Ihr hättet uns nicht in den gleichen Knast sperren sollen!

morts pour rien

Analyse eines Genossen aus Villiers-le-Bel, der im gleichen Knast eingesperrt wurde wie ein Genosse im „Tarnac-Fall“.


Fallait pas nous mettre dans la même prison !

„Villiers-le-Bel“ und „Tarnac“ – zwei Namen die für juristische, politische und mediale Offensiven des französischen Staates stehen. Sie dienen zur Untermauerung der Idee „Gefahr im Inneren“, sowie zum Präsentieren der Lösung eines einzig fähigen Staates zum „Schutz“ der „Bevölkerung“ – die soviel gar nicht verlangte – vor den „bandes de cité“ (Vorstadtbanden) und den so genannten „anarcho-autonomes“.

Für diese beiden Ereignisse wurden zahlreiche Polizeikräfte und diverse wissenschaftliche Mittel der Polizei, wie Fichierung und Überwachung, sowie neue Aufstandsbekämpfungstechniken verwendet. Nach dem Kennenlernen einiger Betroffener dieser juristischen Vorstellung, wollen wir hier versuchen der Art dieser Einsätze näher zu kommen und Mittel erörtern, um ihnen entgegen zu treten.

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Brief von Maka und Benjamin

Ich bin Maka, ich bin 22 Jahre alt und in Unterbindungshaft seit dem 23. Februar 2008. Gegen mich wird seit den großen Polizeieinsätzen, die auf die Aufstände von Villiers-le-Bel im November 2007 folgten, wegen „versuchtem Mord an einem Polizeibeamten“ ermittelt. Infolge des Todes zweier Jugendlicher nach einem Zusammenstoß mit einem Polizeifahrzeug hatten hunderte Kids mit der Polizei gekämpft.

Ich bin Benjamin, ich bin 31 Jahre alt und stehe unter juristischer „Bewachung“ seit einem Verfahren um die Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung mit terroristischen Absichten“, das nach zeitgleichen Anschlägen auf die Stromversorung mehrerer Schnellzugtrassen im November 2008 eingeleitet wurde und frankreichweit zu riesigen Polizeieinsätze führte.

Ein Weißer. Ein Schwarzer. Eine Vorstadt des Val-d'Oise. Ein kleines Dorf in der Corrèze. Afrikanische Eltern der ersten Einwanderungsgeneration. Provinzielle Mittelklasse. Universitärer Abschluß. Früher Schulabgang. Unsere Geschichten kreuzen sich durch den Zufall eines Abweichens von den im großen Zirkus der gesellschaftlichen Reproduktion vorgesehenen Gleisen. Ein Desertieren von den „Möglichkeiten“ eines vorausgesetzten beruflichen und universitären Karriereplans.

Ein Desertieren von der Perspektive zum früh aufstehenden Frankreich zurückzukehren, das Frankreich was wir um fünf Uhr im RER treffen, das Frankreich, welches die Bühne putzt, da wo das Frankreich, das zählt, sich am hellichten Tag darstellen kann. Auf jeden Fall ein Desertieren vom abschiebenden, verknackenden, diskriminierenden, befehlenden, klassifizierenden Frankreich, das aufgrund von Klasse, Rasse und „Herkunft“ verordnet, urteilt und wegsperrt.

Wir haben uns in einem feuchten und modrigen Ausgangshof des mit einem schrecklichen Ruf behafteten Knasts Fresnes getroffen. Im Schatten des Stacheldrahtes, die Füße in der Rattenpisse. Ein Jahr bereits ist es her, dass wir uns kennenlernten. Und das Justizsystem hat keine Chance verpasst sein wahres Gesicht zu zeigen: Ein System, das Tag für Tag die Kriterien des Annehmbaren neu festlegt und bestimmt, was den meist dominierenden Klassen dieser Gesellschaft etwas bringt oder nicht.

Gegenüber diesem System stehen wir beide als halbnackte Figuren des inneren Feindes der neuen Welle da. Im Visier einer Regierung die täglich die Tradition des alten und reaktionären Frankreichs aufleben lässt. Wir verstehen die Emsigkeit mit der die Regierung mit Hilfe der meisten Medien von uns – jeweils auf eigene Art – die schlimmsten Portraits von „Barbaren“, „Bewustseinslosen“, „Ultra-Gewalttätigen“, „Anarcho-Autonomen“, „Gesindel“ und sonstigen sprachlichen Übertreibungen skizziert.

Wir verspüren auch in welchem Ausmaß unsere Verleumdung heraufbeschworen wird, es ist die Befürchtung, dass diese Darstellungen am Ende erwünschter sind, als die offiziellen Darstellungen gelungener Integration. Und sie sind es, zweifelsohne... der junge Hochschulabsolvent, der dem Abendland in die Suppe spuckt und sich damit nicht begnügen wird; der junge Einwanderersohn, der sich seiner Funktion als Diener, die schon immer für Leute seiner Hautfarbe vorgesehen waren, nicht mehr beugen möchte. Bemerke: selbst in den Reihen der designierten inneren Feinde machen Hautfarbe und Förderung einen mordsmäßigen Unterschied.

Die „Zivilgesellschaft“ und die Medien bewegen sich weit weniger, wenn es um das Los einiger jugendlicher „Indigener“ geht, die sich mit der starrsinnigen Polizei kloppen, als wenn es sich um Abtrünnige der weißen Mittelklasse, der politischen Grundlage dieses Landes, handelt. Und die Staatsanwälte haben immer eine härtere Hand. Wir haben uns alle beide dort wiedergefunden, mit Strafanträgen, die jeweils gleich schlecht begründet waren, beziehungsweise die auf den guten alten „anonymen Zeugenaussagen“ fußten, um nicht zu sagen auf „lumpige Denunziation“, zur rechten Zeit und ohne jegliche belastende Beweismittel...

Wir wurden in echte Staatsaffären verwickelt, deren politische Schlagkraft weit über das subjektive Geschick unserer kleinen Personen hinausgingen. Da, wo diese gar nichts zählen, im Namen der Herausforderungen der Wahlen, des Wettstreits zwischen den Geheimdiensten und der Polizei, der polizeilichen- und ministeriellen Kommunikationspolitik. Selbst vor seiner Wahl zum Staatschef hatte Nicolas Sarkozy seine Befürchtung eines – nie erfolgten – „Zusammenschlusses“ der Jugendrevolten in den Vorstädten und der Bewegungen gegen den Ersteinstellungsvertrages (CPE) an den Unis betont. Es ist kein geringfügiges Paradoxon, dass seine Repression selbst es war, die uns zusammenführte.

Es hat nie einen besseren Katalysator gegeben, als das gemeinsame erdulden einer Feindseligkeit, um Grenzen zu überschreiten, die manchmal unüberwindbar schienen. Das einfache aneinander stellen unserer zwei Geschichten, erleuchtet die Gegenwart mit einem schärferen Licht. Wir denken, dass unsere Zusammenkunft mehr als eine nette Anekdote ist. Sie ist uns beiden als seltene Chance erschienen aufzuzeigen, was passieren muss, wie wir den politischen Morast der Gegenwart verlassen können. Wenn wir heute das Wort ergreifen, ist das, weil es an der Zweit ist, dem ewigen Fatalismus derer Einhalt zu gebieten, die unter die Räder der Justiz gekommen sind und keinen anderen Horizont besitzen, als den eingeschränkten der Knäste.

Wir sind keine Vogelscheuchen, wir haben das Vermögen zu denken und zu sprechen. Und wir werden diese Fähigkeiten anwenden, gegen jegliche Erstickung. Ende Oktober wurde das Verfahren gegen die Polizisten, die an Bord des Fahrzeuges waren, das den Tod von Larami und Moushin hervorrief, eingestellt. Es wird keine Verhandlung geben. Derweil wird verkündet, dass vier Personen vor ein Schwurgericht sollen, die, ohne dasd es Beweismittel gäbe, verdächtigt werden, während der Ausschreitungen auf die Polizeikräfte geschossen zu haben. Alles weist auf einen Sühneprozess hin.

Es wird darauf hinauslaufen ein Exempel an der rebellischen Jugend dieses Landes zu statuieren: „Hofft nicht einmal darauf euch verteidigen zu können! Wir kommen ungestraft davon, und ihr kriegt fette Strafen. Eure Füße und Fäuste sind gebunden“, so scheint es aus einem höllischen Chor der vereinigten Obrigkeiten zu erklingen. Und wir werden ihn noch lange hören: Am 27. Oktober fand in Clichy sous Bois eine Gedenkveranstaltung für Zyed und Burna statt, die 2005 nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei in einem Transformatorenhäuschen ums Leben kamen. Am selben Tag erstatteten die Polizisten Anzeige wegen „unterlassener Hilfeleistung“ gegen den mittlerweile volljährigen Muhittin, den einzigen überlebenden der drei Jugendlichen.

Ich bin Benjamin, ich war gerade mal drei Wochen lang gefangen. Wie alle anderen Angeklagten in meinem Fall, befinde ich mich seit elf Monaten unter juristischer Überwachung mit der Auflage, nicht nach Hause zu gehen. Ich versuche zu bewirken, dass diese Zeit, die der Justizapparat geklaut hat, nicht umsonst war.

Ich bin Maka und wie alle anderen Angeklagten in meinem Fall, befinde ich mich seit 20 Monaten in „Unterbindungshaft“ in einer Isolationszelle. Ich lese, ich schreibe, ich schärfe mein Verständnis dieser Welt und des Platzes der uns in ihr gewährt wurde. Ich mache meine Revolution auf neun Quadratmetern.

Wir sind nur zwei Beispiele unter so vielen anderen, die wir hier nicht alle aufzählen können. Das Jahr 2010 dürfte neue Bewegung in unsere beiden „Fälle“ bringen. Diese stellen den totalen Krieg dar, den die Regierung gegen alles führt, das sich nicht seinen eiskalten und zivilisierten Idealen unterwirft.

Wir denken nicht das ihnen diese Siege sicher sind. Wir sind uns sicher, dass wir immer mehr sein werden, mit allen Hintergründen, entschlossen uns nicht auf die Köpfe treten zu lassen. Diese juristischen „Handlungen“ müssen auch für jeden die Möglichkeit bieten, in seinem Zeitalter Stellung zu beziehen. Unter diesen Umständen leise zu bleiben, gleicht dem Halten des Stils der Schauffel, die sich abquält, uns lebendig zu begraben.

 


 

Gedenken an Larami und Moushin, zwei Jahre nach ihrem Tod

Villiers-le-Bel, 25. November 2009

Wie eine Journalistin der AFP feststellte, versammelten sich am Mittwoch Nachmittag ungefähr 200 Menschen in Villiers-le-Bel (Val d'Oise), um zwei Jugendlichen zu gedenken, die am 25. November 2007 nach dem Zusammenstoß ihres Motorrades mit einem Polizeifahrzeug starben. Freunde, Nachbarn und Mitglieder des Vereins „Respect, Vérité, Justice“ (Respekt, Wahrheit, Gerechtigkeit) sind an der Rue Louise Michel, einer kleinen Straße inmitten der Vorstadthäuschen, wo sich der Unfall ereignete, versammelt, vor einer Gedenkstele an Moshin und Larami, mit einer roten Rose in der Hand. „Die Verletzung ist tief und wird nie verheilen“, bekundet der sozialdemokratische Bürgermeister Didier Vaillant vor der Menge. „Ein Prozess wäre besser gewesen“, hat er gesagt.

Im Oktober hat die im Fall des Zusammenpralls zuständige Untersuchungsrichterin das Verfahren eingestellt und somit die Polizisten vollständig entlastet. „Wir werden in Versailles vor das Berufungsgeicht gehen“, erinnert Monsieur Jean-Pierre Mignard, Anwalt der Familien der beiden Jugendlichen die Menge. „Es ist ein Kampf für unser Land, dass die Justiz die gleiche für alle ist“, fügte er hinzu. Der Anwalt fordert, dass „der unwillentliche Totschlag anerkannt wird, mit einer folgenden Aufteilung der Verantwortlichkeiten auf zivilrechtlicher Ebene“. Er argumentiert: „Die Polizei hätte Gas gegeben, ohne Blaulicht oder Martinshorn. Wenn gewünscht wird, dass es ein Gesetz in der Banlieue gibt, dann das Gesetz, das ganze Gesetz und nichts als das Gesetz“, sagte M. Mignard gegenüber der Presse. Die bewegten Eltern von Moshin, sagten nichts.

Es wurde eine Schweigminute eingelegt. Rund 50 Jugendliche sind daraufhin zum Berufungsgericht nach Versailles gegangen, um dort einen Blumenstrauß und mehrere weiße Rosen nieder zu legen, stellte die AFP fest. Mehrere unter ihnen trugen schwarze T-shirts mit der Aufschrift „Gestorben für nichts. Laramy und Moushin. 25.11.2007.“ Auch vor dem Berufungsgericht gab es eine Schweigeminute. „Es war wichtig, dass die Unterlagen in die Hände des Berufungsgerichts gelangen“. Unsere Nachricht ist: „Begrabt sie nicht zweimal“, so Saïd Oubiskarne, Sprecher des Vereins „Respect,Vérité, Justice", gegenbüber der Presse.

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