Die Beamten sind seit Monaten im Dauerstress. Nun soll das Auszahlen von Überstunden wachsenden Unmut dämpfen
von Gunnar Saft
Es war eine geschickt platzierte Botschaft. Als sich Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) kürzlich vor dem Landtag für die Pannen beim Schutz eines Flüchtlingslagers in Heidenau rechtfertigen musste, tat er das zunächst wie so oft mit dem Hinweis auf den Personalmangel und die monatelange Dauerbelastung seiner Beamten. Dann richtete der Minister seine Worte jedoch direkt an die Polizisten und verkündete, dass man diesen schon bald alle aufgelaufenen Überstunden bezahlen will. Ulbigs Ziel: Mehr Geld als Trost für Dauerstress und Freizeitminus sowie seine unausgesprochene Hoffnung, Sachsens Staatsdiener in Uniform damit wenigstens etwas bei Laune zu halten.
Wie prekär deren Situation mittlerweile ist, hat vor einigen Tagen der Landtagsabgeordnete Enrico Stange (Linke) schwarz auf weiß direkt vom Innenminister übermittelt bekommen. In mehreren parlamentarischen Anfragen erkundigte sich Stange bei Ulbig nach der Zahl der aufgelaufenen Überstunden bei der sächsischen Polizei und erhielt ernüchternde Antworten. Schoben die Beamten zum Beispiel zum Jahresanfang 71 435 Überstunden vor sich her, nahm die Zahl seitdem weiter zu. In den Monat August mussten dann bereits 99 404 geleistete, aber nicht durch Freizeit ausgeglichene Mehrarbeitsstunden übernommen werden – aneinandergereiht sind das mehr als elf Jahre. Nicht nur für Stange eine unakzeptable Entwicklung. „Die Polizei braucht dringend mehr Personal. Der Überstundenberg der Vollzugsbeamten wächst und wächst, ein Ende ist offenbar derzeit nicht abzusehen.“
Angebot wird bis 2018 ausgeweitet
Auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ging dieser Tage auf das Problem ein. Befragt, ob man angesichts der Ereignisse der vergangenen Monate nicht wieder mehr Polizisten einstellen müsste, erklärte er: „Ja, wir werden uns wahrscheinlich auch solche Fragen stellen müssen, auch in der gegenwärtigen Situation.“ Gleichzeitig sorgte der Regierungschef für Wirbel, weil er dabei auf die umstrittenen Dauereinsätze bei Sportveranstaltungen einging. „Ist es dann immer notwendig, im Prinzip zweit- oder drittklassige Fußballspiele noch mit Polizeihundertschaften abzusichern, oder werden wir uns dann im Prinzip dem demokratischen Grundrecht der Versammlungsfreiheit zuwenden?“, stellte Tillich eine Frage, die seine Regierung nun beantworten muss.
Aus Sicht von Enrico Stange ist für die hohe Beanspruchung der Polizisten allerdings nur vordergründig das hohe Aufkommen an Demonstrationen, Fußballspielen und fremdenfeindlicher Ausschreitungen verantwortlich. „In erster Linie wird das Dilemma durch den massiven Personalabbau der letzten Jahre hervorgerufen, bei dem insgesamt 2 600 Personalstellen wegfallen werden.“ Stange stellt den Überstundenberg kurzerhand das Stellendefizit gegenüber: Allein die zuletzt im Juni angefallenen Überstunden könnten künftig auf 250 zusätzliche Beamte verteilt werden. Nur müssten die zuvor eingestellt werden.
Tatsächlich dürfte aber die Auszahlung von Überstunden für die Staatsregierung das deutlich kleinere Übel sein, weil damit geringere Kosten verbunden sind. Laut Hagen Husgen, Landesvorsitzendem der Gewerkschaft der Polizei, sind die dafür gesetzlich vorgesehenen Stundensätze überschaubar. Der Mehrheit der Polizeibediensteten bekommt eine Überstunde mit etwa 15 Euro vergütet, bei den oberen Einkommensgruppen sind es rund 20 Euro. Unterm Strich könnte die Staatsregierung das aktuelle Problem mit knapp zwei Millionen Euro abhaken. Husgen baut deshalb schon vor. Niemals, so sein Einwand, dürfe die Auszahlung der Überstunden zum Dauerzustand werden. Zudem müsse jetzt jeder Beamte freiwillig entscheiden dürfen, ob er das Geld annimmt. Anderenfalls müsste den Kollegen die für ihre Erholung notwendige Freizeit eingeräumt werden.
Im Innenministerium hat man jedoch längst andere Pläne. Während man dort noch immer an einem Konzept zur Auszahlung der bisher angehäuften Polizeistunden arbeitet und das Finanzministerium dafür bereits prinzipielles Entgegenkommen signalisiert hat, soll das laufende Projekt nun sogar verlängert werden. Noch bis zum Jahr 2018, so bestätigt Ulbigs Haus auf Anfrage , sollen sich die Polizisten auch alle künftig anfallenden Überstunden mit Geld ausgleichen lassen können. Der Grund: Erst dann rechnet man mit personeller Verstärkung und somit für mehr Entlastung.
Zusammenfassung