Ein Mitarbeiter des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf fasste am 18.11. auf einer Informationsveranstaltung der Caritas auf intensives Nachfragen die derzeitige Situation minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge in Berlin zusammen.
Zusammenbruch der Clearingverfahren
In Berlin gäbe es derzeit 3500 bis 3700 registrierte minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Von diesen seien rund 1000 in Obhut der Behörden.
1700 weitere (wir sind uns nicht sicher ob er 2700 gesagt hat) Kinder und Jugendliche seien vom Lageso registriert.
Sie müssten innerhalb weniger Tage dem Clearingverfahren zugeführt werden. Dort muss die rechtliche Situation geklärt, außerdem eine Unterbringung veranlasst und ein zuständiges Jugendamt festgelegt werden.
Die derzeitige Wartezeit, so der Jugendamtsmitarbeiter liege für die Clearingverfahren bei Oktober 2016 (!), betrage also fast 12 Monate.
Ohnehin verfahre man so, dass man (ohne gesetzliche Grundlage) nur unter 15jährige als Minderjährige behandele.
Mindestens 1700 Kinder und Jugendliche sich selbst überlassen
Wenn wir es richtig verstanden haben, werden in diesen zwölf Monaten die Kinder und Jugendlichen rechtswidrig ohne Vormund, ohne Beschulung, ohne Schutz und ohne Sorge von Hostel zu Hostel, von Straße zu Notunterkunft verfrachtet.
Es ist wohl unstrittig, dass das Kindeswohl gefährdet ist, wenn Kinder und Jugendliche der Obdachlosigkeit überlassen werden, ohne Vormund in Massenunterkünften leben müssen oder der gesetzlichen Schulpflicht entzogen werden. Wenn Kinder ohne Schutz und Sorge über Monate für das eigene Leben und Überleben sorgen müssen. Mitten in Berlin.
Jeder Jugendamtsmitarbeiter, der von einem Kind erfährt, dessen Kindeswohl gefährdet ist (SGB § 8- des Kinder- und Jugendhilfegesetz), und nichts unternimmt, macht sich strafbar. Der Trick des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales scheint zu sein, Kinder und Jugendliche den vorgesehenen Verfahren nicht zuzuführen und nicht dafür zu sorgen, das ein Berliner Jugendamt zuständig wird und von diesen schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen erfährt.
Wir fordern das Landesamt für Gesundheit und Soziales und den Berliner Senat auf, umgehend seine rechtswidrige Praxis zu beenden und aufzuhören, Kinder und Jugendliche in Hostels, Notunterkünften und Defacto auf der Straße auszusetzen.
Wir fordern den Berliner Senat auf, sich an das Kinder- und Jugendhilfegesetz zu halten.
Wir fordern die zuständigen Staatsanwaltschaften dazu auf, gegen das Landesamt für Gesundheit und Soziales und den zuständigen Senator zu ermitteln.
Für alle Bürgerinnen und Bürger gibt es zwei Möglichkeiten des Eingreifens:
1. Wenn Sie von einem Kind oder Jugendlichen ohne Begleitung in Hostels, Heimen oder anderswo wissen, dann informieren Sie am besten schriftlich das Jugendamt des Bezirkes, in dem sich der Minderjährige aufhält darüber, dass dieser Minderjährige alleine ohne Eltern oder Vormund und sein Kindeswohl gefährdet ist. Das Jugendamt muss dann tätig werden. Lassen Sie sich nicht abwimmeln.
2. Sie können bei der Rechtsantragsstelle des örtlichen Familiengerichts für jedes unbegleitete Kind selbst eine "Anregung zur Einrichtung einer Betreuung/Vormundschaft" abgeben. Diese Anregung muss die Personendaten und den Aufenthaltsort enthalten. Diese Anregung muss dann einem Familienrichter vorgelegt werden. Lassen Sie sich nicht abweisen. Das Abweisen ist rechtswidrig. Geben Sie diese Anregung schriftlich ab, notfalls mit anwaltlicher Unterstützung.
Die genannten Zahlen betreffen nur vom Lageso registrierte Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus warten Kinder und Jugendliche wie Erwachsene ohne Leistungen und teilweise obdachlos bis zu 60 Tage auf ihre Registrierung beim Lageso.
Praxis
kurzer Hinweis aus der Praxis:
sich derzeit als Vormund bereitzustellen ändert nichts an der Situation. Es gibt sehr viele Menschen, die das bereits beantragt haben, aber die Gerichte sind vollkommen überfordert. Das, was die Kinder gerade aus rechtlicher Sicht am meisten brauchen, sind Vormünder, aber genau an dieser Stelle ist das System gerade unglaublich langsam. Dazu kommt, dass seit 1.11.15 unter 18 Jährige OHNE VORMUND gar keinen Antrag auf Asyl stellen können, auf einen Vormund muss aber gerade auf unbestimmte Zeit gewartet werden. Außerdem werden die Jugendlichen auf die Hostels verteilt ohne die Info, dass sie sich ohne gestellten Asylantrag strafbar in Bezug auf ihren Aufenthalt machen. Das heißt wenn sie dann in der Ausländerbehörde vorstellig werden, um auch ohne Vormund zu versuchen, an ihrem Status zu arbeiten, bekommen sie ausnahmslos Anzeigen wegen unerlaubten Aufenthalts und müssen sich bei der Polizei erkennungsdienstlich behandeln lassen, obwohl selbst die Polizei diese Praxis für so unsinnig hält, dass in ihrem Namen die Ausländerbehörde gebeten wurde, diese Praxis doch zu beenden. Die Ausländerbehörde ist allerdings anderer Meinung.
Und auch zu der im Artikel genannten 1. Möglichkeit des Eingreifens:
Die Kinder sind nicht ohne Vormund, die Vormundschaft übernimmt in der ersten Zeit der Senat. Die Vorgeschlagene Intervention wird wohl kaum Erfolg haben. Zu mal die Folge ja nur eine in Obhut nahme wäre - und das ist ja genau das, was gerade sowieso mit den Jugendlichen passiert.
Allerdings sind die geschilderten Zustände vollkommen richtig. Forderungen sollten aufjedenfall an den Senat gerichtet werden. Die Situation ist untragbar.
gedanken
a) man kann auch eilanträge bei dem vormundschaftsgericht stellen (ggf. mit anwaltlicher vertretung)
b) bei der gegenwärtigen gesetzveränderungsdynamik (letzter entwurf: bmi vom 19.11.2015) stellt sich auch die frage, ob es demnächst (noch ist meist möglichst bald sinnvoll) oder in einzelfällen schon jetzt sinnvoll ist, einen asylantrag möglichst spät zu stellen
c) die strafverfahren führen (strafrechtlich, aufenthaltsrechtlich ist das gegenteil der fall) zu nichts, dürften, sofern sie beim gericht landen, aber pflichtverteidigungen sein: ergo verteidigerIn beauftragen, dem staat kosten verursachen und die bürokratie weiter verstopfen!
d) abschiebegefahr im einzelfall bedarf realistischer einschätzungsmöglichkeit.
e) und das gehört an den anfang: existenzrecht durchsetzen! es ist untragbar, dass nach 3 monaten "willkommenkultur" nur noch gesetzlich verordnete verunsicherung und angst grundlage von lebensperspektive soll.
Bericht aus Ffm
http://www.fr-online.de/zuwanderung-in-rhein-main/umverteilung-minderjae...