[Thiazi-Prozess] 10. Verhandlungstag

Thiazi-Pressegruppe

Der nunmehr 10. Verhandlungstag im «Thiazi-Prozess» wartete mit einen Einblick in den internen Mitarbeiter_innen-Bereich auf und hielt einen weiteren Beschuldigten – Mario Aldo Eberhardt (alias «Gilgamesch») – bereit, der in diesem Teilprozess jedoch als Zeuge vernommen wurde. Lediglich am „freien Meinungsaustausch“, den er in anderen Foren vermisst hätte, will der Leguan- und Motorradliebhaber interessiert gewesen sein, im Laufe seiner Aussage verstrickt er sich jedoch zunehmend in Widersprüchlichkeiten.

 

 Alles im Blick im Adiminstratorenkontrollzentrum


Der Verhandlungstag beginnt mit der Vernehmung eines Beamten des Bundeskriminalamtes. Eingeloggt als «WPMP3» präsentiert Kriminalkommissar (KK) Betzold die interne Forumsverwaltung, das Administratorenkontrollzentrum, das vom übrigen Mitarbeiter_innen-Bereich noch einmal getrennt ist. Er demonstriert zunächst einige verschiedene Funktionen des Tools. So können sich die Admins beispielsweise nach dem Aufrufen eines Benutzer_innen-Profils sämtliche vorgenommene Profiländerungen und auch die hinterlegte e-Mail-Adresse anzeigen lassen und Nutzergruppen (z.B. „Betreuer“, „Archivare“, „Fördermitglieder“), denen verschiedene Rechte zugewiesen werden können, einrichten. Im Statistikbereich können zudem unterschiedlichste Auswertungen vorgenommen werden; so ergibt die Suche nach dem meistgelesenen Thema z.B., dass der Thread „Holocaustbetrug des 20. Jahrhundert“ auf das größte Interesse im «Thiazi-Forum» gestoßen ist. Weitere Auswertungen zeigen, dass die durchschnittliche Anzahl der Nutzer_innen pro Tag bei 1162 gelegen hat, davon im Schnitt täglich 16 Neuregistrierungen, und im Mittel 786 neue Beiträge erstellt wurden. Den größten Teil des Forums nimmt der Musikbereich ein, etwa 21.000 Themen sind hier zu finden.


Für die Verhandlung spannender sind allerdings die Logdateien. In ihnen werden sämtliche Aktionen, die im Forum durchgeführt werden, aufgezeichnet. Für die Admins – und im Zuge der Ermittlungen nun auch für die Behörden – ist damit ersichtlich, wer wann was im Kontrollzentrum oder Mitarbeiter_innen-Bereich gemacht hat; so kann beispielsweise nachvollzogen werden, wer Beiträge eingestellt oder verändert hat. Für den Prozess ist dies aus dem Grund von Bedeutung, weil hierdurch ersichtlich ist, wer strafbare Inhalte eingestellt oder bearbeitet, zumindest aber nicht gelöscht hat.
Neben dem Administratorenkontrollzentrum gibt es zudem einen separaten Mitarbeiter_innen-Bereich, der über weitaus weniger Funktionen verfügt. Je nach ihren von den Admins eingeräumten Rechten konnten die Betreuer_innen in den ihn zugewiesenen Bereichen u.a. Themen schließen, Beiträge editieren und löschen oder über den Upload-Manager Dateien hochladen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde dieser beim Schließen des Forums von den Ermittlungsbehörden allerdings nicht gesichert.

Für technisch versierte Menschen sind die vorgestellten Funktionen sicherlich wenig spektakulär, unterscheiden sie sich doch kaum von anderer üblicher Forumssoftware. Überdies wirkt KK Betzold schlecht vorbereitet, die Ausführungen bleiben entsprechend bruchstückhaft. Interessant ist der Einblick in den internen, für Unbeteiligte nicht sichtbaren Bereich dennoch, für die Beweisführung der Anklage ist er darüber hinaus von erheblicher Bedeutung.

Im Anschluss an die Befragung führt der Richter noch eine Reihe von Urkunden (Schriftstücke, beispielsweise Liedtexte), insgesamt etwa vier Aktenordner, im Selbstleseverfahren ein. Dies ist üblich in umfangreichen Prozessen, bei denen das Verlesen der entsprechenden Schriftstücke viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

 

 Im Tal der angeblichen Ahnungslosigkeit: die Vernehmung von «Gilgamesch».


Nach der Mittagspause ist es so weit: Als erster Zeuge im Prozess, der ebenfalls am «Thiazi-Forum» mitgearbeitet hat, wird Mario Aldo Eberhardt vernommen. Bis zum Ende hat er als Betreuer an dem Neonazi-Projekt mitgewirkt, von den Hausdurchsuchungen im Juni 2012 war er ebenfalls betroffen. Höflich anklopfend und offenbar nervös betritt er um 14:00 Uhr den Gerichtssaal; im Gegensatz zu einem 2014 veröffentlichten Foto wirkt er mit seinen angegrauten Haaren deutlich gealtert. Er erscheint – im Gegensatz zu den Angeklagten – förmlich in Jackett, trägt sowohl Ehe- als auch Ohrring. 55 Jahre alt ist der Erfurter Diplom-Bauingenieur heute; seine Nebenwohnung in Leipzig musste er aufgeben, nachdem er durch das ebenfalls gegen ihn laufende Verfahren seinen Job verloren hat. Als Beschuldigter im Gesamtverfahren – insgesamt laufen noch acht weitere Verfahren gegen sechs Verantwortliche des Forums am Landgericht Rostock – könnte er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht beziehen. Sein Anwalt hätte ihm dies auch geraten, er selbst wolle sich die Fragen des Gerichts zunächst zumindest anhören und dann entscheiden, ob er antworte.

Auf die Frage des Richters, wie er zu «Thiazi» gekommen sei, führt Eberhardt aus, er hätte 2005 zum ersten Mal vom Forum gehört, vorher sei er eher bei allgemeineren Foren wie t-online unterwegs gewesen, damit aber unzufrieden gewesen, weil er immer wieder für „kritische Beiträge“ angegangen worden wäre. Er selbst würde auch zwei Foren betreiben, eins zu Motorrädern und eins zu grünen Reptilien – später spricht er, nicht ohne Stolz, vom größten Leguan-Forum Deutschlands. «Thiazi» hätte ihn begeistert, weil dort ohne Fingerzeig über Politik diskutieren und seine Meinung frei äußern konnte.

Richter: „Ja, aber was dachten Sie denn, in welchem Forum Sie sind? Das ist doch keine Talkrunde des NDR!“
Eberhardt: „Man konnte einfach über alles reden.“
Richter: „Und das kann man nirgendwo sonst?“
Eberhardt: „Nicht in der Form. Man wurde einfach nicht beleidigt.“


Auf das Unverständnis des Richters spezifiziert er seine Ausführungen: „Man konnte da über Sachen diskutieren, über die man sonst nicht reden konnte. In anderen Foren kam da immer gleich jemand mit der Keule. Wenn man z.B. die Kriminalität eines Ausländers besonders hervorgehoben hat, dann kamen gleich Leute, die meinten, das gäbe es bei anderen Menschen auch.“ Auf den Einwurf des Richters „Na, und was ist das? Ist das nicht freier Meinungsaustausch?“ entgegnet Eberhardt nur: „Das war bei «Thiazi» in meinen Augen objektiver.“ Redlich bemüht er sich, das Gericht davon zu überzeugen, dass es ihm lediglich darum ging, sich mit anderen Menschen über Politik und andere Themen zu unterhalten, überhaupt wäre er vor allem im Bereich „Stammtisch“ unterwegs gewesen, wo es um alle möglichen Themen ging. Dadurch, dass er die Woche über allein in Leipzig gewesen sei, hätte er einfach viel Zeit und nichts anderes zu tun gehabt, als im Forum zu schreiben. Bei «Thiazi» wäre zumeist über Tagesthemen gesprochen worden, an rechte Beiträge zu z.B. Zuwanderung könne er sich nicht erinnern. Ganz „tolerant“ sei es zugegangen. Das NSPF würde er natürlich kennen, aber das wäre für „nationalsozialistische Einstellungsmenschen“ gewesen, für die mit einer „extremen Gesinnung“, mit denen er nichts zu tun haben wolle.

 

Er sagt zunächst auch aus, dass er nicht wusste, was indizierte Musik sei, und auch nicht, dass der Download strafbar ist. Zwischendurch erzählt er es anders: Ja, er wusste schon, dass da strafrechtlich relevante Musik eingestellt war. Im Gerichtssaal scheint ihm ohnehin niemand seine angebliche Unwissenheit abzukaufen; immer wieder versucht der Richter, ihn zu einer Aussage zur Eigenart des Forums zu bewegen:

 

Richter: „Aber was dachten Sie denn, warum der Server in den USA steht?“
Eberhardt: „Na, weil nicht alles voll mit der Rechtssprechung übereinstimmt. Das war mir klar.“
Richter: „Wussten Sie denn von den Hakenkreuzen und Runen im Forum?“
Eberhardt: „Ja. - Ich wusste, wo ich dabei war. Aber ich habe mir keine Gedanken gemacht. Ich habe das ausgeblendet oder es hat mich nicht gestört.“


Alles ausblenden, von nichts wissen – das ist eine beliebte Ausrede im bisherigen Prozess, auch Wagner hatte bereits ähnlich argumentiert. Eberhardt spricht außerdem ebenso wie sie davon, dass er „einfach nicht habe loslassen können“. Heute habe er den Eindruck, dass das alles falsch gewesen sei. Der Richter kontert darauf süffisant: „Ja, jetzt sind viele schlau geworden, dass das falsch war, jetzt wo sie eine Anklage haben!“

 „Man wusste ja, dass ich älter und vernünftiger bin."

 

Auf seine Rolle als Betreuer angesprochen, erzählt Eberhardt, dass er recht früh von «WPMP3» in einem halbseitigen Anschreiben gefragt worden wäre, ob er nicht Lust habe, als Betreuer tätig zu werden. Teamfähig und tolerant müsse man sein, stand in dem Schreiben. Wie es um diese „Toleranz“ bestellt ist, zeigt ein Beitrag Eberhardts an Ruthenberg im Mitarbeiter_innen-Bereich: „Diese Schwuchtel sagt hier was gegen NPD und nationale Gedanken! Warum wird der nicht gleich für zehn Tage gesperrt?!“


Zur Struktur sagt er aus, er wisse nur von einem Admin – Ruthenberg: „Es gab einen Kopf und zwölf Erfüllungsgehilfen. Und die Technik, die hängt ja irgendwie natürlich mit dem Kopf zusammen, aber das heißt nicht, dass das so ein Geklüngel war, das war mehr so die technische Leitung im Hintergrund.“ Er selbst habe mit niemandem persönlichen Kontakt gehabt. An besondere Regeln könne er sich ebenfalls nicht erinnern, das seien allgemein übliche gewesen – kein Gespamme, keine „Idiotie“. Immer wieder versucht er, «Thiazi» als gewöhnliches und harmloses Forum darzustellen; er selbst sei u.a. erster und einziger Betreuer im P18-Bereich gewesen, in dem „von Sexstellungen bis nackten Brüsten“ alles dabei gewesen wäre. Er sollte für den Bereich zuständig sein, weil er älter und vernünftiger gewesen sei und sich auskenne, was in diesem Bereich verboten ist.
Schließlich sagt er noch aus, dass alle Betreuer_innen ziemlich freie Hand gehabt hätten, an eine Maßregelung könne er sich nicht erinnern. Dies steht im Widerspruch zu Aussagen anderer Beteiligter, wonach im Forum in Streitfällen nach dem „Chefprinzip“ Ruthenbergs entscheiden worden wäre. Trotz aller Ungereimtheiten in seiner Aussage scheint Eberhardt an dieser Stelle lediglich naiv zu sein, nicht jedoch gezielt zu lügen, zumindest wirkt er nicht wie jemand, der zu seinem Nachteil andere schützen würde.


An «Thiazi» gespendet hat Eberhardt auch, insgesamt etwa 400 Euro. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass das Betreiben eines Forums mit Kosten verbunden wäre, mit seinen Zuwendungen wäre es ihm darum gegangen, das Forum am Leben zu halten, um politische Aspekte sei es ihm dabei jedoch nicht gegangen.

Die Befragung Eberhardts endet, wie sie begonnen hat – mit Relativierungen, Beschönigungen und angeblicher Unwissenheit. Die Antworten Eberhardts auf die Nachfragen von Wagners Rechtsanwalt Melsheimer entbehren dann trotzdem nicht einer gewissen Komik.

 

Melsheimer: „Wie würden Sie «Thiazi» denn politisch einordnen? Links, rechts oder eben Mitte?“
Eberhardt: „Es ist ein politisches Forum am rechten Rand, teilweise radikal, aber es wurden alle Meinungen zugelassen.“
Melsheimer: „Und haben Sie eher eine rechtere Meinung?“
Eberhardt: „Ich bin neutral mittig mit starkem Hang zu Kritik. Aber nicht rechts.“
Melsheimer: „Sind ihre Beiträge dann nicht auch eher rechts?“
Eberhardt: „Nein.“
Melsheimer: „Hm. -- Sagt Ihnen die Antifa Freiburg was? Sind die dann eher rechts? Oder warum haben sie nicht dort diskutiert?“
Eberhardt: „Na ja, es gab schon Diskussionen.“


Die Befragung Eberhardts endet nach etwa 1 1/2 Stunden ohne bahnbrechende Neuigkeiten. Er wirkt froh, den Saal verlassen zu dürfen, aber auch das Gericht und weitere Beteiligte scheinen ob der angeblichen Ahnungslosigkeit und des geringen Gehalts der Zeugenaussage genervt zu sein. So endet der 10. Prozesstag mit dem Aushändigen einer Liste aller bei den Angeklagten beschlagnahmten Gegenstände und der Aufforderung sich darüber Gedanken zu machen, ob auf die Herausgabe freiwillig verzichtet wird.

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