Solidarität statt Ausgrenzung
“Revolutionäre Abeit soll nicht auf der Idiotenwiese stattfinden. Die Idiotenwiese ist der Freiraum, den das herrschende System für politische Tätigkeit nach Feierabend zur Verfügung stellt: Parteiversammlungen, Wahlzirkus und notfalls auch mal die Straße für Demonstrationen. Revolutionäre Arbeit soll vielmehr gerade in dem Bereich stattfinden, der für freie, politische Betätigung tabu ist: am Arbeitsplatz, im Betrieb!” – Berni Kelb – Betriebsfibel
Mit diesem Aufruf wollen wir verschiedenste Aktionen der libertären Basisgewerkschaften rund um den 1. Mai bewerben. Einen libertären Frühling können wir dabei wahrlich gebrauchen. Von verschiedensten Seiten liegen mittlerweile viele gute Analysen über den aktuellen Rechtsruck und die Großangriffe auf die soziale Sicherheit der Lohnabhängigen in Deutschland und Europa vor.¹ Die Linke müsse wieder in die Initiative kommen, heißt es allerorten. Immer mehr Gruppen und Autor_innen stimmen außerdem zu, dass eine radikale Linke die verschiedenen sozialen Kämpfe zusammen denken und wieder an die Bedürfnisse der breiten Masse der Lohnabhängigen anknüpfen muss. Wie dies zu geschehen hat, wird dagegen i. d. R. äußerst vage skizziert.
Diese Konzeptlosigkeit spielt rechtsradikalen Akteur_innen von AfD über Pegida bis hin zum „III. Weg“ in die Hände. Mit mehr oder minder revolutionärer und antiparlamentarischer Rethorik punkten sie bei jenen, die zurecht davon überzeugt sind, dass sie von CDU bis Linkspartei keine Perspektive auf ein gutes Leben zu erwarten haben.
Dass diese rechte Rethorik greift, obwohl oft im wesentlichen Grundsatzpapiere der sächsischen CDU wiederholt werden, dass Erwerbslose und Prekarisierte in Massen die AfD wählen, obwohl diese klipp und klar ankündigt, diesen zugunsten der Eliten und Unternehmen in den Hintern zu treten, zeigt, dass in Selbstverständnis und Bildungsanspruch der Lohnabhängigen ebenfalls äußerst viel schief liegt.
Die großen Fragen lauten daher: Wie verorten wir uns eigentlich als radikal linke Lohnabhängige? Hört unsere Einstellung beim Eintritt in den Betrieb, in die Uni, ins Jobcenter auf? Inwieweit helfen wir unseren Kolleg_innen mit unseren Strukturen im Alltag, um ihnen eine Idee von inklusiver² Solidarität und praktische Anknüpfungspunkte für ein besseres Leben aufzuzeigen? Wie etablieren wir ein neues, kritisches Klassenbewusstsein, das den Anspruch beinhaltet sich zu bilden und sich nicht verarschen, für nationale Projekte oder die parlamentarische Märchenstunde einspannen zu lassen? Und welchen Organisationsformen bedarf es, um wieder ins Gespräch zu kommen und gleichzeitig die politische Wirkmächtigkeit zu erhöhen, v. a. wenn wir uns nicht wieder dem parlamentarischen Wahnsinn anbiedern wollen?
Die Region Ost der FAU gibt hier ein wenig Hoffnung, in Jena, Chemnitz, Erfurt, Halle, Rostock, Potsdam, Berlin, Leipzig und Dresden kämpfen wachsende FAU-Syndikate für mehr soziale Gerechtigkeit im Alltag und eine libertäre Gesellschaft.
Diese Fragen sind für uns als FAU Dresden aktuell zentral und auch Grundmotiv für unsere Aktionen am 28. April und dem ersten Mai. Wir denken nicht, dass Demos die Welt verändern, wir denken aber, dass Demonstrationen ihre Berechtigung als Platz für Meinungsaustausch, Diskussion und die Darstellung von Positionen haben. In diesem Sinne laden wir euch ein, mit uns auf die Straße zu gehen!
Workers Memorial Day
„Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen 60 Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.“ – Georg Büchner – aus „Dantons Tod“
„Kapitalismus tötet!“: Leider keine leere Phrase. Nach Angaben der ILO sterben jeden Tag schätzungsweise 6000 Arbeiter_innen beim Job oder an den direkten Folgen ihrer Arbeit. Insgesamt kostet die aktuelle Organsation der globalen Arbeit pro Jahr ca. 2 Millionen Kolleg_innen das Leben. Ziel des weltweit begangenen Gedenktages ist es, diese Toten sichtbar zu machen. In Deutschland profitieren wir als Arbeiter_innen und Konsument_innen von relativ hohen Arbeitsschutzstandards. Zum einen werden diese aber immer wieder unterlaufen, z. B. in kleinen Handwerksbetrieben, zum anderen sind die Profite westlicher Unternehmen und der geringe Preis z. B. für Textilien oder Smartphones all zu oft mit dem Leben unserer Kolleg_innen in anderen Ländern bezahlt.
Dabei hört die Destruktivität des Kapitalismus jedoch noch lange nicht auf: Kriege, Klimawandel, Drogenmissbrauch, psychische Erkrankung, Suizide und eben auch die oft tödlich endende Flucht nach Europa sind die Folgen eines Wirtschaftssystems, das erbarmungslos seiner eigenen Logik und nicht den Bedürfnissen der Menschen folgt.
Für eine solidarische, anarchistische Gesellschaft zu kämpfen erscheint im reichen Deutschland immer wieder wie ein Luxusproblem. So fällt der Antrieb sich gemeinsam zu organisieren und v. a. an einer ernsthaften gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus zu arbeiten auch nur all zu oft der eigenen Antriebslosigkeit oder dem all zu verständlichen Wunsch nach ein wenig Leichtigkeit und dem individuellen Glück zum Opfer. Wir wollen nicht negieren, dass das individuelle Luftholen, das Talent die Freude nicht zu verlieren, eine Lebensnotwendigkeit ist. Wir wollen aber mit dieser Veranstaltung einmal mehr deutlich machen wie bitter ernst eben auch die Notwendigkeit zu einem Systemwechsel ist und dass die Entwicklung zu einer gesellschaftlichen Alternative und das persönliche Glück unbedingt zusammen gedacht werden müssen.
Wir wollen deshalb eine Gedenkminute abhalten und danach durch Löbtau und Gorbitz, zwei der prekarisiertesten Stadtteile Dresdens demonstrieren.
28. 04. 2016 - 17:30 - Columbusstraße - Dresden-Löbtau
Erster Mai
„Unsre Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsre Herrn.“ – Bertolt Brecht – Solidaritätslied
Gelegenheiten, sich Neonazis in den Weg zu stellen, bietet Sachsen aktuell leider jede Woche. Die Demonstration des „III. Wegs“ schmeckt besonders bitter durch ihre Verweise auf den Nationalsozialismus der 20er Jahre in Deutschland. So wird ein „völkischer Sozialismus“ vertreten. Auch ist Plauen als eine der frühesten Hochburgen der NSDAP in Sachsen und als Hauptwirkungsfeld des späteren NS-Gauleiters Martin Mutschmann für die neuen Nationalsozialist_innen umweht von einem heroischen Mythos als Speerspitzenstadt der Bewegung.
Mit Blick auf das aktuell bedrohliche Anwachsen rechtsradikaler Strömungen können wir festhalten, dass die beiden wirksamsten Versuche, den Faschismus in Europa aufzuhalten, historisch der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920 und die libertäre Revolution 1936 in Spanien waren. In beiden Fällen waren anarchosyndikalistische Kräfte maßgeblich beteiligt. In beiden Fällen riskierten hunderttausende Leib und Leben um die Faschist_innen aufzuhalten. In beiden Fällen waren es die ökonomischen Aktionen, d.h. Streik, Kollektivierung von unten, Güterumverteilung nach den Bedürfnissen der Bevölkerung, die ein maßgebliches Rückgrat der Bewegung bildeten. Auch wenn historische Vergleiche immer hinken, ein paar Erkenntnisse können wir meistens doch aus ihnen gewinnen. So z. B., dass die Menschen Kopf und Kragen nicht einfach für die Verteidigung parlamentarischer Demokratien und sozialer Marktwirtschaft riskierten. Es war der Ausblick auf eine Revolution, auf eine Selbstverwaltung und einen sozialen Anarchismus, der die Menschen veranlasste alles zu wagen. Und es waren autoritäre Sozialist_innen, also Sozialdemokrat_innen, die Freunde der „Diktatur des Proletariats“, Stalinist_innen usw. die das revolutionäre Projekt letztlich lieber dem Faschismus opferten, als eine breite Emanzipation der Gesellschaft zuzulassen.
Würde es heute anders kommen? Unwahrscheinlich. Am System einer parlamentarischen Linken hat sich wenig geändert. Die ideologischen Verrenkungen, um durch die Neofaschist_innen keine Wähler_innen zu verlieren, erleben wir heute wieder von CDU über SPD und Grüne bis hin zur Linkspartei. Politischen Institutionen, in denen es um Posten und Pöstchen geht, um Privilegien innerhalb der bestehenden Ordnung und um ein Bevormundungsdenken gegenüber der Bevölkerung, werden letztlich immer wieder zu den selben Ergebnissen kommen. Für sie sind die Freunde der Freiheit immer dann die größte Bedrohung, wenn sie ernsthaft die Frage nach den Verhältnissen stellen. Das Gleiche gilt natürlich für die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften.
Am ersten Mai bricht daher besonders symbolisch die Frage danach auf, wie wir als Bewegung libertäre, klar antiparlamentarische Strukturen als gesellschaftliche Alternative selbstverständlich machen und etablieren können. Genauso sehr müssen wir davon abkommen, nur von einer Kampagne zur nächsten zu denken. Ebenso sollten wir uns davon verabschieden, uns zuallererst als Linksradikale und erst nachrangig bis gar nicht als Lohnabhängige zu begreifen.
Wir treffen auf der Straße, in der Nachbarschaft, auf der Arbeit, in der Familie immer wieder Nachbar_innen, Verwandte und Kolleg_innen mit klar rechten Positionen. Diese Positionen sind oft so weit von unserem Verständnis von Gesellschaft und Politik entfernt, dass wir nicht wissen, wie wir reagieren soll. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass viele dieser Mitmenschen Solidarität immer nur exklusiv, z. B. in Kleinfamilie oder Clique erlebt haben. Sozialisierungsmomente kollektiven Zusammenhalts die inklusiv sind, fehlen in der Regel, das Bewusstsein unserer Mitmenschen individualisiert sich. Wichtig ist es deshalb, sich die Gemeinsamkeit der Lohnabhängigkeit, ebenso wie z. B. der geschlechtlichen oder rassistischen Unterdrückung bewusst zu machen und auch andere auf diese gemeinsamen Unterprivilegierungen im Alltag hinzuweisen. Neben dieser Bewusstseinsentwicklung der gemeinsamen Lage müssen wir unseren Mitmenschen, wenn auch mit klaren inhaltlichen Positionen, die Möglichkeit geben, auch selbst Akte der gegenseitigen Solidarität zu erleben.
Syrien, deutsche Rüstungsexporte – das ist für die meisten unserer Kolleg_innen ganz weit weg. Was vor der Nase ist, sind die flexiblen Schichtzeiten, die pflegebedürftige Mutter, der niedrige Lohn, die drohende Altersarmut. Wir müssen beides in die Diskussion holen und für die Selbstverteidigung vor Nazis im Kiez ebenso greifbare Konzepte parat haben wie zur Selbstverteidigung vor Jobcenter-Sanktionen. Wir müssen analysieren, aus welchen Klassenfraktionen sich unsere Bewegung zumeist zusammensetzt und welche Hürden uns davon trennen, mit größeren Teilen der Gesellschaft klar emanzipatorische Analysen und soziale Kämpfe zu entwickeln.
Der erste Mai in Plauen ist für uns daher nicht allein Anlass mit Polizei und Neo-Nazis ein wenig Katz und Maus zu spielen. Vielmehr wollen wir das Zusammenkommen zu diesem unerfreulichen Ereignis auch nutzen, um gemeinsam neue Konzepte zu diskutieren und zu schauen, wie wir es schaffen können wieder stärker als radikale Linke Stichwortgeber_innen für gesellschaftliche Diskussionen zu werden.
01. 05. 2016 - 09:00 - Oberer Bahnhof - Plauen (i. Vogtland), weiteres unter: plauen0105.blogsport.eu
Und weiter? Für einen libertären Frühling!
„…machen wir uns mit dem Gedanken vertraut, dass es uns vielleicht noch beschieden sein wird, diese alte Gesellschaft, deren Geschichte mit dem Blut und den Tränen der Armen und Elenden geschrieben wurde, zu Grabe zu tragen, um auf ihren Trümmern eine Welt der Freiheit auf den unerschütterlichen Fundamenten der gemeinschaftlichen Arbeit und der gegenseitigen Solidarität aufzubauen.“ – Milly Witkop-Rocker – Was will der syndikalistische Frauenbund?
Wie schon gesagt, bei zwei Demonstrationen bleibt es lange nicht stehen. Aktuell planen wir bereits die nächsten 14 Vorträge in verschiedenen Stätten. In Jena sind vom 20.-22. März Libertäre Tage geplant, in Dresden dann vom 5.-12. Juni. Als FAU Dresden diskutieren wir aktuell über die Bildung einer Gewerkschafts-Antifa, um die scheinbare Trennung von antifaschistischer Gegenwehr und basisgewerkschaftlicher Aufbauarbeit sichtbar aufzuheben. Ebenso diskutieren wir mit Gewerkschaften, sozialen Zentren und Gruppen aus 12 Ländern über einen antirassistischen Sozialstreik in ganz Europa. Es bleibt also spannend. Tun wir Lutz und den anderen menschenverachtenden Idioten nicht den Gefallen, uns die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Das beste Konzept bleibt immernoch die Flucht nach vorn.
Hin zu einer gerechteren Gesellschaft ist es vielleicht kein Katzensprung, sondern ein Weg, die Schrittgeschwindigkeit bestimmen allerdings wir!
Termine im Überblick
28. April
- Demonstration zum Workers Memorial Day - 17:30 - Columbusstraße - Dresden-Löbtau
- Anarchistischer Block auf der "time to act"-Antifa-Demonstration - 09:00 - Oberer Bahnhof - Plauen (i. Vogtland)
- Antikapitalistische Gewerkschaftsdemonstration - 15:00 - Johannisplatz - Chemnitz
- klassenkämpferischer Block der FAU Berlin auf DGB-Demo in Berlin
- Libertäre Tage Jena
- Libertäre Tage Dresdens
- Transnational Social Strike Nr. II
¹ Siehe u.a. Peter Schaber – Wie zertreten wir den Schneeball, Neues Deutschland vom 16. März oder auch Veranstaltungen des Dresdner Soziologen Soziologe Tino Heim.
² Inklusive Solidarität bedeutet, eine Solidarität die über die Interessen der Gruppe(n) hinaus geht, in denen ich mich unmittelbar selbst verorte z.B. das einstehen von Stammbelegschaften für Leiharbeiter_inne oder von Erwerbslosen mit deutschen Pass für prekär beschäftigte Flüchtlinge
Libertäre Tage Dresden/Jena
Wo findet man Infos zu den libertären Tagen in Dresden und Jena?
Da haben alle drauf gewartet!
"radikale Linke Stichwortgeber_innen für gesellschaftliche Diskussionen "
Da ihr bei euren Veranstaltungen unter euch bleibt, ist eine breite gesellschaftliche Diskussion doch gar nicht möglich!? Außerdem sind von der Linken abweichende Vorstellungen für euch eh nicht diskutabel. Scheuklappen auf, der Feind steht überall...