[Saar] Video dokumentiert Polizeigewalt

Still not Loving Police

Nach den Auseinan­der­set­zun­gen bei einer Nazi-Kundgebung in Saar­brücken im ver­gan­genen Som­mer leit­ete die Saar­brücker Polizei zahlre­iche Strafver­fahren gegen antifaschis­tis­che Gegen-demonstrant_innen ein. Die meis­ten Vor­würfe stützten sich auf die bekan­nten Repres­sion­spara­graphen „Wider­stand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder „Land­friedens­bruch“. Ein zwis­chen­zeitlich aufge­tauchtes Video doku­men­tiert jedoch ein­deutig, dass es nicht die Gegendemonstrant_innen, son­dern vielmehr Beamte der saar­ländis­chen „Beweis­sicherungs– und Fes­t­nah­meein­heit“ (BFE) waren, die bru­tale Gewalt anwen­de­ten, und die anschließend auch noch ver­suchten, die ange­grif­f­e­nen Antifaschist_innen durch erfun­dene Vor­würfe und Falschaus­sagen zu Täter_innen zu machen.

 

Die Antifa Saar / Pro­jekt AK begleitet und unter­stützt die von staatlicher Repres­sion Betrof­fe­nen von Beginn an und weist immer wieder auf die zahlre­ichen Fälle von Polizeige­walt in Saar­brücken hin. Mit der Veröf­fentlichung dieses Videos soll eine bre­ite Debatte über polizeiliche Über­griffe, die längst nicht nur bei poli­tis­chen Demon­stra­tio­nen stat­tfinden, angestoßen und eine kri­tis­che Begleitung der Arbeit der Saar­brücbeschker Polizei angeregt werden.


Der Flyer mit komplettem Layout befindet sich im Anhang. Das Video ist veröffentlicht unter video.antifa-saar.org.


Am Mon­tag, dem 29. Juli 2013 ver­sam­melten sich über 200 Antifaschist_innen in der Saar­brücker Innen­stadt, um gegen eine Kundge­bung für den in Ital­ien verurteil­ten und unter Hausar­rest ste­hen­den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke zu demon­stri­eren. Anlass für die Ver­samm­lung der rund 20 Neon­azis aus dem Saar­land, der Westp­falz und Baden-Württemberg war der 100. Geburt­stag des mit­tler­weile ver­stor­be­nen Priebke, der als SS-Führer im März 1944 in lei­t­en­der Funk­tion an der Ermor­dung von 335 ital­ienis­chen Zivilist_innen beteiligt war. Während die Nazis, darunter Mit­glieder der „Stur­m­di­vi­sion Saar“ (Dillin­gen) und des „Nationalen Wider­stand Zweibrücken“ auf einem Trans­par­ent „Laßt Erich Priebke frei!“ forderten und entsprechende Flug­blät­ter an Passant_innen verteil­ten, äußerten rund 200 antifaschis­tis­che Gegendemonstrant_innen, abgeschirmt durch Ein­heiten der saar­ländis­chen Bere­itschaft­spolizei, laut­stark ihren Protest. Gegen Ende der Nazikundge­bung griff der Saar­louiser Nazi Har­ald Hörner eine Gegen­demon­stran­tin mit einer Fah­nen­stange an und ver­let­zte sie an Kopf und Hals, woraufhin sich ein Handge­menge zwis­chen Gegendemonstrant_innen, Nazis und Polizist_innen entwick­elte. Mehrere Polizist_innen set­zten dabei ihre Schlagstöcke, sog. Ton­fas (im deutschen Polizeis­prech „Mehrzweck­ein­satz­s­tock“, kurz MES genannt), gegen die Gegendemonstrant_innen ein. Ein Gegen­demon­strant wurde durch einen geziel­ten Schlag gegen den Kopf so schwer ver­letzt, dass er kurzzeitig das Bewusst­sein ver­lor und in ein Kranken­haus gebracht wer­den musste.

 

Im Nach­gang der Demon­stra­tion leit­ete die Saar­brücker Polizei zahlre­iche Ermit­tlungsver­fahren gegen Teilnehmer_innen der antifaschis­tis­chen Proteste ein. Die meis­ten Ver­fahren stütz(t)en sich auf die bekan­nten Repres­sion­spara­graphen „Land­friedens­bruch“ (§ 125 StGB) oder „Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte“ (§ 113 StGB), eini­gen wurde außer­dem „Ver­mum­mung“ oder „Gefan­genen­be­freiung“ vorge­wor­fen. Ein Polizist, der im Eifer des Gefechts über eine Fah­nen­stange stolperte, zeigte den Besitzer der Fah­nen­stange kurz­er­hand wegen „Gefährlicher Kör­per­ver­let­zung“ an. Die Vielzahl der ein­geleit­eten Strafver­fahren sowie die Qual­ität der unter­stell­ten Straftaten macht vor allem eines deut­lich: der Saar­brücker Polizei ging es im unmit­tel­baren Nach­gang der Proteste vor allem darum, die Antifaschist_innen und ihren Protest gegen den Nazi­auf­marsch zu krim­i­nal­isieren und das Bild eines bewaffneten, äußerst bru­talen Mobs zu zeich­nen, der das Leben und die Gesund­heit friedlicher Saar­brücker Polizist_innen bedroht. Und wer am darauf fol­gen­den Tag die „Bild“-Zeitung auf­schlug, musste wahrhaftig denken, Saar­brücken stünde am Rande eines Bürgerkriegs.


Mit­tler­weile läuft noch ein weit­eres Ermit­tlungsver­fahren, das sich allerd­ings gegen zwei Polizis­ten der BFE-Einheit richtet, näm­lich den Schläger, der den oben erwäh­n­ten Antifaschis­ten mit einem geziel­ten Schlag gegen den Kopf nieder­streckte, und seinen Kol­le­gen, der den Über­griff durch eine Falschaus­sage zu decken ver­suchte. Einige Wochen nach der Nazikundge­bung und den antifaschis­tis­chen Protesten dage­gen tauchte in sozialen Net­zw­erken im Inter­net ein Video auf, das den oben beschriebe­nen Angriff des Nazis Har­ald Hörner sowie den des BFE-Polizisten auf Antifaschist_innen zeigt. Nach­dem die Ermit­tlungs­be­hör­den Ken­nt­nis über dieses Video erhiel­ten, waren sie gezwun­gen, gegen den Schläger zu ermit­teln. Die Vor­würfe lauten „Kör­per­ver­let­zung im Amt“ sowie „Ver­fol­gung Unschuldiger“ (§ 344 StGB), denn gegen den niedergeschla­ge­nen Antifaschis­ten hat­ten die Polizis­ten vor­sicht­shal­ber Strafanzeige wegen Land­friedens­bruch und Wider­stands gegen Polizeivol­lzugs­beamte gestellt. Dieses Ver­fahren, das ganz offen­sichtlich dem Zweck dienen sollte, den Betrof­fe­nen von Polizeige­walt zum Täter zu machen und den Über­griff zu ver­tuschen, wurde zuerst aus­ge­setzt, solange die Ermit­tlun­gen gegen die Polizis­ten laufen, und mit­tler­weile eben­falls eingestellt.


Ob es schließlich zu einem Prozess und damit auch zu einer öffentlichen The­ma­tisierung von Polizeige­walt kom­men wird, bleibt abzuwarten. Dass die Polizei nach Bekan­ntwer­den des Videos selbst ein Ver­fahren gegen den Prügelpolizis­ten ein­geleitet hat, lässt zumin­d­est hof­fen, dass dieser Fall nicht, wie so viele andere Fälle von Polizeige­walt, kom­plett unter den Tisch fallen wird. Ob der Schläger mit einem heim­lichen Straf­be­fehl und einer Geldzahlung davonkommt, oder ob es einen öffentlichen Prozess geben wird, hängt dabei nicht zuletzt auch vom öffentlichen Druck auf die Behör­den, den Fall zu ver­han­deln, ab.

Über­zo­gene Gewalt bei Polizeiein­sätzen findet längst nicht nur im Rah­men von poli­tis­chen Demon­stra­tio­nen statt. Willkür­liche Repres­salien, wie etwa Platzver­weise und Innen­stadtver­bote, tre­f­fen immer wieder, meis­tens unbe­merkt von der Öffentlichkeit, mar­gin­al­isierte Men­schen am Rande der Gesellschaft, etwa Obdachlose oder Drogenkonsument_innen. Fußball­fans sehen sich Woch­enende für Woch­enende mit oft­mals aggres­siven, aufgeputschten Son­dere­in­heiten der Polizei kon­fron­tiert, die unter dem Vor­wand der „Gefahren­ab­wehr“ Aufenthalts-verbote aussprechen und selb­s­ther­rlich in die Frei­heit­srechte vieler Men­schen ein­greifen. Für das Anzün­den eines Feuer­w­erk­skör­pers kön­nen Fußball­fans schnell mal ein drei­jähriges, bun­desweites Sta­dion­ver­bot erhal­ten. Zwar wer­den diese Maß­nah­men von den Sportver­bän­den bzw. den Vere­inen aus­ge­sprochen, in der Regel jedoch auf Empfehlung der Polizei und ihrer „szenekundi­gen“ Beamten.


Die Polizeige­setze der einzel­nen Bun­deslän­der geben den Beamten unter­schiedlich weit reichende Befug­nisse. In Ham­burg ist es der Polizei etwa erlaubt, nach eigenem Gut­dünken soge­nan­nte „Gefahrenge­bi­ete“ in der Stadt einzurichten. In diesen Bere­ichen sind dann ver­dacht­sun­ab­hängige Kon­trollen, Platzver­weise und Inge­wahrsam­nah­men erlaubt; die Bürg­er­rechte wer­den stark eingeschränkt, während gle­ichzeitig die Befug­nisse der Polizei extrem erweit­ert wer­den. Diese unter­liegen auch kein­er­lei juris­tis­cher oder demokratis­cher Kon­trolle: Ausweitung und Dauer dieser „Gefahrenge­bi­ete“ liegen alleine im Ermessen der Polizeiführung. Ham­burg ist das vielle­icht bisher extrem­ste Beispiel dafür, dass die Polizei schon lange nicht mehr nur ver­längerter Arm des Geset­zes, der an eben jene Gesetze gebun­den ist, son­dern sich selbst zum poli­tis­chen Akteur aufgeschwun­gen hat. Eine wirk­same (demokratis­che) Kon­trolle der Polizeiar­beit findet prak­tisch nicht statt, die Polizei kann in der Regel willkür­lich und ohne Furcht vor Kon­se­quen­zen agieren.


Auch wenn die saar­ländis­che Polizei solch weitre­ichende Befug­nisse wie ihre Ham­burger Kolleg_innen (noch) nicht hat: auch im Saar­land, und vor allem in der Lan­deshaupt­stadt Saar­brücken, kommt es immer wieder zu Über­grif­fen durch Polizeibeamte. In den ver­gan­genen Jahren kam es zu mehreren Fällen von Polizeige­walt gegen feiernde Men­schen im Nauwieser Vier­tel. Mehrere WG-Partys und Kneipen wur­den wegen ver­meintlicher „Ruh­estörung“ gewalt­sam geräumt, vor der Kneipe „Kurze Eck“ wurde ein junger Mann durch mehrere Polizist_innen ver­letzt und anschließend festgenom­men. Zahlre­iche Umste­hende, die den Polizeiein­satz mit ihren Handys gefilmt hat­ten, wur­den von den Polizist_innen unter Andro­hung von Repres­salien genötigt, die Fil­mauf­nah­men zu löschen. Und ganz aktuell beschäftigt ein Polizeiüber­griff von Anfang Feb­ruar 2014 Jus­tiz, Medien und Öffentlichkeit. Einem Polizeibeamten aus der Wache in der Saar­brücker Karcher­straße wird vorge­wor­fen, einen 26jährigen, der nach einer Auseinan­der­set­zung mit Türste­hern einer Saar­brücker Diskothek in Gewahrsam genom­men wird, schwer mis­shan­delt und gefoltert zu haben. Auf einem Feld­weg in Saarbücken-Fechingen soll der beschuldigte Polizist seinem gefes­sel­ten Opfer eine ganze Dose Pfef­fer­spray ins Gesicht gesprüht haben und ihm eine durchge­ladene Schuss­waffe an den Kopf gehal­ten haben. Während die Polizeiführung von einem „Einzelfall“ spricht, ist dies nicht das erste Mal, dass Beamte der Wache Karcher­straße durch Gewalt­tätigkeiten auf­fallen. Der Ruf, den die Karcherwache in Saar­brücken hat, kommt nicht von ungefähr.

 

Das Muster bei Polizeiüber­grif­fen ist dabei oft­mals das­selbe: Betrof­fene von Polizeige­walt wer­den durch (Gegen-) Anzeigen – gerne genom­men wer­den die bere­its erwäh­n­ten Para­graphen des Strafge­set­zbuchs „Wider­stand gegen Voll­streck­ungs­beamte“, „Land­friedens­bruch“ und ähn­liche) – zu Täter_innen gemacht, und haben bei einem eventuellen Prozess gegen über­grif­fige Polizist_innen so gut wie keine Chance: die Polizist_innen decken sich durch abge­sproch­ene Aus­sagen gegen­seitig, und die meis­ten Richter_innen schenken der Aus­sage eine_r Polizist_in grund­sät­zlich sowieso mehr Glauben als der eines „Row­dys“, der zum „Tatzeit­punkt“ möglicher­weise auch noch alko­holisiert war, oder ein­fach der „falschen“ Jugend­szene ange­hört und auf­grund dessen in den Augen deutscher Jurist_innen ver­mehrt zu „deviantem“ Ver­hal­ten neige.


Ein gängiges Mit­tel zur Ver­tuschung polizeilicher Über­griffe ist die Ver­nich­tung von Beweis­mit­teln durch Polizeibeamte. Ohne juris­tis­che Grund­lage wer­den Men­schen daran gehin­dert, polizeiliche Über­griffe zu doku­men­tieren – das bet­rifft auch immer wieder Jour­nal­is­ten, die von der Polizei an ihrer Arbeit gehin­dert wer­den. Bei Zuwider­hand­lung dro­hen die Beamten nicht sel­ten mit dem Ein­satz kör­per­licher Gewalt und der Ein­leitung von Strafver­fahren, und zwin­gen Zeug_innen die Beweis­mit­tel zu löschen bzw. zu ver­nichten. Sollte es doch ein­mal zu Strafver­fahren gegen Polizist_innen kom­men (die aller­meis­ten Fälle wer­den bere­its vorher eingestellt), müssen sich die angeklagten Beamten in der Regel keine großen Sor­gen machen: Fälle, in denen Polizist_innen tat­säch­lich angemessen für Über­griffe verurteilt wur­den, sucht man wie die sprich­wörtliche Nadel im Heuhaufen. Im Regelfall kön­nen sich die Schläger_innen auf die Aus­sagen ihrer Kolleg_innen und das Wohlwollen der Richter_innen verlassen.

 

Sol­i­dar­ität mit den Betrof­fe­nen von Polizeigewalt!

No Jus­tice! No Peace!

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Also ich kann das Video beim besten Willen nicht flüssig abspielen. Könnt ihr nochmal anders verbreiten?

Geht mir ähnlich, nur dass mein Gnu/Linux mit eurem Video-Format gar nichts anfangen kann: "Kein Video mit unterstütztem Format und MIME-Typ gefunden".

Packt es doch auf Vimeo oder so in einem für alle abspielbaren Format.

ggf. nach "restricted formats" suchen oder dem fucking flash player