Verfassungsschutz warnt vor linksextremistischen Kleingruppen

Erstveröffentlicht: 
30.05.2015

Im noch unveröffentlichten Jahresbericht von 2014 zählt der Berliner Verfassungsschutz 960 gewaltbereite Linksextremisten - nach zuletzt 1020. Doch von einer Befriedung der Szene könne keine Rede sein.

 

Nach dem 1. Mai herrschte bei der Gruppe "Radikale Linke" Katerstimmung. Das war verständlich. Denn die gewaltbereiten Autonomen hatten ihre Ziele verfehlt. An der traditionellen "Revolutionären 1. Mai Demo" hatten sich laut Polizei zwar rund 18.000 Menschen beteiligt. Vermummte aus dem schwarzen Block hatten Polizisten auch mit Steinen und Flaschen attackiert. Doch der Großteil der Demonstranten hatte keine Lust auf Randale. Es war der friedlichste 1. Mai seit Jahren.

 

Schlimmer noch aus Sicht der "Radikalen Linken": Die öffentlich angekündigte Besetzung eines Gebäudes mit dem Ziel, dort ein "soziales Zentrum" zu errichten, geriet zum Fiasko. Aktivisten gelang es zwar, die Scheiben eines ehemaligen Kaufhauses an der Karl-Marx-Straße einzuschmeißen. Doch außer ein paar versprengten Gestalten zeigte niemand Interesse an der Besetzung. Die "Radikale Linke" bilanzierte im Internet, dass sich "nicht alle Erwartungen" erfüllt hätten. "Aber es ist ein Schritt getan. Viele weitere werden folgen!"

Das klingt nach Durchhalteparolen, nach Ratlosigkeit. Ist die gewaltbereite linke Szene also geschwächt? Die Zahlen legen das nahe. So zählte der Verfassungsschutz im Jahr 2013 noch 1020 gewaltbereite Linksextremisten. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 960. Diese Zahl nennt der Verfassungsschutz nach Informationen der Berliner Morgenpost in seinem noch unveröffentlichten Jahresbericht für 2014, der in wenigen Wochen vorgestellt wird. Auch die Zahl der Autonomen ist gesunken – von 810 im Jahr 2013 auf 720 im Jahr 2014.

 

"Keine Befriedung der autonomen Szene"

 

Für einen Abgesang auf die Autonomen ist es aber noch zu früh, sagte der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Bernd Palenda, am Donnerstag bei einer Fachtagung des Brandenburger Verfassungsschutzes in Potsdam. Denn die Szene habe auf die gesunkene Bereitschaft der Massen, bei Großveranstaltungen Revolution zu spielen, reagiert. "Besorgniserregend sind insbesondere brutale Übergriffe von Kleingruppen oder Cliquen auf Polizeibeamte, bei denen die Täter erhebliche Personenschäden in Kauf nehmen", sagte Palenda. Die Radikalen würden mit Anschlägen hohe Sachschäden anrichten. Palenda: "Die Befriedung des 1. Mai in den letzten Jahren lässt nicht auf eine Befriedung der autonomen Szene schließen."

 

Dreh- und Angelpunkt gewaltbereiter Linksextremisten sind immer noch die Autonomen. Jene Aktivisten, die – im Unterschied etwa zu kommunistischen Gruppierungen – keine endlosen Ideologie-Debatten führen, sondern lieber mit Aktionen auf ihre Ziele aufmerksam machen. Mal steht dabei der Kampf gegen den "Kapitalismus" im Vordergrund, dann geht es gegen "Militarismus", gegen "Faschismus" (der Begriff wird weiter interpretiert als allgemein üblich), dann stehen Aktionen gegen staatliche "Repression" oder der Kampf gegen Gentrifizierung im Fokus.

 

Konkurrenz im bürgerlichen Milieu

 

Einen festen Platz in der Szene hatten die "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) und die "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB). Jahrelange Grabenkämpfe um die strategische Ausrichtung haben die Gruppen aber zermürbt. Bei den Protesten gegen Rechtsextremisten, die gegen Flüchtlinge hetzten, bemerkten die Aktivisten zudem, dass bürgerliche Gruppen ihnen ausgerechnet in ihrem Kernbereich, dem Kampf gegen Neonazis, den Rang abgelaufen hatten. Die ALB löste sich im September 2014 auf, die ARAB fusionierte mit der "Neuen Antikapitalistischen Aktion". Zum wichtigsten Sammelbecken für gewaltbereite Autonome avancierte die Radikale Linke. Ihre Anhänger sind meist jung. Die in der Szene so beliebten schwarzen Kapuzenpullis und die angesagtesten "linken" Bands sind für sie ebenso identitätsstiftend wie gewalttätige Aktionen.

 

Gewalt befürwortet prinzipiell auch die "Interventionistische Linke" (IL). Doch ihre Anhänger sind gesetzter und haben auf Stein- und Farbbeutelwürfe keine rechte Lust mehr. Ihre Aktivisten treten gemäßigter auf als die der "Radikalen Linken" und suchen den Schulterschluss mit Gruppen, die ähnliche soziale Missstände anprangern, aber weder "das System überwinden" wollen noch Gewalt legitimieren.

 

Die Aufsplitterung in "Radikale Linke" und "Interventionistische Linke", so Palenda, entspricht dem Riss, der durch die autonome Szene geht. Noch agitierten die Gruppen weitgehend getrennt voneinander. Einzelne Aktivisten seien aber immer häufiger bereit Kompromisse einzugehen. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden eine Gefahr: Wenn die älteren und intellektuelleren Aktivisten der IL im Hintergrund die Fäden ziehen und die jungen Heißsporne der "Radikalen Linken" mit ihnen zusammenarbeiten, könnte sich daraus ein neues Gefahrenpotenzial ergeben. Gezielte Attentate auf Einzelpersonen sind in der linksextremistischen Szene zwar weiterhin nicht salonfähig. "Gewalt gegen Sachen", wie Anschläge auch auf Wohnhäuser in der Szene tituliert werden, gelten aber als legitim. "Das Gewaltpotenzial ist ungebrochen", sagt Berlins Verfassungsschützer Bernd Palenda.

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..dass der VS offensichtlich keine ahnung von der zusammensetzung der szene und ihrer gruppen zu haben scheint.