Feministische Demo und 1000 Kreuze Marsch

Raise your voice

Raise your voice – your body your choice!

Wie be­reits in den ver­gan­ge­nen Jah­ren, soll ver­mut­lich auch in die­sem Jahr im März der von „Eu­ro­Pro­Li­fe“ or­ga­ni­sier­te Ge­bets­zug „1000 Kreu­ze für das Leben“ in Müns­ter statt­fin­den. Dabei ver­sam­meln sich Ab­trei­bungs­geg­ner*innen1 un­ter­schied­li­cher po­li­ti­scher und welt­an­schau­li­cher Aus­rich­tung, um mit­samt ihren Kreu­zen ein se­xis­ti­sches, ho­mo­pho­bes und frau­en*feind­li­ches Welt­bild auf die Stra­ße zu tra­gen und Frau­en ihr Recht auf Selbst­stim­mung ab­zu­spre­chen.

 

Auf den ers­ten Blick mag der Ge­bets­zug den Ein­druck einer skur­ri­len und nicht ernst­zu­neh­men­den Ver­an­stal­tung er­we­cken. Die Kreuz­trä­ger*innen er­schei­nen man­chen als ver­wirr­te Fun­da­men­ta­list*innen. Tat­säch­lich ist die Be­we­gung, die hin­ter Ver­an­stal­tun­gen wie „1000 Kreu­ze für das Leben“ steht, keine ex­tre­me und iso­lier­te Rand­er­schei­nung, son­dern Teil einer rück­schritt­li­chen ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lung. Diese fin­det sich in allen Le­bens­be­rei­chen wie­der und ist schon längst in brei­ten Krei­sen der Ge­sell­schaft ver­an­kert. Lau­fen in Müns­ter nur knapp über Hun­dert Kreuz­trä­ger*innen durch die Stadt, so tref­fen sich in Ber­lin zu dem­sel­ben An­lass mitt­ler­wei­le jähr­lich weit über Tau­send.

 

Nur die Spit­ze des Eis­ber­ges!

Auch wenn in einer ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schaft – je nach wirt­schaft­li­cher Si­tua­ti­on und vor­herr­schen­der Ver­wer­tungs­lo­gik ( = die Be­wer­tung von Men­schen und Res­sour­cen al­lei­ne nach dem Kri­te­ri­um ihres wirt­schaft­li­chen Nut­zens) – die zu­ge­wie­se­nen Ge­schlech­ter­rol­len fle­xi­bler er­schei­nen, bleibt doch die pa­tri­ar­cha­le Grund­struk­tur er­hal­ten. Diese be­ruht u.a. auf der bür­ger­li­chen Fa­mi­lie als Keim­zel­le der Ge­sell­schaft, auf zu­ge­schrie­be­nen und ver­meint­lich un­ver­än­der­li­chen Ge­schlech­ter­rol­len in einem zwei­ge­schlecht­li­chen Sys­tem, sowie auf der Aus­beu­tung und Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en. Von Frau­en wird er­war­tet, dass sie gleich­zei­tig Kin­der ge­bä­ren, die Fa­mi­lie ver­sor­gen und Lohnar­beit leis­ten. So ist die Er­werbs­be­tei­li­gung von Frau­en in Deutsch­land zah­len­mä­ßig zwar ge­stie­gen, zu­gleich sind Frau­en aber deut­lich sel­te­ner als Män­ner durch ihr Er­werbs­ein­kom­men ab­ge­si­chert (sog. Er­nähr­er­mo­dell). Die tra­di­tio­nel­len Rol­len­zu­schrei­bun­gen, die re­li­giö­sen Fun­da­men­ta­list*innen, Nazis und an­de­ren an­ti-​eman­zi­pa­to­ri­schen Grup­pen als „na­tür­lich“ oder „von Gott ge­ge­ben“ gel­ten, si­chern nach wie vor bür­ger­li­che Werte, pa­tri­ar­cha­le Macht­ver­hält­nis­se und männ­li­che Do­mi­nanz. Pa­tri­ar­cha­le und au­to­ri­tä­re Vor­stel­lun­gen von Ge­schlecht und Fa­mi­lie sind al­ler­dings nicht nur ein Kern­stück fun­da­men­ta­lis­tisch-​re­li­giö­ser Po­si­tio­nen und rech­ter/an­ti-​eman­zi­pa­to­ri­scher Ideo­lo­gi­en, son­dern sie ver­bin­den diese Po­si­tio­nen auch mit dem kon­ser­va­ti­ven Main­stream und fin­den sich – un­ab­hän­gig von so­zia­lem Sta­tus – in brei­ten Tei­len der Ge­sell­schaft wie­der.

 

Die Krise als Ka­ta­ly­sa­tor auf dem Weg in die Ver­gan­gen­heit?

Ver­un­si­chert durch die all­ge­gen­wär­ti­ge Krise des Ka­pi­ta­lis­mus, Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit und die Angst vor so­zia­lem Ab­stieg wird – in der An­nah­me, dass nur ein „star­ker Staat“ diese Ge­fah­ren ab­wen­den könne – eine au­to­ri­tä­re Vor­stel­lung von Staat und Ge­sell­schaft von vie­len als will­kom­me­ner Lö­sungs­vor­schlag ak­zep­tiert. Ge­ra­de in ver­meint­li­chen Kri­sen­si­tua­tio­nen wer­den im ge­sell­schaft­li­chen Main­stream kon­ser­va­ti­ve Vor­stel­lun­gen hoch­ge­hal­ten oder (re)eta­bliert, fort­schritt­li­che Po­si­tio­nen zu­rück­ge­drängt, er­kämpf­te Rech­te und Frei­räu­me an­ge­gan­gen und auf tra­di­tio­nel­le Rol­len­bil­der, eta­blier­te Macht­ver­hält­nis­se und alt­be­kann­te Dis­kri­mi­nie­rungs­stra­te­gi­en zu­rück­ge­grif­fen.
Damit ein­her geht zum einen die schritt­wei­se Ab­schaf­fung von so­zia­len Rech­ten; die Ver­schär­fung der Be­din­gun­gen für den So­zi­al­leis­tungs­be­zug, der Abbau von Ar­beit­neh­mer*in­nen­rech­ten, die per­ma­nen­te Be­schnei­dung des Ver­samm­lungs­rechts, die Strei­chung der Gel­der von Be­ra­tungs­stel­len für und von Selbst­hil­fe­grup­pen sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le. Zum an­de­ren be­güns­tigt das Schü­ren so­zia­ler Ängs­te und der Ruf nach einem „star­ken Staat“ mit kon­ser­va­tiv-​re­ak­tio­nä­ren Wer­ten die Eta­blie­rung von Feind­bil­dern. So wird zur Zeit der Islam von Me­di­en und Po­li­ti­ker*innen zum äu­ße­ren Feind sti­li­siert, Eu­ro­pa wird zu­neh­mend dicht ge­macht, ein Bild von „Flücht­lings­strö­men, die Deutsch­land über­flu­ten“ ge­zeich­net und Mi­grant*innen und Er­werbs­lo­se als „So­zi­al­schma­rot­zer*innen“ dif­fa­miert.
Wie weit diese Ent­wick­lung vor­an­ge­schrit­ten ist, lässt sich unter an­de­rem daran er­ken­nen, dass in vie­len Län­dern Eu­ro­pas re­ak­tio­nä­re und/oder na­tio­na­lis­ti­sche Par­tei­en im Auf­wind sind, oder be­reits Teile der Re­gie­run­gen stel­len und auch der re­li­giö­se Fa­na­tis­mus immer mehr um sich greift.

 

Never step back! Er­kämpf­te Frei­räu­me und Ni­schen ver­tei­di­gen!

Die Li­be­ra­li­sie­rung des § 218 StGB, die recht­li­che An­er­ken­nung ho­mo­se­xu­el­ler Part­ner*schaf­ten, Frau­en-​ und Mäd­chen­häu­ser und an­de­re Schutz­räu­me für Frau­en sowie die Ab­schaf­fung des §175 StGB2, sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le dafür, dass Fe­mi­nis­tin­nen, Schwu­len-​ und Les­ben­ak­ti­vist*innen und an­de­re eman­zi­pa­to­ri­sche Be­we­gun­gen es in jah­re­lan­gen und mü­he­vol­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen ge­schafft haben, Staat und Ge­sell­schaft in die­sem Be­reich ei­ni­ge struk­tu­rel­le Ver­än­de­run­gen ab­zu­trot­zen. Doch selbst diese we­ni­gen er­strit­te­nen ge­sell­schaft­li­chen Zu­ge­ständ­nis­se schei­nen bio­lo­gis­ti­sche Vor­stel­lun­gen von Männ­lich­keit und Weib­lich­keit, tra­di­tio­nel­le Ge­schlech­ter­rol­len, das Sys­tem der Zwei­ge­schlecht­lich­keit und die pa­tri­ar­cha­le Ord­nung be­reits so emp­find­lich zu stö­ren, dass sie von re­li­gi­ös-​fun­da­men­ta­lis­ti­schen, re­ak­tio­nä­ren und kon­ser­va­ti­ven Kräf­ten be­kämpft wer­den. All diese klei­nen Ver­bes­se­run­gen, Frei­räu­me und Ni­schen gilt es zu ver­tei­di­gen – wohl wis­send, dass es sich um nichts mehr als Zu­ge­ständ­nis­se und mi­ni­ma­le Frei­räu­me han­delt und nicht etwa um die ers­ten Schrit­te zur Ab­schaf­fung der pa­tri­ar­cha­len Ver­hält­nis­se.

 

Mein Bauch ge­hört mir!

Die Frau­en­be­we­gung der 1970er Jahre for­der­te, dass Frau­en nur selbst über ihren Kör­per be­stim­men kön­nen und die al­lei­ni­gen Ent­schei­dungs­trä­ge­rin­nen bei­spiels­wei­se über die Fort­set­zung oder den Ab­bruch einer Schwan­ger­schaft sein sol­len. „Mein Bauch ge­hört mir!“ – diese Pa­ro­le konn­te zu­min­dest teil­wei­se durch ge­mein­sa­men, po­li­ti­schen Druck in die Pra­xis um­ge­setzt wer­den.
Heute wer­den lei­der nur noch sel­ten fe­mi­nis­ti­sche For­de­run­gen in die Öf­fent­lich­keit ge­tra­gen.
Schwie­ri­ge Le­bens­si­tua­tio­nen wer­den in­di­vi­dua­li­siert und ta­bui­siert. So war auch der Um­gang mit Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen frü­her häu­fig kol­lek­ti­ver und des­halb für ei­ni­ge Be­trof­fe­ne si­cher­lich ein­fa­cher. Er­kämpf­te Frau­en­räu­me mach­ten es mög­lich Wis­sen wei­ter zu ge­ge­ben, Po­si­tio­nen zu ent­wi­ckeln und sich ge­gen­sei­tig bei Ent­schei­dun­gen zu un­ter­stüt­zen. Der Ver­lust fe­mi­nis­ti­scher Frei­räu­me äu­ßert sich heute z.B. darin, dass un­ge­wollt Schwan­ge­re nur noch sel­ten dar­über spre­chen wenn sie über einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch nach­den­ken oder einen hat­ten. Oder darin, dass immer mehr Frau­en­häu­sern und Be­ra­tungs­stel­len die Gel­der ge­stri­chen wer­den – ob­wohl die An­zahl der se­xua­li­sier­ter Über­grif­fe und Ge­walt­ta­ten nicht ab­nimmt.

 

*Jede*r ist ihres/ sei­nes Glü­ckes Schmied*in ?*

In einer un­ge­rech­ten, in­di­vi­dua­li­sier­ten und auf Kon­kur­renz be­ru­hen­den Ge­sell­schaft gibt es keine wirk­lich frei­en Ent­schei­dun­gen. Was als per­sön­li­che Frei­heit, Fle­xi­bi­li­tät und In­di­vi­dua­li­tät ver­spro­chen wird, ist in Wirk­lich­keit Ver­ein­zelung, Ent­frem­dung und Ent­so­li­da­ri­sie­rung und dient der op­ti­ma­len Ein­setz­bar­keit in der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tung und dem Ziel den*die Ein­zel­ne*n best­mög­lich in die Ge­sell­schaft zu „in­te­grie­ren“ und damit kon­trol­lier­bar zu ma­chen. Wer in einer so nor­mier­ten Ge­sell­schaft schei­tert, schei­ter in­di­vi­du­ell, ist dann auch „selbst schuld“ und „hat al­lei­ne damit klar­zu­kom­men“. Unter dem Label der frei­en Ent­schei­dung und der per­sön­li­chen Au­to­no­mie wer­den Men­schen ge­zwun­gen in und mit den vor­ge­fer­tig­ten Nor­men und Wer­ten zu leben. Die Mög­lich­keit das ei­ge­ne Leben jen­seits die­ser Nor­men zu füh­ren, z.B. ho­mo­se­xu­el­le Be­zie­hun­gen oder Be­zie­hun­gen mit meh­re­ren Men­schen zu haben, be­wusst keine Be­zie­hung zu haben oder ohne Kin­der zu leben, scheint den meis­ten immer noch un­denk­bar. Mit Men­schen zu leben, die sich weder als Mann noch als Frau de­fi­nie­ren, scheint gar ein Tabu und un­vor­stell­bar zu sein.

Für uns ist es wich­tig diese ge­sell­schaft­li­chen Werte und Nor­men zu hin­ter­fra­gen und an­zu­ge­hen und auch die ei­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rungs­struk­tu­ren, Zwän­ge und Nor­mie­run­gen zu kri­ti­sie­ren. Zwei­ge­schlecht­lich­keit, Ge­schlech­ter­rol­len, männ­li­che Do­mi­nanz, He­te­ro­se­xua­li­tät und die ro­man­ti­sche Zwei­er­be­zie­hung als Nor­ma­li­tät müs­sen ge­ra­de auch in einer Lin­ken, die eine Uto­pie von einer herr­schafts­frei­en, kol­lek­ti­ven Ge­sell­schaft hat, kri­tisch hin­ter­fragt wer­den. Umso wich­ti­ger ist die Er­hal­tung eman­zi­pa­to­ri­scher, au­to­no­mer Pro­jek­te um Al­ter­na­ti­ven wei­ter­ent­wi­ckeln und auf­zei­gen zu kön­nen, um ge­mein­sam han­deln und so­li­da­risch für un­se­re Rech­te strei­ten zu kön­nen. Und dabei geht es nicht darum Rech­te nur für ein­zel­ne „Grup­pen“ zu er­kämp­fen – denn es gilt immer noch, dass kein Mensch frei sein kann, so­lan­ge es nicht alle sind!

Lasst uns immer wie­der ein­schrei­ten, wenn rechts­kon­ser­va­ti­ve Fun­da­men­ta­list*innen die Stra­ße er­obern wol­len und ihnen un­se­re Kri­tik und un­se­re Uto­pi­en ent­ge­gen­set­zen!
Nicht wir schrän­ken diese Leute ein, son­dern diese Leute spre­chen uns ab, selbst über unser Leben, unser Lie­ben und un­se­re Kör­per ent­schei­den zu dür­fen! Aber wir ent­schei­den selbst – kein Gott, kein Staat, kein Pa­tri­ar­chat!

 

Für Selbst­be­stim­mung in einer herr­schafts­frei­en und so­li­da­ri­schen Ge­sell­schaft!

Das Ab­spre­chen der re­pro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung durch die Kreuz­züg­ler*innen rich­tet sich vor allem gegen Frau­en, da meist sie die­je­ni­gen sind über deren Kör­per ent­schie­den wer­den soll, wenn es um Schwan­ger­schafts­ab­brü­che geht. Wir möch­ten keine De­mons­tra­ti­on in der Män­ner für Frau­en spre­chen und de­mons­trie­ren, son­dern eine, in der Män­ner so­li­da­risch mit Frau­en auf die Stra­ße gehen. Des­we­gen haben wir uns ent­schlos­sen die ers­ten Rei­hen/den vor­de­ren Teil der De­mons­tra­ti­on als rei­nen Frau­en­Les­benIn­ter­Trans*-​Block zu ge­stal­ten. Warum kein rei­ner Frau­en­block, son­dern auch In­ter-​ und Trans*-​Leu­te? Weil diese so­wohl im Welt­bild christ­li­cher Fun­da­men­ta­list*innen als auch in der Wahr­neh­mung von der Mehr­heit der Ge­sell­schaft nicht mal exis­tie­ren, sie wer­den mar­gi­na­li­siert, zwangs­the­ra­piert und teil­wei­se sogar zwangs­ope­riert um das „har­mo­ni­sche“ der Zwei­ge­schlecht­lich­keit nicht zu ge­fähr­den. Auch da­ge­gen möch­ten wir mit die­ser De­mons­tra­ti­on vor­ge­hen und hal­ten es für sinn­voll diese The­ma­tik auch durch einen ent­schlos­se­nen vor­de­ren FLIT*-​Block sicht­bar zu ma­chen.

 

weitere Infos unter gegen1000kreuze.blogsport.de

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Im 1. Abschnitt heißt es, der Gebetszug fände "vermutlich" statt. Er findet definitiv statt, und zwar ziehen die Fundi-Christ_innen um 14.30 Uhr von der Servatii-Kirche (Salzstr./ Ecke Klosterstr.) aus los. Vom Bremer Platz aus ist das praktisch nur durch den Bahnhof, über die Bahnhofsstr. und ein paar Schritte bis zum Anfang der Salzstr. Wär schön, wenn sich da einige nach der Demo noch einfinden würden ... um denen zu sagen, was wir von ihrem menschenverachtenden "Gebetszug" halten ...