Brandenburg verhinderte Festnahme des NSU-Trios

Erstveröffentlicht: 
13.03.2016

Der Brandenburger Verfassungsschutz sorgte 1998 dafür, dass die NSU-Terroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe trotz Haftbefehl nicht verhaftet wurden. Zehn Morde hätten verhindert werden können.


Das brandenburgische Innenministerium hat im September 1998 die Festnahme der untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verhindert. Das geht aus zwei internen Brandenburger Behördenvermerken hervor, die der "Welt am Sonntag" vorliegen. Damals hatte ein V-Mann aus der rechten Szene (Deckname "Piatto") dem Verfassungsschutz in Potsdam mitgeteilt, dass das gefährliche Trio sich Waffen beschaffen, Raubüberfälle begehen und sich dann ins Ausland absetzen wollte. Daraufhin drang die Polizei in Thüringen darauf zu ermitteln. Das Brandenburger Innenministerium lehnte ab. Die Begründung lautete, der Schutz der Quellen sei vorrangig.

Zu diesem Zeitpunkt wurden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bereits per Haftbefehl gesucht. Der Bericht von "Piatto" gelangte über die dem Innenministerium zugeordneten Verfassungsschützer an das LKA in Thüringen. Die Beamten dort wollten möglichst schnell den Aufenthaltsort der drei Neonazis herausfinden. Am 16. September 1998 gab es eine Besprechung zwischen den Dienststellen. Der Präsident des Thüringer LKAs verlangte von den Brandenburgern schriftliche Berichte, um richterliche Beschlüsse zur Überwachung zu erwirken. Doch die Verfassungsschützer waren nicht bereit, den Ermittlern zu helfen.

Der erste von mindestens zehn Morden, die dem NSU zugeschrieben werden, wurde dann am 9. September 2000 in Nürnberg begangen. Anwälte, die im NSU-Prozess Angehörige der Opfer vertreten, kritisieren das Vorgehen des Verfassungsschutzes scharf. "Das Innenministerium hat die Festnahme der drei vereitelt und so die spätere Mordserie des NSU ungewollt erst ermöglicht", sagt Thomas Bliwier von der Hamburger Kanzlei BDK. "Bis heute verschleiern Brandenburger Behörden, dass sie damals dem Quellenschutz Vorrang vor der Festnahme der Gesuchten gegeben haben und die Polizei im Regen stehen ließen."

Um die brisanten Vermerke hatte es im Münchner NSU-Prozess schon Streit gegeben. Im Juli 2015 sagte der brandenburgische Verfassungsschützer Reiner G., der frühere V-Mann-Führer "Piattos", im NSU-Prozess zwar aus, blieb aber vage. Auf Antrag von Nebenklageanwälten ließ Richter Manfred Götzl Unterlagen, die G. mitführte, beschlagnahmen und zu den Gerichtsakten nehmen. Bis vor Kurzem wehrte sich das Potsdamer Innenministerium entschieden dagegen, die Dokumente in den Prozess einzuführen, da "das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde".

Richter Götzl aber hält das Aufklärungsinteresse für wichtiger. Nebenklageanwalt Bliwier will nächste Woche entsprechende Beweisanträge stellen. "Das Brandenburger Innenministerium muss jetzt für volle Aufklärung sorgen", so Bliwier. Der Anwalt will erreichen, dass weitere Beamte als Zeugen vorgeladen werden. "Die Hinterbliebenen haben das Recht zu erfahren, ob staatliche Stellen die Morde des NSU durch ihr Verhalten erst möglich gemacht haben."

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert