Das Pyramiden-Schema des Kapitalismus (CrimethInc. Poster)

Das Pyramiden-Schema des Kapitalismus (CrimethInc. Poster)

Die Arbeit der weiter unten Stehenden in der Pyramide bereichert diejenigen an der Spitze. Um stabil zu bleiben, muss die Wirtschaft mehr und mehr Ressourcen absorbieren: durch kolonisieren neuer Kontinente, den Einbezug von mehr Arbeitskräften oder die Eroberung von Aspekten unseres täglichen Lebens. Die resultierenden Ungleichheiten können nur mit stetig eskalierender Kraft aufrecht erhalten werden: Armeen besetzen Länder, Polizist_innen patrouillieren in den Vierteln, Kameras zeigen auf jeden Geldautomaten.

 

Kapitalist_innen machen nicht nur durch das was sie tun, sondern auch durch das was sie besitzen Geld. „It takes money to make money“. Firmenchefs, Grundbesitzerinnen und große Aktieninhaber sind Kapitalist_innen; genau wie Beamt_innen, deren Gehalt durch die Bemühungen anderer finanziert wird.

Kapitalist_innen bereichern sich an der Arbeit der Ausgebeuteten. Ausgebeutete können nur durch ihre eigene Arbeit Geld verdienen, also ist es für Arbeitgeber_innen leicht, ihnen weniger zu bezahlen als sie an Wert erschaffen. Wenn Banken und Kreditkartenunternehmen mit Schulden Geld machen, beuten sie die Schuldnerinnen aus, genau wie ein Unternehmen, dass seinen Angestellten einen Dollar zahlt um ein 200-Dollar Paar Schuhe herzustellen.

Andere sind abhängig von der Wirtschaft, aber von der Teilhabe ausgeschlossen. Die Arbeits- und Obdachlosen sind, gemeinsam mit den meisten Bewohner_innen der Elendsviertel auf der ganzen Welt, ausgeschlossen. Gefangene sind oft ausgebeutet und ausgeschlossen – gezwungen für Hungerlöhne zu arbeiten, unter Bedingungen die Sklaverei ähneln. Ausgeschlossen zu sein bedeutet nicht, außerhalb des Marktes zu stehen – streng genommen sind die Enteigneten arm weil sie innerhalb des Kapitalismus sind.

 

 

Die Wirtschaft formt das physische und soziale Terrain nach ihrem Abbild : Silicon Valleys, Industriestädte, Bananen-Republiken. Sie hebt die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich auf: ein Maisfeld in Iowa ist genauso künstlich wie die Betonwüste in Newark, New Jersey. Sie verwandelt menschliche Wesen in Arbeiter_innen, genau wie sie Wald auf Klopapier reduziert und Schweine zu Koteletts macht.

Der Kapitalismus vereint die Welt zu einer einzigen Metropole. Rosen, die auf Plantagen im ländlichen Ecuador gepflückt werden, werden am gleichen Tag an Geschäftsleute in Manhattan verkauft; DJ Sets aus Clubs in Barcelona werden simultan nach Johannesburg übertragen. Nachrichten, Mode, Ideen werden augenblicklich um den Globus gesendet; jede Stadt wird von Urlaubern und Flüchtlingen aus anderen Städten bewohnt. Die Leute verbringen mehr Zeit damit, über hunderte Kilometer hinweg zu kommunizieren, als mit ihren Nachbarinnen zu reden. Die physische Distanz zwischen Leuten in verschiedenen Städten wird so überwunden, macht aber Platz für soziale Distanz zwischen Leuten in einer Stadt.

Nationale Grenzen veralten zunehmend als Bezugssystem zum Verständnis der Wirtschaft. Mensch kann die lokale nicht mehr von der globalen Wirtschaft unterscheiden, falls so etwas jemals möglich war. Ein Großteil des Wohlstands vieler US-Firmen basiert auf Besitztümern in Übersee; eine einzige Aufgabe wird von New York City nach Mumbai „outgesourced“; eine Idee aus Argentinien erzeugt in Finnland Profite. Die Welt besteht nicht aus unterschiedlichen, physischen Gebieten oder politischen Gebilden; sie ist ein Meer aus ineinander verzahnten Beziehungen, die sich, wie Wind, Wasser und thermische Strömungen, nicht an ausgedachte Grenzen halten.

Heute sind die wichtigen Grenzen nicht die horizontalen zwischen Gebieten, sondern die vertikalen, die soziale Schichten trennen und denen überall gleichzeitig Geltung verschafft wird, und nicht nur an einzelnen Checkpoints. Sie unterteilen die Metropole in unterschiedlich privilegierte Zonen und bestimmen über den Zugang zu Ressourcen und Macht. Solche Zonen können überall aufeinander treffen – ein nicht erfasster Einwanderer putzt das Haus einer Abgeordneten in Europa für einen Hungerlohn. Wachen schwingen ihre Waffen vor dem Tor eines Luxushotels europäischer Geschäftsleute, neben einem Elendsviertel in Neu Delhi.

 

 

Wer hat die absolute Macht in diesem System?

Sind es Regierungsführer_innen? Sie scheinen direkt auf die Wohlhabenden zu reagieren, indem sie, koste es was es wolle, deren Interessen schützen. Sind es die reichsten, die Magnaten, die Firmen besitzen, und aus unzähligen scharfsinnigen Investitionen Kapital schlagen? Selbst sie müssen um ihre Positionen kämpfen, weil tausende Mitstreiter_innen darauf warten, sie zu ersetzen. Was ist mit der Notenbank, den Bankiers, denen die das System verwalten? Wenn etwas schief läuft, scheinen sie so machtlos und verzweifelt zu sein, wie alle anderen. Ist es eine geheime Verschwörung von Managern und Freimaurern?

Klingt nach antisemitischer Rhetorik, die impliziert, dass das Problem die Macht einer einzelnen Gruppierung sei und nicht in der Dynamik des Systems an sich liege.

Oder hat keine_r die Kontrolle? Die Leute sprechen von der Wirtschaft wie von Gott oder Naturgesetzen, obwohl es etwas ist, was sich aus ihren Handlungen und den Handlungen von Menschen wie ihnen, ergibt. Es ist eine Art Hexenbrett, auf dem die egoistischen Handlungen von konkurrierenden Individuen zur kollektiven Entmachtung führen. Gab es jemals einen Diktator, der so tyrannisch und zerstörerisch war wie der Markt?

Kapital scheint autonom zu sein. Es fließt erst in die eine, dann in die andere Richtung; es konzentriert sich in einer Nation, und verschwindet launisch nach Übersee. Aus Sicht einer Ökonomin, ist es ein historischer Faktor, der mit uns spielt. Seine Bewegungen sind unaufhaltsam, unvorhersehbar. Dennoch, Kapital, wie wir es kennengelernt haben, ist eine kollektive Einbildung, die der Welt aufgezwungen wird; Eigentum ist nur „echt“, weil wir dafür sorgen.

 

 

Der Markt belohnt Können, Intelligenz und Mut – unter der Bedingung, dass sie Profit erzeugen. Die wichtigste „Qualität“ für diejenigen an der Spitze ist das Fällen von Entscheidungen unter dem Aspekt, was am meisten Macht bringt. Die Kosten dieser Machtanhäufung leiten sie, wenn irgendwie möglich, nach unten weiter – nicht nur an Arbeiterinnen und Konsumenten oder die Opfer der Umweltverschmutzung, sondern auch an ihre Lebensgefährt_innen, Sekretär_innen und Hausangestellten – sie kommen nicht drumherum, ihre Entscheidungen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge zu fällen, sonst verlieren sie ihre Positionen.

Mensch könnte also denken, dass der Kapitalismus Macht in die schlimmsten Hände legt - das ist aber nicht der Punkt. Es geht nicht darum, dass die von der Wirtschaft Belohnten tendenziell schlechte Menschen sind, sondern darum, dass – wie egoistisch oder großzügig sie auch sein mögen – ihre Positionen auf bestimmten Verhaltensweisen aufbauen. In dem Moment, wo ein Geschäftsführer das Profit-Machen etwas geringer gewichtet, wird er oder seine Firma sofort durch eine rücksichtslosere Mitstreiterin ersetzt. Beispielsweise sind in einer Welt, in der betriebliche Entscheidungen von guten Quartalsberichten abhängen, Geschäftsführer_innen einfach nicht in der Position Entscheidungen zu treffen, bei denen Umweltschutz über Profit gestellt wird. Sie könnten ökologische Produkte oder erneuerbare Energien fördern, aber nur als Marketing Kampagne oder zur Imageverbesserung. Wirklich ökologisches Verhalten kann nur außerhalb des Marktes stattfinden.

Du musst also nicht der Überzeugung sein, dass alle Chefs schlechte Menschen sind um darauf zu kommen, dass der Kapitalismus an sich das Problem ist. Im Gegenteil sind es die Verteidiger_innen des freien Marktes, die sich auf die angeblich menschliche Natur beziehen müssen, um so die Zerstörungskraft der Wirtschaft zu entschuldigen. Sie versuchen zwanghaft zu beweisen, dass kein anderes soziales System in der Lage sei, die Menschen zu motivieren und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Anthropolog_innen wissen bereits, dass das nicht stimmt.

 

 

Vor zwei Jahrhunderten arbeiteten die meisten Leute daran, Ressourcen direkt aus der Erde zu holen: Landwirtschaft, Fischerei und Minenarbeit. Die industrielle Revolution hat einen Großteil dieser Arbeitskraft in die Produktion gedrängt. Heutzutage wird in der Produktion mehr Geld gemacht als jemals zuvor - und dank des technologischen Fortschritts, werden immer weniger Angestellte gebraucht, um gleiche Mengen zu produzieren.

In einem vernünftigen System würde das mehr Freizeit für alle von uns bedeuten, im Kapitalismus allerdings sparen die Arbeitgeber_innen Geld und der Rest von uns findet schwieriger Jobs. In ärmeren Gegenden dienen Slums und Elendsviertel als Auffangbecken für Arbeitslose, die sie nah genug an Sweatshops halten, um die Löhne zu kürzen. In wohlhabenderen Gebieten enden die meisten Billig-Arbeiter_innen im Dienstleistungssektor und helfen den Kapitalist_innen, ihre Produkte anzupreisen. Dienstleistungen werden in der Wirtschaft zentraler als Handelsware, Unternehmen verkaufen nicht nur Dinge sondern auch Zuwendung, Gastfreundschaft, Einfühlungsvermögen, Hilfe, Interaktion – alles Bestandteile unseres sozialen Lebens, die mal umsonst waren. Die Dienstleistungsindustrie ist die dünne Schicht lebendigen Fleisches, die über die eiserne Maschinerie der Wirtschaft gespannt ist und die Motoren der Sehnsucht anheizt, die sie am laufen halten.

Währenddessen können Kapitalist_innen in einer „globalisierten“ Wirtschaft Jobs nach Lust und Laune um den Planeten bewegen, umgehen dabei gewerkschaftlich organisierte oder rebellische Arbeiter_innen und beuten die aus, die am verzweifeltsten sind. All das führt zu einer Situation, in der Arbeit immer unsicherer und prekärer wird. Sich einen guten Lebenslauf zu erarbeiten wird genauso wichtig, wie Geld zu sparen; sogar Baristas und Tellerwäscher_innen sehen sich als Unternehmer_innen, die nicht nur ihre Arbeit sondern auch sich selbst verkaufen. Selbst wenn das reine Überleben schwieriger wird, identifizieren sich paradoxerweise mehr Menschen mit ihren Rollen im Kapitalismus.

Abgesehen davon, beginnt für den Kapitalismus eine neue Epoche von Krisen und Unsicherheit. Bis vor ein paar Jahrzehnten konnte die Arbeiter_innen-Bewegung die Kapitalisten wenigstens dazu zwingen, den Arbeiter_innen so viel zu zahlen, dass sie die Produkte ihrer eigenen Arbeit kaufen konnten. Jetzt wird die alte Arbeiter_innen-Bewegung übergangen und alle Friedensabkommen im Klassenkampf verlieren ihre Gültigkeit; das erlaubt einer Hand voll Magnat_innen die größten Reichtümer der Geschichte anzuhäufen, aber es zersetzt auch die Basis an Konsument_innen, die den ganzen Ablauf hauptsächlich trägt. Außerdem gibt es dem Rest von uns weniger und weniger Anreiz mit zu spielen. Wir können uns auf eine neue Welle von Konflikten einstellen, in der die Zukunft des Kapitalismus an sich in Frage gestellt wird.

 

 

Wir werden dazu ermutigt, gegeneinander zu konkurrieren, um individuell unsere Positionen zu verbessern. Aber an der Spitze ist nicht genug Platz für uns alle, egal wie hart wir arbeiten – und ein solches System kann nicht ewig expandieren. Früher oder später wird es zwangsläufig scheitern. Klimaerwärmung und Rezession sind nur erste Warnzeichen. Anstatt sich mit den Pharaonen anzufreunden, lasst uns lieber gemeinsam eine andere Art zu Leben erkämpfen.

 


Das Poster gehört zu dem gerade auf deutsch veröffentlichtem Buch "Work. Kapitalismus. Wirtschaft. Widerstand."

Weitere Texte dazu und vieles mehr auf crimethinc.blogsport.de

 

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