Die politischen Gefangenen in den USA verweigern die
Aussage
Im pazifischen Nordwesten der USA sitzen Leah-Lynn Plante, Matthew Kyle Duran und Katherine „Kteeo“ Olejnik im Knast, nachdem sie sich vor der Grand Jury geweigert haben, Informationen über politische Zusammenhänge preiszugeben. Ihre Wohnungen wurden im Juli vom FBI und bis an die Zähne bewaffneten Antiterroreinheiten gestürmt, die explizit auf der Suche nach „belastender“ anarchistischer und regierungskritischer Literatur waren. Das vermeintliche „Delikt“, um das es geht – Akte des Vandalismus bei einer Demonstration in Seattle am 1.Mai – fand allerdings erst zwei Monate nach der Einberufung der Grand Jury statt und den Behörden ist außerdem längst bekannt, dass die Verdächtigten zu dem Zeitpunkt gar nicht am Ort des Geschehens waren. Der Verdacht drängt sich also auf, dass im Land of the Free, dem international führenden Demokratieexporteur USA, Andersdenkende wegen ihrer Meinung verfolgt werden – eine Hexenjagd, die wohl nicht zufällig an die McCarthy-Ära erinnert.
Im Knast zur Erpressung einer Aussage
Die drei Personen wurden wegen „Missachtung des Gerichtes“ hinter Gitter gesperrt, der tatsächliche Grund besteht darin, dass sie sich alle geweigert haben, vor der Grand Jury eine Aussage zu machen. Matt Duran befindet sich bereits seit Mitte September im Gefängnis, Katherine „Kteeo“ Olejnik wurde am 28.September eingesperrt und zuletzt wurde Leah-Lynn Plante nach ihrer dritten Anhörung vor der Grand Jury am 10.Oktober in den Knast überstellt. Alle drei befinden sich im Federal Detention Center SeaTac in Seattle. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft darf jemand für den Vorwurf der „Gerichtsmißachtung“ und zur „Erzwingung von Kooperation“ maximal 18 Monate im Gefängnis bleiben.
Im Durchsuchungsbefehl des FBI heisst es, dass schwarze Kleidung, Farbe, Stöcke, Fahnen, Computer, Mobiltelefone und „Antiregierungs- oder anarchistische Literatur“ gesucht werden. Über die Umstände der Verhaftungen schreibt Brendan Kiley in The Stranger, dass AugenzeugInnen in Portland und Seattle beobachtet haben, wie „BeamtInnen der Bundes- und lokalen Polizei in die Wohnungen der Leute eingedrungen sind, während sie schliefen und sie mit ihren Waffen bedrohten, und dabei ihre Bücherregale durchwühlten, auf der Suche nach Hinweisen auf politische Einstellungen anstatt nach Indizien eines Verbrechens“. Während Leah-Lynn Plante darauf hingewiesen hat, dass die polizeiliche Stürmung ihrer Wohnung zu den traumatischsten Erlebnissen ihres Lebens gehört hat – sie leidet schon seit Jahren an Depressionen und post-traumatischen Belastungsstörungen – konnte der Staat selbst unter den verschärften Haftbedingungen der Isolationshaft die Gefangenen nicht brechen und keine Aussage erpressen. So hat Matt Duran sehr wenig Zugang zum Telefon, er darf seine Anwältin nicht kontaktieren und keinen Besuch empfangen, vegane Nahrung wurde ihm verweigert, Matt hat keinen Kontakt zu anderen Gefangenen und darf weder an die frische Luft noch durch ungetönte Scheiben nach draußen sehen. Matt möchte gerne sozialen Kontakt zu seinen Mitgefangenen aufnehmen und Schach spielen, aber er akzeptiert seine Situation wie sie ist, so seine Anwältin. Er hat zahlreiche Briefe erhalten, manche aus seinem Freundeskreis, aber auch viele von Menschen aus verschiedenen Ländern, die er nicht kennt und die seine Überzeugungen teilen – eine Tatsache, die den Staatsanwalt dazu veranlasst hat, bei einer Anhörung zynisch darauf hinzuweisen, dass „es ihm gut gehen muss“. Matts Anwältin betrachtet seine Haft als Strafe für seine Weigerung, auszusagen. [1]
Vor ihrer zweiten Anhörung vor der Grand Jury am 13.September erklärte Leah-Lynn Plante, warum sie daran festhält, jede Aussage zu verweigern: „Nein, ich werde ihre Fragen nicht beantworten. Ich glaube, dass diese Anhörungen politisch motiviert sind. Die Regierung will sie benutzen, um Informationen zu sammeln, die sie in einer Repressionskampagne verwenden kann. Ich weigere mich, darin eine Rolle zu spielen, ich werde ihre Fragen niemals beantworten, ich werde niemals sprechen. Es ist wahrscheinlich, dass die Regierung mich wegen dieser Weigerung ins Gefängnis stecken wird. Obwohl ich schon die Idee des Gefängnisses hasse, bin ich bereit, mich dem zu stellen, um meinen persönlichen Überzeugungen treu zu bleiben. Ich weiss, dass sie mich kidnappen und mich von meinen Freunden und geliebten Menschen isolieren wollen, in dem Versuch, mich zum Sprechen zu zwingen. Es wird nicht funktionieren.“
Die Grand Jury als Instrument der Repression
The Sound & Noise schreibt über die Funktion der Grand Jury: „Leah-Lynn und Matt wurden [seit der Stürmung ihrer Wohnung] zu einer Anhörung vor der Grand Jury geladen und befohlen, wobei es sich um eine private Anhörung handelt, die benutzt wird, um festzustellen, ob es ausreichende Indizien gibt, jemanden wegen eines Bundesverbrechens anzuklagen. Während des Prozesses einer Grand Jury darf sich der oder die Angeklagte nicht von einem Anwalt vertreten lassen. Das bedeutet, dass die Grand Jury im Kern eine Gruppe von 23 JurorInnen ist sowie einem Staatsanwalt, der versucht, jemanden wegen einer Straftat anzuklagen und Leah-Lynn Plante, einer Veganerin. Eine Grand Jury ist außerdem geheim, daher wissen wir nicht und dürfen auch gar nicht wissen, was im Gerichtssaal vor sich geht.“ [2]
Heidi Boghosian von der National Lawyers Guild kommentiert: „Die willkürliche Ladung von AktivistInnen und der Druck auf sie, Informationen über andere in geheimen Prozessen auszuplaudern, erweitert sich um ihre Verhaftung, wenn sie sich entscheiden, Widerstand zu leisten.“ Auch die Anwältin von Katherine „Kteeo“ Olejnik, Jenn Kaplan, übt scharfe Kritik an den Grand Juries, die von der Regierung eingesetzt würden, um das Vierte und Fünfte Amendment zu umgehen und an Informationen heranzukommen, die sie auf andere legale Weise nicht bekommen würde. Die Grand Juries würden zur Einschüchterung von AktivistInnen eingesetzt: „Wenn es schon ausreicht, jemanden zu kennen, der des politischen Vandalismus verdächtig sein könnte, damit die Gefahr besteht, vorgeladen zu werden, einen Richter entscheiden zu lassen, dass einige deiner Rechte nicht mehr gültig sind und 18 Monate Gefängnis aufgehalst zu bekommen, dann schreckt dies sehr davon ab, sich mit solchen Leuten zusammenzutun“. [3]
Auf der englischen Wikipedia wird die Kritik an den Grand Juries zusammengefasst: So beschränken Grand Juries die verfassungsmäßigen Rechte der US-BürgerInnen, denn der im Sixth Amendment festgeschriebene Rechtsbeistand wird den US-BürgerInnen verwehrt und auch das Recht, ZeugInnen ins Kreuzverhör zu nehmen, wird verweigert. Wegen „Missachtung des Gerichts“ können US-BürgerInnen für die Dauer der Grand Jury in Haft genommen werden, wenn sie einer Vorladung nicht Folge leisten. Außerdem kann die Staatsanwaltschaft alle Indizien unter dem Deckmantel der Geheimhaltung präsentieren, denn es ist den Mitgliedern der Grand Jury verboten, die Ereignisse vor Gericht der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Auch im Falle von Wikileaks wurde eine Grand Jury eingesetzt und geriet in die Kritik, ein Mechanismus zu sein, um Whistleblower einzuschüchtern und zu verfolgen. Schließlich wird kritisiert, dass Grand Juries als reine Erfüllungsgehilfen der Staatsanwaltschaft wirken – zumal die Öffentlichkeit wegen der Geheimhaltung gar nicht kontrollieren kann, wie stichhaltig oder legal die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft ist. Während sie den Angeklagten wenig Schutz bieten, dienen sie als nützliches Werkzeug für die Staatsanwaltschaft. Durch ihre starke Macht bei der Vorladung von Angeklagten helfen die Grand Juries häufig der Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen. ZeugInnen können dazu getrieben werden, ohne Rechtsbeistand auszusagen und die Erkenntnisse können bei späteren Gerichtsverfahren verwendet werden. Die Mitglieder der Grand Jury hören zudem allein die Sichtweise der Staatsanwaltschaft und werden daher meistens von deren Sicht der Dinge überzeugt. Nahezu in jedem Fall folgen die Grand Juries den Empfehlungen der Staatsanwaltschaft. Der ehemalige Bundesrichter aus Chicago William J. Campbell stellt fest: „Heute ist die Grand Jury der totale Sklave des Staatsanwaltes, der – sofern er redlich ist – zugeben wird, dass er jedermann, zu jeder Zeit, für fast alles vor jeder Grand Jury anklagen kann“.
Solidarität mit den politischen Gefangenen
Das Komitee gegen politische Repression hat mittlerweile eine Petition zur Unterstützung der Gefangenen aufgestellt, die von fast 400 Organisationen unterzeichnet wurde. Der Autor Will Potter ist besonders beunruhigt über die explizite Verfolgung von Menschen, die anarchistische und regierungskritische Literatur bei sich zu Hause im Bücherregal stehen haben. Der Besitz von anarchistischer Literatur werde von den Behörden als Hinweis auf potentielle illegale Aktivitäten ausgelegt. Die Einsetzung einer Grand Jury ist für Potter „besonders verstörend, weil Grand Juries historisch als Werkzeuge zur Datenausforschung gegen soziale Bewegungen benutzt wurden und sie werden eingesetzt, um Informationen über die Einstellungen der Leute und ihre politischen Zusammenhänge herauszufinden“. [4]
In einer Stellungnahme kurz vor ihrer Verhaftung meint Leah-Lynn Plante am 10.Oktober: „Sie wollen, dass wir uns isoliert, allein und verängstigt fühlen. Ich weiss, dass Kteeo sich nicht allein fühlt, obwohl sie in Einzelhaft gehalten wird. Ich weiss, dass Matt sich nicht allein fühlt [der sich ebenfalls in Einzelhaft befindet, Anm.]. Ich weiss, dass ich mich nicht allein fühlen werde. Wenn sie versuchen, rücksichtslos Communities zu zerstören, zerstreuen wir uns nicht, sondern wir werden stärker und blühen. Für mich steht diese staatliche Unterdrückung für folgendes: Der Staat meint, er sei ein schwarzes Loch, das alles zerstören kann, was es will. Tatsächlich ist er mehr wie eine Sternenwiege, in der unabsichtlich neue, starke anarchistische Sterne geschaffen werden.“ [5]
Quellen
[2] http://thesoundandnoise.com/2012/09/14/young-persons-called-to-private-grand-jury-for-owning-books
[3] http://supportresist.net/newsfeed.html
[4] http://supportresist.net/newsfeed.html
[5] http://supportresist.net/statements_current.html
Die Gefangenen freuen sich über Post
http://supportresist.net/letters.html
Statement from a Resister – Leah-Lynn Plante
Leah ist frei!
Von der offiziellen Seite:
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First and foremost, do not panic.
Leah wanted for us to express these points to you with this news:
Again, to reiterate, more information is going to be released in a few days.
Thank you all for keeping an ear to the ground and for supporting these people.
Russland Pussy Riot
Das ist vermutlich auch der Grund, weswegen Pussy Riot einfahren durften.
Andererseits: Man stelle sich vor, jemand würde so eine Aktion in einer deutschen Moschee machen... =:(
Korrektur
Laut Socialist Worker befindet sich Matt Duran seit 3.Oktober nicht mehr in Isolationshaft, sondern hat nun Kontakt zu anderen Gefangenen.
http://libcom.org/library/anti-anarchist-witch-hunt