Zusammenfassung: Heuchlereien rund um Charlie

Charlie Hebdo ist eine im linken bis linksradikalen Spektrum angesiedelte satirische Zeitung, die unsere Solidarität verdient hat. Nous sommes Charlie, das sollten wir Linke sein, angstfrei antiklerikal und antirassistisch und voller Spott für jede Art von Obrigkeit!

 

Heuchler, die "Je suis Charlie" schreien, aber nicht Charlie sind, grob nach Scheinheiligkeit absteigend und sicherlich unvollständig:

1. Saudi-Arabien: Beginnt zwei Tage nach den Charlie Hebdo Morden mit dem langsamen qualvollen Ermordung des Bloggers Raif Badawi mit 1000 Peitschenhieben über 20 Wochen verteilt. Verbrechen "Antiislamismus". SA schickt danach seinen Botschafter zum "Je suis Charlie" Trauermasch.

2. Sämtliche Regierungschefs, die sich in trauter Eintracht mit diesem saudischen Botschafter ablichten lassen statt Saudi Arabien auf die Liste der Terror-Staaten zu setzen und stattdessen Saudi Arabien als "Verbündeten gegen den Terror" weiter mit Waffen beliefern.

3. Regierungen die eine nationale Einheit unter "Je suis Charlie" postulieren aber fröhlich Klassenkampf von oben betreiben. Regierungen, die angebliche westliche Werte hochhalten, sich aber nur um Börsenwerte kümmern. Regierungen, die die Morde missbrauchen werden um Bürgerrechte noch weiter auszuhöhlen.

3. Pegida, die nicht verstehen wollen, dass Charlie den Islam als Religion verspottet und nicht als irgendwie "kulturfremdes" Anderes.

4. Die CSU, die Tage nach dem fürchterlichen Anschlag die Strafen für Blasphemie verschärfen will.

5. Regierungen, die Blasphemie unter Strafe stellen, aber Charlie plötzlich ganz schützenswert finden

7. Zeitungen, die plötzlich Charlie sind, sich aber nie trauen würden ein Mohammed Cartoon abzudrucken

 

Heuchler, die nicht "Je suis Charlie" schreien:

- Linke, die eine menschenverachtende Religion nicht oder nur übervorsichtig kritisieren weil sie fürchten den Falschen in die Hände zu spielen

- Linke, die nicht merken, dass sie im Chor mit ihrer Regierung singen, die Anschläge hätten nichts mit dem wahren Islam zu tun, da die Regierungen Rücksicht auf ihren monarchistischen und klerikalfaschistischen Verbündeten mit den reichlichen Öl- und Kapitalvorräten am Golf nehmen.

- Linke, die hier die armen Unterdrückten aus den ehemaligen Kolonien am Werk sehen, die in ihrem Freiheitskampf leider auf die schiefe Bahn geraten sind. Linke, die nicht sehen, dass der Islamofaschismus direkt von den superreichen Golfmonarchien finanziert wird. Linke, die nicht verstehen, dass die meisten Menschen in den Nahoststaaten von ihren eigenen Monarchen und Diktatoren unterdrückt werden und erst in zweiter Linie von den ehemaligen Kolonialstaaten und der NATO.

-Ja, aber-Sager. Ja schlimm, aber Charlie hat ja Marginalisierte diffamiert. Falsch Charlie hat eine fiktive Figur verspottet und jeder hat die Freiheit sich mit dieser Person zu identifizieren oder nicht. Sollte diese fiktive Person aber allmächtig sein sollte sie sich sich selbst rächen können. Ja schlimm, aber Israel unterdrücke die Palästinenser. Naja, die "Palästinenser" werden zunächst mal von ihren Führern unterdrückt und deswegen Unschuldige in einem Lebensmittelmarkt tausende Kilometer entfernt ermorden? Nein das ist purer Antisemitismus.

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Das ist doch mal eine sehr gute Zusammenfassung.

 

Man könnte noch ergänzen:

 

8. alle, die 2011 beim Brandanschlag auf die Redaktion der Meinung waren, das geschähe doch Leuten nur recht, die sich mit gewalttätigen Fanatikern spezieller Couleur anlegen und damit die soziale Friedhofsruhe stören und die das insgeheim noch immer finden.

"Charlie Hebdo ist eine im linken bis linksradikalen Spektrum angesiedelte satirische Zeitung"

 

Das ist leider falsch. Charlie ist linksliberal, etwa vergleichbar mit der Titanic. Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen oder an den Akteuren gab es da wenig bis garnicht. Ich bin der Meinung, das man als "Linker" natürlich diese Anschläge verurteilen sollte, allerdings sehe ich eine Solidarität a la "je suis Charlie" sehr kritisch, vor allem im gegenwärtigen Kontext, wo die Solidarität zu 99% von den Falschen proklamiert wird (siehe im obigen Text Punkte 1-7) und man in der Außenwarnehmung schnell unter diese Gruppe subsumiert wird.

Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen oder an den Akteuren gab es da wenig bis garnicht. Ich bin der Meinung, das man als "Linker" natürlich diese Anschläge verurteilen sollte, allerdings...

 

Immer wieder die gleichen gegenstandslosen Behauptungen von Leuten, die das Blatt nie in den Händen hatten. Und das nur, um dann das allfällige "Terror ist ja schon schlimm, aber..." oder hier mal ganz originell "allerdings" nachzuschieben. Ätzend.

hattest bestimmt ein Jahresabo, oder?

hatte?


Ich will hoffen, dass es trotz des unersetzlichen Verlusts von Charb, Cabu, Tignous, Honoré, Wolinski und Maris weitergehen wird.

Charlie Hebdo ist nicht links und tickt völlig anders als die Titanic.

 

Klar gilt es Charlie Hebdo gegen rechte Angriffe zu verteidigen, seien Angriffe durch Djihadisten oder von Horst Seehofer und der CSU die härtere Gesetze / Strafen gegen Charlie Hebdo führt. Ob es jetzt sinnvoll ist, Mohammedkarrikaturen abzudrucken oder nicht, ist eine schwierige Frage, aber wie der Zentralrat der Muslime sagt: Es muss erlaubt sein.

(http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2012%2F09%2F21%2Fa0073)

 

Aber Charlie Hebdo ist nicht links, sondern höchstens diffus liberal. Charlie Hebdo ist beliebig, kaum ein politisches Projekt alles ist erlaubt. Titel wie "Hände weg von unserem Kindergeld!" (mit schwangeren 'Kopftuchmädchen') oder "Die Franzosen, genauso saudumm wie die Neger." sind rassistisch und führen zu gewalttätigen Übergriffen auf Muslime.

(http://marx21.de/sind-wir-wirklich-alle-charlie-hebdo/)

 

Seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo, der ja auch ein absichtlicher Mordanschlag auf JüdInnen war, gab es bis zum derzeitigen Zeitpunkt 21 Angriffe auf Moscheen in Frankreich, teilweise mit scharfer Munition. (Nein Rassismus und Antisemitismus sind grundverschieden, aber beides führt zu politischen Tötungen!).

 

Die Titanic ist übrigens komplett anders als Charlie Hebdo und entstammt dem linkem/linksradikalem Frankfurter Milieu mit Bezug auf kritische Theorie und Frankfurter Schule, hat einen klaren gemeinsamen Hintergrund. Deswegen druckt die Titanic so Sachen wie Charlie Hebdo nicht ab. Die Titanic hat eine deutlich politischere Definition von Satire und will gegen Machtstrukturen ankämpfen und sich nicht wie Charlie Hebdo oder Comedykram über die Schwachen lustig machen. Eine Stellungnahme zum Anschlag vom Titanicchefredakteur gibt es hier:

https://www.facebook.com/video.php?v=920746337956809 (Sorry finde es nicht auf Facebook!)

Titel wie "Hände weg von unserem Kindergeld!" (mit schwangeren 'Kopftuchmädchen') oder "Die Franzosen, genauso saudumm wie die Neger." sind rassistisch und führen zu gewalttätigen Übergriffen auf Muslime.

 

Versuch doch mal, diesen aus der Luft gegriffenen Zusammenhang Charlie Hebdo Titel -> Übergriffe auf Muslime irgendwie zu belegen. Fakt ist doch erst mal nur: Verunglimpfung von Charlie Hebdo führt zu Morden an Redakteuren. Müsste dann ja für einige hier eigentlich ein guter Grund sein, den Ball mal schön flach zu halten.

Auf dieser Seite: werden die angeblich rassistischen Cartoons in Kontext gesetzt:

http://www.understandingcharliehebdo.com/

Ich fürchte aber, der Wink mit dem Zaunpfahl hilft hier auch nicht mehr. Wenn da schon einer einen Reiser-Titel aus den frühen Achtzigern hervorkramen muss, um seine vorgefasste Meinung zu bestätigen...

Gehts nun um die richtige Linie? Ob Charlei Hebdo linksliberal, radikal, autonom oder sonstwas war? Sie war jedenfalls als Satirezeitung unabhängig genug, um sich nicht irgendeiner Linie verpflichtet zu fühlen, auch nicht den linken Modedogmen. Genausowenig wie man Titanic oder Eule als Autonomeblätter bezeichnen würde. Unabhängig und jeden auf die Füße treten, auch den Linken. Wer damit Probleme hat und meint, erst Bekenntnis zu den Szenddogmen, dann Solidarität? Wer so denkt, 4 Wochen Demoverbot und nachsitzen.

Linksliberal?! Die Zeitung hatte sogar anarchistische Tendenzen und ihre Macher_innen kommen z.T. aus dem anarchistischen und kommunmistischen Millieu!

Die Mehrheit der Linken schreit nicht Charlie, aber sind sie deswegen auch Heuchler? Das versucht zumindest der obige Beitrag zu konstruieren. Die Punkte 1-7 lassen sich nicht wegdebattieren, aber der zweite Teil ist Unfug, genauso wie die Feststellung zu Beginn, dass es sich bei Charlie um eine "linksradikale" Publikation handele. Würde Charlie tatsächlich linksradikale Inhalte propagieren, gäbe es eine große Welle der linken Solidarität und die Bourgeoise würde schweigen bzw. sagen "was müsst ihr auch immer so provozieren". Nun hat aber mit Charlie die Bourgeoise gerade für ihre Propaganda und den systemischen Zusammenhalt das notwendige Anschlagsobjekt serviert bekommen, die Botschaft lautet: seht her (vor allem ihr Linksliberalen!). Wenn ihr euch nicht endlich für unsere Seite entscheidet, ist es mit euren Freiheiten vorbei. Das ist reaktionäres Krisenmanagement vom allerfeinsten!

Weiter formuliert der Artikel eine Gleichsetzung zwischen Islam, Islamismus und "Islamofaschismus", indem er das Charlie-Attentat ganz einfach als eine Konsequenz des Islam deutet. Der Einfluss der kapitalistischen Globalisierung auf solche Attentate wird hingegen negiert, wenn die "armen Unterdrückten aus den ehemaligen Kolonien" genauso wenig "am Werk" sein sollen, wie "die monarchistischen und klerikalfaschistischen Verbündeten mit den reichlichen Öl- und Kapitalvorräten" Akteure im Kapitalismus zu sein scheinen. Wer also soetwas vermutet, sei ein Heuchler, so lautet die Essenz des Artikels.

Würde Charlie tatsächlich linksradikale Inhalte propagieren, gäbe es eine große Welle der linken Solidarität

 

Zwei Volkswirte sehen einen 100 Euro-Schein auf der Straße. Sagt der eine zum anderen: "Brauchst dich nicht zu bücken, wenn der echt wäre, hätte ihn schon längst jemand aufgehoben".

 

Spaß beiseite: natürlich gibt es die große Welle linker Solidarität. Da nämlich, wo das Blatt gelesen und geschätzt wird.

ist die taz in deinen augen sicher auch linksradikal?

Etwas erschreckend diese Kommentarspalte - wieso wird hier so viel - z.T. wildester Unfung -  behauptet und so wenig recherchiert? Warum fragt ihr nicht erstmal die Genoss_innen in euren französischen Schwesterorganisationen, bevor ihr hier wilde behauptungen aufstellt? Ach, ihr seid gar nicht organisiert? Na dann, schon klar...

 

Ok, also die französischen anarchistischen und linkskommunistischen Genoss_innen, die ich über die Jahre kennengelernt habe, haben mir in etwas folgendes Bild vermittelt: Die Ursprünge der Zeitschrift wurden von allen, mit denen ich darüber sprach, ganz klar im Geist des Mai '68 verortet, sie war autoritätskritisch und das radikal - nicht für die bessere Autorität, Nation, Organisation, Religion, "Rasse" etc. sondern klar gegen jede Autorität, die sie schonungslos aufs Korn nahm - und das ohne jede Rücksicht auf den guten Geschmack, ob nun in Form bürgerlicher Etikette oder linker Political Correctness. Deshalb schoss Charlie Hebdo auch gleichermaßen scharf auf linke wie rechte Personen, Institutionen und Bewegungen, wenn auch der Schwerpunkt stets etwas mehr auf der Kritik an rechts lag (vermutlich, weil das antiautoritäre dort ja auf keinen Fall zu finden ist). Für den französischen Staat ging die Autoritätskritik Charlie Hebdos mehrfach zu weit, so dass die Zeitschrift und ihre Vorgängerpublikation wiederholt verboten wurden. Die meisten Genoss_innen, mit denen ich darüber gesprochen habe, waren der Ansicht, dass der libertäre Geist und die Autoritätskritik grundsätzlich bis heute kennzeichnend für die Zeitschrift sei. So finden sich auch nach wie vor regelmäßig Karikaturen die Charlie Hebdo entstammen in linksradikalen Flugblättern und Zeitschriften. Allerdings waren auch die meisten Genoss_innen der Ansicht, dass die Radikalität von Charlie Hebdo in den letzten Jahren unter dem letzten Chefredakteur nachgelassen habe und statt der ätzenden Kritik jeglicher Autoritäten zunehmend die Religionskritik in den Vordergrund gerückt sei.

 

Offenbar versteht das antiautoritäre, anarchistische und linkskommunistische Spektrum Charlie Hebdo durchaus als Teil der eigenen Ideenströmung, was sich auch daran zeigt, dass jetzt nach dem Anschlag viele der spontanen lokalen Demonstrationen von anarchistischen und kommunistischen Gruppen (mit)organisiert wurden. Ob die Zeitschrift deshalb nun als linksradikal oder doch nur als links und radikal einzustufen ist, bleibt wohl jeder und jedem einzelnen überlassen.

danke für deinen erfrischenden Kommentar,der sich wohltuend abhebt von den übrigen

!

so habe ich es ebenfalls von einer freunding aus paris gehört, danke für den kommentar, achja organisiert bin ich och nich!

Keine Ahnung was du für Genossinnen in France hast, meine Freunde erzählen mir was anderes, nämlich das sich die linksradikale & anarchistische Szene durchweg distanziert von dem Trauerspektakel und auch mit Charlie nicht viel anfangen kann. Gleiches kannst du auch auf französischen Indymedia- und ähnlichen Seiten nachlesen:

https://nantes.indymedia.org/articles/30875

https://nantes.indymedia.org/articles/30879

https://paris-luttes.info/suite-a-l-attentat-a-charlie-hebdo-2412

http://rebellyon.info/Ebauche-manchette-charlie-Hebdo.html

...usw...

 

Aber letztendlich spielt es auch für die Diksussion gar keine besondere Rolle, ob Charlie nun linksradikal war oder nicht. Wären sie linksradikal, gäbe es eine linksradikale Solidarität und mit Sicherheit keine bürgerliche, nicht mehr und nicht weniger.

Bei den ganzen Diskussionen hier auf Indymedia geht es vielmehr um die wichtige Frage der plötzlichen Massen-Solidarität. Jedem der gestern und heute die Nachrichten gesehen hat und der noch bei halbwegs klarem Verstand ist, dem muss das künstlich inszenierte und nationalistische Trauerspektakel sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ("wir sind alle Charlie, wir sind Deutschland!") extrem negativ aufgefallen sein. Hier ist eine Armada von Heuchlern am Start und es geht ganz klar um den Transport einer Ideologie, nämlich der Idee von einer gesamtgesellschaftlichen Identität in Europa bzw. in der westlichen (kapitalistischen) Welt. Das diese Freiheit auf ungleichem Tausch basiert, Ausbeutung des Menschen durch andere Menschen, zehntausende Tote jährlich... kein Wort davon! Als Linker bzw. emanzipatorischer Mensch kann man das in aller logischen Konsequenz nur Scheiße finden und weil man auch sonst keinen Bezug zu Charlie hat, bleibt linke Solidarität halt aus. Aber eben nicht aus dem Grunde einer wie in obigem Artikel behaupteten "Linken Heuchelei".

Wenn einer sagt:

 

meine Freunde meinen, es gibt durchaus anarchistische und kommunistische Gruppen, die Charlie als Teil ihrer Kultur betrachten und die sich an Solidaritätsaktionen beteiligen

 

und der andere sagt:

 

"meine Freunde erzählen mir was anderes, nämlich das sich die linksradikale & anarchistische Szene durchweg distanziert von dem Trauerspektakel und auch mit Charlie nicht viel anfangen kann"

 

dann muss einer von beiden Unrecht haben. Und wenn wir voraussetzen, dass alle immer nur einen begrenzten Wahrnehmungshorizont haben, dann ratet mal, wer das wohl am ehesten sein mag?

es spielt für die Diskussion hier ohnehin keine Rolle ob Charlie links war.

 

Du kannst ja mal deine Meinung zum eigentlichen Thema formulieren...

hast du dir auch so viel Mühe gegeben, das Gegenteil zu belegen, gelle? Blöd nur, dass es nicht funktioniert hat. Muss man dann halt wieder ablenken.

ich hab ein paar französische Links aus der linken Szene gepostet und damit ist zumindest folgende Behauptung widerlegt: 

"Offenbar versteht das antiautoritäre, anarchistische und linkskommunistische Spektrum Charlie Hebdo durchaus als Teil der eigenen Ideenströmung"

...denn ganz offenbar, wie in den Links nachzulesen, wird Charlie eben nicht als Ideenströmung verstanden und ja, ich glaube die Geschichte mit den Szene-Freunden aus Frankreich hast du dir einfach mal schnell ausgedacht. Interessant wäre also zu erfahren, warum du dir soviel Mühe machst, die Indymedialeser das in Deutschland glauben zu lassen, Charlie sei links?

Auch in den von Dir geposteten Links sind Verweise auf Nachrufe und Stellungnahmen enthalten, die meine Darstellung, welche Du meinst, widerlegt zu haben, bestätigen. Allerdings müsste es korrekt heißen, dass ein großer Teil des organisierten linksradikalen und anarchistischen Spektrums es so sieht, denn es gibt Ausnahmen, die sich aufgrund der letzten Jahre vollständig von Charlie Hebdo distanziert hatten. Ich habe allerdings wirklich noch niemanden in Frankreich getroffen, die_der bestreiten würde, dass Charlie Hebdo ursprünglich aus der antiautoritären, libertären Tradition der '68er-Revolte kommt. Ein guter Beitrag, der von einem der Artikel, die Du aufgeführt hast, verlinkt wird, behandelt die gemeinsame politische Geschichte von Charlie Hebdo und der linksradikalen, libertären Bewegung und erwähnt kurz die Spannungen und Kritikpunkte der letzten Jahre: http://rebellyon.info/Notre-rapport-avec-Charlie-Hebdo.html (leider nur auf französisch).

meine Freunde erzählen mir was anderes, nämlich das sich die linksradikale & anarchistische Szene durchweg distanziert von dem Trauerspektakel und auch mit Charlie nicht viel anfangen kann.

Es ist spät und ich hab keine Lust, die Seiten wieder hervorzuholen, auf denen ich Trauerbekundungen linksradikaler Gruppen gelesen habe. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn auf den Seiten, die Du verlinkt hast, werden einige doch bereits aufgeführt und wiederum verlinkt - darunter Alternative Libertaire, Federation Anarchiste, CNT...

Etwas stimmt also offensichtlich etwas nicht mit Deiner Behauptung -

Wären sie [Charlie Hebdo] linksradikal, gäbe es eine linksradikale Solidarität und mit Sicherheit keine bürgerliche, nicht mehr und nicht weniger.

 

Stellt sich also die Frage, wie es kommt, dass das, wovon Du sagst, es könne nicht sein, eben doch stattgefunden hat: Es gab eine linksradikale Solidarität und ebenso eine bürgerliche "Solidarität". Die Gründe für die linke Solidarität habe ich in meinem ersten Kommentar bereits benannt. [1] Warum also die bürgerliche "Solidarität" für ein Blatt, das den Eliten und Autoritäten ständig an den Karren gepisst hat? Eigentlich liegt es doch auf der Hand: Die bürgerlichen Eliten und insb. die politische Klasse haben das missliebige Blatt, dessen beißende Kritik sie ansonsten bestenfalls mit Mißachtung gestraft hatten, zuweilen auch mit Verboten und Repression überzogen, plötzlich zum Ausdruck "ihrer" Gedanken- und Meinungsfreiheit erklärt, es vereinnahmt, um - da stimme ich mit Dir wieder überein - eine (inter-)nationale Einheitsfront der "guten Demokraten" im Kampf gegen "böse Extremisten" auszurufen. Eine klassische Vereinnahmungstaktik also, die manche der oben genannten Organisationen bereits in ihren ersten Trauer- und Solidaritätsbekundungen mit Charlie Hebdo vorausgesehen haben und die es - da sind sich dann wieder alle linksradikalen Kräfte auch in Frankreich einig - zu demaskieren und klar zu verurteilen gilt. Die Distanzierung der meisten Gruppen bezieht sich nicht auf spontante Trauerbekundungen und Mahnwachen der ersten Zeit, sondern auf die manipulative Massenmobilisierung von offizieller Stelle.

Die Welt ist eben manchmal kompliziert...

 

[1] Ich hätte vielleicht gleich explizit machen sollen, dass es vor allem im queeren, akademischen sowie im insurrektionellen linksradikalen Spektrum auch Stimmen gab, die jegliche Trauer und Solidarität mit Charlie Hebdo von vorne herein von sich gewiesen haben, statt nur die bröckelnde Identifikation der radikalen Linken mit dem Blatt während der letzten Jahre anzudeuten. Da die Mehrzahl der Gruppen eine partielle Kritik an Charlie Hebdo teilt, nicht aber die grundsätzliche Distanzierung einiger kleineren Zahl von Gruppen, hielt ich das nicht für nötig, es hätte aber zur Klarheit beigetragen.

Ich habe nie gesagt Linke Solidarität mit Charlie "könne nicht sein", sondern ich habe einfach, das widergegeben, was (1.) mir erzählt wurde und (2.) was ich im Internet finde. Wenn du was anderes findest kannst du es gerne posten und ich les mir das durch. Mir ist es aber auch relativ egal, wie ich schon sagte, ob Charlie links ist und ob sich in der französischen Szene solidarisiert wird, denn das ist für die Diskussion um bürgerliche "Heuchelei" sekundär. Ich habe allerdings den Eindruck, dass hier (im Artikel) versucht wird etwas herbeizureden, was nicht existiert, nämlich eine angebliche "Heuchelei von Linken" die nicht mit Charlie solidarisch sein wollen. Im Umkerschluss fordert der Artikel also quasi die Notwendigkeit einer linken Solidarität, die zudem offensichtlich auch noch bestimmte Merkmale erfüllen soll, um politisch korrekt zu sein.