[OB] „Bürgerwehr" und Brandanschlag auf geplante Notunterkunft

(1) Antifaschistische Aktion

Auch in Oberhausen hat sich am zweiten Januarwochenende nach den Vorbildern in anderen Städten (Witten, Köln, Dortmund, Hamm u.a.) eine sich selbst „Bürgerwehr Oberhausen“ nennende Gruppe gegründet, welche sich mittlerweile auf Facebook „Oberhausener Bürgerinitiative“ nennt (beide Gruppen sind am selben Tag (!), einen Tag nach der abgebrochenen Pegida-Demonstration in Köln am 09.01, gegründet worden). In einer geschlossenen sowie einer offenen Facebookgruppe hat sich dabei zunächst hauptsächlich ein Spektrum einschlägig bekannter Personen aus folgenden Gruppierungen organisiert: Ältere Fußballhooligans, einem ehemals existierenden Bandido-Chapter, „Hooligans Gegen Salafisten“ (HoGeSa) sowie einige selbsterklärter „besorgten Bürger*innen“. Namen und Hintergründe der betreffenden Personen sind uns im größeren Maße bekannt.

Insbesondere in der öffentlichen Gruppe wurde der Versuch unternommen, sich als ausschließlich „besorgte Bürger*innen“ zu inszenieren, ohne dabei jedoch ihr rassistisches Weltbild besonders erfolgreich verheimlichen zu können.

 

Am vergangenen Donnerstag (14.01.) machte diese Gruppe schließlich mit einem ersten öffentlichen Auftritt auf sich aufmerksam. Aufgerufen wurde zu einem Treffen am Oberhausener Hauptbahnhof (18.00 Uhr) sowie am Bahnhof Oberhausen-Sterkrade (19.00 Uhr). Die geplante Weiterreise nach Oberhausen-Sterkrade kam allerdings nicht zustande.

 

Organisator Pierre Labrenz (Facebook-Name: „Pico Pico“ facebook.com/pierre.labrenz.3/likes), welcher der rechtsradikalen Oberhausener Fußballszene zuzuordnen ist, kündigte an,

(...) rund um den Hauptbahnhof presents zu zeigen da  dort in letzter zeit so wurde mir berichtet Frauen beleidigt angebaggert und besoffene aus  geraubt werden (in den letzten 2 Wochen 9 Tatverdächtige festgenommen und wieder laufen  gelassen ) Des weiteren werden wir auf der marktstrase presents zeigen da auch dort sehr  viele Straftaten von bulgarischen und romänischen banden begangen wird.

[Rechtschreibung im Original, siehe Bildanhang [3]].



Im Folgenden dokumentieren wir den Verlauf des ersten Gruppentreffens:

18:00 Uhr:
Ca. 25-30 dunkel gekleidete Personen (u.a. „Thor Steinar“) die sichtlich dem Hooligan- / HoGeSa-Spektrum zuzuordnen sind stehen am Oberhausener Bahnhofsvorplatz. Ebenfalls ein Streifenwagen. Der Männeranteil der Gruppe beträgt circa. 90% (3 Frauen).

18:10 Uhr:
Gruppe setzt sich in Bewegung, Richtung Subway.

18:12 Uhr:
Bereits an der Ampel unmittelbar vor der Post, überholt die Gruppe ein Streifenwagen und gibt per Lautsprecheranlage durch, dass diese stehen bleiben soll.

18:13 Uhr:
Personen kommunizieren mit der Polizei. Die Hälfte der Gruppe löst sich und geht über den ZOB in den Bahnhof. Es erfolgt nach Polizeiangaben eine „Gefährderansprache“, zudem werden wenige Personalien festgestellt.

18:21 Uhr:
Gruppe ist wieder in Bewegung über Paul-Reusch-Str. in Richtung Marktstraße.

18:32 Uhr:
Gruppe auf der unteren Marktstraße.

18:47 Uhr:
Info darüber, dass das Ziel der Gruppe die obere Marktstraße ist, da Zitat „dort viele Roma leben“.
Dies wurde innerhalb der Facebook Gruppe der „Bürgerwehr“ angekündigt. Ebenfalls wird die Alsenstraße erwähnt.

18:51 Uhr:
Gruppe verlässt Marktstraße und umkreist den Häuserblock der Sparkasse Oberhausen. Es sind wieder rund 30 Personen. Es laufen vereinzelnd Zugehörige etwas abseits.

18:54 Uhr:
Gruppe geht über Marktstraße zur Lichtburg und über Friedensplatz zum Hauptbahnhof. Polizei begleitet.

18:55 Uhr:
Am Bahnhof Sterkrade ist trotz Aufruf bisher nichts los.

19:01 Uhr:

Gruppe steht wieder am Vorplatz des Hauptbahnhofs. Vereinzelnd laufen Gruppenzugehörige durch die Menschen und gucken provokant wer dort so alles steht.

19:05 Uhr:
Gruppe verringert sich.

19:30 Uhr:
Vereinzelte Kleingruppen und ca. 20 Personen stehen am Bahnhofsvorplatz.


Revue der Geschehnisse
Bei den Streifen der selbst-erklärten Hilfspolizei „Bürgerwehr Oberhausen“ handelte es sich in keiner Weise um „Zivilcourage", wie die Gruppe selbst über sich glauben machen will. Zivilcourage bedarf weder eine dem militärischen Jargon entlehnte Stadt-„Patrouille“ die als Privatpolizei – jedweder demokratischen Kontrolle entzogen – nach Gutdünken Selbstjustiz spielt, noch kann die Gruppe ihr Hilfeversprechen in Anbetracht ihrer rechtsgerichteten Ausrichtung oder der Gruppenzugehörigkeit ihrer Mitglieder glaubhaft machen (siehe beispielhaft das in Bildanhang [4]  angefügte Posting eines „Bürgerwehr“-Teilnehmers). Die Zielgruppe dieser rassistischen Gruppierung wird klar als „Migrant*innen“ oder als „nicht Deutsche“ erkennbar. Die Kleidung der „Patrouillierenden“ war zudem bei vielen eindeutig als rechte Szenegarderobe zu erkennen.

Darüber hinaus kam es am nächsten Morgen gegen 4:45 Uhr zu einer Brandstiftung an einer im Bau befindlichen Notunterkunft an der Ruhrorter Straße in Oberhausen-Lirich. Laut lokaler Presse wurde unter einem Gastank (5000l) ein Feuer entfacht, sehr wahrscheinlich in der Absicht, die Unterkunft durch Explosion zu zerstören (siehe Bildanhang [5]). Auch wenn der stellvertretende Feuerwehrchef Gerd Auschrat die Vorgehensweise der Tatperson(en) als „(...) sehr, sehr dilettantisch“ bewertet, wird die mörderische Absicht des versuchten Explosionsanschlages und die Bereitschaft terroristische Mittel gegen Schutzsuchende zu ergreifen deutlich.

 

Die gesellschaftliche Hetze trägt Früchte

Auch wenn es bisher keine, uns bekannten, Hinweise auf einen möglichen direkten personellen Zusammenhang zwischen der „Bürgerwehr Oberhausen“ und diesem Brandanschlag gibt, ist der politische Zusammenhang klar ersichtlich: Auftritte wie die der besagten „Bürgerwehr“ ermutigen Menschen dazu, die derzeit von so Vielen  in Netz und im Alltag herbeigesehnten direkten Aktionen gegen Schutzsuchende Wirklichkeit werden zu lassen. Dass dergleichen, im Schutze der Nacht, dann auch durchgeführt wird, überrascht uns als Antifaschist*innen zunächst einmal wenig.


Pest oder Cholera -

oder: Wer mittels Rassismus Sexismus bekämpfen möchte

Offenkundige Gründungsmotivation der „Bürgerwehr“ sind, zumindest als auslösendes Moment, die Vorkommnisse am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht (sexualisierte Gewalt gegen Frauen; Raubüberfälle).

 

Die ungeteilte und parteiische Solidarität mit den betroffenen Frauen sollte dabei handlungsgebende Maxime für ein mögliches politisches Vorgehen sein; ebenso die Thematisierung und Bekämpfung sowie praktische Begegnung der diese Gewalt hervorbringenden Gründe und Strukturen das Ziel dieser Auseinandersetzung.

Die Ansätze und Mittel der Initiative sind dabei nicht geeignet diese Anforderungen zu erfüllen. Es geht ihnen weder um Betroffenensolidarität noch darum Gründe für Gewalt zu beseitigen – im Gegenteil:

Die Gruppe fungiert als Spielfläche auf welcher unter fadenscheinigem Vorzeichen (Schutz der Bevölkerung) die Diskussion um die in weiten Teilen der Gesellschaft sog. „Flüchtlingskrise“ in menschenverachtender Weise fortgesetzt werden kann und Selbstermächtigungsfantasien Ausdruck finden können. Dies spiegelt sich gut in den Reaktionen auf die Gründung wider. Sie ist außerdem Ventil von politischer und sozialer Frustration sowie einer hysterischen – rassistisch aufgeladenen – Kriminalitätsfurcht:

„(...) ist es offensichtlich wohl leider mittlerweile wirklich so das alle Kinder in Gefahr sind, solchen Bestien in die Hände zu fallen!

Kann/sollte man sein Kind heutzutage überhaupt noch unbeaufsichtigt zum spielen nach draußen gehen lassen!? Man hat ja vorher auch schon von Fällen von versuchten Entführungen eines Kindes usw gehört, aber das jetzt ist eine ganz andere Liga von Kriminalität und Perversion!

Haltet eure Augen offen und achtet auf eure Kinder und Mitmenschen!“ [Fehler im Original]

(Facebook-Account der „Oberhausener Bürgerinitiative“ - 14. Januar um 11:03)

Kriminalitätsfurcht beschreibt das subjektive (Un)Sicherheitsgefühl einer Person oder Gruppe, welches unabhängig von einer vernünftigen und zahlen-unterfütterten Kriminalitätsbetrachtung besteht, also eine Art bevorstehenden Untergang des „Rechtsstaates“ verkündet und (leider) in erheblichen Maße sicherheitspolitische Maßnahmen bestimmt. Das Motto der mittlerweile gelöschten Facebookgruppe „Bürgerwehr Oberhausen“ „Wir müssen unsere Familien schützen“ unterstreicht dies sehr gut.

 

Mit Blick in den Themenkatalog der Facebookseite(n) ist festzustellen, dass sich die Mehrheit der Beiträge mit unterstellter oder tatsächlicher Kriminalität durch Geflüchtete oder Personen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Exemplarisch sei die – auch in den Fotos dieses Artikels angeführte Grafik – mit der Bildbeschriftung „Teilen! Zeigt Zivilcourage gegen sexuelle Übergriffe durch Migranten!“ [siehe Bildanhang [6]] genannt.

Sexualisierte Gewalt erhält jedoch nicht dadurch ihren widerlichen Charakter, dass sie (auch) durch Geflüchtete ausgeübt wird. Sie ist fester Bestandteil deutscher Normalität und dieser ursächlich u.a. in Gestalt von (Alltags-)Sexismus, Abwertung und Zurichtung von Weiblichkeit sowie einer diese Gewalt legitimierenden, verharmlosenden und Täter schützenden „Rape Culture“ tief eingeschrieben. Für das Aufbrechen dieses Zustandes können sicherlich viele politische Werkzeuge von Nutzen sein – um nur einige zu nennen: die konsequente Ächtung einer sexualisierte Gewalt verharmlosenden Darstellung und Sprache (z.B. in Witzen, Filmen oder Pornographie), Self-empowerment, Selbstverteidigungs- / und Selbstbehauptungskurse, die Dekonstruktion von Geschlechterkonzeptionen und insbesondere von gewalt-begünstigenden Männlichkeitsnormen und Mackertum, eine Reform des Sexualstrafrechts (z.B. Einführung einer Nein-heißt-Nein-Klausel als hinreichendes Tatbestandsmerkmal bei einer Vergewaltigung), Anerkennung der Definitionsmacht von Betroffenen, Frauenhäuser und -projekte usw.

 

Jedoch unter dem Deckmantel einer Frauen „beschützenden“ selbst erklärten „Bürgerwehr“ eine Ethnitisierung und Kulturalisierung des Themas voranzutreiben ist nicht nur keine Lösung und verhindert wirksame Bekämpfung von sexualisierter Gewalt (da dadurch die Gründe erfolgreich verschleiert werden können), sondern sogar Teil eines anderen hässlichen Problems: Rassismus. 

Dieser entlarvt sich insbesondere durch die Mitgliederzugehörigkeiten (verschiedene (extrem) rechte Gruppen und Milieus), der inhaltlichen Ausrichtung der Seite oder dem Teilen rechtsradikaler Quellen (bspw. „Anonymous“ [1] u.Ä.).

 „Wir wollen keinen "Al-Taharrush"[2] in unserer Stadt, und es wäre wünschenswert das man  gemeinsam dafür einsteht das so etwas erst gar nicht in Oberhausen passiert!“ (…)

(Facebook-Account der „Oberhausener Bürgerinitiative“ - 11. Januar um 08:41h)

In diesem Zitat wird sinnfällig, dass Geflüchtete als Projektionsfläche und Sündenbock für Kriminalität im Allgemeinen und sexualisierte Übergriffe auf Frauen im Besonderen herhalten müssen und zu Gewaltverursacher*innen und Störer*innen von 'Sicherheit und Ordnung' verklärt werden. Dieser Logik folgend besteht die Lösung dann daraus Bundeskanzlerin Angela Merkel (als Symbol für eine vorgeblich aufnahmewillige Asylpolitik) zur 'Feindin des deutschen Volkes' zu erklären und Schulterschluss mit all den „Das Boot ist voll“-Forderungen zu begehen. Zudem wird fleißig an einer rassistischen Kollektivschuld geschmiedet und die soziale und kriminologische Wirklichkeit weiter auf eine oder wenige überschaubare (und damit scheinbar besser beherrschbare) Gruppen verknappt:   

„(...) Und die Fragen ob Migranten mehr Übergriffe begehen als Nicht Migranten lasse ich da nun mal unbeantwortet stehen! (...)“

(Facebook-Account der „Oberhausener Bürgerinitiative“ – 16. Januar um 9:32h)

Letztlich ist die Bürgerwehr damit auch öffentlich gewordener Ausdruck dessen (Stichwort „Ausländerkriminalität“) was 'alle meinen ja immer schon gewusst zu haben' und was nun in perfider Komplizenschaft mit vorgeblicher Betroffenensolidarität eine neue und erschreckende Qualität der Salonfähigkeit erreicht hat. 

 

Aussicht

Der Anschlag von Freitag-Morgen wird in Verbindung mit anderen Vorkommnissen der letzten Wochen eingebettet in eine starke Zunahme an rassistischer Propaganda und extrem rechtem Organisierungsbestrebungen in Oberhausen: Die „Bürgerwehr“-Patrouille am Abend zuvor, die Aktionen des marodierenden HoGeSa-Mobs (rund um den Neonazi und HoGeSa-Kader Mario Leisering) gegen eine geplante Notunterkunft am Abend des 27.08.2015, diverser Übergriffe auf tatsächliche und vermeintliche Antifaschist*innen und Migrant*innen durch dieses Spektrum, mehrerer sich „besorgt“ gebender asylfeindlicher Bürgerinitiativen im Stadtgebiet, Neugründungen von Ortsgruppen der rechtspopulistischen Parteien „Die Republikaner“ und „Pro NRW“ u. a. m.

Vor diesem Hintergrund müssen wir davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit zu weiteren derartigen Anschlägen oder anderen gefährlichen Aktionen kommen kann.

 

Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern! Dabei sind alle antifaschistischen, antirassistischen und antisexistischen Gruppen und Aktivist*innen aus Oberhausen und anderen Orten, aber auch alle zivilgesellschaftlichen Gruppen dringend aufgefordert, es nicht dazu kommen zu lassen. Ganz und gar nicht förderlich ist in diesem Zusammenhang insbesondere die rassistische und kulturalistische Führung der Diskussion über sexualisierte Gewalt, wie sie mittlerweile nicht mehr nur in „rechten Kreisen“ sondern auch in Teilen der Zivilgesellschaft stattfindet!

Rassistische und sexualisierte Gewalt verhindern! Refugees welcome!

 

 


 

[1] Rechtsradikales Facebook-Projekt, welches die „Marke“ Anonymous missbraucht und mit der ursprünglichen Anonymous-Bewegung nichts zu tun hat.

[2] Gemeint ist: Gemeinschaftlich begangene sexuelle Belästigung / sexualisierte Gewalt.

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Der Oberhausener Teil der WAZ berichtet heute folgendes:

http://www.derwesten.de/staedte/oberhausen/was-facebook-profile-ueber-bu...