[Kurdistan] Öcalans Freiheit ist eine Notwendigkeit für die Lösung des Kurdistan-Konflikts - Analyse der YXK zur Rolle Abdullah Öcalans im aktuellen İmralı-Prozess

Die Kurdische Frage ist eines der gravierendsten gesellschaftlichen Probleme des Nahen und Mittleren Ostens. Sie hält die Gesellschaften Syriens, Iraks, Irans und vor allem der Türkei über die Grenzen der bestehenden Nationalstaaten hinweg in Atem. Die kurdische Identität ist nach wie vor nicht akzeptiert, sodass KurdInnen ihre kulturellen und politischen Rechte vorenthalten werden. In der Vergangenheit wurde die kurdische Identität vollständig verleugnet und verboten.

 

Dagegen richtet sich seit langem Widerstand, unter anderem der der 1978 gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitbegründer und damals wie heute führender Theoretiker und Praktiker Abdullah Öcalan ist. Die PKK wandte sich gegen die Verleugnung und Unterdrückung der KurdInnen; zunächst durch die sozialwissenschaftliche Erforschung, Organisierung und Aufklärung der Bevölkerung Kurdistans, nach dem Militärputsch in der Türkei von 1980, der jegliche zivile Opposition unmöglich machte, aber auch mit Waffengewalt. Der bewaffnete Konflikt zwischen der Freiheitsbewegung, die sich rasch um die PKK bildete, und dem türkischen Staat kostete über 40.000 Menschenleben, etwa 4.500 Dörfer und Siedlungen wurden zerstört, Millionen wurden zu Flüchtlingen.

 

Seit den frühen 90er Jahren sucht die PKK den Dialog mit den Staat, um eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen. Die mehrfachen Versuche sich einander anzunähern – wie einseitige Waffenstillstände – gingen zumeist auf die Initiative Öcalans zurück, der sich innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung, aber auch gegenüber allen Konfliktparteien immer wieder für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage stark machte. In diesem Sinne verließ er 1998 Syrien, dem die Türkei mit Krieg drohte, würde es weiterhin Öcalan auf dem eigenen Staatsterritorium dulden, Richtung Europa, um hier den Weg für einen Frieden in Kurdistan zu ebnen. Seine Suche nach Unterstützung unter den europäischen Staaten für eine friedliche Lösung des Kurdistan-Konflikts blieb erfolglos. Stattdessen verweigerten die europäischen Regierungen ihre Unterstützung und Öcalan einen Aufenthalt.

Auf diese Weise war Öcalan gezwungen, Europa zu verlassen. Mit dem Ziel Südafrika, das ihm einen Aufenthalt angeboten hatte, bestieg er in Griechenland ein Flugzeug, das in Kenia landete, wo er am 15. Februar 1999 von westlichen Geheimdiensten entführt und dem türkischen Geheimdienst MIT übergeben wurde. Dieser Akt stellt einen Verstoß gegen internationales Recht dar und wird richtigerweise auch als „internationales Komplott“ bezeichnet.

Seit nunmehr 15 Jahren befindet sich Öcalan in türkischer Haft. Zunächst wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt; gegen die Vollstreckung intervenierten europäische Gerichtsinstanzen, das äußerst kurze Verfahren bezeichneten sie als unfair. Inhaftiert ist Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı; zehn Jahre als einziger Gefangener, ohne Zugang zu Fernsehen, Telefon oder regelmäßige anwaltliche, familiäre oder andere Besuche. Das Haftregime ist äußerst streng, so wurden willkürlich zahlreiche Haftverschärfungen und Disziplinarstrafen verhängt. Seit knapp fünf Jahren sind zwar vier weitere politische Gefangene auf İmralı inhaftiert, doch dieses Gefängnis ist auf Isolation ausgerichtet. Der gezielte Entzug von äußeren Reizen, die die Sinne der Gefangenen anregen könnten, ist als „weiße Folter“ anerkannt. Auf İmralı kommt sie intensiv zum Einsatz. Mit diesem Gefängnis hat sich das Anti-Folter Komitee des Europarats (CPT) bisher am häufigsten beschäftigt. Zahlreiche Verfahren gegen die Türkische Republik sind aufgrund der Situation Öcalans eingeleitet worden.

Diese Tatsachen lassen sich nur verstehen, wenn die Umstände des Kurdistan-Konflikts Berücksichtigung finden.

 

Aufgrund seiner zentralen Rolle innerhalb der PKK bezieht sich die kurdische Freiheitsbewegung und somit ein Großteil der kurdischen Bevölkerung positiv auf Öcalan. 2006/ 2007 unterzeichneten 3,5 Millionen KurdInnen eine Erklärung, die Öcalan als ihren Repräsentanten bezeichnete; diese Zahl ist von einem belgischen Notar bestätigt. Angesichts der Repression gegen diese Unterschriftenaktion ist die Zahl von 3,5 Millionen UnterzeichnerInnen – bei ca. 40 Millionen KurdInnen – enorm. Über die politischen Lager innerhalb der kurdischen Bevölkerung hinweg genießt Öcalan sehr hohes Ansehen, auch wenn seine Person oft polarisieren mag.

Die kurdische Freiheitsbewegung, allen voran die PKK, hat immer wieder betont, dass Öcalan für sie eine zentrale Rolle einnimmt. Auf theoretischer und praktischer Ebene hat er wichtige politische Fortschritte initiiert und ihnen oft genug den nötigen Nachdruck verliehen: die Geschlechterfrage in den Vordergrund des Engagements zu stellen, einseitige Waffenruhen auszurufen und Friedens-Delegationen zu entsenden, die eigenen Positionen und Fehler selbstkritisch zu hinterfragen, auf die andere Konfliktpartei zuzugehen...

Diese Rolle wird von der kurdischen Seite stets betont und vom türkischen Staat mittlerweile faktisch anerkannt. Öcalan legte 2009 die „Roadmap zu Verhandlungen“ vor, auf deren Grundlage eine Reihe von Gesprächen zwischen VertreterInnen der PKK und dem MIT in Oslo sowie Öcalan und dem MIT auf İmralı stattfand. Somit wurde er auch von der AKP-Regierung – wie von den Vorgängerregierungen auch – als Gesprächspartner akzeptiert und in den Austausch zwischen den Konfliktparteien einbezogen. Dieser „Oslo-İmralı-Prozess“ wurde geheim geführt und im Sommer 2011, nach den Parlamentswahlen in der Türkei vom Staat abgebrochen. Es folgte eine Totalisolation gegen Öcalan, die ab Juli 2011 anderthalb Jahre andauern sollte. Wie die Erfahrung bereits mehrmals gezeigt hat, nimmt Gewalt den Platz von Dialog ein, wenn dieser abgebrochen wird, aber eigentlich notwendig wäre, um Konflikte zu lösen. Während des Jahres 2012 eskalierte die Gewalt zwischen dem türkischen Militär und der Guerilla der PKK wie seit den 90er Jahren nicht mehr – regierungsnahe Kreise sprachen von einer „tamilischen Lösung“ der kurdischen Frage, womit sie die militärische Zerschlagung der Bewegung unter Inkaufnahme tausender ziviler Opfer und schwerster Menschenrechtsverletzungen meinten.

Dieser Versuch scheiterte (zum wiederholten Male). Die Guerilla ging stattdessen in eine Offensive über und zwang das Militär in manchen Regionen Nordkurdistans (Südosttürkei) zurück in seine Kasernen. In Kurdistan, der Türkei und Europa protestierten KurdInnen in massenhaften Aktionen des zivilen Ungehorsams. Im Herbst 2012 traten die politischen Gefangenen in den türkischen Gefängnissen – seit 2009 durch Massenverfahren gegen zivile Strukturen bis zu 10.000 Personen – in einen unbefristeten Hungerstreik. Eine ihrer zentralen Forderungen war, die Aufhebung der Totalisolation gegen Öcalan sowie seine Freiheit, um Grundlagen für einen ernsthaften Friedensprozess zu schaffen. Der Druck auf die Regierung war so stark, dass sie Ende 2012 erneut Gespräche mit Öcalan suchte. Sie ließ ihn durch eine schriftliche Erklärung öffentlich zu Wort kommen, woraufhin der Hungerstreik beendet wurde. Damit begann ein Austausch, der bis heute andauert und konkrete Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien vorbereiten soll; der aktuelle „İmralı-Prozess“.

 

Im Zentrum des İmralı-Prozess steht Öcalan: über den Geheimdienst führt er einen Dialog mit der Regierung über Annäherungen der Konfliktparteien hin zu einem Prozess zur Lösung des Kurdistan-Konflikts sowie der kurdischen Frage an sich. Er erhält regelmäßig – etwa einmal im Monat – Besuch von Delegationen der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) sowie der Demokratische Partei der Völker (HDP), die wiederum seine Einschätzungen und Vorstellungen an die kurdische Bevölkerung sowie deren Freiheitsbewegung weitertragen und zur Diskussion stellen. Öcalan erhält ab und zu die Möglichkeit, schriftliche Erklärungen abzugeben oder (öffentliche) Briefe zu schicken, um verschiedene gesellschaftliche AkteurInnen und Gruppen zu adressieren.

Die wohl wichtigste dieser Erklärungen war das zu Newroz 2013 veröffentlichte „Manifest“, auch Newroz-Erklärung genannt. Diese richtete sich vor allem an die türkische Gesellschaft, denn in ihr rief Öcalan alle Teile der Gesellschaften in der Türkei dazu auf, aufeinander zuzugehen und ein gemeinsames und friedliches Leben nach demokratischen und menschlichen Werten aufzubauen. Öcalan erklärte, dass nunmehr die Zeit des bewaffneten Kampfs vorüber sei und dieser durch einen rein politischen Kampf mit demokratischen Mitteln ersetzt werden würde.

Als Antwort auf die Newroz-Erklärung rief die Dachorganisation der kurdischen Bewegung, die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) einen dauerhaften Waffenstillstand aus und kündigte einen schrittweisen Rückzug der Guerilla-Einheiten nach eigenen Bedingungen vom türkischen Staatsgebiet an; dieser Rückzug ist Anfang September zwar gestoppt worden, da die türkische Regierung seit dem Frühjahr 2013 die militärische Infrastruktur in Nordkurdistan massiv ausbaut, doch der Waffenstillstand wird sowohl von der Guerilla als auch (weitestgehend) vom Militär eingehalten. Es kam das ganze Jahr über zu nur vereinzelten Gefechten, was als großer Fortschritt und Erfolg für beide Seiten gewertet werden kann. Nichtsdestotrotz werden weiterhin polizeiliche und juristische Operationen gegen die zivilen Strukturen der Freiheitsbewegung geführt, sodass von einer Entspannung der Lage nur bedingt geredet werden kann.

Der militärische Rückzug der Guerilla wurde mit einer politischen Offensive der Freiheitsbewegung begleitet. Der Journalist Tuncel Fikret beschreibt diese Offensive wie folgt: „Die kurdische Bewegung verfolgt … parallel eine Strategie von Druck und Überzeugung: Für ein Zusammenleben gilt es die Türken von der Gleichberechtigung und die Kurden von einer Lösung ohne eigenen Staat zu überzeugen.“ Durch die zögerliche bis ablehnende Haltung des Staates ist die Freiheitsbewegung noch stärker darauf angewiesen, breite gesellschaftliche Kreise von einer Lösung der kurdischen Frage zu überzeugen und zivilgesellschaftliche Unterstützung eines darauf gerichteten Prozesses zu organisieren. Zu diesem Zweck wurden zahlreiche Veranstaltungen, Dialoge und Kampagnen gestartet. Dabei sollte sich die Bewegung vor allem auf ihre eigene Stärke konzentrieren und vor allem die Gesellschaften adressieren.

Dass ein solches Vorangehen noch enormes Potential birgt, das die gesamte Türkei in ihrer momentanen Ausgestaltung erschüttern kann, zeigten die Gezi-Proteste Anfang Sommer 2013. Weite Teile der türkischen Bevölkerung sind die Politik ihrer Regierungen und ein sich verschärfendes soziales, religiöses und ökonomisches Klima ihrer Gesellschaft leid und bereit, dagegen auf die Straße zu gehen. Die längst überfällige Demokratisierung der Gesellschaft der Türkei wird vor allem durch die kurdische Freiheitsbewegung und ihren Repräsentanten Abdullah Öcalan vorangetrieben. Ein Beispiel für diese Behauptung ist die Demokratische Partei der Völker (HDP), die aus dem Demokratischen Kongress der Völker (HDK) hervor gegangen ist und eine breite Opposition der unterdrückten und ausgebeuteten Gruppen, Völker und Religionsgemeinschaften werden soll. Im Grunde ist sie die einzige demokratische Opposition der Westtürkei, da die BDP erklärt hat, sich auf Nordkurdistan zu konzentrieren und mit der HDP gemeinsam zu arbeiten. Solche Projekte zeigen, dass ein Ende des Kurdistan-Konflikts und eine friedliche und gerechte Lösung der kurdischen Frage der gesamten Türkei und dem gesamten Nahen und Mittleren Osten zugute kommen würden.

Dass es die kurdische Bewegung mit einem Ende des Konflikts und der Lösung der kurdischen Frage sehr ernst meint, liegt auf der Hand. Sie hat erklärt, notfalls auch ohne den türkischen Staat die kurdische Frage zu lösen, da auch gegen seinen Willen ein System der kommunalen Selbstverwaltung, der selbstbestimmten Zivilgesellschaft und der basisdemokratisch organisierten Bevölkerung, die sogenannte Demokratische Autonomie aufgebaut würde. Daher bezeichnet die Bewegung den derzeitigen Abschnitt ihres Kampfs auch als „Phase des Aufbaus des freien und demokratischen Lebens“. Je früher sich der Staat gegenüber diesem Projekt öffnet und in einen gemeinsamen Prozess einsteigt, desto einfacher wird der Kurdistan-Konflikt beendet werden – für alle Beteiligten.

Vor dieser Erkenntnis scheint die Regierung nach wie vor ihre Augen verschließen zu wollen. Ihre Versprechungen blieben bisher leere Worte oder lediglich Politik für die eigenen Klientel, wie das im Vorfeld der Veröffentlichung großgeredete „Demokratiepaket“ des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Dieses Reformpaket sollte kulturelle und politische Rechte stärken und zur Demokratisierung der Türkei beitragen. Stattdessen war es inhaltlich derart schwach, dass selbst europäische Medien es als Mogelpackung bewerteten. Stattdessen wurde die militärische Infrastruktur in Nordkurdistan weiter ausgebaut, polizeiliche Operationen gegen die linke und kurdische Opposition und Zivilgesellschaft durchgeführt, die Lage im Syrien-Konflikt eskaliert; also keine nachhaltigen Schritte für Veränderungen unternommen.

Trotzdem hält Öcalan am derzeitigen Prozess fest. Bedenken und wachsende Unruhe in der kurdischen Bevölkerung sowie der Freiheitsbewegung macht es den EntscheidungsträgerInnen innerhalb der Bewegung nicht einfach, immer wieder auf den Dialog zu pochen; zu oft hat der Staat durch Gespräche auf Zeit gespielt, um die eigene militärische Position zu verbessern und dann den Plan der „tamilischen Lösung“ zu verfolgen. Dass dieser Prozess trotz der realen Verweigerung der Regierung aufrecht erhalten wird, ist zum bedeutenden Teil Öcalans Verdienst. Daher versuchen auch Kräfte innerhalb und außerhalb des türkischen Staats, die vom Kurdistan-Konflikt profitieren und deren Machtpositionen durch eine Demokratisierung der Türkei bedroht sind, Öcalan als Person zu diskreditieren. Erst kürzlich wurden im Internet Videos veröffentlicht, die Öcalan kurz nach seiner Inhaftierung bei einem Verhör durch den Geheimdienst zeigen. Die Videos sein allerdings (sehr dilettantisch) so zusammen geschnitten, dass die aneinandergereihten Worte Öcalans einen anderen Sinn ergeben. Diese Videos sind vor allem ein Versuch, einen Keil zwischen die kurdische Bevölkerung und Öcalan zu treiben und ihn mit seinen Positionen für einen Dialog und Frieden zu isolieren.

Die MacherInnen der Videos wissen um die Bedeutung Öcalans für einen Frieden und zielen ganz bewusst auf ihn ab. Ihnen ist klar, dass starke Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft in der Lage sind, die Gräben und Wunden, die ein jahrzehntelanger Konflikt in eine Gesellschaft geschlagen hat, zu überwinden und zu heilen. Solche Persönlichkeiten sind KatalysatorInnen für die Versöhnung nach Konflikten und daher von großer Bedeutung für einen dauerhaften und gerechten Frieden. Wenn wir etwas von Beispielen wie Nelson Mandela in Südafrika, Gerry Adams in Nordirland oder Arnaldo Otegi im Baskenland lernen wollen, dann, dass der Mut und die Beharrlichkeit einzelner Persönlichkeiten große Dynamiken in gesellschaftlichen Konflikten entfalten können. Sie gilt es nicht zu fürchten, sondern sie bei einer friedlichen und gerechten Konfliktlösung zu unterstützen.

Diejenigen, die derzeit Öcalan angreifen, sind auch daran interessiert, die AKP-Regierung zu schwächen. Sie diskreditieren die am İmralı-Prozess beteiligten AkteurInnen, um den Prozess als solchen zu sabotieren. Diese Kräfte gilt es zu entlarven und zu isolieren. Um ihnen etwas entgegen zu setzen, dürfen sich alle Beteiligten nicht von einer ernsthaften Lösungsperspektive abbringen lassen und müssen sich gerade jetzt für möglichst weitreichende Fortschritte einsetzen. Meint es die AKP-Regierung ernst mit ihren Versprechen an eine Konfliktlösung, ist es nun an ihr, die Vorleistungen der Freiheitsbewegung mit tatsächlichen Veränderungen zu beantworten. Dazu bietet sich Öcalans Situation geradezu an. Ihn in die Lage zu versetzen, seiner Verantwortungen im İmralı-Prozess nachzukommen, wäre nicht nur ein starkes Zeichen der Ernsthaftigkeit gegenüber der Freiheitsbewegung, der internationalen Öffentlichkeit und der Gesellschaft der Türkei, sondern würde auch den Prozess als solchen stabilisieren und neue Dynamiken verleihen.

 

Um dies zu tun, müssen einige substantielle Veränderungen vorgenommen werden. Zunächst muss Öcalans Sicherheit gewährleistet sein, dass heißt, seine Gesundheit und seine Haftbedingungen müssen dahingehend gefördert werden, dass sie ihn nicht behindern, am Prozess zu partizipieren. Unabhängige, internationale Stellen wie das CPT könnten einen Beitrag dazu leisten.

Des Weiteren müssen Öcalan alle Rechte zustehen, die für Gefangene – auch in türkischer Haft – selbstverständlich sind. Dazu zählt vor allem das Recht auf juristische Verteidigung. Seit Juli 2011 wurde Öcalans AnwältInnen jeglicher Besuch bei ihrem Mandanten untersagt, was einem eklatanten Verstoß jeglicher rechtsstaatlicher Standards gleichkommt. Hingegen laufen Gerichtsverfahren gegen Öcalans VerteidigerInnen. Solange diese Repression fortbesteht, kann der Staat nicht das Prädikat eines Rechtsstaats für sich in Anspruch nehmen, geschweige denn einen Prozess hin zu Verhandlungen führen.

Die Aufzählung solcher Selbstverständlichkeiten kann mit dem Zugang zu Kommunikationsmitteln fortgesetzt werden. Öcalan ist es als einzigem Gefangenen der Türkei nicht gestattet zu telefonieren. Bis auf die BDP-Delegationen und wenige Familienbesuche sowie einzelne schriftliche Stellungnahmen und Briefe ist es ihm nicht möglich, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Selbst diese eingeschränkten Möglichkeiten finden momentan in einer rechtlichen Grauzone statt und bedürfen dringend eines legalen und anerkannten Rahmens. Zum einen sollten auch andere Teile der Zivilgesellschaft wie JournalistInnen, AktivistInnen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens oder FreundInnen und Familie Besuchsrecht auf İmralı erhalten, zum anderen sollte der Austausch über Briefe, Telefon etc. Öcalan derart zur Verfügung stehen, dass er mit den verschiedenen AkteurInnen des Konflikts frei kommunizieren kann. In einem Gespräch mit PolitikerInnen der BDP Anfang Februar betonte Öcalan, dass ihn Delegationen öfters, als einmal im Monat, besuchen müssten, um die Gespräche zu intensivieren und auszuweiten – gegebenenfalls täglich.

Solche Veränderungen wären erste wichtige Schritte in einem Prozess, in dessen Verlauf oder an dessen Ende ehrliche Verhandlungen über eine Konfliktlösung stattfinden. In dem genannten Gespräch mit der BDP-Delegation forderte Öcalan, den Prozess unverzüglich auf ein solches Niveau substantieller Verhandlungen zu heben, anstatt länger einen Austausch ohne konkrete Ergebnisse zu führen. Dazu wäre es notwendig, dass das Parlament einen gesetzlichen Rahmen für den Prozess schafft. Eine neutrale Instanz als Beobachterin würde dem Prozess mehr Sicherheit und Nachdruck verleihen. Des Weiteren sollte die Regierung mit einer eigenen Delegation unmittelbar mit Öcalan in Kontakt treten, statt länger den Geheimdienst die Gespräche von Seiten des Staats führen zu lassen. Auf diese Weise sollten schnellstmöglich konkrete Verhandlungen beginnen.

Sie sollten unter anderem mit einer Einstellung der politischen, polizeilichen und juristischen Operationen gegen die kurdische Bewegung einhergehen und zu belastbaren Ergebnissen führen wie der Einführung des Kurdischen als offiziell anerkannte Sprache des öffentlichen Lebens und ähnlichen kulturellen Rechten, dem Herabsetzen der undemokratischen 10%-Wahlhürde für das Parlament der Türkei und der Anerkennung kommunaler Selbstverwaltung oder der Freilassung der tausenden politischen Gefangenen, zu denen gegen Ende eines Lösungsprozesses auch Abdullah Öcalan gehören muss.

 

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen solidarisieren wir uns mit Abdullah Öcalan und wünschen ihm trotz des 15. Jahrestages seiner Verschleppung beste Gesundheit und baldige Freiheit.

Wir versprechen ihm und der kurdischen Freiheitsbewegung weiterhin für seine Freiheit und eine friedliche und gerechte Lösung der kurdischen Frage zu kämpfen.

 

Daher fordern wir:

Freiheit für Abdullah Öcalan und die politischen Gefangenen in der Türkei!

Unterstützung des İmralı-Prozesses zu Verhandlungen über die Lösung der kurdischen Frage!

Demokratie für die Türkei sowie Freiheit für Kurdistan!

 

YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan, 14.02.14

(info@yxkonline.de/ yxkonline.de)

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Freiheit für die politischen Gefangen inklusive Öcalan und PKK Verbot (in Deutschland) abschaffen sind ja sinnvolle Forderungen.

 

Aber: was sagt es über eine Bewegung aus, wenn eine Person so eine zentrale Rolle hat? In meinen Augen ist das Zeichen einer autoritären Struktur. Warum hat der Emzipations- und Demokratisierungsprozess von dem immer die Rede ist nicht dazu geführt dass sich die Bewegung sichtbar von Öcalan emanzipiert?

 

Warum sollte irgendwer auf einen politischen Anführer hören, der im Knast sitzt und die aktuellen Entwicklungen nur bruchstückhaft mitkriegt? Erfolgte Demokratisierung würde heissendass wichtigie Initiativen (wie diese road-map) bottom-up entstehen, und nicht top-down vom leader angesagt werden.

 

Ein kurdischer Genosse hat mir mal erklärt das Öcalan als Symbol des linken kurdischen Befreiungskampfes wichtig ist. Sorry, aber wenn jemand eine Person als symbol für seinen/ihren Kampf braucht, dann ist die Person ziemlich doof und autoritär. Ich glaube nicht dass die Aktivist_innen der kurdischen Bewegungen so doof sind. Ich glaube nicht Öcalan so unverzichtbar ist.

 

Ich vermute (zugegeben Spekulation, weil mir das Wissen um die kurdischen Strukturen fehlt) dass hier ein paar Parteiheads die Bedeutung Öcalans hochhalten weil sie es sind, die zwischen Imrali und den Bewegungen vermitteln. Ich vermute dass es mit der internen Demokratisierung der Bewegungen nicht so weit her is wie gerne getan wird. Ich glaube  dass es in weiten Teilen der kurdischen Bewegung als unsagbar gilt dass Öcalan nichts zu melden hat oder haben sollte.

 

Ich glaube auch dass sich die deutsche Linke ruhig mehr mit der kurdischen situation befassen sollte. Dazu gehört aber auch, mal die Gründe auf den Tisch zu legen warum viele in der Linken hier irgendwann die Zusammenarbeit mit den PKK-Strukturen abgebrochen haben. Dazu gehört nicht individualiserte Selbstrkritik als Selbstdisziplinierung, sondern politische kritik und offene Diskussion.