Geheimdienste: Intrige unter Diensten

BND-Chef Gehlen 1958 in Hannover
Erstveröffentlicht: 
13.10.2013

Historiker widerlegen die These, viele NS-Verbrecher hätten einst beim Verfassungsschutz angeheuert. Neu aufgetauchte Akten zeigen: Das Gerücht hat der BND gestreut.

 

Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), sieht müde aus. Beinahe täglich wird der 50-jährige Jurist mit Vorschlägen traktiert, welche Konsequenzen seine Behörde aus dem NSU-Neonazi-Skandal ziehen solle. Jetzt muss er sich auch noch mit Alt-Nazis beschäftigen, die einst in seinem Hause gedient haben. Eine kleine Historikerkommission hat sich darangemacht, die Gründungsgeschichte des Inlandsgeheimdiensts aufzuklären. Nun ist es Zeit für einen ersten Zwischenbericht – und deshalb sitzt Maaßen am vorvergangenen Dienstag auf einem Podium neben den Professoren Constantin Goschler und Michael Wala. Es ist ein bekanntes Ritual. In vielen Behörden und Ministerien gehen offiziell beauftragte Wissenschaftler der Frage nach, wie viele Nazis in den Gründerjahren der Republik die Amtsstuben besetzten. Bislang haben sich die Ergebnisse, etwa beim Auswärtigen Amt oder beim Bundeskriminalamt, als erschütternd erwiesen. Nicht so beim Verfassungsschutz. Die Anzahl ehemaliger Nazis unter gut 1500 überprüften BfV-Mitarbeitern? Etwa 13 Prozent, eine vergleichsweise „eher niedrige Zahl“ (Wala). Folterer und Schreibtischtäter? Einige wenige, schlimm genug, aber die meisten Namen sind seit Jahrzehnten bekannt. Versuche von Verfassungsschützern, die Strafverfolgung von SS-Mördern zu behindern? In den Akten bislang nicht nachweisbar.  Maaßens Gesichtszüge entspannen sich. Endlich mal gute Nachrichten.

 

So bleibt die Frage, woher das sich hartnäckig haltende Gerücht stammte, der in Köln ansässige Verfassungsschutz sei in der Gründungszeit eine durch und durch braune Behörde gewesen. Eine Antwort findet sich in CIA-Akten und „streng geheimen“ Unterlagen aus den fünfziger und sechziger Jahren, die die Bundesregierung auf Antrag des SPIEGEL freigegeben hat. Die Spur führt nach Pullach zum Bundesnachrichtendienst (BND) und zu dessen erstem Präsidenten Reinhard Gehlen. Der ehemalige General der Wehrmacht sah die Kölner Behörde als Konkurrenz. Beide Dienste betrieben Spionageabwehr, beide spitzelten im Innern (was der BND nicht darf), beide buhlten um Ansehen bei den Mächtigen. Gehlen war Mann der Amerikaner und wurde von Kanzler Konrad Adenauer gefördert, das BfV hingegen war eine Gründung in der ehemals britischen Zone, mit Rückhalt in der SPD und bei Adenauers CDU-Rivalen Jakob Kaiser. An der BfV-Spitze stand zudem zunächst Otto John, ein Mann des 20. Juli, der nach 1945 Kriegsverbrecher der Wehrmacht belastete, was ihm Gehlen übelnahm („Einmal Verräter, immer Verräter“).

 

Nazi-Seilschaften bildeten sich in Köln wie Pullach, doch die Größenordnungen sind sehr unterschiedlich. Beim BfV stießen Goschler und Wala bislang auf gut zwei Dutzend ehemalige Gestapo-, SD- und SS-Angehörige. In Gehlens Truppen waren es nach Expertenmeinung Hunderte. 1957 wurde das braune Erbe zum Thema zwischen den Behörden. Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hatte das BfV informiert, dass sich ehemalige Gestapo-Angehörige in einer Außenstelle des BND sammelten. Bald landete der Hinweis im Kanzleramt. Gehlen wehrte die Kritik zunächst mit einem Hinweis auf den Verfassungsschutz in den Ländern ab. Dort seien schließlich auch Ex-Gestapo-Leute beschäftigt, und der BND könne seine Mitarbeiter „nicht schlechter behandeln, als sie bei anderen Behörden behandelt“ würden. Ab 1962 zog Gehlen dann gegen das Bundesamt direkt zu Felde, denn inzwischen war Heinz Felfe aufgeflogen. Der ehemalige SS-Obersturmführer und hochrangige BND-Mann hatte jahrelang für die Sowjets spioniert. Sein Fall machte die SS-Leute im BND zum Politikum. Gehlen beschloss, zur Entlastung die Konkurrenz anzuschwärzen. O-Ton eines BND-Vermerks ans Kanzleramt: „Die Notwendigkeit, Personal dieser Art überhaupt zu beschäftigen, ist unbestritten. Sowohl die Landesämter wie das BfV haben einen relativ hohen Prozentsatz ehemaliger Kriminalbeamter, die politisch belastet sein könnten, in ihren Diensten. Der Wert dieser Personen liegt darin, dass es sich um kriminalistisch geschulte Leute handelt, die langjährige Erfahrung auf dem abwehr-polizeilichen Gebiet haben.“ 

 

Wenig später raunten BND-Spitzen bei einem Treffen in Pullach mit Beamten des Kanzleramts, ehemalige SD-Mitarbeiter würden „Querverbindungen“ zu Gleichgesinnten beim BfV unterhalten. Zwei Wochen nach dem Treffen in Pullach veröffentlichte die „Zeit“ einen Artikel, wonach der Verfassungsschutz im Zusammenspiel mit den Alliierten jahrelang Telefonate habe abhören lassen. Der Verfasser war Peter Stähle, der später auch für den SPIEGEL arbeitete. Und weil Stähle zudem einige Alt-Nazis in der Kölner Behörde outete, entstand der Eindruck, dass ausgerechnet Leute aus Himmlers Terrortruppen Post- und Fernmeldegeheimnis brachen. Auf Antrag der SPD setzte der Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein, was Gehlen trotz Felfe und Kameraden erspart blieb. Wie die CIA herausfand und im Februar 1964 notierte, hatte Stähle für seinen Artikel zwei Quellen: ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und Agenten des BND.


KLAUS WIEGREFE

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