Oi Polloi in Göttingen

Erstveröffentlicht: 
01.10.2014

Am 10. Oktober ist es wieder so weit. In Göttingen findet mit dem „Siempre Antifascista“, das traditionelle „Festival“ der niedesächsischen Antifaszene statt. Zeitgleich zum überlaufenen Münchener Lieblingsvolksfest wird dort in geschlossenen Reihen, gänzlich unter ihresgleichen, die radikalen Linke trinken, schunkeln und die Gemütlichkeit feiern. Bierseelig unter Gleichgesinnten.

 

Ein bloßes Musikfestival darf so etwas natürlich dennoch nicht sein. Auch beim bayerischen Pendant wird immerhin auf den politischen Mehrwert für die Volksfestelite geachtet. Neben obligatorischen Netzwerkopportunitäten der Kader und feucht-fröhlichem Amüsement des Fußvolkes werden so also auch in Göttingen Vorträge für das interessierte Klientel und Kampfsportkurse für wackere Antifakämpfer geboten, während sich in München Stammtischreden und Bierzeltschlägereien die Klinke in die Hand geben.

Um von Vorhinein keinen Zweifel am politischen Charakter aufkommen zu lassen, stellen die Veranstalter im Norden in ihrem kurzen Aufruf fest: „Es ist klar, dass nationales, transphobes, homophobes, xenophobes und sexistisches Verhalten auf gar keinen Fall erwünscht ist.“ Soweit so gut. Was allerdings mit „nationalem Verhalten“ gemeint sein soll ist nicht klar. Vermutlich jedoch schliff sich derartiger NPD-Sprech bei den abgearbeiteten Recherchenerds mit der Zeit ganz von selbst ein. Wie viel sie wohl ansonsten davon verinnerlicht haben?

 

Vermutlich würde das Schwenken einer französischen Nationalfahne auf wenig Gegenliebe stoßen. Mit einiger Sicherheit würde es sogar mit Gewalt gegen den Fahnenträger „sanktioniert“ – Tipps und Tricks dafür gibt‘s schließlich beim entsprechenden Workshop.

Mit ziemlicher Sicherheit hingegen nicht zum unerwünschten „nationalen Verhalten“ zählen, wird die Darstellung von Symbolen diverser Volksbefreiungsbewegungen, die sich derzeit allerorten im Auftrieb befinden.

 

Und wohl auch Fans des selbsternannten Staates „Palästina“ werden ihre Symbole zur Schau stellen dürfen, genauso wie die „Baskenländer“ und die schottische Nationalisten.

An vorderster Front stehen werden hierbei die alten Herren der dienstältesten schlagenden Verbindung linksnationalistischer Folklorepunks aus dem Vereinigten Königreich. Die für ihre krude Synthese aus Volksbefreiung, Anarchismus und Kapitalschelte tief verehrte Hasspunkband Oi Polloi.

Oi Polloi – aus dem Griechischen für „das Volk“ – ist eine Band mit breitgefächerten politischen Interessen. In ihrer über zwanzigjährigen Karriere haben sie schon gegen so einiges gekeift. Gierige Spekulanten und Zionisten, Nationalsozialisten und Kommunisten, Imperialismus und die Unterdrückung der Völker der Welt. Nichts, so könnte man meinen, zu dem sie keine Meinung haben.

 

In ihren Songs spiegelt sich jedoch vor allem eins wieder; Unverständnis gegenüber dem Abstrakten, die Liebe zum Einfachen, der Hass auf die Moderne. Kurzum, das Unvermögen einer qualifizierten Kritik der gesellschaftlicher Realität und die Pose des reaktionären Rebellen, der den Weg zurück in die identitäre Barbarei sucht.

Oi Polloi sehnen sich zurück in eine halluzinatorische gälische Volkstraditionen und versuchen ihre rückwärtsgewandte Utopie durch Trachtenkult und Gälischlektionen in die Gegenwart zu holen. Ein Bestreben, das sie mit etlichen völkischen Gruppierungen im Politischen eint.

Zusammen mit rechtsnationalistischen Akteuren unterstützten sie die separatistische „Yes“-Bewegung, die im September 2014 eine Niederlage in einer schottlandweiten Volksabstimmung zur Abspaltung von Großbritannien erhielt.

 

Ein schottischer Nationalstaat sollte die Authentizität der Kultur seines Volkes endlich und auf eigener Scholle vor den Übergriffen kulturimperialistischer Mächte verteidigen – eine Wunschäußerung, die übrigens durchaus auch dem „nationalen Verhalten“ deutscher Nazis entspricht.

Dass sich Oi Polloi gelegentlich von derartigen Jammergestalten distanzieren, kann vielleicht als politisches Kalkül durchgehen. Mit einer Absage gegen Nationalismus, in die sie es beizeiten zu schmücken versuchen, kann man es nur mit viel bösem Willen verwechseln.

Zwar lehnt die Band realexistierende Nationalstaaten mitunter tatsächlich ab – kulturalistisch penibel sortiert jedoch nur im Geiste jener Volksbefreiungsbewegungen, die stattdessen das eigene nationalistische Projekt durchzusetzen versuchen.

Insbesondere die Existenz des Staates Israel ist für die notorischen Antizionisten von Oi Polloi daher ein unerträglicher Zustand. Vehement fordern ihre Mitglieder auf Shows, in Interviews und in sozialen Netzwerken den Boykott Israels. Mit dem Quasiaufruf, nicht beim Juden zu kaufen, hoffen sie, die wirtschaftliche Abwicklung des Staates voranzutreiben.

Diffamierend werfen sie mit dem Vorwurf des Apartheidstaates um sich und ignorieren die politische Teilhabe selbst von Islamisten wie der „Ra’am“ im pluralistischen Parlamentssyststem.

Keine Rolle spielen auf der anderen Seite die höchst offiziellen Vernichtungsdrohungen radikalnationalistischer sowie -islamistischer arabischer Organisationen, allen voran Hamas, Hizbollah und Islamischer Djihad, sowie deren Raketenangriffe und Selbstmordattentate auf israelische Zivilisten.

Schutzmaßnahmen seitens des israelischen Militärs hingegen werden verdrehterweise als Aggressionen und Menschenrechtsverletzungen diffamiert.

Mit derartigen, sich ständig wiederholenden Pseudoargumenten betritt die Band also auch eindeutig antisemitisches Terrain. Deligitimierung, Dämonisierung und doppelte Standards – alle drei entscheidenden Kriterien antisemitischer „Israelkritik“ erfüllen die Aktivisten pflichtbewusst und stets an vorderster Agitpopfront.

Auch in Göttingen.

 

Nun könnte man vielleicht fragen, wen es kümmert, wenn die radikale Linke in Göttingen mit vielleicht ein paar hundert Aktivisten ihr eigenes kleines Volksfest feiert, bei der eine vom Nationalismus berauschte Kapelle schottischer Antisemiten spielt.

Zum einen weil es Ehrensache ist auch dort zu intervenieren, wo es um politische Relevanz schlecht bestellt ist. Schließlich gilt es ja bekanntermaßen den Anfängen zu wehren.

Zum anderen jedoch scheinen zumindest Teile der Veranstaltungsreihe gar nicht so weit weg vom Mainstream zu sein.

Immerhin wird die derzeit bekannteste Rechtsextremismusexpertin Deutschlands, Andrea Röpke, einen der geplanten Vorträge halten.

Das ist irritierend. Der Gegensatz zwischen Andrea Röpkes Aufwand um Aufklärung gegen die Enge völkischen Denkens und das Mitwirken im Rahmen einer in umgekehrte Richtung laufenden Veranstaltungen wirkt absurd.


Jedem, dem es ernst ist mit seiner Opposition zur völkischen Ideologie, sollte um eine solche Zusammenkunft selbstredend einen weiten Bogen machen.

An die Organisatoren sei an dieser Stelle jedoch gesagt: Wir wollen Sie in keiner Weise zu einer Absage von dem Oi-Polloi-Konzert drängen oder verleiten. Da das Erwähnte immerhin seit Jahren bekannt ist, wurde die Band sicher nicht trotz sondern wegen ihrer verwegenen politischen Positionierungen gebucht. Ansonsten hätte man es sicher gehandhabt und wie umsichtigere Veranstalter ihr längst ein grundsätzliches Auftrittsverbot erteilt.

Wir möchten Ihnen daher vielmehr einige Verbesserungsvorschläge ans Herz legen.

Als erstes wären die Anti-Nazi-Veranstaltungen aus dem Programm zu streichen. Ersetzen Sie sie durch Workshops zu Themen wie Met-Brauen und schottischem Volkstanz. Weiter würde ein Trauermarsch durch die Fußgängerzone, zum Gedenken an die durch anglo-amerikanisches moral bombing Verstorbenen, beim Publikum bestimmt noch besser ankommen.


Und damit der sicher in kreativer Schwerarbeit zusammengetüftelte Titel Ihres Volksfestes nicht vollkommen umsonst ersonnen wurde, könnten Sie dann am Gedenkstein für die in der Shoah ermordeten Juden einen Kranz ablegen – selbstverständlich nicht aber ohne in einer Rede dort zu erwähnen, dass die Gräueltaten der Israelis in Gaza nicht vergessen seien und die Verbrechen, die die Nazis den Juden angetan hatten, keine Rechtfertigung für neues Unrecht an den Palästinensern seien.

Mit dem guten Gewissen, etwas für die Sache, gegen das System und für die Unterdrückten dieser Erde getan zu haben, können Sie anschließend gemeinsam mit Oi Polloi und jenseits jedes emanzipatorischen Anspruchs schöne Volksfestatmosphäre genießen!

Wir wünschen dabei viel Spaß.

Gezeichnet

Stop Hate Punk

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aua. wir müssen uns hier wohl wieder mitten im reindeutschem hirn-kultur-jungle-fick befinden. es wäre möglich nach kurdistan zu schauen, nach lampedusa, auf ttip, den klimagipfel, deutsche soldaten in afrika oder mafia-massaker in mexiko zugunsten westlicher koks-produktion und im sinne europäischer waffenexporte – und linksradikale kritik üben, praktisch werden, widerstand leisten.

es ist aber auch möglich leute die versuchen menschen für den widestand zu gewinnen, antifaschistische kultur prägen und festivals gegen rechts organisieren mit der pc-lupe so lange heimzusuchen, bis die zecke, die laus, das ungeziefer identifiziert und eliminiert ist. im ernst: niemand hilft deutschland mehr als die antideutschen. es wäre an der zeit sie konsequent auszuschließen aus linken zusammenhängen. diese blau-weiss gekleideten bullen-affen haben in ihrer jugend zuviele bigmacs gekriegt und müssen nun auf oi polloi rumhacken, weil die sagen: big mac iss scheiße und england bleibt ne kolonialmacht. ich begreife nicht wie antideutsche sich als teil der linken begreifen können und dann auch noch rumheulen und überall (innerlinke) gewalt sehen wenn irgendwer "buh" sagt. sie sagten gewalt? wie gesagt, schaut nach kurdistan, lampedusa und auf die entwicklung des welthandels. und haltet einfach mal die fresse wenn oi polloi ein antifafestival unterstützt.

 

im übrigen: der nazi-attentäter vom antifa-festival in bern 2007 kommt bald vor gericht.

wegen antifaschistischem engagement. nicht wegen antideutscher laber-kackscheiße.

"Zusammen mit rechtsnationalistischen Akteuren unterstützten sie die separatistische „Yes“-Bewegung, die im September 2014 eine Niederlage in einer schottlandweiten Volksabstimmung zur Abspaltung von Großbritannien einfuhr."

So ein Müll. Die Separatistenbewegung der SNP ist im Gegensatz zur BNP Englands keine rechtsnationalistische Gruppierung, sondern eine Linke. Da haut wieder die akademische Keule voll auf den Strohsack drauf. Aber nen blog betreibste, immerhin. Opfer du.