Mailand: Davide DAX Cesare - 10 ANNI SENZA TE, 10 ANNI CON TE!

DAX, Plakat zur Demonstration 2013

- 10. Jahrestag der Ermordung Davide Cesare -

Am 16. März 2013 jährt sich zum 10ten mal der Tag, an dem im Mailänder Stadtteil Ticinese der Antifaschist Davide „Dax“ Cesare von Faschisten ermordet wurde. Als seine FreundInnen am Krankenhaus San Paolo von seinem Tod erfuhren kommentierten die Polizisten seinen Tod mit „Einer weniger“. Die provozierte Situation eskalierte in einer wüsten Schlägerei, bei der Dax Freundinnen durch das Krankenhaus gejagt und, teils mit Baseballschlägern, blutig zusammengeschlagen wurden.

 

Diese Nacht am 18. März 2003 ist als „la notte nera“ - „die schwarze Nacht“ in die jüngere Geschichte der Mailänder Linken eingegangen.

Im März diesen Jahres wird mit vielfältigen Aktionen, Konzerten und Demonstrationen an den Mord Davides erinnert. Und zur Solidarität mit den FreundInnen von Dax aufgerufen, die sich der unglaublichen Forderung von 130.000 Euro seitens der italienischen Justiz gegenüber sehen.


I. Veranstaltungen zum 10ten Jahrestag der Ermordung von Davide „Dax“ Cesare

I. Interview mit Paul


 


 

I. Veranstaltungen zum 10ten Jahrestag

 

Am 23. Januar 2013 beteiligten sich die GenossInnen und FreundInnen von Davide an der Erinnerungsveranstaltung für den am 23. Januar 1973 erschosssenen linken Studenten Roberto Franceschi in Mailand.

http://daxvive.info/23-gennaio-1973-sappiamo-chi-e-stato

http://it.wikipedia.org/wiki/Roberto_Franceschi

 

Am 26. Januar 2013 fand im ZAM, Zona Autonoma Milano, eine Benefiz Veranstaltung des Polisportiva Popolare Zam (www.facebook.com/PolisportivaPopolareZam) zur Erinnerung an Davide Cesare statt.

Am selben Abend veranstaltete das Sozialzentrum S.O.S. Fornace in Mailand-Rho (http://www.sosfornace.org) eine Trash-Party zur Unterstützung der Associazione Dax.

 

Am 03. Februar 2013 organisierte das Sozialzentrum CSA Baraonda in Mailand-Segrate eine Tattoo Konvention unter dem Motto „dax odia ancora – nei nostri cuori, sulla nostra pelle“.

CSA Baraonda: csa-baraonda.noblogs.org Eindrücke hier: www.facebook.com/events/315293161921121/?fref=ts

 

Für den 07. Februar hatten StudentInnen zu einem Treffen in die Universität Statale mobilisiert.

Am 15. März wird unter anderem eine studentische Demonstration an Davide Cesare erinnern.

 

Am 08. Februar 2013 fand im Mittelitalienischen Teramo im Gagarin 61 (www.facebook.com/www.gagarin61.te) eine Benefizveranstaltung für die „Associazione 130 Mila“ (www.daxresiste.org/130mila) statt, die versucht das Geld für Dax Freunde zusammenzubekommen.

 

Am 12. Februar 2013 findet in Pisa im Palazzo Ricci eine Mobilisierungsveranstaltung statt.

 

Ebenso wird am 13. Februar 2013 im Piano Terra (www.pianoterralab.org) bei der Lesung des Buches „Cockney è bello“ mit dem Autoren Antonino Alex Alesi für die Demonstration am 16. März geworben werden.

 

Am 13. Februar 2013 wird im C.S.O. Cantiere eine Veranstaltung mit Rosa Piro, der Mutter von Davide, und der Associazione Dax Resiste stattfinden. (www.cantiere.org und www.facebook.com/centrosocialecantiere)

 

Für den 17. Februar 2013 organisieren die Mailänder Sozialzentren Baraonda in Segrate und das Sciloria in Rho (www.lasciloria.noblogs.org) jeweils weitere Mobilisierungsveranstaltungen.

 

Am 08. März 2013 wird es im F.O.A. Bocaccio (www.boccaccio.noblogs.org) in Monza ein Solidaritätskonzert mit Los Fastidios, Ashpipe und Kattiva Reputazione geben.

 

Am 14. März 2013 wird eine weitere Uni-Trash Solidaritätsparty in Mailand stattfinden.

 

Und am 15. März 2013 wird es im französischen Grenoble zur Unterstützung der italienischen Antifas ein antifaschistisches Konzert geben.

 

 

Für den 15.-16.-17. März ist Folgendes in Mailand vorgesehen:

 

15. März 2013


09.30 Uhr: antifaschistische und antirassistische Demonstration der StudentInnen;

Ort: largo Cairoli
21.00 Uhr: Versammlung und Internationales Meeting;

Ort: Area Grizzly

mit: Marcha Patriottica (Colombia), Antifascist Network South Athens (Grecia),

Yaballa Youth Activity Center (Palestina), Antifascist from Russia, Antifascist from Milano

 

16. März 2013


15.00 Uhr: italienweite Demonstration;

Ort: Piazza XXIV Maggio, Milano
21.00 Uhr: Konzert

Ort: Area Grizzly

mit: 99 Posse, Assalti Frontali, Signor K, DSA Commando. Cuba Cabbal, Acero, Drowning Dog

 

17. März 2013

 

Volxssport: ein Tag lang verschiedene Sportarten zur Erinnnerung an Dax: Fußball, Rugby, Basketball, Boxen, etc. (http://daxvive.info/category/sport-per-dax-2)

Ort: Parco Argelati, Milano

 

 

 

Mobi -Video:

16 marzo 2013 Corteo a Milano, Dax vive!

http://www.youtube.com/watch?v=JKBP615-0No

 

 

Generelle Informationen unter:

http://daxvive.info

 

Informationen findet man auch hier:

Centro Sociale Cantiere

http://www.cantiere.org

https://www.facebook.com/centrosocialecantiere

http://www.cantiere.org/art-03961/10-anni-con-te-10-anni-senza-te-dax-vive-corteo-antifa-16-marzo.html#appellocantiere

 

Support-Anfrage für Writer, Künstler, Designer und Medienmacher, die Betroffenen der Repression vom März 2003 zu unterstützen:

http://www.daxresiste.org/2012/09/la-mia-arte-e-complice-una-tela-per-130mila-antifa-streetwear

http://www.daxresiste.org/130mila

 

 

Videos:

 

La notte nera di Milano - Dax vive nelle lotte

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=04xRRUMkzb4

 

Dax Vive: Milano sette anni dopo - www.bonsai.tv

http://www.youtube.com/watch?v=_UpWmea5DKA&feature=player_embedded

 

 

Dax ovunque

http://www.youtube.com/watch?v=Md1AXFq1UY4

 


 

II. Interview mit Paul von Azzoncao

 

Paul ist Mitglied bei Azzoncao, hat einige Zeit in Mailand gelebt und war 2003, kurz nach dem Mord an Dax, in Mailand. Seine Eindrücke und Meinungen illustriert das folgende Interview.

 

Azzoncao: Du warst 2003 kurz nach dem Mord an Davide in Mailand. Kannst Du uns erzählen, was Du damals mitbekommen hast?

 

Paul: Ende März 2003 wollte ich eine Woche Urlaub in Mailand machen. Ich kenne die Stadt sehr gut, habe dort einige Zeit gelebt und kenne viele Leute aus den verschiedenen Centri Sociali. Ich rief also am Sonntagabend des 16. März einen Freund an und wollte mit ihm abklären, wann wir uns sehen könnten. Aber er war total durcheinander, konnte keinen klaren Satz formulieren, meinte auch er könne jetzt nicht telefonieren und legte auf. Ich hatte ihn noch nie so erlebt und war besorgt. Ich ließ einen Tag verstreichen und rief wieder an. Da hat er mir erzählt, dass einer seiner Bekannten aus dem Stadtteil Ticinese von Faschisten erstochen worden sei. Und viele unserer gemeinsamen Bekannten und Freunde seien von der Polizei brutalst verprügelt worden.

 

Azzoncao: Du warst dann in Mailand?!

 

Paul: Ja, zwei Wochen später. Ich fand meine FreundInnen in einer Mischung von tiefer Traurigkeit, Wut und hektischen Aktivismus wieder. In der Nähe der Porta Ticinese an der viale Gorizia wurde ein großes Murales für Davide gemalt. (1) Dort traf ich viele von ihnen wieder. Darunter eine Freundin, der die Haare auf der einen Kopfhälfte wegrasiert waren. Dort prangte eine ca. 15 cm lange, frisch genähte Narbe, die sie bei der Prügelorgie der Polizei im Ospitale San Paolo erhalten hatte.

Angesichts der Geschehnisse fühlte ich mich hilflos, hatte das Gefühl meinen FreundInnen zur Seite stehen zu müssen, wußte aber nicht wie.

 

Azzoncao: Wie ging es weiter?

 

Paul: Na, zunächst mal gar nicht. Ich war wieder in Deutschland und weit weg. Aber über meine FreundInnen in Bergamo, Rom und Mailand bekam ich mit, wie die Gewalt der italienischen Faschisten immer mehr anwuchs. Da ich wenigstens ein- oder zweimal im Jahr in Mailand war, hatte ich zudem viele Gelegenheiten mich zur Situation in Italien direkter und umfassender zu informieren. Ich entschloss, die Vorfälle in Deutschland publik zu machen. Da mir damals kein direkter Zugang zu Medien gegeben war und ich auf eine breitere Informationsstreuung hoffte, schickte ich diverse Dokumentationen über Davide Cesare und die weiteren faschistischen Angriffe in Italien an den AK. Im März 2005 erschien ein Artikel von Jens Renner im AK mit dem Titel: „Sturmtruppen des Faschismus - Italienische Naziskins terrorisieren Linke“ (2).

 

Ich war dann noch in andere politische Aktivitäten bezüglich Italien eingebunden. Seit Ende der 90er Jahre kenne ich den italienischen Historiker Luigi Borgomaneri vom Partisaneninstitut ISEC in Sesto San Giovanni. Ich hatte ihn über sein Buch zu Theodor Saevecke, dem GeStaPo-Chef von Mailand, kennengelernt. (3) In Deutschland organisierten wir damals Öffentlichkeit zu dem Kriegsverbrecher-Prozess gegen Saevecke und waren mit Bochumer Antifas zwei mal beim Prozess in Turin. Mit FreundInnen des Osnabrücker Antifa - Archivs machten wir dann eine Veranstaltung mit Luigi Borgomaneri in Osnabrück. (4) Saevecke wohnte ja nicht weit von Osnabrück. In Bad Rothenfelde. Im März 2005 organisierte ich dann eine Rundreise zur Partisanengeschichte mit Luigi Borgomaneri. (5).

Erst im Oktober schaffte ich es eine Veranstaltungsreihe zum aktuellen Faschismus in Italien hinzubekommen. Drei antifaschistische FreundInnen von mir aus Italien machten eine Rundreise durch Deutschland. (6).

 

Von der Rundreise im Oktober 2005 sind mir besonders zwei Situationen in Erinnerung. Die eine war in Düsseldorf, als eine Freundin aus Mailand zu weinen begann und nicht mehr weiter erzählen konnte. Sie meinte später, dass es das erste Mal gewesen sei, dass sie über die Ereignisse vom März 2003 öffentlich gesprochen hätte. Man merkte wie stark die Ereignisse in der Nacht vom 16. März 2003 Beteiligte traumatisiert hatten. Die, die in dieser Nacht im Stadtteil Ticinese und vor dem Hospital San Paolo waren. Aber auch das nähere Umfeld des ORSO, des BULK und anderer Centri Sociali.

 

Die andere Situation war in Berlin. Eine Feundin aus Rom hatte über die Ereignisse in Genova 2001, die Ermordung Carlo Giulianis, die Verhaftungen und Prozesse berichtet. Kaum waren einige Fragen gestellt und beantwortet worden, stand ein junger Mann auf und meinte, dass sei ja jetzt Geschichte und man solle sich den Ereignissen in Heiligendamm, dem G8-Treffen 2007, zuwenden. Daraufhin spulte er noch Treffen in Berlin ab, die er als wichtig bewarb.

Das find ich superkrass. Eben war noch von Toten, Gefolterten und Verletzten aus der eigenen Szene gesprochen worden. Von Gefängnisaufenthalt und Repression. Und es gab Null Reaktion darauf. Also Fragen wie man den eigenen Leuten helfen kann die Not und den Schmerz zu überstehen. Wie man ihnen materiell, publizistisch und strukturell zur Seite stehen kann. Nada – Niente – Njet! Und nach dem Motto „Lass die Gefallenen und Gestrauchelten unserer Sache liegen, wende Dich neuen großen Taten zu“ setzte sich hier jemand in Szene. Und 20 - 30 Anwesende schweigen dazu. Das macht deutlich, was ich an dieser deutschen Linken am stärksten zu kritisieren haben – sie ist unsozial und verbalradikal.

 

Die stärkste europäische Partisanenbewegung gegen die Naziokkupationen zur Zeit des 3. Reichs waren die in Slowenien, Kroatien, etc. Im damals zukünftigen Jugoslavien. Schloss man sich dort einer Partisaneneinheit an, wurde einem garantiert, dass sie alles tuen, dass man nicht verwundet und verletzt dem Feind überlassen wird. Die PartisanInnen hatten eine Unzahl an konspirativen Krankenhäusern in den Bergen eingerichtet, um dies Versprechen auch umsetzen zu können. Die Stärke kam von der Solidarität. (7)

In Berlin wurde mir klar, dass der junge Mann und das schweigende Umfeld, für das Gro der bundesdeutschen linken Strukturen stand: Für die Betätigung mit kritischen Gesellschaftsnalysen, Entwicklung edler Ziele und Produktion schöner Propaganda. Aber der materielle und inmaterielle Selbstnutz am Politischen und Sozialen oft im Vordergrund steht. Narzismus, Egoismus und Karrieredenken die meisten Linken mehr bewegt, als ihre vor sich hergetragenen Ideale.

Das prägt den sozialen Umgang miteinander. Und dazu gehört dann die andere Seite der Medaille. Wer immer nur Siegen, Erfolg und Macht haben will, der kümmert sich nicht um Verlierer, Erfolglose und Ohnmächtige. Nicht im Ganzen. Also die Menschen an sich. Aber auch nicht unter den GenossInnen.

Die Beschäftigung mit von der Repression getroffenen, Verletzten und gar Getöteten sind oberflächlicher Natur und werden mehr zur Imagepflege und als politisches Aushängeschild genutzt. Ich sehe es es als politischen Alltag der Gro der Linken, dass „schwache“, angegriffene und geschwächte GenossInnen fallen- und liegenlassen werden.

Die Nicht - Auseinandersetzung mit Niederlagen und Verlusten. Die Nicht - Beschäftigung mit seelischen und körperlichen Wunden, Schmerz, Angst, psychischer und materieller Not. Das Abwenden ist die Normalität in der Linken.

 

Azzoncao: Puuh, das klingt aber negativ.

 

Paul: Ich sag, wie ich es sehe. Seit fast 10 Jahren setze ich mich mit steigender Intensität mit dieser Thematik auseinander. Das wisst Ihr ja. Viele Impulse in unserer Gruppe hinsichtlich Erinnerungs- und Solidaritätsarbeit gehen von mir aus.

Und was heißt hier negativ? Die Negation eines Sachverhalts ist doch der Gehalt einer Kritik.

Diese Art von Vorhaltungen „das klingt aber negativ“ sind doch Abwehrreaktionen auf Kritik und zeigen auf, dass sich Leute mit der Kritik nicht auseinandersetzen wollen. Das Merkwürdige daran ist, dass die Leute die das formulieren, die Kritiker wie uns nie fragen, wie wir uns es anders vorstellen. Welche andere Theorie und Praxis wir vorschlagen. „Das ist negativ“ soll doch die Kritik wirkungslos machen. Besser noch ist die Zuschreibung den Kritikern gegenüber: „Du bist negativ“. Dann schreibt man das als Eigenschaft sogar den Personen zu, grenzt sie somit aus und entzieht sich so ganz einer strukturellen Kritik und eventuellen Veränderung. Business as usual in der deutschen Mainstream-Linken.

Ich bleib da bei meinem Tucholsky. Der sagte mal über sich und seine FreundInnen: „Wir Negativen“.

 

Azzoncao: Und warum denkst Du passiert das?

 

Paul: Ich denke, sie haben Angst. Ich erlebe die linken Szenen als sehr angstbesetzt: Das Falsche zu sagen, das Falsche zu machen. Und somit als hierarchisiert und unfrei. Von den angeblich linken Parteien will ich erst gar nicht reden.

Leistet man sich Kritik und daraus ableitend eine andere Praxis, ist man „draußen“. Und wer möchte schon außerhalb dieser Idealgesellschaft sein?

 

Azzoncao: Du wirst zynisch.

 

Paul: Jap!

 

Azzoncao: Also mangelnde Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, hierachische angstbesetzte Strukturen, der Wunsch nach heiler Welt, neoliberale, kapitalistische und egoistische durchstrukturierte Persönlichkeiten. Da wären wir ja bei deinen Lieblingskritiken.

 

Paul: Naja, da käme noch jede Menge mangelnde Courage, fehlendes Engagement, abhandenes kollektives Bewußtseins … .

 

Azzoncao: Zurück zum Thema.

 

Paul: Ok. Für mich ergab sich ab 2003/2005 also die Erkenntnis, bzw. die Notwendigkeit mich mit Folgen von faschistischer Gewalt mehr und anders auseinanderzusetzen. Das Ganze wurde auch um so eindringlicher durch die Ermordung von Thomas „Schmuddel“ Schulz am 28. März 2005 in Dortmund (8).

Darüber wollte ich zu Italien mehr Öffentlichkeitsarbeit leisten. Leute für die Politik in Italien interessieren, usw.. So organisierte ich 2005 und 2006 Fahrten zur Partisanengeschichte an den Lago Maggiore und nach Mailand. Die Fahrten waren unter dem Motto „Von GenossInnen für GenossInnen“ ausgerichtet. Das heißt, ich habe aus verschiedenen Städten Bekannte aus linken Strukturen angefragt und uns Übernachtungsmöglichkeiten in Centri Sociali organisiert. So hatten wir nicht nur Kontakt zu den alten PartisanInnen, sondern befanden uns mitten im politischen Trubel der Centri Sociali, deren Konzerte, Demonstrationen, usw.. 2006 gründete sich dann unsere Gruppe Azzoncao. Dabei waren Einige, die auch mit am Lago Maggiore gewesen waren. 2007 konnte ich das Seminar nicht durchführen und bat eine Person aus einer anderen Stadt, dies vertretungsweise zu machen. Was dabei heraus kam wisst ihr ja. Sie hat es für ihre Karriere an der Uni und in ihrem politisches Umfeld genutzt. Sie schloss alle anderen aus, nutzte unsere Kontakte und Informationen für sich. Eine dieser typischen akademischen Karriere-Linken halt.

 

Ende 2007 begann die Erinnerungsarbeit zu Dax Kontur anzunehmen. Angefangen bei einer Demonstrationsbeteiligung in Mailand, über ein Graffito in Bochum, einen Film bis hin zu einem Interview mit seiner Mutter.

Angefangen hat es 2007. Ich war Ende des Jahres in Mailand und bekam die Vorbereitung zum 5. Jahrestag im März 2008 mit. Ich kam auf die Idee, dass wir uns als Gruppe beteiligen könnten, verabredete das mit meinen italienischen FreundInnen und machte schon Zimmer im „Il Postello“ klar. Das „Il Postello“ in der via della Pergola lag in der Nähe der Stazione Garibaldi und war eine alternative Jugendherberge.

 

Im März 2008 fuhren wir dann gemeinsam nach Mailand. Und nahmen noch zwei von der AJB mit.

Dabei standen wir unter dem Eindruck zweier neuer Morde an antifaschistischen Genossen.

Am 11. November 2007 war der junge Antifaschist Carlos Palomino in Madrid von einem spanischen Falangisten erstochen worden. Einige Tage später hatten wir in Bochum eine Solidaritätsdemonstration für die GenossInnen und Angehörigen von Carlos Palomino durchgeführt (9). Und am 18. Januar 2008 war der Antifaschist Jan Kucera in Pribram, nahe Prag, erstochen worden. (10)

So beteiligten wir uns als Azzoncao an den Gedenkveranstaltungen zu Dax im März 2008 mit einem Transparent und einem italienischsprachigen Flugblatt, was ich geschrieben hatte. Es thematisierte gleichermaßen die Morde an Carlos Palomino, Jan Kuchera, Thomas Schulz, den 2006 in Rom ermordeten Renato Biagetti und Davide Cesare und stellte sie in den Kontext einer europaweiten Rechtsentwicklung und eines notwendigen gemeinsamen Widerstands (11).

Unser Transparent und der Inhalt kamen sehr gut in Mailand an. Aber auch in Deutschland machte das Flugblatt Furore.

 

Azzoncao: Eigenlob stinkt.

 

Paul: Naja, da erinnere ich euch nur an die Reaktionen der Göttinger auf dem Bochumer Antifa-Konzert und die Reaktion der antifascista siempre Leute in Berlin auf das Flugi.

Wie auch immer, im November 2008 kamen noch einmal antifaschistische Freunde aus Norditalien auf Tour und thematisierten die italienische Rechte auf mehreren Veranstaltungen in Deutschland. (13)

Im Sommer 2008 hatte sich die Möglichkeit hier im Stadtteil Ehrenfeld ergeben, ein großes Graffiti mit Profi-Writern hinzulegen. Und nach unserem ersten Probelauf im September (14) legten wir dann im Dezember 2008 auf der Hermannshöhe das „In unseren Träumen und Kämpfen leben sie weiter“ hin. Das Murales war eine Widmung an die ermordeten Antifaschisten Thomas Schulz, Jan Kuchera, Feodor Filatov, Timur Kacharava, Carlos Palomino, Renato Biagetti und Davide Cesare. (15)

Während der Vorbereitung zu dem Murales kam es zu einem zufälligen Treffen mit einem Freund, der von Filmtechnik sehr viel Ahnung hat. Mir kam die Idee, das Ganze filmisch festzuhalten. Und so entstand letztendlich mit seiner Hilfe der Film „uno di noi“, der am 6. Juni 2009 dann im Bahnhof Langendreer seine (offizielle) Uraufführung hatte. In diesem Film wird auch der Tod von Dax und die „notte nera“ thematisiert. (16)

Schon kurz vor unserem Probegraffito „zona antifascista“ hatte ich in Rom ein Interview mit dem Bruder von Renato Biagetti gemacht. Eine römische Freundin übersetzte ihn. Mir waren die Informationen aus dem Internet zu wage und ungenau. Ich wollte aber nicht wage und ungenau in unseren Schilderungen sein. Deswegen das Interview.

Das Interview mit Renatos Bruder war sehr eindrucksvoll. (17) Im Zuge des Filmes machte ich, bzw. wir ein weiteres Interview mit Mavi, der Mutter von Carlos Palomino, in Madrid (18) und Rosa, der Mutter von Davide Cesare, in Mailand. (19)

Durch diese Interviews wurde nicht nur die Informationslage über diese faschistischen Morde in Deutschland besser. Auch unser Film gewann an Genauigkeit. Für mich selber waren die Interviews sehr eindrücklich und bewegend. Ich verstand viel mehr wie es Angehörigen in einer solchen Situation geht, wie isoliert und zurückgeworfen auf einen kleinen Kreis von FreundInnen sie sich diverser Anfeindungen ausgesetzt sehen. Ähnliches galt für den politischen Freundeskreis der Ermordeten. Und das neben dem Schmerz und den Verlust den sie empfinden.

Die Interviews haben mir gezeigt, dass eine direktere, engagiertere Form der Solidarität in mentaler, materieller und publizistischer Form notwendig ist. Das diese kontinuierlich und verlässlich für die Opfer und die Angehörige rechter Gewalt bestehen muss. Und das es die antifaschistische Bewegung selber sein muss, die das macht. Nur durch menschliche Zuwendung und praktizierte Soldarität beweist sie Stärke und gewinnt sie Stärke. Dies nicht zu machen ist, meiner Meinung nach, die größtmögliche Niederlage die man erleiden kann.

Das schließt diesen permanenten Verweis von linken Gruppen auf die staatliche Opferberatungen ein. Wer auf diese verweist hat Nichts von der Feigenblattfunktion dieser staatlich finanzierten Stellen verstanden. Diese arbeiten individualisierend und isolierend, so dass keine Solidarisierung und Vergesellschaftung des Problems im Einzelnen und im Ganzen stattfinden kann. Der politische Gehalt der Konflikte wird auf staatlich verwaltete Konfliktbewältigung - und verwaltung gelenkt. Kapitalistisch strukturierte und staatlich-abwickelnde Lösungsmodelle stehen zur Option. Eine Struktur, die dazu noch für die Entstehung rechter Gewalt mitverantworlich ist und die gesellschaftliche Exklusion der Opfergruppen betreibt. Brr, mich schüttelt es.

 

Azzoncao: Das lassen wir mal so stehen. Du hast da ja mehr Einblick als wir und das soll ja nicht Thema sein.

 

Paul: Bei den Interviews zu unserem Graffito hatte ich mir es als Ziel gesetzt, alle Angehörigen der von uns porträtierten Opfer zu interviewen. Ich fand, dass wir es all den von uns präsentierten Opfern schuldig waren, sie und ihre Geschichte bekannt zu machen.

Aber das gelang mir bei den Verwandten von Jan Kucheras und Thomas Schulz nicht. Antifas aus Prag teilten mir mit, dass die Eltern von Jan keine Interviews geben wollten.

Und, so merkwürdig es klingt, zu Thomas Eltern konnten wir kein Kontakt aufbauen.

Nach Russland hingegen schon. Als am 19. Januar 2009 Anastasia Baburowa und Stanislaw Markelow in Moskau erschossen wurden, machten wir eine Demonstration. Diese fand am 7. Februar in Düsseldorf statt (20). Am 20. März hatten wir dann einen russischen Antifa zu Gast (21), der mit seinen Film „antifascist attitude“ Westeuropa bereiste, um auf die katastrophale Lage in Russland hinzuweisen.

Im September 2009 besuchten wir den Genossen in Moskau und konnten dort mit Katja, der Freundin von Feodor Filatov, und in St. Petersburg mit Irina Kacharawa, der Mutter von Timur, sprechen. (22 und 23).

Die Interviews, die Antifaszene in Russland und das Land an sich haben mich nachhaltig beeindruckt. Ich habe zudem gemerkt, wie wichtig es ist, von außen auf Menschen in solchen Situationen zuzugehen. Wie wichtig das von außen herangetragene Interesse an ihnen und ihrer Situation ist. Es macht ihre Situation nicht besser, aber es durchbricht ihre Isolation und Ausgrenzung und stärkt sie gegen die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt sind.

In Moskau bekamen wir von Antifaschisten der „bonebreaker crew“ die Stelle gezeigt, an der neun Monate zuvor Anastasia Baburowa und Stanislav Markelow erschossen wurden. Unter den Antifas befand sich Ivan Khutorskoy. Er wurde ungefähr einen Monat nach unserem Besuch von hinten erschossen. (24)

Wir waren platt, sprachlos. Um unsere russischen GenossInnen zu unterstützen erstellten wir ein Murales für Ivan und machten einen Film. Wie so häufig mehrsprachig und auf vielen Internetsites gepostet. (25 und 26)

Einige Wochen später wurde auf unseren Freund in Moskau geschossen. Das Projektil zerschlug die Fensterscheibe, kurz vor dem Kopf seines Bruders. Die Nazis hatten die Beiden verwechselt.

 

Jetzt wo ich das erzähle wird mir erst bewußt, was wir alles innerhalb eines Jahres erfahren und erlebt haben.

 

Azzoncao: Kein Pappenstil. Wollen wir wieder zu Davide zurückkehren?

 

Paul: Ja. Also Mitte 2009 wurden die Freunde von Dax zu Gefängnis und zu einer Geldforderung von über 100.000 Euro verurteilt. (27) Ich kann es immer noch nicht fassen, wie man zu so einer Forderung kommt. Das heißt nichts anderes, als das man die Personen brechen will, sie zu einem Leben in Verschuldung und Prekariat verurteilt.

Ich hoffe, dass sich in Deutschland GenossInnen ein Beispiel an Grenoble und London nehmen und in einem größeren Rahmen die Mailänder finanziell unterstützen. Bei uns sieht es außer der ideellen und publizistischen Unterstützung ja wohl mauh aus.

 

Im Jahr 2010 haben wir noch mal eine Zusammenfassung aller bisherigen Informationen auf Linksunten gepostet (28). Die Idee war die Erinnerung für die deutschen LeserInnen präsent zu halten und allen die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren oder auch an den Gedenken teilzunehmen.

 

Wir waren ja in kleiner Besetzung erst im April 2011 wieder in Mailand. Zum 25. April, den Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. Wir waren unterwegs mit den Leuten vom ZAM. Der Zona Autonoma Milano. (29)

Der Anlass nach Mailand zu fliegen war aber eigentlich nach Genova zu fahren, um mit den Eltern von Carlo Giuliani ein Interview zu führen. Dieser war von einem Carabinieri während der Straßenkämpfe rund um das G8-Treffen erschossen worden. Wir wollten eine Retroperspektive auf die Ereignisse von 2001 ermöglichen. Dies über Interviews mit Akteuren und Betroffenen der Ereignisse in Genova. Einem der Organisatoren der Proteste, einen Ex-Gefangenen und den Eltern von Carlo Giuliani. Das Ganze sollte abgerundet werden mit einem eigenen Berichten und Erinnerungen. (30, 31, 32 und 33) Wir wollten mit dazugehörigen Bild-, Text-, Musik- und Linksammlungen allen LeserInnen, vor allem Jüngeren, Zugriff auf unsere Geschichte der undogmatischen, autonomen Linken geben. Und an Carlo Giuliani erinnern.

So ähnlich wie dieses Interview funktionieren soll.

 

Azzoncao: Ok, das war ja ein schönes Abschlusswort.

 

 


 

 

(1) Fotos: https://linksunten.indymedia.org/de/node/23218

(2) http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/owl/artikel-einzel/ak493.html

(3) http://www.associazioni.milano.it/isec/ita/memoria/hitlermi.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Theo_Saevecke

(4) http://www-lehre.informatik.uni-osnabrueck.de/~trichter/BASTA/bulletin/nr4/HitVoll.html

(5) http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/owl/partigiani/veranstaltungsorte.html

(6) www.nadir.org/nadir/kampagnen/owl/index.html

(7) https://linksunten.indymedia.org/de/node/19736

(8) http://nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao/schmuddel.html

http://de.indymedia.org/2009/03/245255.shtml

(9) http://de.indymedia.org/2007/11/199671.shtml

(10) http://de.indymedia.org/2008/01/205836.shtml

(11) http://www.nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao/milano2.html

(12) http://de.indymedia.org/2008/09/226954.shtml?c=on#c525001

(13) http://www.nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao/italien08.html

(14) http://www.nadir.org/nadir/initiativ/azzoncao/italien08.html

(15) http://de.indymedia.org/2008/12/236148.shtml

http://de.indymedia.org/2008/12/236171.shtml

(16) www.unodinoi.blogsport.de

https://linksunten.indymedia.org/de/node/13049

(17) https://linksunten.indymedia.org/de/node/6511

(18) https://linksunten.indymedia.org/de/node/6622

(19) https://linksunten.indymedia.org/de/node/6647

(20) https://linksunten.indymedia.org/de/node/271

(21) http://www.bo-alternativ.de/2009/03/15/antifaschistische-bewegung-in-russland

(22) https://linksunten.indymedia.org/de/node/12199

(23) https://linksunten.indymedia.org/de/node/12338

(24) http://de.indymedia.org/2009/11/266100.shtml

(25) https://linksunten.indymedia.org/de/node/20828

(26) http://blip.tv/colectivo-la-plataforma/uno-di-noi-3886735

(27) https://linksunten.indymedia.org/de/node/6863

(28) https://linksunten.indymedia.org/de/node/35693

(29) https://linksunten.indymedia.org/de/node/38443

(30) https://linksunten.indymedia.org/de/node/43428

(31) https://linksunten.indymedia.org/de/node/43500

(32) https://linksunten.indymedia.org/de/node/43652

(33) https://linksunten.indymedia.org/de/node/43669