How kamen zu einem guten Teil über die Hausprojekte/Squats. Die militanten Aktionen, wie brennende Autos, spielten für das Selbstbewusstsein und die öffentliche Wahrnehmung stets eine wichtige Rolle.

 

Die aus Hamburg übernommene Strategie, jegliche Gefährlichkeit von sich weisend, das auferlegte Attribut Gefahrengebiet abzuschütteln, wurde einer kritischen Analyse unterzogen. So gab es dann auch keine harmlose Klobürste als Symbol der Wehrlosigkeit(1). Die bürgerliche Presse, stets auf der Suche nach plakativen Aussagen, musste also weiter mit den Bildern vorlieb nehmen, die die polizeiliche Offensive ausgelöst hatten: gepanzerte Bullen, die angsterfüllt nach oben blicken, brennende Luxusautos und beschädigte Neubauten. Die „ZAD Dorfplatz“, eine zur gleichen Zeit erschienene Broschüre mit lokalem Bezug, titelte selbstbewusst: „Die Rigaer Straße als Gefahrengebiet für behelmte Schläger“.

 

Diese Aussage wurde nicht von Allen gleichermaßen ernst genommen. So wurde am 13. Januar ein sogenannter Kontaktbereichsbeamter verprügelt, als er alleine in der Straße herumschlich. Er war zwar bewaffnet, aber nicht gepanzert. Die ihm erteilte Lektion vertrug die politische Führung der Polizei nicht und schickte am selben Abend ein Großaufgebot mitsamt SEK in das Squat und Hausprojekt Rigaer94, mutmaßlichem Hort der Aggressoren. Die Razzienwelle, die bis in die nächsten Tage anhielt und mehrere Wohnhäuser betraf, entbehrte jeglicher Strategie. Zwar wurden die Militanten „zunächst auf dem falschen Fuß erwischt“, wie sie selber später eingestanden(2), doch die Empörung breiter Schichten führte zu vielfachen Entsolidarisierungen mit dem Polizeieinsatz. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt.

 

Die Gunst der Stunde wurde genutzt, indem die Hausprojekte des Nordkiezes ohne Eile eine Kiezversammlung (welche jetzt regelmäßig stattfindet) ins Leben riefen und kurz danach, am 6. Februar, eine Demonstration mit 5000 Menschen durch Friedrichshain initiierten. Dieser Tag wurde von wilden Aktionen mit hohem Sachschaden an Luxusbauten und -autos eingerahmt. Und auch auf der Demo selbst gab es einen entschlossenen Angriff auf eine am Rande stehende Bulleneinheit, welche sich panisch auf und davon machen musste.(3)

 

Doch wie bereits vorher vermutet, war dies der Höhepunkt dieser Episode. Zum Glück war nicht nur der Kiez zunehmend ermüdet von Monaten der Belagerung und Eskalation, sondern ebenso die Bullen. Irgendwann, es war bereits der Frühling gekommen, kam dann die erste Nacht seit Monaten, in der man einfach mal wieder die Straßen im Nordkiez für sich hatte.

 

 

Neue Episode

 

Nun ist der Zustand der offiziellen Rechtlosigkeit zwar nicht beendet und es gibt immer noch punktuelle Polizeieinsätze. Doch der permanente Belagerungszustand ist gescheitert. Zum Teil die enorme Ressourcenaufwendung, zum Teil die wachsende Respektlosigkeit gegenüber dem Staat, hat die anmbitionierte Polizeioperation in die Knie gezwungen. Die Episode „Gefahrengebiet“ ist aber auch deshalb beendet, weil der Ausnahmezustand im Nordkiez zur Normalität geworden ist. Es ist längst kein Grund für Hektik mehr, wenn sich die Kunde von erneuten Kontrollen verbreitet. Die Empörung ist gewichen. An ihrer Stelle ist das Bewusstsein vom sozialen Krieg gewachsen.

 

Diese Tendenz muss sich erweitern. Die in der Praxis gewachsenen theoretischen Erkenntnisse über die Beschaffenheit dieses Konflikts sind nun die Grundlage für das Kommende. Genauso die vielen geknüpften Verbindungen, die gesteigerte Aufmerksamkeit und die Zuversicht der Kämpfenden. Die nächste Episode wird daran zu messen sein, ob es gelingt, diese Ressourcen in permanente Angriffe umzuwandeln. Eine Zielrichtung existiert bereits.

 

-Ausbau von rechtsfreien Räumen (“focal points of lawlessness”)

 

„Was die Frage der “rechtsfreien Räumen“ angeht, würden wir gegenüber denjenigen, die sich immernoch am systemischen Dipol Legal-Illegal aufhängen, betonen, dass wir die Anwälte der Illegalität sind und weiter sein werden. Wir sind gegen Alle, die versuchen, Squats als Orte des Zusammenkommen und harmloser alternativer Unterhaltung darzustellen.“

 

Die Hausprojekte/Squats sollten viel mehr sogar dazu beitragen, Rechtsfreie Räume in ihrer direkten Umgebung auszudehnen. Rechtsfreie Räume sind ein Konzept gegen die offizielle Rechtlosigkeit, wie sie gegen Arme, Obdachlose, Illegalisierte und Kämpfende praktiziert wird.

 

-Stopp der Verdrängung und Verteuerung

 

Mit dieser Bestrebung verbunden, aber konkreter, ist das Anliegen zahlreicher Menschen hier, die (staatlich gewollte) Aufwertung des Stadtteils zu bekämpfen. Der Pressesprecher der Bullen hatte Recht, als er sagte, dass nur die Gentrifizierung den Kiez beruhigen könne.

 

Fight Gentrification“ ist eine weit verbreitete Parole. Wenn diejenigen, die sie verbreiten, nicht handlungsbereit und -fähig sind, produzieren sie Hoffnungslosigkeit. Wenn aber konkrete Ziele gesteckt sind und an ihrer Umsetzung gearbeitet wird, geben sie Hoffnung. Diese wird wiederum zur Intensivierung der Angriffe führen.

 

Aus diesem Grund wird der nächste Schritt im Nordkiez sein, den Bau eines teuren Wohn- und Geschäftsgebäudes zu verhindern. Die meisten Brachflächen sind bereits zugebaut und der Unmut über diesen Ausverkauf sowie der Widerstand dagegen sind breit verankert. Jedoch beschränkte sich dieser bisher meist auf Theorie und Symbolik. Jetzt, nach dieser intensiven Phase der Auseinandersetzung, ist es Zeit, einen Schritt weiter zu gehen. Der Neubau des Caree Sama-Riga mit einem Investitionsvolumen von 37 Millionen Euro ist im Fokus. Die Brachfläche mit einem verlassenen Altbau ist nur wenige Meter von den meisten Squats/Hausprojekten der Gegend entfernt und bereits jetzt fordern Plakate****, Texte und direkte Aktionen***** dazu auf, ihn zu verhindern.

 

-Räumungen verhindern, Naziangriffe zurückschlagen, Razzien vergelten

 

Nach wie vor stehen Räumungs- und Gewaltdrohungen gegen die Hausprojekte/Squats im Raum. Für alle, die in diesem Konflikt gegen den Staat und die Interessen der Reichen nicht verlieren wollen, ist es essentiell, die eigenen Strukturen zu verteidigen. Die Häuser müssen sich darauf besinnen, welche wichtige Rolle sie in den letzten Monaten gespielt haben. Dazu zählt eine kritische Analyse ihrer selbst und eine klare Bekenntnis zum Angriff. Diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind, sollten sich ebenso zu erkennen geben. Dann existiert eine Grundlage, auf der entschlossen agiert werden kann, wenn Bullen oder andere Nazis angreifen.

 

 

(1)2013 wurde in Folge einer Offensive verschiedener, miteinander verbundener Kämpfe, über einen Teil Hamburgs der Ausnahmezustand verhängt. Als Symbol des Widerstands konnte sich die Klobürste, und damit die bürgerliche Interpretation des Konflikts durchsetzen.

 

(2)https://linksunten.indymedia.org/en/node/168054

 

(3)http://rabble.org.uk/berlin-against-gentrification-well-cause-e1-million-damage-for-every-police-raid/


(4)https://linksunten.indymedia.org/de/node/178829

 

(5)Die Schautafel für den Neubau wurde zerstört und das Büro der Green-Washing-Agentur entglast