Krieg den Hütten, Paläste für alle!

Krieg den Hütten, Paläste für alle!
Hausbesetzungen haben besonders in Freiburg eine lange Tradition. Zwischen 1974 und 1987 wurden etliche Häuser und Gebäude aus Protest gegen Abriss oder teure Sanierung besetzt und gehalten. Neben Zürich, Hamburg, Frankfurt und Berlin war Freiburg eine der HausbesetzerInnen-Hochburgen überhaupt. Doch nach jahrelangen militanten Häuserkämpfen und zahlreichen Räumungen wurde es in letzter Zeit etwas still um die HausbesetzerInnenszene, nicht nur in Freiburg. Doch nach wie vor machen Wohnungsnot, überteuerte Mieten und fehlender Freiraum Hausbesetzungen mehr als notwendig. Leerstehende Häuser, die genutzt werden können, gibt es zu genüge.

Diese Broschüre macht einen Streifzug durch mehr als vier Jahrzehnte Freiraumkämpfe in Freiburg (in chronologischer Reihenfolge) und beleuchtet dabei auch die Hintergründe.

Erhältlich ist sie ab sofort in allen linken Szenetreffpunkten Freiburgs, oder - wenn bereits vergriffen - per Mail bestellbar. Außerdem kann sie hier als PDF heruntergeladen werden.

Für Ergänzungen, Feedback und Kritik könnt ihr uns gerne eine e-Mail schreiben oder uns auf einer unserer Veranstaltungen ansprechen.

Nach der Räumung ist vor der Besetzung!


Das Dreisameck (1977-1980)

Die bekanntesten besetzten Häuser in Freiburg dürften wohl das „Dreisameck“, der „Schwarzwaldhof“ und das „Autonome Zentrum“ gewesen sein. Das Dreisameck (1), ein im Jugendstilhaus gebautes Eckhaus mit vier angrenzenden Wohnhäusern am südlichen Ende der Kaiser-Joseph-Straße wurde im Juni 1977 besetzt. Die BesetzerInnen bekamen für vier Häuser Mietverträge, welche nach Konkurs des alten Besitzers im Jahr 1979 gekündigt wurden.

Aus Protest gegen den geplanten Abriss wurden im März 1980 weitere Häuser im Dreisameck besetzt. AktivistInnen gründeten den „Arbeitskreis Alternative Kultur“, brachten Zeitungen heraus und boten in einer Kneipe Platz für unkommerzielle Kultur.

Nach insgesamt drei Jahren Besetzung wurde das Dreisameck schließlich am 8. Juni 1980 von über 1.200 PolizistInnen und unter Einsatz von Wasserwerfern mit unglaublicher Gewalt geräumt. Mehrere Tage nach der Räumung war die Kaiser-Joseph-Straße durch NATO-Stacheldraht, Wasserwerfer und Polizeiketten abgesperrt. Fast täglich fanden Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei statt (2), während gleichzeitig die an das Eckhaus angrenzenden Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Der Schwarzwaldhof (1980-1981)

In den vier Tagen nach der Räumung des Dreisamecks fanden Demonstrationen statt, an denen sich immer rund 10.000 Menschen beteiligten. Direkt im Anschluss an eine dieser Demonstrationen, am 13. Juni 1980, wurde der „Schwarzwaldhof“ besetzt. Der Schwarzwaldhof (3) bestand aus einigen Wohn- und Gewerbegebäuden und war eine Art „Passage“ zwischen der Talstraße und der Schwarzwaldstraße im Osten Freiburgs. Zu dieser Zeit verfügte die autonome Szene über sehr gute Organisations- und Vernetzungsstrukturen. So konnten geplante „Aktionen“ der Polizei oft durch vorher aufgenommene und bei Einsätzen wieder abgespielte Funksprüche erfolgreich gestört oder verhindert werden. Der Schwarzwaldhof war oft Ausgangspunkt nächtlicher und spontaner „Scherbendemos“. Das Areal wurde etwa ein Jahr nach der Besetzung geräumt.

Über 4.000 PolizistInnen waren im Einsatz. 70 Menschen wurden festgenommen. Wenige Tage nach der Räumung fanden in vielen Städten Deutschlands Soli-Demonstrationen mit jeweils über zehntausend Menschen statt.

Das AZ (1981-1985)

Im Herbst 1981 wurde dann das Autonome Zentrum (AZ) im linksalternativen Sedanviertel besetzt. In dem Gebäude im Glacisweg fanden zahlreiche Konzerte und politische Veranstaltungen statt, es beherbergte unter anderem auch das „Crash“, ein Café und einen „Mini-Club“. Vier Jahre später, am 22. Januar 1985 brannte das AZ aus ungeklärter Ursache aus, kurz zuvor hatte der Gemeinderat beschlossen, das AZ umsiedeln zu lassen.

In den 1980er Jahren gab es in Freiburg noch jede Menge weitere Hausbesetzungen für Wohnzwecke (4), manche dauerten bis zu sechs Jahre an, wurden dann aber von der Polizei geräumt. Die oft massiven Polizeieinsätze, die Straßenschlachten und die Stacheldrahtabsperrungen in dieser Zeit brachten Freiburg u.a. den Slogan „Freiburg – grüne Polizeiburg“ ein.

Die S.U.S.I. (ab 1993)

Auch im ehemaligen Kasernengelände Freiburg-Vauban gab es etliche besetzte Häuser, die von den BesetzerInnen vor allem zum Wohnen und gemeinsamen Leben genutzt wurden. Allerdings konnte fast keines der Häuser vor einem Abriss bewahrt werden. Nur zehn ehemalige Kasernengebäude wurden in-standgehalten und renoviert. In ihnen ist seit Jahren u.a. das selbstverwaltete Wohnprojekt „S.U.S.I.“ (Selbstorganisierte, unabhängige Siedlungsinitiative) (5 & 6) untergebracht. Auf dem Gelände befindet sich auch ein kleinerer Wagenplatz.

Der Kulturtreff in Selbstverwaltung (ab 1994)

Nach den 1980er Jahren wurde es um die autonome HausbesetzerInnen-Szene erstmal etwas still. Doch am 25. März 1994 wurde erneut im neuen „Öko-Modell-Stadtteil Vauban“ ein Haus besetzt. Dieses neue Autonome Zentrum im „Haus 11“ (7) erhielt direkt den Namen „KTS“ (8), in Anspielung auf das geplante neue super-schicke und unglaublich teure Konzerthaus (9), damals auch „Kultur- und Tagungsstätte KTS“ genannt. In Anlehnung an den sehr umstrittenen Bau wurde die KTS „Kulturtreff in Selbstverwaltung“ getauft. Es war für viele ein kleiner Lichtblick im „dunklen und kalten“ Freiburg.
Umso grösser war die Wut und die Trauer, als das Haus 11 bereits nach wenigen Monaten von der Polizei geräumt und direkt abgerissen wurde. Die Stadt Freiburg begründete dieses Vorgehen mit einem angeblich sofort benötigten Parkplatz auf dem Grundstück von Haus 11, der jedoch lange Jahre nicht gebaut wurde.

Als Reaktion auf den Abriss wurde bald darauf ein weiteres Haus im Vauban besetzt: Haus 34. Die KTS-Bewegung konnte das Haus 34 rund dreieinhalb Jahre für Veranstaltungen, Diskussionen, Projekte und Austausch nutzen. Doch der Erweiterung des neuen Stadtteils Vauban war Haus 34 im Wege. Aufgrund des Räumungsdrucks seitens der Stadt ging die KTS auf Verhandlungen um ein neues, diesmal legales Haus ein und verließ im Oktober 1997 „freiwillig“ Haus 34, um teuren Eigentumswohnungen Platz zu machen. Im Herbst 1998 zog die KTS in ein ehemaliges Bahngebäude in der Basler Straße 103. Dort ist sie auch heute noch.

Die KTS besteht seit inzwischen insgesamt fast 16 Jahren als Ort für emanzipatorische, selbstverwaltete, unkommerzielle, autonome und soziale Politik und Kultur. Auch wenn die KTS vergleichsweise groß ist, Platz für kostenlosen oder billigen Wohnraum gibt es hier leider trotzdem nicht.

Die Strassenpunx (ab 2002)

Die Freiburger Strassenpunx (16) sind seit etwa 2002 etlichen Vertreibungen und Räumungen durch Stadt und Polizei ausgesetzt. Nachdem einige Winter „erfolgreich“ in leerstehenden Gebäuden überstanden wurden, wurden die Mietverträge für diese nicht erneuert, wobei oft der baldige Abriss als Grund genannt wurde. Jedoch waren viele der Häuser erst Monate oder Jahre später abgerissen oder saniert worden. Ende Juni 2006 zogen die Strassenpunx schließlich mit einigen Wohnwagen neben den städtischen Wagenplatz am Eselswinkel (17) im Industriegebiet Nord. Bereits am 1. August 2006 wurden die Strassenpunx von der Polizei geräumt und ihr gesamtes Hab und Gut wurde zum wiederholten Mal zusammen mit den Wohnwägen auf den Müll geworfen. Für sechs Wochen „wohnten“ die Strassenpunx unter der Leo-Wohleb-Brücke, wo sie am 15. September 2006 erneut vertrieben wurden.

Zwischen dem 15. Februar 2007 und dem 12. März 2008 besetzten die Strassenpunx weitere Gelände u.a. in der Haid und im Industriegebiet Nord, wo sie jeweils nach kurzer Zeit wieder von der Polizei geräumt wurden. Inzwischen wohnen sie wieder am Eselswinkel, nachdem der Zuzugsstopp am 28. Februar 2008 vom Stadtrat endlich aufgehoben wurde.

Die Schattenparker (ab 2003)

Seit 1987 kämpfen in Freiburg auch WäglerInnen, also im Bauwagen oder Laster lebende Menschen, um selbstverwaltete Wagenplätze (10). Immer wieder tauchten auf leerstehenden Grundstücken oder am Straßenrand Ansammlungen von Wägen auf, welche von Stadt & Polizei schikaniert und geräumt wurden. An Gesprächen mit den WäglerInnen zeigte die Stadt damals kein Interesse.

Doch nachdem im Juli 2003 auf einem Gelände in March-Neuershausen eine riesige Partybesetzung mit rund 1000 TeilnehmerInnen gefeiert wurde, zeigte sich die Stadt etwas gesprächsbereiter: städtische Gelände würden nicht bereitgestellt, aber es könne eine Lösung auf Privatgeländen gefunden werden. Die Gespräche scheiterten, da die Stadt alle 30 vorgeschlagenen Gelände ablehnte.

Eine Ansammlung von einigen Bauwägen „Am OBI“ in Freiburg St. Georgen wurde im Laufe des Jahres größer, nach und nach entstand am Straßenrand eine Wagenburg. Im Februar 2005 erhielt der Wagenplatz eine Räumungsverfügung, gegen welche jedoch Widerspruch eingelegt wurde. Der folgende Rechtsstreit dauerte bis in den Herbst. Aus der Räumungsbedrohung entstand eine neue Gruppe: Die Schattenparker (11). Der Name wurde schon 2001 von einer Wagengruppe benutzt und nun wieder aus der Versenkung geholt.

Ende November 2005 verließen die Schattenparker ihren Platz am Obi freiwillig und zogen demonstrativ auf ein Gelände der Rhodia AG im Industriegebiet Nord. Einen Tag später wurde der Platz wieder verlassen, da die Rhodia AG kein Interesse an einer Vermietung zeigte. Während dem Umzug auf das „M1“-Gelände in der Vauban wurden fünf Wägen von der Polizei beschlagnahmt, welche wenige Tage später aber wieder freigegeben wurden.

Nach einer Demonstration am 2. Dezember 2005 mit etwa 350 Menschen wurden 115 von ihnen am Revier Süd eingekesselt und anschließend festgenommen.

Einen Tag später besetzen die Schattenparker den seit 1999 leerstehenden Fahnenmastplatz im Vauban demonstrativ, um auf die schlechte Lage aufmerksam zu machen. Die Polizei räumte das Grundstück und beschlagnahmte dabei illegalerweise 24 Wohnungen der Schattenparker. So wurden die WäglerInnen zu Beginn des Winters von der Stadt Freiburg obdach- und größtenteils besitzlos gemacht. Zwei Wochen später wurden weitere fünf Wägen auf M1 beschlagnahmt. Nach vielen Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen bekamen die Schattenparker am 1. März 2006 endlich ihre Wägen zurück.

Das Haus 53 und die Basler 66 (2004)

Wieder aus Mangel an billigem Wohnraum wurde am 10. Januar 2004 ein weiteres abrissbedrohtes Haus auf dem Vauban-Gelände besetzt: Haus 53 (12). Die ersten Leute waren schon eingezogen und es fanden Partys, Filmabende, Plena, Volksküchen, ein „Tag der offenen Tür“ und Workshops statt. Doch die Stadt ließ nicht mit sich reden: zwei Tage nach der Besetzung wurde das Haus von einer Hundertschaft und einer Hundestaffel der Polizei geräumt. Dabei wurden etwa 25 Menschen vorübergehend in Gewahrsam genommen und es kam zu Schlagstockeinsätzen, Rangeleien und Sitzblockaden. Am Abend der Räumung demonstrierten etwa 200 Menschen durch die Freiburger Innenstadt. Genau eine Woche nach der Besetzung auf dem Vaubangelände wurde im Anschluss an eine antifaschistische Demonstration aus Solidarität mit Haus 53 ein ebenfalls abrissbedrohtes Haus in der Basler Straße 66 besetzt (13).

Die wenigen anwesenden PolizistInnen waren hiervon so überrascht, dass sie sich lieber auf die Regelung des Verkehrs konzentrierten, während im Innern des Hauses bei ausgelassener Stimmung die Besetzung gefeiert wurde. Doch bereits am nächsten Tag wurde das Haus geräumt, oder wie der Einsatzleiter später meinte: „Wir haben nicht geräumt, wir haben nur in einem leerstehenden Haus aufgeräumt.“ Hierbei wurden elf HausbesetzerInnen festgenommen.

Kämpfe für die KTS (2004)

Am 4. Februar 2004, kurz vor dem 10-jährigen KTS-Jubiläum, kündigte die Deutsche Bahn als Eigentümerin des KTS-Gebäudes der Stadt fristlos den Mietvertrag. Das Autonome Kulturzentrum sollte weichen (14). Es folgte ein zweimonatiger Kampf für den Erhalt der KTS mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Konzerten in der Innenstadt, kleinen und größeren Demonstrationen, aber auch militanten Anschlägen auf Eigentum der Deutschen Bahn. Im März solidarisierten sich über 2.500 Menschen auf der „Love Or Hate Parade“ mit dem Autonomen Zentrum. Die Kündigung wurde aufgrund des öffentlichen Drucks (15) zurückgezogen und am 10. April 2004 wurde in den Räumen der KTS die erste große Party nach der Kündigung gefeiert. Seit Anfang 2008 hat die KTS nun einen unbefristeten Mietvertrag.

Aktuelle Freiraumkampagne (ab 2007)

Anfang 2007 gab es in Freiburg erneute Versuche, ein für Hausbesetzungen günstiges Klima zu schaffen: Etwa einen Monat lang wurden insgesamt fünf Häuser kurzzeitig besetzt, allerdings sehr schnell wieder von der Polizei geräumt. Bis auf eines wurden alle Häuser direkt im Anschluss an die Aktion abgerissen (18), teilweise sogar noch während sich die BesetzerInnen im Haus befanden.

Bei diesen „spontanen“ Hausbesetzungsversuchen waren sehr schnell Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus Lahr vor Ort. Bei den Häuserräumungen kam es zu Gewaltexzessen der Polizeikräfte, bei denen mindestens zwei Menschen ernsthaftere Verletzungen davontrugen.

Aus Solidarität mit den am 4. Juli 2008 geräumten FreiraumaktivistInnen in Bühl (Mittelbaden) (19) besetzten in der Nacht auf den 14. August 2008 einige AktivistInnen in Freiburg symbolisch ein seit drei Jahren leerstehendes Haus (20). Sie hängten Transparente aus dem Gebäude in der Basler Straße 16, in dem früher „Friseur Ruh“ arbeitete. Vor dem Haus sammelten sich etwa 30 Menschen, während an die Fenster und Türen des Hauses gesprayt und an AnwohnerInnen und PassantInnen Flyer verteilt wurden.

Genau zwei Wochen später, am 28. August, wurde in Freiburg erneut ein Haus symbolisch besetzt: in der Nacht wurde ein meterlanges Transparent über das Dach eines seit 15 Jahren leerstehenden Einfamilienhauses gehängt (21).

Die im August 2008 gestartete Freiraumkampagne ging auch im Herbst munter weiter. Für den 18. Oktober lud eine Immobilienanzeige zur „Hausbesichtigung“ (22) der Günterstalstraße 30 in der Wiehre ein. Das Haus mit schickem Hinterhof und Nebengebäuden wurde von etwa 60 interessierten Menschen besichtigt, einige wären gerne sofort eingezogen. Doch das Ganze entpuppte sich als Fake und die Interessierten wurden dazu aufgerufen, mehr Häuser zu besetzen.

Die Freie Antonia (2009)

Ein dreiviertel Jahr nach Start der Freiraumkampagne und dem damit verbundenden Aufsehen in der lokalen Presse wurde schließlich am 15. Mai 2009 das ehemalige Altenheim in der Kirchstraße 16, ebenfalls in der Wiehre, von rund 30 FreiraumaktivistInnen „befreit“ (23) und bewohnt. Nachdem die Besetzung am 17. Mai öffentlich gemacht wurde, konnten sich die BesetzerInnen über das rege Interesse und die Beteiligung der NachbarInnen aus nah und fern sowie über die positive Resonanz in der Presse freuen. Innerhalb weniger Tage wurde die „Freie Antonia“ in ein lebendiges Wohn- und Kulturprojekt verwandelt. Neben vielen Workshops, Vorträgen und Filmvorführungen bot die „Freie Antonia“ (24) auch reichlich Platz für kostenlosen Wohnraum.

Die BesetzerInnen versuchten in den vier Tagen der Besetzung, Kontakt zu den EigentümerInnen des Hauses aufzunehmen, was jedoch nicht gelang. Auch die NachbarInnen wussten nicht, wem das Haus nach mehrmaligem Verkauf nun gehöre. Die „Freie Antonia“ wollte über den weiteren Verlauf der Besetzung und Mietmöglichkeiten verhandeln. Doch dazu kam es nicht: Am frühen Morgen des 19. Mai wurde die Besetzung durch die Polizei beendet. Behelmte und vermummte Greiftrupps der BFE brachen gegen 6 Uhr morgens die massive Haustür auf und stürmten das Gebäude (25). Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 45 Menschen im Haus.

Einen Tag nach der Räumung startete im Grün eine spontane Antirepressionsdemo (26) mit etwa 200 Menschen. Direkt nach dem Start wurde die Demo in der Faulerstraße von den zahlreich vertretenen Polizeieinheiten gestoppt, Einsatzleiter Harry Hochuli forderte eine verantwortliche Person, die sich allerdings nicht finden ließ. Der Demonstrationszug versuchte, durch einen Garten in die Wilhelmstraße zu kommen, was von einer BFE-Einheit verhindert wurde. Nach einer kleinen Rangelei kehrten die DemonstrantInnen um und liefen über die Schnewlinstraße zurück ins Grün, wo sie in der Wilhelmstraße erneut von anrückenden Polizeieinheiten gestoppt und gekesselt wurden.

Als weitere Polizeitrupps die Belfortstraße dichtmachten und sich provokativ in den linksalternativen Stadtteil bewegten, wurden sie passiv daran gehindert. Rennende PolizistInnen schlugen daraufhin auf alles ein, was sich bewegte. Dabei wurden einige Leute festgenommen und verletzt. Die Verletzungen wurden in der Presse zum Teil so dargestellt, als seien sie durch die am Rande der Demo  aufgetauchten Nazis verursacht worden.

Nach Verhandlungen mit der Einsatzleitung durfte die Demonstration schließlich doch durch die Innenstadt laufen: Über den Bertoldsbrunnen und durchs Martinstor zog die Demo in Richtung der ehemaligen „Freien Antonia“, welche mit Polizeiwannen und BFE-Einheiten abgeriegelt war. Die Demonstration endete ohne weitere Zwischenfälle im Grün.

Kommando Rhino (2009-2010)

Schon vor der „Freien Antonia“ wurde der Bauplatz des geplanten „Green Business Centers“ am Eingang des Vauban von Umwelt- und FreiraumaktivistInnen besetzt (27). Ende Juli 2009 sorgte „Kommando Rhino“ (28), ein neu gegründetes, politisches Kunst-, Kultur- und Wagenkollektiv, mit der Besetzung des Geländes wieder für Schlagzeilen und dafür, dass der Freiburger Freiraumkampf weitergeführt wird (29).

Mit Lastern und Bauwägen wurde eine neue Wagenburg eingerichtet. Einige der grundlegenden Forderungen der „Rhinos“ sind mehr Platz für selbstverwaltete Wagenplätze und Freiräume, sowie eine BürgerInnenbeteiligung für die Bebauung des Platzes.

In den darauf folgenden Monaten enstand neben einer Küche und einem Café auch eine Kneipe. Mit zahlreichen Diskussionen, Veranstaltungen, Tagen der offenen Tür und Parties konnte die Aufmerksamkeit und das Interesse der AnwohnerInnen gewonnen werden.

Das geplante „Green Business Center“ kam nicht zustande, da der Investor Anfang August kurzfristig absprang (30). Am 15. Dezember 2009 entschied der Freiburger Stadtrat über den Verkauf des Geländes an die Freiburger Stadtbau GmbH (31). Mit mehreren Aktionen machten die „Rhinos“ in der Innenstadt auf ihre aktuelle Situation aufmerksam: es fanden zwei kleinere spontane Demonstrationen statt und viele Transparante wurden im Freiburger Stadtgebiet aufgehängt.

Auf dem Gelände soll bereits im März ein „repräsentativer“ Eingang geschaffen werden, um den Öko-Vorzeigestadtteil „angemessen“ während der EXPO in Shanghai präsentieren zu können. Den kapitalistischen Interessen der Stadt Freiburg muss „Kommando Rhino“ wahrscheinlich noch im Januar 2010 weichen. Deshalb sind für Januar neben den Action-Weeks auch eine erneute Freiraum-Demo angekündigt (32).

Warum brauchen wir Freiräume?

Freiräume, wie selbstverwaltete (besetzte) Häuser, Kulturzentren, Kollektive und Wagenplätze bieten uns die Möglichkeit, Gegenentwürfe zur bürgerlichen Gesellschaft und dem Kapitalismus (weiter-) zu entwickeln und auszuprobieren. Diese Freiräume sind wichtig, weil sie Begegnungen und das Zusammenleben zwischen verschiedenen Strömungen, Lebensformen, Gesellschaftsschichten und „Kulturen“ ermöglichen. Gleichzeitig versuchen sie einen Schutzraum vor Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Patriarchat und Ausbeutung zu bieten.

Alle Aufgaben, die in einem solchen Projekt anfallen, sei es das Kloputzen, das Organisieren von Partys, Konzerten und Veranstaltungen, das Bestellen neuer Getränke und das Renovieren werden von den am Projekt beteiligten Gruppen oder Einzelpersonen selbst organisiert und in Eigenverantwortung erledigt. Fast alle Projekte, wie etwa die KTS, der Schattenparker-Wagenplatz und Kommando Rhino in Freiburg, sind libertär geprägt und basisdemokratisch organisiert, das heißt, dass alle Entscheidungen von allen betroffenen Personen in Plena nach dem Konsensprinzip getroffen werden.

Revolutionärer Anspruch

Freiräume sind immer auch eine Basis für Widerstand. Die subversive Untergrabung der herrschenden Verhältnisse durch die Schaffung einer eigenen Subkultur und Infrastruktur stellt einen Anfang dar, um das kapitalistische System von unten „aufzufressen“. Natürlich kann nicht allein mit der Schaffung neuer Freiräume ein radikaler Umsturz der herrschenden Verhältnisse erreicht werden. Jedoch können wir mit unseren Freiräumen und den dort stattfindenden Veranstaltungen, Konzerten, Partys etc. nach und nach eine Alternative entwickeln und den BesucherInnen Sinn und Zweck eines herrschaftsfreien und selbstverwalteten Raumes näherbringen.

Dass ein solches Projekt im Kapitalismus natürlich nicht ohne die üblichen Widersprüche auskommt, liegt auf der Hand: So müssen auch hier zum Beispiel die Getränke verkauft werden, auftretende Bands ziehen in gewisser Weise Profit aus ihren Auftritten und viele Gruppen finanzieren ihre politische Arbeit durch Soliparties.

Viele der linksradikalen Freiräume sehen sich im Kapitalismus widrigen und repressiven Bedingungen ausgesetzt, welche unsere politische Arbeit beeinflussen und zunehmend erschweren. So sind z.B. aktuell in Berlin ehemals besetzte und inzwischen legalisierte Hausprojekte von Räumungen bedroht. Von gut 100 Hausprojekten in den 90ern sind nur noch sehr wenige übrig geblieben. Auch in Freiburg zeigen sich die Verantwortlichen konfrontativ: Die Stadt versuchte 2008/2009 zusammen mit der Polizei Druck auf die Vorstände des KTS-Fördervereins und des Schattenparker-Vereins auszuüben. Inzwischen sind die Verfahren zwar eingestellt, jedoch wird der politische und polizeiliche Druck auf die linksradikale/ -alternative Szene zunehmend stärker.

Paläste für alle!

Im politischen Alltag reicht es für uns jedoch nicht aus, uns einzig auf bestimmte Formen von Freiraumkämpfen zu beschränken. Als AnarchistInnen (33) streben wir die radikale Veränderung des herrschenden Status quo an, der jeden Tag auf der einen Seite einen Überschuss an Luxus, Reichtum und ein „schönes Leben“, auf der anderen Seite Armut, Leid und Krieg hervorbringt. Dass es kein für alle befriedigendes Leben im „falschen Ganzen“ geben kann, sollte klar sein. Da wir aber glauben, dass es auch im „Hier und Jetzt“ Ansätze für ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben gibt, kämpfen wir dafür, diese Ansätze weiter auszubauen und weiter zu entwickeln.

Selbstverständlich bleibt dies ein offener Prozess, daher sind wir gegen eine Festlegung auf bestimmte Muster von Freiräumen. Vielmehr sind wir offen für neue Ideen und Praktiken, wie wir uns einen herrschaftsfreien Raum vorstellen und diesen gestalten wollen. So kann in einer Großstadt-Villa genauso ein neues selbstverwaltetes und anarchistisch organisiertes Projekt geschaffen werden, wie auf einem Baumhaus in ländlicher Gegend.

Die genaueren Hintergründe und Perspektiven von Freiräumen und dessen Strukturen werden wir in unserer nächsten Broschüre ausführlicher beleuchten. Außerdem werden wir einige Alternativen zu den hier bekannten Projekten aufzeigen.

Fußnoten / Quellen

(1) Dokumentation zum Dreisameck - Daß der Tod uns lebendig findet und das Leben uns nicht tot (Freiburg 1980, 199 S.), Archiv für Soziale Bewegungen (ASB)
(2) Sanierung contra Wohnen - Die Freiburger Juni-Demonstrationen ums Dreisameck und ihr Hintergrund (Freiburg 1980, 68 S.), ASB
(3) Dokumentation der Ereignisse um Räumung und Abriß des Schwarzwaldhofs (Freiburg 1981, 36 S.), ASB
(4) Von der Freiau zum AZ - Häuserkampf in Feiburg (Freiburg 1983, 20 S.), ASB
(5) Projekt Quartier Vauban - Selbstorganisierte unabhängige Siedlungsgemeinschaft e.V. gem. (Freiburg 1992, 18 S.), ASB
(6) www.susi-projekt.de
(7) www.kts-freiburg.org/spip/spip.php?article175
(8) www.kts-freiburg.org
(9) Gegen die Kultur- und Tagungsstätte in Freiburg - Innenstadterheiterung statt Absahnierung (Freiburg 1992, 33 S.), ASB
(10) www.schattenparker.net/spip.php?article160
(11) www.schattenparker.net/spip.php?rubrique17
(12) www.de.indymedia.org/2004/01/71487.shtml
(13) www.antifa-freiburg.de/spip.php?page=antifa&id_article=72&design=3
(14) www.kts-freiburg.org/spip/spip.php?article177
(15) www.de.indymedia.org/2008/01/204479.shtml#2004
(16) www.schattenparker.net/spip.php?article305
(17) www.schattenparker.net/spip.php?article166
(18) www.de.indymedia.org/2007/01/166240.shtml
(19) www.freiraum.blogsport.de
(20) www.de.indymedia.org/2008/08/224472.shtml
(21) www.de.indymedia.org/2008/08/225564.shtml
(22) www.de.indymedia.org/2008/12/235602.shtml
(23) www.linksunten.indymedia.org/node/7031
(24) www.freieantonia.blogsport.de
(25) www.linksunten.indymedia.org/en/node/7121
(26) www.linksunten.indymedia.org/node/7212
(27) www.linksunten.indymedia.org/node/6099
(28) www.rhino.blogsport.de
(29) www.linksunten.indymedia.org/node/9580
(30) www.badische-zeitung.de/freiburg/der-deal-ist-geplatzt
(31) www.linksunten.indymedia.org/de/node/14656
(32) www.linksunten.indymedia.org/node/14919
(33) www.ag-freiburg.org/index.php/content/view/112/1/