G7-Proteste vom Samstag - Kritik

Die Hauptveranstaltung gegen den G7-Gipfel im Schloss Elmau, der Demonstrationszug durch Garmisch-Partenkirchen, ist gestern (Samstag, 6. Juni 2015) weitgehend reibungslos über die Bühne gegangen. Einige kritische Anmerkungen im Schnelldurchlauf.

  1. Das Polizeiaufgebot war massiv; die Gegend um das Schloss Elmau, das zwischen Garmisch-Partenkirchen (GAP) und Mittenwald gelegen ist, war/ist im Belagerungszustand: Polizeikontrollen an allen Zufahrtsstraßen, Umleitungen, überall Versorgungs- und Kontrollposten der Polizei.
  2. Die Anreise im Zug von Innsbruck gestaltete sich weniger schwierig als gedacht: Der Zug fuhr regulär bis GAP, nach Seefeld gab es im Zug eine Passkontrolle durch die deutsche Polizei, am Bahnhof in GAP wurden wir dann komplett gefilzt. Auch mit dem Auto war die Anreise weitgehend problemlos möglich.
  3. Die TeilnehmerInnenzahlen bei der Hauptveranstaltung, der Demonstration durch GAP, waren überschaubar: Die Polizei spricht von 3600, die VeranstalterInnen von 5000, wobei in diesem Fall wohl die erste Zahl plausibler ist. Dies steht im krassen Gegensatz zu den 35-40.000 TeilnehmerInnen bei der Anti-G7-Demo am Donnerstag in München; scheinbar hatte die unsichere Lage der Übernachtungsmöglichkeit - das Camp wurde erst in letzter Minute genehmigt -, die unklaren Anreisebedingungen und die massive mediale Einschüchterung (SpiegelOnline: "Behörden fürchten Tausende gewaltbereite G7-Gegner", "Polizei rechnet auch in München mit Krawallen", "Polizei fürchtet Gewalteskalation beim G7-Gipfel") viele von einer Teilnahme absehen lassen.
  4. Dementsprechend war die Zusammensetzung der TeilnehmerInnen ziemlich homogen: Linke aus hauptsächlich subkulturellen Zusammenhängen, jung, deutsch, eher männlich. Und vorrangig aus dem Umfeld, sprich süddeutscher Raum. Es gelang offenbar nicht, Menschen außerhalb der "linken Kernbelegschaft" oder gar die lokale Bevölkerung miteinzubeziehen. Zudem waren die größeren linken Organisationen (Die Linke, Blockupy, IL, ect.) nur am Rande oder gar nicht sichtbar.
  5. Das Wetter war für die Demo in Ordnung; der Marsch vom Camp zum Bahnhof und das Warten auf den Demobeginn um 14 Uhr in der prallen Mittagssonne waren zwar unangenehm, später wurde die Hitze jedoch durch Wolken und Wind immer wieder für kurze Zeit abgeschwächt, ab 17 Uhr zogen Wolken auf, und erst bei der Rückkehr zum Ausgangspunkt um 19 Uhr am Bahnhof ergoss sich ein Platzregen auf die Teilnehmenden. Wegen Hochwassergefahr wurde das Camp evakuiert, ein Murenabgang zwischen Innsbruck und Scharnitz sorgte für ungewollt lange Rückfahrtswege.
  6. Die Demoroute war, sagen wir es mal so, eher unkonventionell (siehe oben): Sie verlief auf einer von mehreren Zufahrtsstraßen von GAP Richtung Mittenwald (und damit Schloss Elmau) und sah eine 360-Grad-Wende vor. Auf die Schleife beim Rückweg wurde aufgrund des langen Festsitzens am Wendepunkt verzichtet. Der "Antikapitalistische Block" mit Lautsprecherwagen bildete den Kopf des Zuges. Am äußersten Punkt im Osten war eine Zwischenkundgebung vorgesehen. Faktisch bedeutete dies ein unangenehm langes Festsitzen in einer hässlichen Vorortstraße von GAP, umrahmt von drei Ketten Polizeispalier, einem Lauti, der für viele außer Hörweite war und nur unzureichend Informationen weitergab.
  7. Ja, die Demo war weitgehend friedlich. Es gab am Kopf der Demo sowie auf der rechten Seite mehrfach Rangeleien mit der Polizei, die Pfefferspray einsetzte. Gröbere Verletzungen scheint es nicht gegeben zu haben. Die Aussage, dass die Eskalation von der Polizei ausging, muss relativiert werden: Wie über Lautsprecher kommuniziert wurde, gab es den Plan, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen und auf die Kreuzung vorzudringen, um diese zu besetzen und damit einen Zufahrtsweg zu blockieren. Dieses Blockadekonzept wurde erst nach seinem offensichtlichen Scheitern dem Rest des Demozuges mitgeteilt. Seine Sinnhaftigkeit muss angesichts der Umstände stark in Zweifel gezogen werden.
  8. Inhaltlich hatte die Demo wenig zu bieten; die Demosprüche waren (im ersten Block) linke "Klassiker" und damit recht beliebig, Bezüge zu aktuellen Konflikten (Stichwort Griechenland) waren weitgehend abwesend, nur migrantische Kämpfe und Refugees wurden verbal thematisiert. Auch beim Rest des Demozuges wurden Inhalte eher rar kommuniziert, Themen waren dort die Rüstungs- sowie Politik der G7 insgesamt und ein bisschen TTIP. Am Vortag war ein Papp-Panzer symbolisch verbrannt worden - das war's aber auch.
  9. Die Bevölkerung vor Ort konnte nicht einbezogen werden - obwohl die Stimmung "gekippt" sei, wie wir aus Gesprächen mit dort Wohnhaften erfuhren. Die enormen Kosten (130-360 Millionen Euro), das massive Polizeiaufgebot und die permanenten Kontrollen sorgen in der Region für starken Unmut. "Die Polizei spricht von Präsenz zeigen. Wenn man sich das anschaut, dann muss man sagen, das ist Einschüchterung.", erklärte ein Taxler, der uns - ebenso wie die anderen Nicht-Uniformierten, mit denen wir zu tun hatten - sehr wohlwollend begegnete.
  10. Das Fazit muss aufgrund der schwachen Beteiligung, der fehlende Einbettung in lokale und aktuelle Konflikte, einem diffusen Demokonzept und wenig inhaltlicher Schwerpunkte trotz der relativ guten Stimmung und dem soliden Ablauf eher negativ ausfallen; es manifestierte sich viel, was in der Linken derzeit kritisch zu betrachten ist. Aber ja, die Gegend war schön.
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Ist also eine definitive Fehlinformation!

Guckt mal hier, es gab und gibt Versuche lokale Themen anzusprechen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/145146

Auch eine sehr merkwürdige Aktion, Monate vorher zu ner Demo zu mobilsieren, aber erst knapp eine Woche vorher endlich mal anzusagen, wann diese denn überhaupt losgehen soll...

s.o.

Ich weiß nicht, was solche Darstellungen bringen sollen. Das Wetter? ehrlich?  Deswegen gehe ich mal nur auf das Wesentliche ein: Es ist immer einfach auf die zu schießen, die sich letztlich verantwortlich gezeigt haben. Das waren nicht viele, das waren nicht die stärksten Strukturen und dementsprechend sah das Ganze auch aus. Da sehe ich eher die Zeit für alle gekommen, sich selbst und vor allem die eigenen Strukturen in eine kritische Reflexion zu begeben und zu schauen: was hätten wir besser machen können? Wie hätten wir besser vor Ort Inhalte setzen können? Sind wir auch zu konsumistisch geworden, fahren halt hin und meckern danach mal schnell bei linksunten über das, was uns nicht gepasst hat?

 

Das soll jetzt alles nicht zu dissig sein, aber mich macht diese doch sehr konsumistische Attitude langsam echt sauer. Autonome Politk besteht darin, sich aktiv einzubringen, selbst zu machen. Aber immer mehr drehen sich pseudo-resigniert weg und rechtfertigen damit ihr nicht-Verhalten.

 

Und damit will ich nicht sagen, dass ich keine Kritik an der Demo hatte, aber die werde ich in meiner Stadt in meinen Strukturen besprechen und dann schauen, was und wie mans das nächste Mal gemeinsam besser machen kann.

Was ist denn daran konsumistisch? Konsumistisch wäre, nach einer solchen Erfahrung einfach auf die nächste Demo zu gehen und zu hoffen, dass die besser ist. Wenn hier versucht wird, eine kritische Diskussion auch außerhalb der eigenen vier Stadtstrukturenwände zu initiieren, dann sollte das schon ernst genommen werden. Wie viele von den Teilnehmer_innen teilen ihre Überlegungen nach der Demo auf linksunten? Siehs mal so.

"Das Fazit muss aufgrund der schwachen Beteiligung, der fehlende Einbettung in lokale und aktuelle Konflikte, einem diffusen Demokonzept und wenig inhaltlicher Schwerpunkte trotz der relativ guten Stimmung und dem soliden Ablauf eher negativ ausfallen; es manifestierte sich viel, was in der Linken derzeit kritisch zu betrachten ist. Aber ja, die Gegend war schön."

Auch wenn wir eine ausführliche Analyse der Konfrontation mit dem Klassenfeind noch erstellen müssen, kommen wir in unserer ersten, vorläufigen Einschätzung (http://komaufbau.org/?p=301) doch zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Für Alle, die unsere Seite noch nicht kennen, hier die zentralen Punkte, die wir beim erfolgreichen Kampf gegen den G7-Gipfel sehen: 

 

Politisch hervorzuheben sind aus unserer Sicht vielmehr die folgenden Aspekte der Proteste:

1. Es war von vornherein klar: Kein Wald in den Bergen wird uns für Auseinandersetzungen mit dem kapitalistischen Staat jemals so gute Voraussetzungen bieten wie die Städte, in denen wir von den Massen umgeben sind und auf ihre Unterstützung hoffen können. Deshalb ist als ein Erfolg zu bewerten, dass es gelungen ist, tausende Menschen nach Garmisch-Partenkirchen zu mobilisieren und gemeinsam bis an den Zaun zu gelangen, hinter dem sich Merkel und ihre Freunde verschanzt hatten. Tausende Menschen haben die Abgelegenheit, unwegsames Gelände, ein verheerendes Unwetter und die direkte Konfrontation mit einer gewaltigen Staatsmacht von 30.000 Polizisten und damit zahlreiche persönliche Risiken auf sich genommen und damit ihre Entschlossenheit gezeigt, gegen das System zu kämpfen.

2. Das ist um so wichtiger, weil es das Anliegen einiger reformistischer Kräfte im Vorfeld des Gipfels war, die Proteste weg von Merkel in sicheres Terrain wie München zu verlagern. Es ist ein weiteres Zeichen der Entschlossenheit und der richtigen politischen Linie, dass sich für die Organisation der Gipfelproteste ein Bündnis von revolutionären und fortschrittlichen Kräften formiert hat, das sich nicht auf diese Option eingelassen hat, den finanziellen Lockmitteln der Sozialdemokratie widerstanden hat und – auf sich allein gestellt – den Sturm auf den Gipfel organisiert hat: Um den imperialistischen Charakter der G7 politisch klar aufzeigen, jeglicher ideologischen Verharmlosung entgegenzutreten und sich weder kaputtschlagen noch als kriminelle GewälttäterInnen stigmatisieren zu lassen. In Heiligendamm spielte die revolutionäre Bewegung eine wichtige Rolle bei den Protesten und hat sich dabei weiterentwickelt. Die Organisation der großen Aktionen hatten damals jedoch reformistische Kräfte in ihren Händen konzentriert. Heute ist die revolutionäre Bewegung in Deutschland in der Lage, Massenproteste selbst zu organisieren, gegenüber den Angriffen des Staates zusammenzuhalten und dabei ihre Linie beizubehalten.

3. Der imperialistische deutsche Staat hat sich in den bayrischen Alpen ein weiteres Mal demaskiert: Sie haben ihre eigene Propaganda herangezogen, um ihre „demokratische“ Fassade niederzureißen und das Versammlungsrecht beim G7-Gipfel auszuhebeln. Rund um Elmau standen sich die Polizei als prügelnde Schutztruppe des kapitalistischen Staates und mehrere tausend revolutionäre und fortschrittliche Menschen direkt gegenüber. Auf diese Weise wurde hinter allem Propagandagetöse und allen falschen Vorstellungen vom Charakter der Auseinandersetzungen zwischen Staatsmacht und DemonstrantInnen deutlich, dass es sich bei den Kämpfen in Elmau um einen Ausdruck des Klassenkriegs des Proletariats gegen die Bourgeoisie handelt. Es ist dem Staat dabei nicht gelungen, die Einheit der DemonstrantInnen zu untergraben. Die Aktionen wurden wie geplant diszipliniert bis zum Ende durchgeführt. Die Abschlussdemo am Sonntag führte zur Gefangenensammelstelle und solidarisierte sich mit den über 70 DemonstrantInnen, welche die Polizei im Verlauf des Wochenendes festgehalten hatte. Auch wenn die Proteste kleiner waren als in Heiligendamm, waren sie auch aus diesem Grund ein Schritt nach vorn im Vergleich zu 2007, wo der Staat auf die Unterstützung der sozialdemokratischen Organisatoren setzen konnte, die sich bereits zu Beginn der Proteste öffentlich von den „Gewalttätern“ distanzierten. Die Menschen hingegen, die in Garmisch-Partenkirchen demonstriert haben, werden das Gesicht dieses Staates nicht vergessen, das er ihnen dort offenbart hat.

4. Auch die vom Staat versuchte Spaltung zwischen der Protestbewegung und der ansässigen Bevölkerung konnte an vielen Stellen überwunden werden. Das ist umso bemerkenswerter, weil es sich in der Region rund um Garmisch-Partenkirchen um eine Gegend handelt, die als eine der konservativsten in Deutschland gilt. Trotzdem haben AnwohnerInnen den DemonstrantInnen nach einem schweren Unwetter Schlafplätze angeboten und Material für das Camp zur Verfügung gestellt. Der Belagerungszustand durch die Polizei wurde von der Bevölkerung als zunehmend unerträglich empfunden.

Zusammengefasst: Wir sind als Revolutionäre in ungünstiger Umgebung dem Feind gemeinsam entgegengetreten. Es sind solche Erfahrungen, welche die Grundlage dafür legen, dass in der neuen Generation der revolutionären Bewegung Deutschlands zukünftig nicht Sektierertum und Gruppenegoismus im Vordergrund stehen, sondern gegenseitiger Respekt, gegenseitige Unterstützung und eine klare Vorstellung davon, wo der Feind steht und wo wir.

Die G7-Proteste in Elmau haben damit den Weg aufgezeigt, den wir weitergehen müssen.