Antira und Privilegien

Banksy: Olympic Games London

Ich habe am Mittwoch am Plenum des Refugee-Struggle-“Camps” vor der Semperoper in Dresden teilgenommen. Es ging um die Frage, ob wir* an diesem Ort bleiben wollen oder angesichts der angekündigten NPD-Kundgebung gegen das Camp aus Sicherheitsgründen zurück zum AZ Conni gehen sollten, wo die Geflüchteten nach dem erzwungenen Abbau der Infrastruktur untergebracht waren.

Ich bereue meine Teilnahme am Plenum auch nicht, wohl aber meine Teilnahme bei der Abstimmung.

 

Oft ist der Vorwurf zu hören, Linksradikale* instrumentalisierten Geflüchtete. Und ich finde im Nachhinein, in solchen Situationen besteht die Gefahr tatsächlich. Nicht nur, dass der Eindruck entsteht, sondern die Gefahr tatsächlicher Instrumentalisierung.

Oft genug reagiere ich auch auf die ewige Forderung nach dem “Privilegien checken” eher negativ. Aber hier habe ich die dringende Notwendigkeit desselben deutlich gespürt.

 

Das ist auch ein Problem mit der Außenwahrnehmung und ihren Auswirkungen. Wir Weiße* Linksradikale* können relativ leicht Scheiße bauen, ohne andere zu gefährden. Vielleicht werde ich von Nazis verprügelt, was durchaus auch tödlich sein kann, vielleicht macht die Staatliche Repression mein wirtschaftliches oder soziales Leben kaputt. Aber es geht nur um mein Leben. Wenn ein ganzer Verein dranhängt, ist das schon fraglich, wie unterstützenswert das noch ist. Weiße* Linksradikale* können, wenn sie sich auf das persönliche Risiko einlassen, in der Sache frei agieren. Wir können unsere (von außen wahrgenommene) Gruppenzugehörigkeit abgeben oder verstecken. Das ist nicht schön, aber möglich, wenn es zu gefährlich wird.

 

Geflüchtete und Schwarze* Menschen können das nicht. Solange die Gesellschaft* Menschen nach körperlichen Merkmalen kategorisiert, kann allein die Hautfarbe schon gefährlich werden. Und solange öffentlich und am Stammtisch nicht zwischen Einzelnen und ihrer Gruppe differenziert wird, erscheint es nachvollziehbar, wenn genau das, nämlich die Außenwirkung und ihr Feedback auf das Handeln der Menschen, wichtig für die Entscheidung Geflüchteter über ihre Aktionsform ist. Außerdem sind die Auswirkungen von rechtstaatlicher Repression auf Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatus deutlich gravierender als wenn mensch ein „deutsch“ im Pass stehen hat.

 

Meiner Meinung nach sollten Gruppenentscheidungen vermieden werden.

Aber dort wo sie nötig sind (zum Beispiel in der betrachteten Situation), sollte eine Gruppenentscheidung denen obliegen, die unmittelbar betroffen sind. Bei Geflüchtetenkämpfen sind das die Geflüchteten. Es ist gut und richtig, das (linksradikale*) Unterstützer_innen alle ihre Informationen und Einschätzungen zur Verfügung stellen. Es ist gut, dass Unterstützer_innen sich – individuell oder als (Bezugs-)Gruppe – darüber klar sind, welche Aktionsformen, welche Entscheidungen sie bevorzugen würden, welche sie mittragen können und welche nicht. Und die Refugees dürfen das auch vor der Entscheidung erfahren. Die endgültige Entscheidung über die Richtung ihrer Kämpfe sollte (oder sogar: muss) bei den Geflüchteten liegen und wovon sie sich wie stark beeinflussen lassen, dürfen sie selbst entscheiden.

 

Und Linksradikale* dürfen, sollen, müssen sich davon verabschieden, das Solidarität vorbehaltlos sein muss. Solidarität kann auch so aussehen: Gedankenspiel: Wäre ich zur Zeit des Deutschen Herbstes Anwalt gewesen und hätte mich ein RAF-Mitglied als Verteidiger angefragt. Was hätte ich geantwortet? Im Moment vermute ich etwas wie:

„Hey, ich find es eine Scheißidee, Leute umzubringen. Eure Aktion in Weiterstadt war hübsch, den Rest mag ich auch nicht. Aber ich find es genauso blöd, dich dafür einzusperren. Ich bin kein Freund des autoritären Marxismus, aber ebensowenig ein Freund des Staates. Steh zu allem, zu dem du stehen willst, und wenn du akzeptierst, dass ich auch öffentlich als dein Anwalt zu dieser meiner Meinung stehe, dann verteidige ich dich. Das ist mein einziges Wenn und Aber.“ Sowas. Und so darf Solidarität auch aussehen.

Ich darf auch sagen: Ich mag nicht jede Forderung der Geflüchteten, und ich sehe den Rechtsstaat und die Demokratie lange nicht so positiv wie viele von ihnen, und ich kann manche ihrer Aktionsformen nicht nachvollziehen oder schätze sie als nicht zielführend ein. Dennoch glaube ich fest daran, dass der Kampf der Geflüchteten gegen ihre Marginalisierung unterstützenswert ist und werde, wenn es Sinn hat, auch Aktionen unterstützen, die ich nicht so unglaublich mag. Sexismus und ähnliche Probleme darf, will, sollte ich ansprechen und intervenieren, aber solange eine Aktion nicht im Kern antiemanzipatorisch ist, bin ich bereit sie mitzutragen. Und manchmal darf ich auch mit zweierlei Maß messen, wenn ich den Doppelstandard als solchen reflektiere und er geeignet ist, bestimmte Hierarchien zu reduzieren.

(Ein durchaus üblicher Doppelstandard sind reine Frauen*-Seminare. Manchmal vielleicht nötig (kann ich als Mann nicht beurteilen), aber immernoch ein Doppelstandard)

 

*Konstruierte Gruppen, Zusammengehörigkeiten, die nur in der Außenwahrnehmung existieren usw.

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Mh. Ich finde den letzten Absatz ganz gut, auch wenn ich selber meine Solidrität noch etwas gezielter "verteile", da meine Zeit begrenzt ist und ich sie daher lieber in Sachen stecke hinter denen ich voll stehe... aber ich sehe nicht ganz den Zusammenhang zu Dresden. Da hatte ich eher das Gefühl, dass Leute mit Papieren ein bisschen versuchten Leuten ohne Papieren ihren Willen bzw. ihre Art zu kämpfen aufzudrücken, während sie gleichzeitig versucht haben linksradikale Menschen auszuschließen...

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Er hat seine Gedanken aufgeschrieben weil er sich wegen der Abstimmung schlecht gefühlt hat.

Ich glaube auch was du meinst war letzte Woche...

ich sehe den Rechtsstaat und die Demokratie lange nicht so positiv wie viele von ihnen

aber es ist ein verdammt wichtiger Rahmen, wofür es bisher nichts besseres gibt. Erst wenn dies einigermaßen erreicht ist, kann weiteres erkämpft werden. Besseres ohne die zu erkämpfen, hat bisher nicht funktioniert. Und viele Geflüchtete wissen das, weil sie dort, woher sie geflüchtet sind, solche Dinge versucht haben, mühevoll zu erkämpfen. Und es ist eine Schande, wenn die westlichen Linken, die das relativ selbstverständlich genießen können, den Kämpfen anderswo keine Solidarität entgegen zu bringen bereit sind, weil es "nur" um Demokratie und Rechtsstaat geht.

Ich finde die Aussage, dass viele Refugees den Rechtsstaat und die Demokratie so sehr positiv sähen eigentlich schon falsch. Ich hatte eher den Eindruck, dass diese Dinge häufig wenig reflektiert werden. Mir ist es in Gesprächen schon einige Male passiert, dass mir Refugees sagten in Europa und speziell in D liefe es besser, weil die Menschen hier halt anders sind. Das war dann leider auch tatsächlich rassifizierend gemeint. Ansonsten gebe ich dir recht, dass "Demokratie und Rechtsstaat" dem Chaos vorzuziehen sind.

Was ich oft als großes Problem empfinde ist allerdings eher die Einstellung zum Kapitalismus (und auf der anderen Seite auch zu Solidarität). Allerding kann man auch nicht erwarten, dass geflohene Menschen da andere Einstellungen hätten als Menschen, die dies nicht durchmachen mußten.