Die politische Krise im EU-Land Ungarn spitzt sich zu. Kurz vor den Wahlen will die konservative Orbán-Regierung die Macht des Parlaments massiv beschneiden - es soll weniger Debatten geben und Strafen für missliebige Abgeordnete. Bürgerrechtler sind entsetzt. Von Keno Verseck.
Parlamentsdebatten nennt er schon mal einen "Flohzirkus" und "überflüssige Phrasendrescherei". Abgeordneten der demokratischen Opposition schaltet er das Mikrofon bei kritischen Wortmeldungen besonders schnell ab. Oder droht ihnen mit Rauswurf aus dem Plenarsaal durch die Parlamentsgarde.
László Kövér, in Ungarns Regierungspartei Fidesz bekannt als "Mann mit der eisernen Hand", wollte den Job als Parlamentspräsident 2010 gar nicht haben - seitdem er ihn doch macht, lässt er regelmäßig durchblicken, was er von der Institution hält, die er leitet.
Zwar hat die in Ungarn unter Premier Viktor Orbán regierende Zwei-Drittel-Mehrheit in den vergangenen dreieinhalb Jahren 800 Gesetze - darunter eine neue Verfassung nebst fünf umfangreichen Ergänzungen - verabschiedet, eine Rekordleistung. Dabei wurde im Zuge einer Wahlrechtsreform ab der kommenden Legislaturperiode, also ab Frühjahr 2014, unter anderem auch das Parlament verkleinert - statt 386 gibt es künftig nur noch 199 Abgeordnete. Doch Kövér findet das "Verehrte Haus" noch immer zu schwerfällig und ineffizient.
Deshalb träumte der 54-Jährige mit dem markanten Schnauzbart Anfang September in einem Interview mit dem Budapester InfoRádió von einer Ermächtigungsregierung. "Es wäre normal, wenn das Parlament nur die allergrundsätzlichsten Garantieregelungen erarbeiten und der Regierung jeweils eine vierjährige Ermächtigung erteilen würde", sagte Kövér.
Straffer Gesetzgebungsprozess
Kövérs Ideen lösten damals eine Kontroverse in Ungarn aus. Zwar sagte der Parlamentspräsident später, seine Äußerungen seien von der Opposition mutwillig missinterpretiert worden. Doch nun legte die Regierungsmehrheit den Plan zu einer Parlamentsreform vor, die Kövérs Ideen aufgreift. Die Debatte darüber soll noch in dieser Woche beginnen. Ziel ist in erster Linie ein strafferer Gesetzgebungsprozess. Deshalb sollen unter anderem:
- Debatten über Gesetze größtenteils in die zuständigen Fachausschüsse und einen neuen, übergeordneten "Legislativausschuss" verlagert, Plenardebatten hingegen zeitlich stark begrenzt werden;
- Abgeordnete im Plenum über Gesetzentwürfe nur noch in zwei Stufen abstimmen: über das Gesamtpaket der Änderungsanträge sowie im Schlussvotum über das Gesetz;
- Parlamentspräsident und Parlamentspräsidium größere Vollmachten erhalten;
- Abgeordnete schneller und strenger sanktioniert werden können, wenn sie das Parlament herabwürdigen;
- Abgeordnete in ihren Redebeiträgen Bilder und Tonaufnahmen nur nach vorheriger Genehmigung durch das Parlamentspräsidium verwenden dürfen - eine Regelung, die sich gegen medienwirksame Proteste von Oppositionsabgeordneten mit Transparenten oder Plakaten richtet.
Obwohl es um eine weitreichende Reform der wichtigsten Institution in einem demokratischen Rechtsstaat geht, lud Orbáns Regierungsmehrheit andere Parlamentsparteien nicht zu Konsultationen ein. Abgestimmt werden soll das gesamte Reformpaket voraussichtlich im Februar - wenige Wochen vor den Parlamentswahlen, bei denen Fidesz seine Zwei-Drittel-Mehrheit möglicherweise verliert.
Die sozialistische und liberale Opposition sieht in der Reform einen weiteren Einschnitt in die Demokratie in Ungarn und spricht von einer De-facto-Entmachtung des Parlamentes. Praktisch würde mit der Reform das Dekretregieren eingeführt, beklagte etwa der liberale Abgeordnete Gergely Karácsony im Fernsehsender ATV.
Auch Bürger- und Verfassungsrechtler kritisieren die Parlamentsreform gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Was die gegenwärtige Regierungsmehrheit plant, sprengt den Rahmen des Parlamentarismus", sagt Máté Szabó, Jurist von der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" (TASZ), einer der bedeutendsten ungarischen Zivilrechtsorganisationen.
Mehr Zeit zur Meinungsbildung
Der Budapester Verfassungsrechtler György Kolláth urteilt, das Plenum werde mit dem Gesetzentwurf "zu einem Abstimmungsautomaten degradiert", Ungarn entferne sich erneut ein Stück von den gängigen demokratischen Normen und Bräuchen in Europa.
Sein Kollege Gábor Halmai sieht das ähnlich. "In den letzten Jahren wurden Hunderte von Gesetzen ohne neutrale Expertise debattiert, manche so, dass am Freitag ein Abgeordneter einen Entwurf vorlegte und das Parlament ihn am Montag verabschiedete. Aber die Antwort darauf kann nicht sein, dass man jetzt dem Plenum gar nichts mehr vorlegt."
Immerhin will die Regierungsmehrheit die Freitags-Entwurf-Montags-Gesetz-Praxis jetzt selbst abschaffen - nachdem sie Ungarn legislativ umgekrempelt hat. Künftig sollen zwischen Vorlage eines Entwurfes und Beginn der Debatte darüber mindestens sechs Tage liegen. Der Politologe Attila Juhász vom Budapester Forschungsinstitut Political Capital sieht darin ein positives Element der geplanten Reform. "Der Gesetzgebungsprozess wird verlangsamt, die Fraktionen haben mehr Zeit zur Meinungsbildung."
László Kövér selbst ist immer noch nicht ganz zufrieden. Zwar gewährleiste der Entwurf seiner Parteikollegen, dass die Arbeit des Parlamentes nicht mehr "zu billigem, uninteressanten Theater herabsinke", sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur MTI. Allerdings hätten die Abgeordneten ja genug in den Ausschüssen und in ihren Wahlkreisen zu tun, so Kövér. Deshalb reiche es aus, wenn Plenarsitzungen des Parlamentes nur alle drei Wochen stattfinden würden.
Schlimm
Was macht die EU eigentlich wenn dieser Verrückte...Viktor Orbán irgentwann beschließt Wahlen sind nicht mehr nötig weil die Fidesz ist das "Optimalste".