#hambi - Nachrichten aus Neuland

Hambacher Forst

Die neue Besetzerin*, die gestern in einer spektakuär gelungenen Ablöse-Aktion den vorherigen Compa nach 4 Tagen Belagerung erlöst hat, hat uns im Laufe des Tages zwei Texte per Telefon durchgegeben. Diese wollen wir nun (mit breitem Grinsen) hier veröffentlichen. Wir sind immernoch dabei, die gestrigen Ereignisse zu verdauen und zu analysieren. In den Texten werden auch einige Dinge klargestellt, die gestern im Laufe der Aktion falsch übermittelt wurden - beispielsweise wurde die Person, die ins Krankenhaus eingeliefert wurde nicht von der Polizei geschlagen, sondern vom Sicherheitsdienst. Wir haben auch einiges an Videomaterial, das wir durchgehen und dann teilweise online stellen werden.

 

Der erste Text, übermittelt heute Vormittag

 

Es ist 9:30 Uhr. Vor einer halben Stunde habe ich mich entschieden die warme Fleece-Decke vom Kopf zu ziehen und meinen Hunger von gestern Nacht etwas zu stillen. Essen ist anstrengend, vor allem mit kalten Händen und Gesicht, welche sonst unter der Decke geschützt und mit einer Sturmhaube bedeckt sind. Ich befinde mich in luftigen 25 Meter Höhe. Richtung Norden habe ich einen Panorama-Blick auf den Tagebau Hambach, rechts und links steht ausser im Umkreis von 40-50m kein Baum mehr und Richtung Süden, da wo unentwegt Stämme der gefällten Bäume mit einer Maschine abtransportiert werden, die scheinbar nicht gelenkt wird, sondern von sich aus arbeitet, da weiß ich den letzten Rest vom Hambacher Forst, der noch immer an 2 Orten besetzt ist, sowie die besetzte Wiese dahinter mit all meinen Leuten. Gerade fährt ein Tanklaster aus dem mit Bauzäunen umstellten Areal, auf dem ich mich auf einer ca. 200 Jahre alten amerikanischen Eiche befinde. Er hat die Generatoren mit neuem Treibstoff versorgt, damit sie sobald es dunkel wird den Baum auf dem ich mich befinde und das umzäunte Areal mit Flutlichtern taghell erleuchten können. Seit mehr als 4 Tagen ziehen sie das nun durch. Muss ein Heiden-Geld kosten. Irgendwo weiter Richtung Osten höre ich Kettensägen-Geräusche. Heute morgen sind die Securities nicht so gesprächig, während sie gestern Nacht kaum genug davon kriegen konnten, zu mir hoch zu rufen. Sachen wie „komm mal runter, ich will ein bisschen Spaß haben“ weil er „nicht gay“ sei, sondern nur „auf Frauen stünde“. So ekelhaft das ist, ist dies die Realität, in der so viele Menschen leben. Ich ja auch, bloß dass ich vielen dieser Extreme nicht Tag für Tag ausgesetzt bin, denn im besetzten Wald und auf der Wiese sind die Menschen um ein bedachteres Klima bemüht. Die ganze Zeit sind etwa 20 von diesen Typen um mich herum, innerhalb und ausserhalb der Bauzäune und bewachen mich wie Bluthunde. Sie warten darauf, dass ich aufgebe, oder dass wieder etwas wie gestern Abend passiert. Eine echte Niederlage für sie. Etwa 30 Leute die sich nicht von den mit Taschenlampen und Stöcken aus dem Wald bewaffneten Securities haben beeindrucken lassen, sondern einfach schnurstracks durch die Bauzäune auf den besetzten Baum zugingen, während sie dem Wachschutz erklärten, es würde keine Gewalt von der Gruppe ausgehen, wir würden nur zum Baum wollen und dann wieder verschwinden. Aus dem Gerangel bei den Strohballen unter dem Baum steigt plötzlich unerwartet eine Person mit nicht sichtbarem Klettermaterial (unter den Klamotten) am Seil empor. Ein Security versucht sich noch an den Rucksack zu hängen, doch wird von anderen schnell wieder abgepflückt. In wenigen Sekunden bin ich ausser Reichweite, entkomme dem Tumult und den Schreien auf dem Boden. Sie machen Anstalten, die Hebebühne, welche direkt unter dem Baum steht anzuschmeißen, doch sie wird von darauf sitzenden Leuten blockiert – sie merken scheinbar, dass sie selbst ihr Leben riskieren würden, weil sich von ihnen niemand mit Baumklettern auskennt. Es ist mühsam, mit dem Rucksack auf dem Rücken zu klettern, doch ich treibe meinen Körper bis an seine Grenzen. Als ich oben ankomme, großes Hallo. Der andere ist glückselig über die Ablösung. Es bedeutet neue Kraft, Motivation und dass wir noch etwas länger die Rodung, und damit den Tagebau direkt blockieren. Und diesmal scheint die Polizei nicht so leicht für eine Räumung zu haben sein. Als der andere sich fertig macht um runter zu gehen beobachte ich das Treiben am Boden. Ich höre eine mir vertraute Stimme wie sie weinend und voller Entsetzen zu 2 Securities spricht: „Wie könnt ihr das bloß tun? Dieser Mensch hier blutet – ihr habt ihn mit einer Taschenlampe blutig geschlagen.“ Wie ich sie höre, muss auch ich weinen und mache mir große Sorgen um meine Lieben die für heute Abend einen so viel härteren Part übernehmen müssen als ich. Ich sehe, dass es einige scheinbar geschafft haben, zu entkommen, während die, die noch da sind nun vom Wachpersonal (welche mittlerweile 4 mal so viele sind wie zuvor) eingekesselt werden, während sie auf das eintreffen der Polizei warten. Der andere Kletterer und ich verabschieden uns herzlich und ich freue mich für ihn, dass er nun endlich runter kann. Nun bin ich allein hier oben. Ich rufe die Person an, die hinter einem Computer-Bildschirm sitzend auf Neuigkeiten wartet und erzähle von der gelungenen Aktion. Die Stimmung am Boden beruhigt sich langsam, und nach und nach werden die Leute abgeführt. 6 meiner Freund*innen werden noch lange in der Kälte festgehalten. Irgendwann werden die Securities mit warmen Getränken versorgt, und sie geben auch meinen frierenden Lieben etwas, und stellen noch die Kiste mit Obst, die seit knapp 4 Tagen unter dem Baum steht in den Kreis der aneinander gekuschelten Aktivist*innen. Alles andere wäre Folter gewesen. Aus mir unbegreiflichen Gründen macht es sowohl der Polizei als auch besonders den Securities scheinbar Spaß, mit überhellen Lampen zu mir hoch in den taghell beleuchteten Baum zu leuchten, was mich nicht weiter stört, denn ich kann das Licht ganz einfach mit meiner Hand abschirmen. Irgendwann gegen 22 Uhr wird die letzte Person von den Cops abgeführt und nun beginnt mein Part erst so richtig: Nun bin ich hier vor Ort auf mich allein gestellt, umzingelt von Menschen die dafür sorgen, dass ein über 12000 Jahre altes Ökosystem bis zur Gänze zerstört werden soll, Menschen gezwungen werden sollen, ihre Häuser zu verlassen und Tiere ganz einfach umgebracht werden, um eine veraltete, extrem klimaschädliche und sich kaum lohnende Energiegewinnung aufrecht zu erhalten. Umzingelt vom Feind. Dabei sind die, die hier unter mir stehen ja nicht einmal die direkt verantwortlichen. Sie sind Sklaven des Systems, in dem man Geld „braucht“, einen Status „braucht“, um darin zu überleben. Und viele kennen einfach keine Alternativen oder haben keine Zeit darüber nachzudenken weil sie ja arbeiten „müssen“. The system works because you work. Ich versuche etwas zu schlafen, während es mit jeder Stunde kälter wird. Ich bin froh um meine dicke Sturmhaube aus Kunstwolle. Denn nun sorgt sie mehr dafür, dass ich warm bleibe, als dazu, mein Gesicht zu vermummen. Gegen 2:30 Uhr erhalte ich einen Anruf von jemandem und ich bin froh seine Stimme zu hören. Es ist die Person, die eine Platzwunde am Kopf davongetragen hat, nachdem ein Security-Mitarbeiter ihn mit einer Stabtaschenlampe verprügelt hat. Er sagt, dass alle wieder draussen sind, und nachdem die ersten vehement Widerstand gegen die Abnahme der Fingerabdrücke geleistet haben, es bei den später Festgenommenen gar nicht erst versucht wurde. Somit sind alle die es so wollten ohne Personalienfeststellung rausgekommen. Alles in allem eine verdammt erfolgreiche Aktion. Solidarität ist unsere Waffe! Irgendwann in der Nacht ist Schichtwechsel bei den Securities. Manche verabschieden sich von mir und wünschen mir eine gute Nacht. Obwohl ich mich nachts immer wieder verschlafen neu einmummeln muss um nicht zu frieren fühle ich mich morgens einigermaßen fit. Fit genug, um den ganzen Tag mit ungewohnt wenig Bewegung herumzukriegen.

 

Der zweite Text, übermittelt heute ca. 20 Uhr 


Im Laufe des Vormittags wird es weniger kalt. Auch die Securitys tauen etwas auf, obwohl sie sicherlich mehr frieren müssen als ich. Einige versuchen es (stumpferweise) noch mal mit „Ey, komm mal runter“ – ich gebe zurück: „ok warte….“ und dann lache ich zu ihnen runter. Ja klar, als ob. „Wie alt bist du?“ fragt einer. „Zwölf“ rufe ich runter und für einen Moment scheinen sie es fast zu glauben, bis ich wieder in lautes Gelächter verfalle. Sie versuchen noch ein paar mal, mein Alter raus zu kriegen – ich ja versteh nicht mal, warum das in dieser Situation relevant sein sollte – und ich gebe einfach mal unterschiedliche Angaben oder gar keine: „Zweiunddreißig“, „Sechundfünfzig“, „Neun“, bis sie es aufgeben.


„Willst du Kaffee?“ fragt einer. „Ach, muss nich sein, aber wenns nich all zu große Umstände macht, sag ich nicht nein.“ Ich lasse meine Feldflasche am Faden runter und er gießt tatsächlich Kaffee hinein. Ich wärme mir die Hände an der Flasche und quatsche weiter mit verschiedenen Securitys, die sich nach einander zu Wort melden. Einer stellt fest, dass sie uns ja eigentlich in gewisser Weise dankbar seien, denn wegen uns hätten sie ja die Arbeit. Ein anderer beschwert sich, dass es ihm stinkt weil zu kalt, und er fände es ja auch nicht gut. Ich sage es läge nun ja gerade an mir dass er diesen Job hat, aber dass er uns beiden vielleicht einen Gefallen tun würde, wenn er ihn einfach nicht ganz so gewissenhaft tun würde. Das fand er aber auch nicht so überzeugend – na, dann soll er sich bei mir nicht beschweren.


Später will dann einer wieder erklären, dass das alles doch nichts bringt. Ich gebe ihm recht, es stimmt, all der Aufwand für nix, ich komm ja doch nicht runter. Ich muss wieder mal lachen. Mir, die ich auf einem Baum sitze, der schon längst hätte gefällt sein sollen, eingemauert mit Bauzäunen, nachts mit Flutlichtern beleuchtet und rund um die Uhr ständig von mindestens zwanzig Securities bewacht, all der Aufwand für eine Person auf einem Baum, mir will er erzählen, dass das alles doch nichts bringt, RWE sei doch viel zu mächtig, das juckt die doch gar nicht. Hahahaha. Baumbesetzungen im Hambacher Forst hatten vielleicht noch nie soviel Erfolg wie in diesen Tagen: In denen die Polizei sich weigert zu räumen, weil der Aufwand für sie so groß ist, und die Wiederbesetzung vorprogrammiert. RWE kann dies nicht so einfach selbst erledigen, und nun müssen sie darauf hoffen, dass ich/wir von selbst aufgeben.


Als ich klein war und davon gehört habe, wie viele Fußballfelder Urwald tagtäglich abgeholzt werden, hab ich immer gedacht: Man müsste sich davor stellen und rufen: „Stopp, nein, aufhören!!!“. Ich habe immer gedacht, die können dann doch nicht einfach weitermachen. Als ich vor zwei Jahren dann in den Hambacher Forst gekommen bin, musste ich die schmerzliche Erfahrung machen, dass das allein sie nicht aufhält. Ich habe auch andere Methoden versucht, mit Teilerfolgen. Nun sitze ich hier, angeleint in einem Klettergeschirr, eingemummelt in zwei Schlafsäcke und eine rosa Fleecedecke, kaum bewegungsfähig, und hatte selten so sehr das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, wie hier und jetzt.


Zu meinem weiteren Tagesablauf: Ich vertreibe mir die Zeit mit Lesen (Gefangeneninfo, Berichte aus dem Knast – Ich denke dabei an meine Freunde Felix und Basti, die in der JVA Aachen in U-Haft sitzen) Schreiben, Nähen (endlich komm ich mal dazu), und mich startklar für eine Räumung machen.

 

 

Mehr Infos wie immer bei http://hambacherforst.blogsport.de

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Um 16:30 werden die Flutlichter angemacht. Obwohl es noch hell ist. Später will ein Security-Team in die „Arena“, so nenne ich den eingezäunten Bereich in dem ich mich befinde. Ein Fahrzeug bleibt stecken und erst nach 20 Minuten und mit Hilfe eines anderen Teams kann es einfahren. Zwei liebe und verspielte Hunde springen freudig aus dem Kofferrraum. Die ganze Nacht befinden sich nur die beiden Hunde und ihre mutmaßlichen Bezugspersonen in der Arena, während ausserhalb um den Bauzaun herum an den drei Generatoren immer zwischen 2 und 6 Securities herumstehen, mal mehr und mal weniger Aufmerksam.

Ich ziehe mir die Mütze unter die Augen und schlafe mit einigen Unterbrechungen, die ich nutze um zu checken, ob sich etwas verändert hat. Ich träume, dass Leute einen weiteren Baum besetzen. Am nächsten Morgen wache ich auf, recke, strecke und dehne mich ausgiebig und wünsche allen umstehenden einen guten Morgen. Keiner antwortet, aber der eine oder andere lächelt oder nickt mir zu und ich spreche die Vermutung aus, dass sie die Anweisung haben, nicht mehr mit mir zu reden. Ich pfeife ein Lied und mache Müsli. Während ich esse, liest mir jemand am Telefon die Kommentare, die unter meinem Bericht von gestern geschrieben wurden vor, über die ich mich sehr freue.


Um dem Heroismus vorzubeugen, möchte ich einige Sachen gleich mal klar stellen: Erstens kenne ich einige Leute, die genau so an meiner Stelle sitzen würden. Zweitens kenne ich einige Leute, die weitaus mutigere Sachen machen, welche jedoch ein Leben lang nicht anerkannt bleiben. An dieser Stelle möchte ich all diesen Menschen danken, die ihre Zeit, Freiheit und ihr Leben aufs Spiel setzen und/oder opfern um kapitalistische und lebensfeindliche (Groß)projekte zu stören, blockieren, sabotieren und aufzuhalten – im Rheinland und auf der ganzen Welt. Was ich hier mache, ist im grunde „nur“ mit Geduld, Durchhaltevermögen (kommt von allein, wenn du der Meinung bist, das was du tust, bringts) ein bißchen Kletter- und Polizeierfahrung und etwas Vorbereitung verbunden. Drittens ist auch diese Aktion „nur“ daraus entstanden, dass Leute seit mehr als zweieinhalb Jahren den Widerstand aktiv und auch passiv aufgebaut haben. Durch da sein, Durchhalten, Info und Solidaritätsveranstaltungen oder Geld/Sachspenden, durch Mut machen, weitererzählen und selbst Aktionen machen. Alle können Teil des Widerstands sein, egal ob direkt vor Ort oder am anderen Ende der Welt. Ob durch Worte oder Taten. Das macht diesen Widerstand stärker und stärker – und damit möglicherweise erfolgreich. Wir alle können für unser und das Leben anderer kämpfen, wir brauchen keine Superkäfte dazu, bloß einen eigenen Kopf und Willen mit ein bißchen Kreativität, und Hände, um es anzugehen (Hände sind nützlich, aber nicht zwingend erforderlich). Auch können ein paar gute Freunde* und Gleichgesinnte hilfreich sein, und ein Herz, das unterscheiden kann zwischen legal und legitim, und zwischen gut und schlecht. Denn jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle – und alles was du tust, kann eine andere Zelle aktivieren: gegenseitige Hilfe, Respekt, Autonomie, das Band der Solidarität und für mich der Weg der Anarchie.

 

 

Ich werde ständig durch unterschiedliche Ferngläser von Securities beobachet. Meistens winke ich dann oder gucke durch mein eigenes Fernglas zurück. Manche finden das ganz witzig, andere reagieren nicht einmal. Wenn ich keine Lust habe, beobachtet zu werden, entziehe ich mich einfach ihrem Sichtfeld, manchmal kommentiere ich was die da unten oder ich hier oben tue und lache zu ihnen runter. All der Aufwand für nix, ich bleib ja doch hier. Vor dem Zaun führt ein Husky einen Security mit gelber Warnweste (wie sie sie alle tragen) an der Leine. Als eine andere einen Stock wirft wird er von dem Hund durch die Gegend gezogen, er fliegt geradezu hinter dem Husky her. Die beiden kommen in die Arena und der Hund wird von Leine und Security befreit. Der Mensch ruft ihn immer wieder mit dem namen „Disko“ doch der schert sich nicht drum und auch als sie bald zu zweit versuchen ihn zu fangen, entwischt er ihnen ohne Probleme und führt sie an der Nase herum. Immerzu muss ich laut lachen, auch zwei nicht beteiligte in der Arena lachen ab und zu. Irgendwann läst sich Disko dann aber doch wieder an die Leine nehmen. Ich stricke ein weiteres Stück an meinen schwarzen Stulpen, esse Erbsen und Möhren aus der Dose zum Mittag und lasse die Gedanken und den Blick schweifen.

hallo,

 

verfolge die besetzung aus wien übers www und fiebere mit mit euch und wünsche dir und auch allen anderen vor ort viel kraft! super aktion!

wunderbar, einfach nur wunderbar. hambacher forst bleibt!