Ankündigung: Theorie.org-Buch "Antispeziesismus" erscheint im September

theorie org

In der theorie.org-Reihe des Stuttgarter Schmetterling-Verlags erscheint im September 2013 der Band zum Thema Antispeziesismus.

Ankündigungstext:  

 

Kaum eine andere emanzipatorische Forderung verhallte im Gang der Geschichte immer wieder derart ungehört wie der Ruf nach der Befreiung der Tiere. Dabei existiert zur Thematik eine weit zurückreichende, genuin linke theoretische – und auch praktische – Tradition. Die sich momentan bildende Tierbefreiungsbewegung muss als geistige Erbin früherer Bewegungen betrachtet werden, auf deren Wirken sie aufbaut. In einem Streifzug durch die Geschichte modernen emanzipatorischen Denkens wirft dieser Band deshalb einige Schlaglichter auf diese Tradition – um sie aus ihrem Schattendasein zu holen, und um schon einmal gemachte Ansätze zur theoretischen Begründung einer Bewegung zur Befreiung von Mensch und Tier heutigem kritischen Denken zugänglich zu machen und sie zur Diskussion zu stellen. Im Anschluss wird die Entstehung der modernen Bewegung im Rahmen der sozialen Protestbewegungen und der linken Subkultur im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts beschrieben. Der Band zeigt auf: Der Tierbefreiungsgedanke, der stets als Konsequenz, Fortsetzung und Erfüllung der auf den Menschen bezogenen emanzipatorischen Forderungen verstanden worden ist, ist genuin links; die Grundthese des Autors lautet: Das Streben nach der Befreiung der Tiere und der Wunsch, die Menschheit zu emanzipieren, verfolgen keine unterschiedlichen Ziele oder Interessen und lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, im Gegenteil gilt: Tierbefreiung ist Voraussetzung und Resultat der Emanzipation des Menschen.

 

In einem Artikel in der linken Tageszeitung neues deutschland wurde das Buch bereits erwähnt und zitiert.

 

Alles Weitere rund um den Band "Antispeziesismus" in der theorie.org-Reihe wird unter https://www.facebook.com/Antispeziesismusbuch gesammelt und veröffentlicht werden.

 

ANTISPEZIESISTISCHE AKTION TÜBINGEN

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Also ich freue mich auf dieses Buch.

 

Wäre auch schön, wenn das Buch "Grüne Braune: Umwelt-, Tier- und Heimatschutz von Rechts" endlich mal erscheinen würde. Wichtiges Thema. Und das Buch von Oliver Geden ist mittlerweile in die Jahre gekommen!

 

Wenn Andreas Speit sensationsheischend vorgibt, die angeblich "ideologischen Wurzeln der Veganer-Ideologie" aufzudecken, indem er auf Gestalten wie Richard Wagner und Paul Förster verweist, um daraus abzuleiten: "Die antisemitische Konnotation der Kritik an der Moderne schwingt insofern bei der Argumentation für Veganismus und Tierrechte immer mit" (http://jungle-world.com/artikel/2008/43/27271.html), so tut er dies offensichtlich aus persönlichem Ressentiment gegen die aktuelle Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung sowie gegen den Veganismus heraus; jedenfalls handelt es sich um reine Schaumschlägerei: Anhand von antisemitischen bürgerlichen/rechten Tierfreunden den genuin linken Tierbefreiungsgedanken und die progressive Bewegung, welche diesen getragen hat, zu diffamieren, kommt dem Versuch gleich, den Sozialismus mit der Behauptung zu bekämpfen, auch die deutschen Faschisten seien (National-)Sozialisten gewesen.

Genau lesen bitte! So fern ich das aus Deinem posting entnehmen kann, spricht und schreibt Speit über "Veganer-Ideologie" und "Tier- Umwelt- und Heimatschutz". (Wobei der Begriff "Veganer-Ideologie" schon sehr unglücklich ist!) Er spricht nicht von "genuin linken Tierrbefreiungsgedanken". Natürlich kann mensch von Speit fordern, genauer zu differenzieren, aber das ist nicht Thema seines Buches. Es geht um rechte Tendenzen in der Tierrechtsbewegung und die gibt es. Das kann mensch nicht verleugnen! Die Tierrechts- bzw. Tierbefreiungsbewegung besteht nun mal nicht nur aus herrschaftskritischen Antispes. 

 

Es ist eine Tatsache, dass es im Tierschutz, auch in bestimmten Tierrechtenzusammenhängen, rechte Tendenzen gab und gibt. Gleiches gilt auch für die Umweltschutzbewegung (WSL, Brucker, Bahro etc.). Hier den Antisemitismus von Wagner und Förster zu nennen, ist völlig legitim. Ebenso ist es beispielsweise legitim Helmut Kaplan oder KZ-Vergleiche zu kritisieren.

 

Es ist da eine gewisse Dialektik im Spiel. Einerseits behaupten die Antispes gerne antifaschistisch und herrschaftsfrei zu sein, wenn aber jemand, der nicht selbst aus Antispe-Zusammenhängen kommt, rechte Tendenzen innerhalb der TR-Bewegung kritisiert, ist derjenige sofort ein Art "Anti-Veganer", dem es nur darum geht die TR-Szene zu diffamieren.

 

Es wird Zeit einfach mal radikal anzuerkennen: Es gibt rechte Tendenzen in der TR-Szene! Genauso wie es überall in der Gesellschaft rechte Tendenzen gibt. Jemand wie Ingo Taler ist nicht ein Verräter an der Hardcore-, Punkszene nur weil er auf rechte Tendenzen dort hinweist (Buch: "Out of Step"). Und genauso ist jemand, der auf rechte Tendenzen in der TR-Szene hinweist, nicht gleich ein "Schaumschläger".

 

Die Behauptung: "Anhand von antisemitischen bürgerlichen/rechten Tierfreunden den genuin linken Tierbefreiungsgedanken und die progressive Bewegung, welche diesen getragen hat, zu diffamieren..." ist völlig aus der Luft gegriffen. Der Begriff "Tierbefreiung" kommt in dem Jungle World-Artikel nicht einmal vor!!! Abgesehen davon ist der Artikel schon fünf Jahre alt.

 

Also: Immer locker bleiben!

Genau, Speit spricht nicht vom genuin linken Tierrbefreiungsgedanken (das tue ich), sondern er behauptet, dass bei der (heutigen) Argumentation für Veganismus und Tierrechte eine antimoderne Tendenz (und daraus leitet er dann auch gleich noch Antisemitismus ab, bzw. bezeichnet diese Tendenz als antisemitisch) generell mitschwinge, was absoluter Blödsinn ist, das ist von der Struktur her die gleiche Argumentation, wie wenn man den Sozialismus mit Verweis auf den "Nationalsozialismus" diskreditiert. Speit nimmt einfach die am meisten rückwärts gewandten bürgerlich-rechten Strömungen der Lebensreformbewegung her, mit dem an seinen Aussagen leicht erkennbaren Ziel, die heutige linke Bewegung für Tierrechte/Tierbefreiung zu diskreditieren - er versucht so, eine angeblich rechte Herkunft einer "Veganer-Ideologie" zu konstruieren, die es nicht gibt, und das ist Schaumschlägerei.

Dass es im Tierschutz und in der Tierrechtsbewegung, so wie in so ziemlich jeder sozialen Bewegung, rechte Tendenzen gibt, hat hier niemand bezweifelt. Auch hat niemand gesagt, dass sich eine linke Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung nicht davon distanzieren muss, also z.B. Kaplan und KZ-Vergleiche nicht abgelehnt, verurteilt und kritisiert werden müssen (was auch getan wird). Aber: Es ist eben nicht legitim, Wagner und Förster anzuführen, um heutige linke Strömungen, die Veganismus, Tierrechte oder Tierbefreiung fordern, zu diffamieren, indem man so tut, als ob das die historischen Quellen dieser Bewegung seien; das sind sie definitiv nicht, was das Buch "Antispeziesismus" ganz klar zeigt.

Du schreibst: "Speit nimmt einfach die am meisten rückwärts gewandten bürgerlich-rechten Strömungen der Lebensreformbewegung her, mit dem an seinen Aussagen leicht erkennbaren Ziel, die heutige linke Bewegung für Tierrechte/Tierbefreiung zu diskreditieren..."

 

Also erstmal haben - soweit ich weiß - Wagner und Förster mit der Lebensreform-Bewegung nichts zu schaffen, aber egal. Zum Punkt: Wo genau greift denn Speit die heutige linke Bewegung für Tierrechte/Tierbefreiung bzw. Antispe an?

 

 

Wenn Speit beispielsweise schreibt: "Den »Fleischesgenuss« stellte Förster als integral in der »entmenschlichten Kultur« dar. Die antisemitische Konnotation der Kritik an der Moderne schwingt insofern bei der Argumentation für Veganismus und Tierrechte immer mit. In »Tierschutz« klingt so auch Försters Klage über das »blutige Gaumen- und Magenfutter« als wider die Natur mehrdeutig an, ebenso seine Mahnung vor der »schrankenlosen Humanität«, die das »Ich in den Mittelpunkt des Seins« stelle.", dann verstehe ich die Kritik an der antisemitischen Konntation so, dass er sich dabei auf Förster Argumentation bezieht, nicht auf die heutigen Verhältnisse. Denn sowohl vor dem Satz, als auch nach dem Satz geht es um Försters Argumentation. (Über die Speit promoviert hat - nur so nebenbei). Wäre der Satz "Die antisemitische Konnotation der Kritik an der Moderne schwingt insofern bei der Argumentation für Veganismus und Tierrechte immer mit.", völlig verallgemeinernd gedacht, wäre er natürlich pauschalisierender bullshit.

 

Grundsätzlich liegt das Problem doch aber so, dass sich im alltäglichen Handeln und in der Phänomenologie der Tierrechtsbewegung, unterschiedliche Strömungen mischen. Auf z.B. Großdemos laufen sowohl Tierschützer, bürgerliche Tierrechtler, Lifestyle-Veganer und/oder Antispes zusammen auf. Dann mag es mal einen Antispe black bloc geben, mal auch nicht... Es gibt - meiner Meinung nach - einfach keine klaren Trennlinien. Es gibt da kein schwarz-weiß. Insofern kann mensch da auch nicht klare Trennlinien ziehen. So ist das auch in der Historie. Klar gibt es linke Traditionsstränge, es gibt aber auch rechte Linien. Und das Ganze mischt sich auch schön. So zitiert z.B. der linke Magnus Schwantje in seinen Schriften auch mal den Antisemiten Wagner. Is eben so...

Es ist sicher schön und verdienstvoll, wenn jemand die linken Traditionsstränge der Tierrechtsbewegung herausarbeitet. Ebenso ist es aber auch legitim, wenn jemand anderes auf problematische Traditionen hinweist.Und nichts anderes macht Speit meiner Meinung nach. Ich habe mehr als ein Buch von Speit bzw. Speit/Röpke gelesen und fand die alle gar nicht schlecht. Insifern bin ich hoffnungsvoll das "Grüne Braune" nicht völliger Blödsinn wird...

 

 

PS: Denk mal über Deine beiden Sätze nach:

"Speit spricht nicht vom genuin linken Tierrbefreiungsgedanken..."

"Speit nimmt einfach die am meisten rückwärts gewandten bürgerlich-rechten Strömungen der Lebensreformbewegung her, mit dem an seinen Aussagen leicht erkennbaren Ziel, die heutige linke Bewegung für Tierrechte/Tierbefreiung zu diskreditieren..."

Ist da nicht ein Widerspruch drin? Wie soll Speit die linke Bewegung für Tierrechte/Tierbefreiung diskreditieren, wenn er laut erstem Satz vom genuin linken Tierbefreiungsgedanken gar nicht spricht? Vermutest Du da nicht vielleicht eine Kritik, die bei Speit so explizit nicht drin steht? 

 

Peace and i`m out...

Kurz: Es geht in dem genannten Artikel von Speit überhaupt nicht um die Tierbefreiungsbewegung. Es geht darum, dass heute auch ein paar Nazi-Würste einen auf Tierrechte machen und darum auf welche historischen Quellen sie sich dabei beziehen können. Und im weiteren Verlauf des Artikels geht es nur um Wagner bzw. hauptsächlich Förster.

Und deshalb lautet der letzte Satz auch: "Die Tierliebe ging mit dem Judenhass einher."

Ja, ihr habt wohl alle in bestimmten Aspekten Recht. Es ist für eine politische Beurteilung allerdings wohl gar nicht so wichtig, was Speit uns eigentlich sagen will oder nicht, oder was seine persönliche Motivation ist. Viel interessanter finde ich die Positionierung, ob sie jetzt von Speit oder von der "Jungle World" stammt, die den Text über die historischen Quellen von Rechten, die auf Tierrechte machen, mit "Die ideologischen Wurzeln der Veganer-Ideologie" überschreibt - schon ein starkes Stück...

Musste nur mal da lesen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/93105

 

Da wird das Dilemma schon irgendwie deutlich.

Ich werde all diese Diskussionen um den Begriff "vegan" nie verstehen.

Für mich bedeutet "vegan" selbstverständlich komplette "Autoritäts- und Herrschaftsfreiheit". So wie ich keinerlei recht habe, Menschen zu beherrschen, habe ich eben auch keinerlei recht, Tiere zu beherrschen.

Damit ist aber auch klar: Nazis können, auch wenn sie bei ihrer Ernährung auf "tierische" Produkte verzichten, niemals Veganer sein..Und Kapitalisten und Neoliberale natürlich auch nicht...

Nur ein Anarchist kein ein wirklich überzeugter Veganer sein.

Da verwechselst du Veganismus mit politischem Veganismus. Veganismus heißt nichts anderes als die Ablehnung und Nutzung tierlicher Produkte.

 

Mit dem Ankommen des Veganismus in der Mitte der Gesellschaft, hat der Veganismus mit den Problemen der bürgerlichen Mitte zu kämpfen, die da wären Rassismus, Lookismus usw. Ein diktatorisch regierter Verein wie die VGD, ein Selbstdarstellungskünstler wie Hildmann oder auch all die unrefklektieren Veganer*innen der "Hauptsache für die Tiere" Fraktion, die kein Problem mit rechtsoffenen Positionen haben, so lange es nur den Tieren hilft.

„Also, lieber Herbert, nachdem wir uns an Tafelspitz und Wiener Schnitzeln gestärkt haben, gehen wir zur Ästhetik über.“

Beißender philosophischer Humor: Wie man die Moral mit Löffeln fressen kann. Fortsetzung eines Gesprächs mit Herbert Marcuse unter Einbindung Adornos

Verfechter einer zeitgemäßen und solidarischen Ernährungsweise sind gut beraten, Vertreter der Kritischen Theorie wie Marcuse oder Adorno nicht zu Hausgöttern oder Urtheoretikern der vegetarischen Sache zu machen. 1977 führte Jürgen Habermas mit Herbert Marcuse und anderen eine Reihe von Gesprächen, die aufgezeichnet und im Suhrkamp Verlag publiziert wurden. Auszug aus einem Gespräch, an dem Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Heinz Lubasz und Tilman Spengler teilnahmen:

HABERMAS: „Wir kreiseln. Ich finde, wir sollten zur ästhetischen Theorie übergehen...
SPENGLER: Ich schlage vor, etwas zu essen.
HABERMAS: Ja.
MARCUSE: Das gehört auch zur Ästhetik.
LUBASZ: Erst das Essen, dann die Moral...
SPENGLER: Und dann die Ästhetik. Das ist eine ganz neue Definition von Geschichte.
[Essenspause]
HABERMAS: Also, lieber Herbert, nachdem wir uns an Tafelspitz und Wiener Schnitzeln gestärkt haben, gehen wir zur Ästhetik über.
MARCUSE: Freut mich.“[1]

 

1969 hatte Marcuse eine spezifische politische Praxis gefordert, „den Bruch mit dem Wohlvertrauten, den routinierten Weisen des Sehens, Hörens, Fühlens und Verstehens der Dinge, so dass der Organismus für die potentiellen Formen einer nicht-aggressiven, nicht ausbeuterischen Welt empfänglich werden kann.“[2] Warum konnte Marcuse, der im „Versuch über die Befreiung“ formulierte: „Die Große Weigerung nimmt verschiedene Formen an“, nicht den Versuch zu einer kleinen Weigerung unternehmen und auf sein aus einem Kalb bereitetes Wiener Schnitzel verzichten? Oder sollte es sich so zugetragen haben, dass er keines aß und gar versuchte, der illustren Tischrunde das Fleisch madig zu machen? Mit Sicherheit hätte Habermas – 1977 bereits an der Schwelle zum kommunikativen Handeln stehend[3] – diesenfalls die Gesprächsrunde nach der Essenspause mit anderen Worten eröffnet, etwa so: Also, lieber Herbert, nachdem Sie versucht haben, uns die Wiener Schnitzel im Munde madig zu machen, kommen wir jetzt auf eine klärungsbedürftige Textstelle in Ihrem Buch „Konterrevolution und Revolte von 1972 zu sprechen, ich zitiere:

„Wird menschliche Aneignung der Natur jemals die Gewalt, Grausamkeit und Brutalität beenden können, die mit dem täglichen Opfer tierischen Lebens für die physische Reproduktion des Menschengeschlechtes gesetzt sind? Sich zur Natur ‚um ihrer selbst willen’ verhalten, hört sich gut an, aber wenn Tiere oder Pflanzen verspeist werden, ist das sicher kein Verhalten zu ihnen um ihrer selbst willen. Das Ende dieses Krieges, der vollkommene Frieden in der belebten Welt – diese Idee gehört zum orphischen Mythos, aber zu keiner vorstellbaren geschichtlichen Realität. Angesichts des Leids, das Menschen von Menschen zugefügt wird, erscheint es unverantwortlich ‚verfrüht’, sich für universellen Vegetarismus oder synthetische Nahrungsmittel einzusetzen; angesichts der gegenwärtigen Welt hat menschliche Solidarität unter Menschen unbedingten Vorrang. Und doch ist keine freie Gesellschaft vorstellbar, zu deren ‚regulativen Ideen der Vernunft’ nicht der gemeinsame Versuch gehörte, die Leiden, welche die Menschen den Tieren zufügen, folgerichtig zu verringern.“[4]

Was hätte es Marcuse, den weltberühmten, einflussreichen und gefeierten Denker von Großer Weigerung und Befreiung verschlagen, sich schon im Hier und Jetzt für den Vegetarismus auszusprechen und ihn zu kommunizieren – „als Kunst der Zubereitung (Kochkunst!)“[5] die Trennung von Ästhetik und wirklicher Ethik aufzuheben? Wo wir vor einem Entweder-Oder stehen, hat die Solidarität mit Menschen Vorrang vor der gepeinigten Kreatur. Doch dieses Entweder-Oder existiert nicht, oder wenn, dann nur als carnivore Ausrede Marcuses. Gerade der Verzicht auf Fleisch bedeutet Solidarität mit Menschen. Wer kein Fleisch isst, votiert nicht allein für weniger Leid, das Tieren von Menschen zugefügt wird, sondern auch für weniger menschliches Leid: Fräßen die Milliarden Schlachttiere nicht all das kostbare Getreide, das auf eigens gerodeten riesigen Waldflächen angebaut wird, könnten weltweit weitaus mehr Menschen satt werden. Sattsam bekannt war dies schon zu Lebzeiten Marcuses. Peter Singer veröffentlichte sein „Animal Liberation“ bereits 1975. Wer sich vegetarisch ernährt, verhält sich solidarisch mit den Armen und Hungernden der Gegenwart und künftigen Generationen. Gleichsam um der Marcuseschen Idee vorzubauen, für das vegetarische Kochen sei es noch zu früh, enthält Singers Buch das Kapitel „Cooking for Liberated People“. Die Moral kommt folglich nicht erst nach dem Essen, sondern löffelweise bereits beim Verspeisen köstlicher vegetarischer Gerichte. Tatsächlich kann man die Moral mit Löffeln fressen! Marcuses Aufschiebung des Vegetarismus ist, ethisch gesehen, unsolidarisch und konterrevolutionär.

Gehen wir – nachdem wir uns von den Wiener Schnitzeln abgewendet und zwei Schriften Marcuses zugewendet haben –, wie von Habermas nach der Mittagspause vorgeschlagen, nun wirklich zur Ästhetik über, nämlich zu derjenigen Adornos. Marcuse zitiert ihn in „Konterrevolution und Revolte“, um seiner „Idee der Befreiung der Natur“[6] Ausdruck zu verleihen. Die Natur, mutmaßt Marcuse, komme einem solchen Unternehmen entgegen, in ihr sei „blinde Freiheit“ und von dieser Blindheit sei sie zu erlösen. Mit Adornos von Marcuse zitierten Worten gehe es darum, der Natur zu helfen, „ihre Augen aufzuschlagen“; „auf der armen Erde ihr zu dem zu helfen, wohin sie vielleicht möchte.“[7]

 

Wie es scheint, hatte Marcuse, als er Adorno zitierte, den Braten noch gar nicht gerochen. In einer musikalischen Schrift zu Alban Berg charakterisiert Adorno Horkheimer und sich selbst einmal so: „Wenn ich von Max und mir sagen darf, unser ‚Standpunkt’ sei der marxistische etwa so, wie der Braten der Standpunkt des Essers ist, so lässt ganz gewiss etwas Ähnliches sich von Bergs Verhältnis zur décadence und ‚Spätromantik’, zum süchtigen und todessüchtigen Subjektivismus sagen.“[8] Adorno und Horkheimer mögen den Marxismus, aber nachdem sie ihn sich einverleibt haben, bleibt nichts Erkennbares von ihm übrig. Bei Adorno sind es denn freilich keine Wiener Schnitzel, die zum Wein verspeist werden, sondern: „Nicht wegzudenken aus dem Bilde Bergs ist eine Art sinnlicher Kultur, wie man sie etwa auch in Paris findet, ein sehr subtiler Sinn für gutes Essen und vor allem auch Wein. Ihm danke ich die Kenntnis des damals vorzüglichen, wenngleich überaus schwarzgelben Restaurants Weide in Speising, mit den berühmten Krebspastetchen...“[9]

Präsentieren wir die von Marcuse zitierte Stelle aus der „Ästhetischen Theorie“ Adornos nochmals; in ihrem Kontext: „Technik, die, nach einem letztlich der bürgerlichen Sexualmoral entlehnten Schema, Natur soll geschändet haben, wäre unter veränderten Produktionsverhältnissen[10] ebenso fähig, ihr beizustehen und auf der armen Erde ihr zu dem zu helfen, wohin sie vielleicht möchte.“ Hier liegt die große Weigerung nicht nur der Denker Adorno oder Marcuse vor, sondern wohl der meisten Philosophen: Einzusehen, dass Kalb und Krebschen vielleicht an alle möglichen Orte wollen, nur nicht in Schlachthäuser oder siedendes Wasser, wo ihre Augen geschlossen werden. Adornos Formulierung, wir hätten auf veränderte gesellschaftliche Produktionsverhältnisse zu warten, unterstellt einen Schicksalszusammenhang, den es so nicht gibt. Eine Revolution an den Herden, Kochkunst im Eingedenken der Kreatur, ist hinreichend.

Philosophie ereignet sich, wie Adorno in seiner „Negativen Dialektik“ formuliert, dann, wenn geistige Erfahrung einen vorgängig eingenommenen Standpunkt ebenso verschwinden lässt, wie der Esser den Braten[11]. Möge es so Marcuses Standpunkt ergehen, für die Forderung nach weltweitem Vegetarismus sei es noch zu früh und ebenso Adornos Position offenkundiger Distanzlosigkeit zum Verspeisen empfindender Wesen.

© Karim Akerma

[1] Jürgen Habermas, Silvia Bovenschen u.a. (Hg.): Gespräche mit Herbert Marcuse, Suhrkamp Verlag, Ff/M 1978, S. 39
[2] Marcuse, Versuch über die Befreiung, Suhrkamp Verlag, Ff/M 1969, S. 19
[3] In Habermas’ Buch „Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus“ von 1976 heißt es: „Die innere Natur wird in dem Maße kommunikativ verflüssigt und transparent gemacht, wie Bedürfnisse über ästhetische Ausdrucksformen sprachfähig erhalten oder aus ihrer paläosymbolischen Vorsprachlichkeit erlöst werden können.“ (Suhrkamp Verlag, Ff/M 1976, S. 88) Die Berufung auf das Theorem, der Mensch sei von Natur aus Fleischfresser, hätte bei einem solcherart reflektierenden Denker kein Verständnis gefunden.
[4] Marcuse, Konterrevolution und Revolte, Suhrkamp Verlag, Ff/M 1973, S. 83
[5] Marcuse, Versuch über die Befreiung, S. 54
[6] Marcuse, Konterrevolution und Revolte, S. 80
[7] Adorno, Ästhetische Theorie, Suhrkamp Verlag, Ff/M 1973, S. 107. Zitat in Marcuse, Konterrevolution und Revolte, S. 81. Der Satzteil „... ihre Augen aufzuschlagen...“ findet sich in Adornos ästhetischer Theorie nicht. Allenfalls: „Was Natur vergebens möchte, vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf.“ (A.a.O., S. 104)
[8] Adorno, Im Gedächtnis an Alban Berg, Gesammelte Schriften Bd. 18, Suhrkamp Verlag, Ff/M 2008, S. 499
[9] Ebd., S. 502
[10] Mit Habermas möchte man gegen dieses Warten auf die neuen Produktivkräfte vorbringen: „Die Gattung lernt nicht nur in der für die Produktivkraftentfaltung entscheidenden Dimension des technisch verwertbaren Wissens, sondern auch in der für die Interaktionsstrukturen ausschlaggebenden Dimension des moralisch-praktischen Bewusstseins.“ Habermas, a.a.O., S. 162f
[11] Vgl. Adorno, Negative Dialektik, Suhrkamp Verlag, Ff/M 1966, S. 41