[Antifa] Worte zum Kampf

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Und als wir erwachten, sahen wir, es war dunkelste Nacht, und das es nur unsere Träume gewesen waren, die uns kurz zuvor hatten darüber hinwegtäuschen können. Und sie zerbachen an klirrender Kälte, die uns den Schauer in die Glieder trieb. Unser Mut gleichsam mit zerberstend, im Angesicht dessen, was unvermittelt und doch nicht ohne Vorahnung als drohende Schemen sich aus der Finsternis auf uns zubewegend, uns alle Hoffnung raubte, als das, was wir noch schlafend für die Ausgeburt eines bösen Gedanken hielten, nun als grausame Wirklichkeit vor uns trat. Gleichsam mit dem Blick in die Scherben die Verheißung des Schlafes erneut spürend, sich dem Gedanken hingebend, dass alles, was uns umgab, nicht der Beginn von Schlimmeren sei, sondern nichts als eine flüchtige Erscheinung. Die Verlockung des Glaubens spürend, dass alles von alleine wieder gut werden würde, sich der eigenen Ohnmacht ergebend.

 

 

Liebe Genoss_innen,

 

fast erscheint es zu mühsam, das Wort zu ergreifen. Zu schwierig, Passendes zu finden, wo sich die Verhältnisse schneller entwickeln, als unsere Analysen es zu greifen vermögen, zu zahlreich sind unsere Feinde, zu stark erscheint der Staat, zu groß der globale Zusammenhang, dessen Auswirkungen nun in aller Deutlichkeit, nicht als abstrakte Gedanken, sondern als konkrete Menschen vor uns treten. Zu langsam unser Ringen um das angemessene Handeln. Kaum kann sich unsere Wut Bahn brechen in konkretes Tun, so wird sie schon an anderer Stelle heraus gefordert, verliert ihre Funktion als treibender Motor und wandelt sich in uns selbst überwältigende Ziellosigkeit. Sie vermittelt uns keine Kraft mehr, sondern lässt und umso stärker die eigene Ohnmacht verspüren. Die geballte Faust findet angesichts der vielen, keine Richtung und einmal mehr spüren wir nur den Druck unserer Nägel im Fleisch.

 

In aller Deutlichkeit führt uns Heidenau unsere Schwäche vor Augen. Nicht die Schwäche derjenigen, die vor Ort Präsenz zeigen und denen es zumindest im Kleinen gelang, offensiv zu werden, nicht die Schwäche derjenigen, die einen weiten Weg auf sich nahmen, und den Geflüchteten und den Genoss_innen zur Seite eilten und nicht die derjenigen, die entsprechend in ihren Städten ins Handeln kamen sondern unsere Schwäche als Bewegung insgesamt. Viel zu wenige wurden aktiv angesichts dessen, was geschah. Zu wenige begriffen die Relevanz und fühlten sich zum Handeln genötigt, oder waren, angesichts fehlender Möglichkeiten dazu verdammt, das Geschehen aus der Ferne zu beobachten. Und hoch ist der Preis für jene, die ohne große Unterstützung den Nazis die Stirn bieten, noch größer die Gefahr, in der Geflüchtete in den staatlichen Lagern ausharren müssen, mit der einzigen und schlechten Hoffnung, dass die Bullen sie beschützen und dass deren eigenen rassistischen Drangsalierungen, die sich all zu oft aus staatlichen Begehrlichkeiten speisen, nicht überhand nehmen.

 

Es ist nicht nur Heidenau. Überall kommt es zu Übergriffen, überall ist die Versorgung staatlich veranlasst so schlecht, dass Menschen krank werden darüber. Überall besteht die Bedrohung, das Menschen angegriffen oder verbrannt werden. Wer immer noch glaubt, dass es sich bei Heidenau um ein isoliertes Phänomen handelt, der hat sich blind gemacht für das bundesweite und darüber hinaus für das europäische Geschehen. Angesichts der globalen Entwicklungen und deren Ausprägung hier vor unserer Haustür, lässt sich vermuten, dass Heidenau nicht die Spitze ist, sondern eine Verschärfung im sich immer weiter zuspitzenden Kampf gegen Flüchtlinge.

 

Natürlich gibt es auch Erfolge. Es ist gut, das in Köln 1000 Menschen gegen die rassistische Mobilisierung auf die Straße gingen, und die SPD-Zentrale angriffen. Es ist gut, dass in Leipzig 1000 Leute es ihnen, wenn auch friedlich, gleich taten, wie auch in anderen Städten. Aber all das darf uns nicht darüber hinweg täuschen, dass wir derzeit den rassistischen Angriffen von Staat und Nazis fast nichts entgegensetzen. Und gerade mit dem Gedanken all diejenigen, die aktiv kämpfen, sei es durch die Unterstützung der Geflüchteten vor Ort, durch das gemeinsame Demonstrieren des Widerspruchs, oder sei es im offensiven Handeln gegen Nazis und Staat, müssen wir festhalten: Die Lage ist katastrophal.

 

Wie aber hatte es überhaupt dazu kommen können? Wohin verschwanden die bundesweiten Netzwerke, die genau dafür aufgebaut waren, solchen Entwicklungen zu widerstehen? Was wurde aus der Struktur, die in der Lage war, Nazistrukturen bundesweit im Blick zu haben und offen zu legen, wann immer sie handelten? Wie konnte es geschehen, dass die zunehmenden rassistischen Mobilisierungen im ganzen Bundesgebiet eher einen Gewöhnungseffekt hatten, anstatt uns herauszufordern, unsere Positionen zu prüfen, unsere Vernetzungen zu erneuern und gemeinsame Strategien zu entwickeln? Warum ließen wir zu, dass rassistische Mobilisierungen als relevanzlose lokale Angelegenheit gesehen wurden, ohne den Ausdruck ihrer Gesamtheit zu erfassen?

 

Zu viele hatten sich bereits abgewandt vom Blick auf die deutschnationale Realität und fokussierten ihren mit revolutionären Hoffnungen aufgeladenen Blick auf andere Kämpfe, in der Hoffnung, dass die sozialen Verwerfungen in anderen Ländern Europas sich als Türöffner erweisen würden. Dass die Wut der Verarmenden, wo sie sich gegen den Staat und das Europa der Troika richteten, sich als Inspiration auch für jene verwandeln würde, deren Armut sich erst ankündigt.

Nun jedoch sehen wir uns konfrontiert mit deutscher Wut, doch erweist sie sich einmal mehr nicht als revolutionäre Kraft, sondern als Ausdruck rassistischer Ressentiments, die mit erbitterter Härte nach unten sich entlädt.

 

Doch wie es keinen Sinn hat, sich den Verhältnissen hier, wie sie sind, zu verschließen, so bleibt auch alles Lamentieren sinnlos. Keine Hoffnung liegt in der empörten Beschwerde über das Ausbleiben der Verstärkung, um das Aufzählen der eigenen Fehler, das Bewusstmachen der momentanen Ohnmacht. Blind bliebe jede Anklage die nicht den Blick wenden würde auf das, was uns jeden Tag weiter machen lässt, und das, was uns weiter machen lassen wird, gerade angesichts zunehmender Verschlechterung, und ihnen zum Trotz. Wenn unser Wunsch nach Besserem nicht nur Wunsch ist, unser Wille, die Auseinandersetzung zu suchen anstatt ihr zu entfliehen und unser Mut erst aufkeimt und nicht bereits gebrochen ist, dann führt unser Weg nicht in unsere Vereinzelung, dann steht am Ende nicht der Rückzug in die Verzweiflung und das stumme Ausharren gegenüber dem Handeln unserer Feinde.

 

Gegenüber allen Umzingelungen des Staates, allen Strategien zu unserer Entmutigung und allen aufgetürmten Misserfolgen, ist das Bestimmen unserer Stärke keine Fantasie, der wir im Widerspruch zur Realität hinterher träumen. Doch liegt sie nicht offen da zu unserer Verfügung, kann nicht einfach ergriffen und behauptet werden. Zu schnell ist sie degradiert zur bloßen Kraftmeierei Einzelner, zu schnell geschieht die Verwechslung kollektiver Stärke mit individueller Möglichkeit. Zu groß ist die Gefahr, sich nicht nur gegen unseren Feind, sondern auch gegeneinander behaupten zu wollen, zu leicht würde ihr Schein zur bloßen Behauptung. Unsere Stärke frei zu graben, bedeutet, uns zusammen zu finden. Bedeutet, die Vereinzelung zu überwinden im Erkennen, dass jede_r einen Beitrag bringen wird, und, dass jede_r erkennt, dass der eigene Beitrag keine sinnlose Randerscheinung, sondern notwendig ist. In unseren Begegnungen werden wir uns erkennen müssen, werden wir im jeweils anderen die Mitstreiterin erblicken müssen und nicht den politischen Konkurrenten oder die Widersacherin.

 

Verstellt sind unsere Möglichkeiten nicht nur durch andere, sondern auch durch uns selbst, durch die bereits gefasste Strategie, in deren Befolgung gegenwärtige und kommende Schwierigkeiten bereits überwunden zu sein scheinen, und deren Erfolg an das unwillige Mitmachen anderer geknüpft ist. Durch das Verfolgen eigener Vorstellungen als Erringung der Hegemonie , wird Widerstand erzeugt, aber nicht gegenüber unseren Feinden, sondern zwischen uns selbst, in einer Situation, wo wir alle auf die Stärke derjenigen neben uns angewiesen sind. In gemeinsamen Auseinandersetzungen ist der Andere nicht Teil einer Verfügungsmasse, die, einmal mobilisiert, zum Spielball der Politstrategen werden darf.

 

Form und Ausdruck des gemeinsamen Widerstands sind von den Widerständigen selbst zu wählen, und nicht von Autoritäten zu bestimmten. Die Kraft unserer Solidarität, die Stärke unseres Schutzes, die Verteidigung unserer Angriffe, ergibt sich erst in der freien Verfügung des eigenen Wollens, in der Akzeptanz fremdartigen Ausdrucks des Kampfes, im Begreifen des gemeinsamen Ziels als Element der Verbindung. Die Idee der Gleichartigkeit der Mittel ist zurückzuweisen, gemeinsame Strategien sind zu finden und nicht zu behaupten und werden sie nicht gefunden, gilt es, solidarisch verschieden zu agieren. Gegenüber der vollständigen Übereinkunft unterschiedlicher Ansichten ist der Parallelität des Verschiedenen der Vorzug zu geben.

 

Ziel unserer Debatten muss das gegenseitige Begreifen statt des Belehrens sein. Analysen müssen sich vollziehen am eigenen Handeln anstatt anhand abstrakter Leitsätze. Jede Diskussion ist zu führen mit dem Ziel der Tat, dem Auseinandertreiben des rassistischen Mobs, dem Brechen der Macht des Staates, dem Aussprechen der Empfindung des Gejagten, dem Nachspüren verlorenen und versagten Lebens, dem Bewusstmachen der Bedrohung. Demgegenüber steht die verächtliche Fremdformulierung des Wollens der Geflüchteten, die zurückzuweisende Inanspruchnahme ungehörter Stimmen, die falsche Zusammenfassung der Geflüchteten zur Masse mit gemeinsamem Willen, in Negation der zahllosen Verschiedenheit.

 

Unsere zukünftige Stärke liegt im Zurückkehren der Zurückgezogenen, im Wiederbeleben alter Verbindungen, im Flechten neuer Netzwerke. In der Beendigung des Ausschlusses, im gemeinsamen Zusammentreffen, im Vertrauen in Verbündete und Genoss_innen.

 

Rassisten haben längst mobil gemacht, unsere Mobilisierung beginnt erst. Die Nazis haben eine neue Angriffswelle begonnen, nun kommt unsere Zeit zum Gegenangriff. Es ist Zeit dafür, dass wir uns sammeln, uns besprechen, uns verschwören, und den Schreck, der uns in die Knochen gefahren ist, als Angst zurück in die Herzen unserer Feinde zu jagen!

 

Kämpft!

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für etwas poesie im widerstand - auch wenn wir gerade nicht zum träumen zu verleiten sind, so doch wenigstens zu taten.

alerta

wow, alte, wow.

dieser Artikel spricht mir mehr aus dem Herzen als vieles andere was ich hier in der letzten Zeit gelesen habe.Lasst uns daran ein Beispiel nehmen:Lasst uns kämpfen: Mit und für die Flüchtlinge.Schluss mit den ewigen Streitereien

Ganz herzlichen Dank! Das beste was ich seid langem gelesen habe!

...diese Worte waren längst überfällig,lange genug gewartet.

 

"Entweder wir finden einen gemeinsamen Weg,

oder wir machen einen!"