"Ein rechtsfreier Raum"

Eine Szene aus dem mittlerweile bekannten Video. Ein Flüchtling wird genötigt, in seinem Erbrochenen zu liegen.
Erstveröffentlicht: 
29.09.2014

Einen Tag nach dem Bekanntwerden von Übergriffen durch Sicherheitspersonal gegen Flüchtlinge in der ehemaligen Siegerlandkaserne in Burbach werden mehr und mehr Details bekannt. Der SiegerlandKurier sprach exklusiv mit einem Mitarbeiter des ehemals zuständigen Dienstes. Auch gegen ihn wird aktuell ermittelt.

 

Ralf S. (Name geändert, tatsächlicher Name ist der Redaktion bekannt) zeigt dabei Reue für sein eigenes Fehlverhalten, prangert aber gleichzeitig auch die Gesamtumstände im Heim an. Die Lage dort sei faktisch "unkontrollierbar", die ehemalige Kaserne zu einem "rechtsfreien Raum" verkommen. Übergriffe, wie sie seit Sonntag durch ein Video und ein Foto belegt wurden, hätten ständig stattgefunden.

 

Für Flüchtlinge, die Schwierigkeiten bereiteten, habe man einen speziellen Raum gehabt - das so genannte "Problemzimmer". Ein Zimmer, ausstaffiert lediglich mit Matratzen. "Wer Ärger machte, der musste da rein", so S.. Bis zu acht Stunden musste man in dem Raum - teils auch mit mehreren Personen - ausharren. Im Zweifel auch ohne Möglichkeit, eine Toilette aufsuchen zu können. Denn das "Problemzimmer" wurde zugesperrt. Und das, ohne Erlaubnis des Betreibers "European Homecare". Die "Wachordnung" sah solche Zwangsmaßnahmen nicht vor. "Das war klare Freiheitsberaubung", räumt S. ein. "Wenn niemand von uns auf Bitten der Flüchtlinge aufschließen konnte, wenn wir unterwegs waren zum Beispiel, haben einige auch aus dem Fenster urinieren müssen." Der Einsatz von Handschellen - ebenfalls eigentlich untersagt - war quasi an der Tagesordnung.

 

Der ehemalige Security-Mitarbeiter der Firma "ESS" aus Siegen, die als Sub-Unternehmer bis August agierte und dann Teile der Belegschaft an die übernehmende Firma SKI Security übergeben hatte, spricht zudem von weiteren, bislang nicht dokumentierten Übergriffen. Diese fanden beispielsweise statt, wenn Bewohner des Übergangsheims gegen das Rauch- und Alkoholverbot verstoßen hatten. Einige seiner Kollegen seien regelrecht scharf darauf gewesen, Flüchtlinge dabei zu erwischen. "Die sind über die Flure gegangen und haben an Türen geschnüffelt. Hatten sie Zigarettenqualm gerochen, wurde das Zimmer gestürmt", erinnert sich S. lebhaft. Im Jargon seien die Streifen "SS-Trupps" genannt worden. Die Bezeichnung kommt nicht von ungefähr. Anders als in etlichen Medien dargestellt wurde, sieht der Informant des SiegerlandKurier einen "deutlich erkennbaren rechten Hintergrund" bei einigen seiner ehemaligen Kollegen.

 

Ralf S. fühlte sich nach eigenen Angaben oft überfordert: Bis zum 1. August hatte das Sicherheitskonzept gerade einmal 4 Wachleute für bis zu 750 Flüchtlinge vorgesehen. Erst danach wurde auf 6 Personen erhöht. "Immer noch zu wenig", findet der Security-Mann. Denn oftmals sahen diese sich Konfliktparteien im dreistelligen Bereich gegenüber. 

 

Die Polizei sei bei einer dieser Auseinandersetzungen erst 35 Minuten nach der Alarmierung auf dem Gelände eingetroffen. S. erhebt schwere Vorwürfe gegen einige Beamte: "Einer hat mal gesagt: Das nächste Mal holen wir den erst ab, wenn ihr den fünf Stunden lang bearbeitet habt." Gemeint war ein Flüchtling, den die Security festgenommen hatte und den Beamten übergeben wollte.

 

Katastrophal waren nach S. Angaben auch die Umstände, unter denen die Bewohner des Heims leben müssten. Bilder, die dem SiegerlandKurier vorgelegt wurden, zeigen zugemüllte Duschen, Kot und Erbrochenes auf Fluren, stapelweise Unterwäsche und Hygieneartikel mit Menstruationsblut auf Damentoiletten. S. behauptet, es habe zum Teil Tage gedauert, bis sich jemand darum gekümmert habe. 

 

An dem mittlerweile bekannten Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Flüchtling im "Problemzimmer" unter Androhung von Schlägen genötigt wird, sich in sein Erbrochenes zu legen, ist auch S. beteiligt gewesen. Wie rechtfertigt er das? "Gar nicht. Das ist nicht zu entschuldigen und ich werde dafür gerade stehen", kündigt er an. Man habe sich bisweilen in psychischen Ausnahmesituationen befunden und schlicht die Kontrolle auch über das eigene Handeln verloren. Im konkreten Fall habe der Flüchtling stark alkoholisiert randaliert und gepöbelt. Das Ganze habe sich drei bis vier Stunden hingezogen, der Flüchtling habe sich dabei mehrfach auf Matratzen übergeben. "Dann hab ich die Nerven verloren und ihm gedroht", erzählt S.

 

Eine fundierte psychologische Betreuung habe es weder für die Bewohner, noch für die Mitarbeiter des Heims gegeben. Im Gegenteil. Ein Sozialbetreuer sei an einem Abend deutlich betrunken zum Dienst erschienen. Anschließend habe er Streit mit Bewohnern provoziert. Auch bei der medizinischen Betreuung sieht S. arges Fehlverhalten. Die so genannte Quarantäne-Station sei eine einzige Farce, da die Patienten ohne Probleme Kontakt auch mit gesunden Bewohnern haben könnten. Nach einem Streit habe ein Flüchtling mal eine rund zehn Zentimeter lange Platzwunde gehabt - doch die Bitten der Security, man möge ihn in ein Krankenhaus bringen, blieben unerhört.

 

Wieder und wieder sei es auch zu Zwischenfällen mit psychisch kranken Asylbewerbern gekommen. Die bekämen trotz ärztlicher Anordnung und Attesten keine gesonderte Behandlung. "Unter Stress haben die sich dann die Arme oder den Oberkörper mit Rasierklingen geritzt", erläutert S. die untragbaren Zustände im Heim. Diese habe er anfangs auch noch hinterfragt und angesprochen, mit der Zeit sei er aber "total abgestumpft". Auch, was die illegalen Aktivitäten der Flüchtlinge untereinander angehen. Vom Tabletten- und Drogenhandel bis hin zur Zwangsprostitution sei alles dabei gewesen.

 

Kein Wunder sei es da, dass die Nerven auf allen Seiten blank liegen. S. sieht neben seinem persönlichen Versagen eines "auf ganzer Linie" - von der Politik über den Betreiber bis hin zu den Angestellten und Ordnungskräften. Er kündigte an, gegenüber der Polizei umfänglich auszusagen.

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Ralf S. - is klar. Ihr seid so erbärmlich.