Mega-Wohnheim für Asylbewerber steht in Leipzig vor dem Durchbruch

Erstveröffentlicht: 
18.02.2015

Leipzig. Für die umstrittene Sanierung und Erweiterung des Asylbewerberheimes in der Torgauer Straße 290 zeichnet sich nun doch eine Mehrheit im Stadtrat ab. Auch der Flüchtlingsrat hält die geplante Investition von 5,7 Millionen Euro in den Standort für sinnvoll. Aufgrund weiter steigender Flüchtlingszahlen soll das Mega-Wohnheim in Paunsdorf von 390 auf 500 Plätze aufgestockt werden. Nächsten Mittwoch steht das Vorhaben im Rat zur Abstimmung. Hinter den Kulissen versucht die Verwaltung, die Kritiker mit einem Konsensangebot zu ködern.

 

"Bevor wir Zelte und Container aufstellen, sollten wir den Standort in einen Zustand versetzen, dass er nicht mehr zu den schlechtesten Flüchtlingsunterkünften Sachsens gehört und eine menschenwürdige Unterbringung ermöglicht", so SPD-Stadtrat Christopher Zenker. Wer den Vorschlag ablehne, zementiere den derzeitigen Zustand. Allerdings fordert die SPD die Entfernung des Stacheldrahtzaunes um das Gelände sowie zusätzliche 40000 Euro für die Gestaltung von Freiflächen und die Anschaffung von Spiel- und Sportgeräten.

Die Grünen lehnen es ab, das Objekt dauerhaft zu nutzen. "Flüchtlingsunterkünfte müssen grundsätzlich in Wohngebieten liegen, mit Anschluss an die Infrastruktur vor Ort und nicht in Gewerbegebieten", so Petra Cagalj Sejdi. Spätestens in drei Jahren sollte ein Neubau in besserer Lage die Torgauer Straße ersetzen.

Nach LVZ-Informationen prüft die Verwaltung bereits den Bau von drei Häusern auf einem Areal der Stadtwerke an der Arno-Nitzsche-Straße, die einmal das Mega-Wohnheim in Paunsdorf ersetzen könnten. So sollen Gegner des Ausbauprojektes umgestimmt werden.

Die Grünen fahren in der Asylfrage einen klaren Kurs. "Wir halten am Konzept der dezentralen und kleinteiligen Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen fest", betont Cagalj Sejdi.

Gegen dezentrale Wohnungen hat auch Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat nichts. Dennoch seien Investitionen in der Torgauer Straße sinnvoll. "Anstatt wie bisher immer auf einen Notstand zu reagieren, will die Stadt vorausschauend Platz für Flüchtlinge schaffen", sagt sie. Es sei absehbar, dass Konflikte in Kriegsgebieten nicht weniger werden. Nicht alle Betroffenen könnten sofort in Wohnungen untergebracht werden, bräuchten Betreuung und Hilfe. Brogiato: "So können wir vermeiden, dass sich Parallelgesellschaften bilden." Sobald in der Torgauer Straße die Mauer weg ist und die Häuser saniert sind, gebe es dort dieselben Verhältnisse "wie in jedem normalen Wohnblock in Grünau".

Die CDU kündigte an, der Modernisierung und Erweiterung des Komplexes zuzustimmen. Fraktionschef Ansbert Maciejewski: "So wie es jetzt ist, können wir das nicht lassen." Er geht davon aus, dass das große Flüchtlingsheim noch zehn Jahre weiter betrieben wird. Letztes Jahr kamen 1232 Asylbewerber nach Leipzig, drei Jahre zuvor waren es gerade 285.

Auf den Vorwurf von Linken, Grünen und Flüchtlingsinitiativen, wonach die Massenunterbringung die Menschenwürde verletze, erwiderte Maciejewski: "Nach dieser Lesart wäre jedes Studentenwohnheim eine Massenunterkunft und damit unmenschlich."

Die Linke wird nicht einheitlich stimmen. Fünf ihrer Räte lehnen eine Aufstockung der Kapazitäten ab. In einem Änderungsantrag fordern sie jedoch, die Wohnbedingungen bis zur endgültigen Schließung des Standortes zu verbessern.

Unterdessen hat Linken-Stadtrat Siegfried Schlegel scharfe Kritik am Initiativkreis "Menschen.Würdig" geübt. Dieser hatte einen Brief von vier syrischen Flüchtlingen veröffentlicht (die LVZ berichtete). Darin bemängeln die Männer die Wohnbedingungen in der Torgauer Straße und fordern: "Wir wollen aus diesem Gefängnis raus." Schlegel warf der Organisation vor, für "ihre durchsichtige Kampagne" die Asylbewerber zu instrumentalisieren.

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Die Unterkunft Torgauer Straße


In der Gemeinschaftsunterkunft Torgauer Straße, die aus zwei Wohnblöcken und einem Mehrzweckgebäude besteht, stehen derzeit 390 Plätze zur Verfügung. Alle Häuser sind in einem teilweise maroden Zustand mit gravierenden Mängeln - vor allem bei Brandschutz, Sicherheit und Hygiene. Sie wurden Anfang der 1970er-Jahre errichtet. Nach der Sanierung (Kosten: 5,78 Millionen Euro) soll die Unterbringung von bis zu 500 Personen möglich sein. Möglich ist der Ausbau aber nur im unbewohnten Zustand, daher erfolgt er etappenweise. Derzeit leben in den Eingängen 4-6 des Hauses I keine Menschen. Geplant sind auch Räume für Sport, Spiel, Schulungen sowie Kinderzimmer.
Etwa 2500 Flüchtlinge und Asylsuchende leben zurzeit in Leipzig (Stand Anfang Februar 2015). 1232 kamen 2014 neu an. Leipzig bringt sie sowohl in Gemeinschaftsunterkünften als auch in Häusern für gemeinschaftliches Wohnen unter. Daneben leben derzeit 56 Prozent der Leipzig zugewiesenen Flüchtlinge in eigenem Wohnraum. M. O.


 

 

Kommentar Von Klaus Staeubert 

 

Wer A sagt, muss auch B sagen


Die Kritik am Ausbau des Mega-Flüchtlingsheimes in Paunsdorf hat einen Grund. Erst 2012 beschloss der Stadtrat neue Standorte für kleinere Gemeinschaftsunterkünfte mit zusammen 554 Plätzen - als Ersatz für die Torgauer Straße. Davon will man im Rathaus heute nichts mehr wissen. Ein Fehler, denn vom Grundsatz war die Strategie richtig. Mittlerweile sind sogar 300 dezentrale Plätze mehr verfügbar. Und doch reichen die nicht. Weil der Flüchtlingsstrom sich vervielfachte, Kriege sich nicht planen lassen, braucht es rasche Lösungen - jetzt! Wer die sechs Millionen für das Heim in Paunsdorf ablehnt und nicht als Träumer dastehen will, muss sagen, woher er kurzfristig die 40 Millionen nimmt, die 500 Plätze in kleinen Häusern kosten würden.
k.staeubert@lvz.de