Die Stadt gehört allen!?!
Durch ständige Modernisierung und Aufwertung sollen Städte anhand von ihrem Erscheinungsbild zu Aushängeschildern der jeweiligen Gemeinden werden, in der ewigen Konkurrenz als Unternehmensstandorte und Einkaufsstädte. Daher gibt es, z.B. in Reutlingen, zig Möglichkeiten auf unterschiedlichste Weise Geld los zu werden: Viele 'schicke' Cafes, eine große Auswahl an Bekleidungsgeschäften, eine 'wunderschöne' Stadthalle und weitere, von Konsumzwang geprägte Räume, in denen man sich wunderbar wohlfühlen kann.
Doch wo gehst du hin, wenn du gerade kein Geld ausgeben möchtest oder ausgeben kannst? Wenn du dich in einem ungezwungenen Rahmen mit Freunden treffen möchtest? Wenn du genau das machen möchtest, worauf du gerade Lust hast? Dann sieht die Lage in Städten weniger rosig aus. Aus Cafeś wird man raus geworfen, in Einkaufszentren vergrault man angeblich die zahlungskräftige Kundschaft und in einem Klamottenladen abzuhängen, ohne etwas Schönes kaufen zu können, war ja auch noch nie sehr verlockend.
Die wenigen Orte wie z. B. Parks, Plätze und Soziale Zentren, die uns für ein selbstbestimmtes Zusammenleben verbleiben, werden täglich von sogenannten Ordnungskräften durchstreift und kontrolliert um die Gesetze durchzusetzen und jegliche Ansätze von selbstbestimmten und spontanen Zusammenkünften von Menschen zu unterbinden, also die sogenannte öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.
So wird beispielsweise in Reutlingen in der Pomologie, einem Stadtpark, nach 23 Uhr jede Ansammlung von Menschen, die als Jugendliche eingestuft werden, konsequent aufgelöst; zur Not auch mal mit Hilfe eines Polizeihubschraubers, der „sowieso gerade in der Nähe war“.
In Reutlingen läuft halt alles etwas ordentlicher ab.
Beim Autonomen Jugendzentrum „Kulturschock Zelle“ schaut man deswegen bei Partys auch mal genauer hin und analysiert die Aufbauten bei größeren Veranstaltungen: Der Bauzaun mit befestigten Planen sei dazu da, Drogenkonsument*innen zu schützen und beim Chilloutbereich handle es sich um den Drogenmarktplatz, der nur dazu einlade, Drogen zu kaufen und anschließend zu konsumieren.
Nicht nur bei den kreativen Bauten ist ein geschultes Auge gefragt. Auch bei der Inspektion des Intimbereichs einiger junger Gäste auf illegale Substanzen geht man gründlich vor. Mensch will ja nicht aufgrund von verhältnismäßigem und stichprobenartigem Vorgehen mit leeren Händen nach Hause gehen. Auch wenn mal keine Party ist, weiß sich die Polizei hier zu helfen und schickt bei einer Mitarbeiter*innen-Versammlung gleich 6 Einsatzfahrzeuge zur Zelle, um unter einem Vorwand die Personalien der interessierten Menschen und Mitarbeiter*innen festzustellen.
Zelle vs. Stadtverwaltung
Dieses Vorgehen knüpft nahtlos an das der Reutlinger Stadtverwaltung an. Diese versucht mithilfe einer Gaststättenkonzession einen angemessenen Hebel zu finden um die Autonomie der Zelle einzuschränken und in den Zapfhahn des Gaststättenrechts zu pressen. Durch eine Konzession müssten einmal mehr Verantwortliche deklariert werden, die im Falle eines Vergehens gegen die Rahmenbedingungen den Kopf hinhalten müssten. Doch das ist nicht der Grund warum die Konzession von der Zelle so konsequent verweigert wird. Ein solch juristisches Konstrukt öffnet der Stadtverwaltung Tür und Tor für nahezu alle nur erdenklichen Repressionsmaßnahmen.
Als hätte die Stadt nicht schon über diverse Verfügungen genügend Spielraum um den Leuten der Zelle das Leben schwer zu machen. Ein Beispiel wäre da noch die aktuellste Idee des Ordnungsamtsleiters Albert Keppler. Dieser versuchte, mithilfe einer Verfügung, der Polizei Zutritt zu Veranstaltungen in der Zelle zu verschaffen. Bei Nichtbeachtung seitens der Zelle wurde ein Ordnungsgeld in Höhe von 5000 € angedroht. Diese Verfügung zog er allerdings nach Kritik der Zelle zurück. Ob der rechtliche Rahmen dafür nichts hergibt oder ob Herr Keppler seinen „guten Willen“ zeigen wollte ist zunächst noch unklar.
Wer uns am selbstbestimmten Leben hindert, soll unseren Widerstand spüren!
Fakt ist: Wir werden uns als Gäste der Zelle weiterhin konsequent gegen Polist*innen auf der Insel wehren und dies auch mit dem notwendigen zivilen Ungehorsam durchsetzen. Wer uns bei Demonstrationen verhaut, uns auf offener Straße, gegen unseren Willen, in die Unterhose fasst und uns am selbstbestimmten Leben auch nur im kleinsten hindert, sollte unseren Widerstand spüren! Wir erklären uns außerdem ausdrücklich solidarisch mit den Menschen in Hamburg, Berlin und überall auf der Welt, die diesen Repressalien noch viel schlimmer ausgesetzt sind als wir!
Rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen mehren sich in unserer Gesellschaft. Deutschlandweit wurden in den letzten Monaten Flüchtlingsunterkünfte angegriffen. Die Polizei tappt so gut wie immer im Dunkeln und kann angeblich keine rassistischen Motive erkennen. Die meisten Flüchtlingsunterkünfte befinden sich oft weit ab der Kernstadt in abgelegenen Gebieten. Da Flüchtlinge entgegen populistischen Aussagen hier nicht wie „Gott in Frankreich“ leben, können sie sich oft nicht leisten überhaupt in irgend einer Weise am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Es macht uns wütend wenn Menschen die vor Kriegen und Mißständen aus ihrer Heimat fliehen, auch dort wo sie Schutz suchen, um ihr Leben fürchten müssen. Wir stellen uns gegen Europas menschenverachtende Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge, denn sie kostet täglich Menschen das Leben.
Neben Frontex und prügelnden Cops sind auch die homo- und transphoben Proteste gegen den Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg gemeint, auf die wir besonders aufmerksam machen wollen. Wir sehen darin nur die Spitze eines homophoben Eisbergs in dieser Gesellschaft. Häufig darf man sich in diesem Diskurs Sätze wie „Ich bin ja nicht homophob, ABER wenn mein Sohn schwul wäre, würde ich mir Sorgen machen“anhören. Wir glauben das Homo- und Transphobie große Probleme in dieser Gesellschaft sind, in der die heterosexuelle Orientierung als Norm betrachtet wird.
The Problem isn't that I see sexism everywhere - the Problem is that you don't!
Es ist einfach ekelhaft, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres äußeren Erscheinungsbilds oder ihres Verhaltens diskriminiert werden. Dass Menschen anhand ihres Verhaltens diskriminiert werden, steht oft im Zusammenhang mit dem sexistischen Normalzustand. Dieser Zustand beschreibt zwei konstruierte Geschlechter, denen dann auch bestimmte Verhaltensweisen und Eigenschaften zugeschrieben werden.
Die sogenannte „Frau“ wird als weich, gefühlvoll, schwach und ängstlich beschrieben, wogegen der sogenannte „Mann“ als stark, unbeugsam, gefühlskalt und rational dargestellt wird. Wenn „Frauen“ wechselnde Sexualkontakte haben gelten sie als „Schlampen“, „Männer“ hingegen als besonders „männlich“.
Reutlingen ist, wie vermutlich jede andere Stadt, eine Projektionsfläche genau dieses sexistischen Normalzustands in unserer Gesellschaft. So lassen z. B. Clubs junge „Frauen“ als Engel verkleidet in der Fußgängerzone Flyer verteilen oder Bilder auf ihre Plakate drucken, die das „weibliche“ Geschlecht nur noch auf Äußerlichkeiten reduziert. Doch als wäre das nicht genug, setzt ein Reutlinger Club noch eins drauf. Dort ersetzen leicht bekleidete „weibliche“ Schaufensterpuppen hinter einer Scheibe die Keramik der Pissrinne.
Nicht nur Clubs versuchen ganz nach dem Motto „sex sells“ Werbung zu machen. Auch auf großen beleuchteten Litfaßsäulen sieht mensch die Werbung der „Bildzeitung“ oder die von „West“-Zigaretten auf denen immer wieder dieselben Muster zu erkennen sind.
Zurück zur Stadtpolitik
Wenn man also eine moderne Stadt wie Reutlingen betrachtet, ist diese kaum noch ein Raum für diejenigen, die dort leben wollen. Vielmehr steht bei der modernen Stadtplanung die profitorientierte Verwertung der Menschen über ihren Bedürfnissen. Das zeigt sich beispielsweise beim neuesten Projekt der Stadt Reutlingen: Beim sogenannten „Bebauungsplan K8“ geht es darum Altstadthäuser abzureißen und diese durch ein Einkaufsparadies mit Wohnmöglichkeiten auf „hohem Niveau“ zu ersetzen. Das Schema wiederholt sich derzeit überall auf der Welt, die bisherigen Mieter*innen, die nicht in das Bild einer schicken Stadt passen oder sich die Wohnungen nicht mehr leisten können, werden auf die Straße gesetzt, die Wohnungen aufgewertet damit sie mit mehr Profit abwerfen.
Wir wollen an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dies nur Beispiele in der Stadtentwicklung von Reutlingen sind, diese aber andere Städte als Vorbilder haben. Es ist uns auch wichtig das unsere Kritik, die wir formulieren, nicht den Luxus oder die Modernisierung der Stadt angreift, sondern die daraus resultierende Verdrängung der Menschen die sich diese Entwicklungen nicht leisten können oder das nicht wollen. Diesen Zustand sehen wir als Teil eines großen Gesamtproblems, allerdings wollen wir nicht bis zu einer herbeigeredeten „Revolution“ damit warten, uns den öffentlichen Raum wieder anzueignen.
Ihr könnt euch spontan ohne Erlaubnis zusammen finden, die Stadt malerisch verschönern, Streetart betreiben, für kulturelle Zentren kämpfen und euch an bestehenden Zentren beteiligen. Vielleicht wäre es auch mal wieder Zeit das Ordnungsamt mit feierwütigen Menschen zu besuchen oder sich den öffentlichen Raum durch gemeinsame Aktivitäten wie Outdoorkino, Straßenfest und vieles mehr zurück zu erkämpfen!
Wir wollen jedenfalls hier und jetzt beginnen und zwar mit dem was wir am allerliebsten machen: Feiernd mit Hunderten von Menschen denen es ähnlich geht wie uns!
Wir rufen daher zur überregionalen Nachttanzdemo in Reutlingen auf. Kommt zahlreich und beteiligt euch mit kreativen und vielfältigen Aktionen an der Demo!
Reclaim your City!
26.04.2014 – 17 Uhr am Hauptbahnhof in Reutlingen