Die Odyssee des 1. Mai – Rückblick auf zwei Naziaufmärsche in Speyer und Mannheim

1. Mai nazifrei
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Am 1. Mai 2012 demonstrierten Nazis in Speyer und Mannheim. Die zwei kombinierten Veranstaltungen waren der zentrale Aufmarsch von NPD und „Freien Kameradschaften“ in Südwestdeutschland. In Speyer liefen am Vormittag gut 250 Nazis unter dem Motto „Zeitarbeit ist moderne Sklaverei – Soziale Ausbeutung stoppen!“ durch die Weststadt. Am Nachmittag kam die gleiche Personengruppe mit leichtem personellen Zuwachs nach Mannheim, Motto: „Wir arbeiten – Brüssel kassiert“. Im bayerischen Hof kamen etwa 400 Nazis zu einer Demonstration zusammen. 2011 demonstrierten süddeutsche Nazis noch gemeinsam in Heilbronn.

 

In diesem Jahr hatten sich NPD und „Freie Kameradschaften“ die Demonstrationen aufgeteilt. Veranstalter in Speyer war das „Nationale und soziale Aktionsbündnis 1. Mai“, ein Pseudonym des Aktionsbüro Rhein-Neckar, welches ein straff organisiertes Netzwerk der „Freien Kameradschaften“ in der Region darstellt. Die NPD zeichnete sich für die Demonstration in Mannheim verantwortlich. Trotz dieser Aufteilung unterstützten sich Partei und „Freie Kräfte“ gegenseitig und führten die Veranstaltungen gemeinsam durch.

Juristisches Gerangel und Einschüchterungen vor dem 1. Mai

Im Vorfeld kam es zu reichlich Verwirrung um das Verbotsverfahren gegen die Aufmärsche. Während das Verbot in Speyer in erster Instanz gekippt wurde, gab es in Mannheim zwei Entscheidungen. Ein Verbot wurde wegen Verfahrensfehlern in zweiter Instanz bestätigt, das Verbot einer Parallelanmeldung in erster Instanz gekippt. Für Außenstehende war das Verfahren sehr undurchsichtig und sorgte für Unklarheit, ob die Demonstration der NPD überhaupt stattfinden würde. Als Ergebnis durften die Nazis in beiden Städten marschieren, sollten aber aufgrund des verlorenen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof hohe Gerichtskosten begleichen müssen.

Während vor Gericht gestritten wurde, kam es in Mannheim-Neckarau zu Einschüchterungsversuchen der Nazis gegenüber engagierten Bürger_innen und Christ_innen. Die Nazis fühlten sich offenbar von den zahlreichen antifaschistischen Plakaten im Stadtteil provoziert, rissen sie heimlich herunter oder übersprühten sie, Aufkleber wurden bei vermuteten Gegner_innen geklebt. Auch das Engagement der Kirchen störte die Nazis offenbar sehr. Es kam zu Drohungen gegen Mannheimer Pfarrer. Allen Aktionen zum Trotz stand der Stadtteil geschlossen gegen die Nazis und konnte ein breites Bündnis initiieren, das am 1. Mai entsprechend stark auftrat.

Die Vorfeldaktionen der Nazis, die sich 2012 unter anderem um die Themen Zeitarbeit und EU drehen sollten, waren im Vergleich zu den Vorjahren schwach, in Mannheim wurde kaum Nazipropaganda gesichtet. Auch in Rheinland-Pfalz waren thematische Aktionen, wie beispielsweise am 20. April in Kaiserslautern, schlecht besucht.

In Speyer beginnt eine lange und unbequeme Reise

In Speyer trafen sich die Nazis am 1. Mai ab 10 Uhr am Hauptbahnhof. Schon dort wurden sie von Antifaschist_innen ausgepfiffen. Ihr Demonstrationszug startete gegen 11 Uhr durch den westlichen Teil der Stadt. Die Nazis liefen locker in Reihen, mit Transparenten von NPD und „Freien Kameradschaften“. Zwischenzeitlich wurde ihre Route blockiert, jedoch machte die Polizei den Weg recht schnell wieder frei. Auf der Zwischenkundgebung musste sich gegen lautstarken Protest der Gegendemonstration durchgesetzt werden und am Ende traf eine von Oberbürgermeister Eger (CDU) angeführte bürgerliche Demonstration in Sicht- und Hörweite der Nazis ein. Die rechte Szene zeigt sich mit dem Aufmarsch durch Speyer insgesamt zufrieden.

Am S-Bahn Haltepunkt Speyer Nord-West warteten die Nazis auf eine Bahn, die sie jedoch nur eine kurze Strecke bis nach Schifferstadt transportierte. Dort mussten sie aussteigen und wurden in bereitstehende Sonderbusse verfrachtet. Diese fuhren eine absurde Route nach Waghäusel auf der anderen Seite des Rheins, wo die Nazis wiederum umsteigen mussten und mit einer Bahn bis nach Neckarau gebracht wurden. Noch in Schifferstadt sorgte offenbar ein Unfall in einer engen Straße für eine lange Verzögerung der Reise. Die genauen Umstände dieser Fahrt und wer für die Organisation und Finanzierung verantwortlich ist, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichtes den Verfasser_innen noch nicht bekannt. In jedem Fall sorgte die chaotische Odyssee für reichlich Verärgerung bei den Nazis, die den undurchsichtigen Planungen der Polizei völlig ausgeliefert waren. Insbesondere die Nazis, die weite Anfahrtswege, beispielsweise aus dem Schwarzwald oder dem Saarland hatten, dürften am 1. Mai bei sonnigen 25 Grad bis zu acht Stunden in Bussen und Bahnen verbracht haben.

Nazi-Demokraten wollen Meinungsfreiheit – Der peinliche Auftritt der NPD Rhein-Neckar

Im Laufe des Verbotsverfahrens stellten Richter fest, im Aufruf der NPD zum 1. Mai sei „kein rechtsextremes Gedankengut“ zu finden. So absurd diese Einschätzung ist, verdeutlicht sie doch die populistische Strategie insbesondere des Kreisverbandes Rhein-Neckar der NPD. Deren führende Mitglieder achten stets auf seriöses Auftreten und verbergen ihre nationalsozialistische Idee hinter anschlussfähigen Stammtischparolen. Vielfach forderte der Kreisvorstand „Meinungsfreiheit“ und Vorsitzender Jan Jaeschke (Weinheim) stellte in seiner Rede die NPD als als die wahre Verteidigerin von Demokratie und Toleranz dar. Aufgrund solcher Parolen wird Jaeschke von Teilen der Szene ausgelacht, Ludwigshafener Nazis beschimpfen die NPD Rhein-Neckar als „Demokraten“.

Da die NPD als Veranstalterin der Mannheimer Demonstration auftrat, war es umso verwunderlicher, dass an der Spitze des Zuges ein sogenannter „Schwarzer Block“ der Autonomen Nationalisten (kurz AN) mit einem Banner „Ein Block – ein Weg“ lief. Die meist jungen ANs waren unter anderem aus Südhessen und der Pfalz angereist, präsentierten sich gewaltbereit und riefen Parolen wie „Süddeutschland – Naziland“, „Antifa – Hurensöhne“ oder „Ein Hammer, ein Stein – ins Arbeitslager rein“ in Richtung der Gegendemonstrant_innen. Nazis aus der Vorderpfalz führten ein Transparent mit sich, auf dem zu lesen war „Generation, die sich wehrt – Freie Kräfte Kurpfalz – LUNARA“. Mit dem Kürzel LUNARA bezeichnen sie sich selbst als „Ludwigshafener Nazis und Rassisten“.

Diese gegensätzliche Außenwirkung, Seriosität kontra Verbalradikalismus, sorgte für ein innerlich zerstrittenes Bild der Demonstration. Jaeschke rettete die Situation indem er seine Rede extrem hetzerisch gestaltete – und sich hinter den ANs einreihte. Im Nachbericht auf der Website der NPD Rhein-Neckar werden ausschließlich Bilder gezeigt, auf denen keine ANs zu sehen sind. Auch der Text ließt sich eher wie eine Beschreibung dessen, was sich Jaeschke vermutlich gewünscht hätte, als wie ein Rückblick auf das tatsächlich Geschehene.

Spießrutenlauf durch Neckarau

Mit großer Verspätung lief die Demonstration vom Neckarauer Bahnhof über die Friedrichstraße zum wenige hundert Meter entfernten Marktplatz, um dort eine Zwischenkundgebung abzuhalten. Gekommen waren Nazis aus ganz Südwestdeutschland, vor allem aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Südhessen, Baden und dem Großraum Stuttgart. Neben Funktionären der NPD waren vor allem Mitglieder von „Freien Kameradschaften“ und Autonome Nationalisten im Vordergrund zu sehen. Tätowierte Skinheads und schwarz vermummte Jungnazis prägten das Bild. Die Beteiligung Mannheimer Nazis hingegen war gering. Auch einige bekannte Funktionäre blieben dem Aufmarsch fern.

Auf dem Weg durch Neckarau übertönten nicht nur die Pfiffe und Parolen der Gegendemonstrant_innen, sondern auch Kirchenglocken und Anwohner_innen, die ihre Musikanlagen am Fenster aufdrehten, die Naziparolen. Nach der Zwischenkundgebung zog die Demonstration weiter die Rheingoldstraße entlang. Ziel war die Steubenstraße in Höhe der Markuskirche. Doch nach wenigen Metern war Schluss. Die Rheingoldstraße war von über 2000 Menschen blockiert, der Einsatzleiter der Polizei entschied sich dazu, diese Blockade nicht gewaltsam zu räumen und schickte die Nazis auf den Heimweg. Das sorgte bei den Rechten zwar für Unmut, doch sie hielten vorerst ohne größeren Protest ihre Abschlusskundgebung in der Rheingoldstraße ab.

Neben Jaeschke traten als Redner auch der rheinland-pfälzische NPD Funktionär Markus Walter und der hessische NPD Chef Daniel Knebel auf. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD, Frank Schwerdt, unterstützte die Demonstration als rechtlicher Berater und hielt ebenfalls eine Rede. Für die Videodokumentation war der Mannheimer NPD Kandidat Silvio Waldheim zuständig. Organisatorische Unterstützung leisteten vor allem die rheinland-pfälzische NPD sowie Mitglieder des Aktionsbüro Rhein-Neckar.

Schlusspunkt Sonderzug

Auf dem Rückweg zum Bahnhof Neckarau spielte sich abermals der Block der AN in den Vordergrund und dominierte mit Drohungen und Beschimpfungen gegenüber Polizei und Gegendemonstrant_innen die Außenwirkung. Am Zielort griffen sie Polizeibeamte an und warfen Böller, von denen einer versehentlich im eigenen Block zündete. Dies nahm die Polizei zum Anlass, die Nazidemo anzugreifen. Nach einem Schlagstockeinsatz trennten sie den Block der AN vom Rest der Demo und unterzogen knapp 50 Personen einer demütigenden Kontrolle. Vor zahlreichen Journalist_innen mussten sie ihre Vermummungen ablegen, ihre Personalausweise in die Höhe heben und ihren Namen laut rufen. Dabei wurden sie von Polizei und Presse gefilmt und fotografiert. Die abseits stehenden KameradInnen wurden in den bereitstehenden Sonderzug geschickt. Sie ließen ihre festgesetzten ANs ohne größeren Protest zurück. Die Polizei will gegen einige Nazis nun Strafverfahren prüfen. Gegen 19 Uhr waren schließlich alle Nazis im Zug und wurden auf direktem Weg nach Ludwigshafen gebracht, von wo aus sie mit Polizeibegleitung in ihre jeweiligen Herkunftsorte fuhren.

Kein Anlass zur Entwarnung

Im Vergleich zum Vorjahr in Heilbronn war der 1. Mai in Speyer und Mannheim für die Nazis ein Desaster. Damals konnten sie mit fast 800 Personen störungsfrei ihre Parolen verbreiten. Auch wenn die Zahlen insgesamt (knapp 300 in Speyer/Mannheim und 400 in Hof) in diesem Jahr ähnlich waren, verlief der Tag in der Rhein-Neckar-Region sehr zum Ärgernis der rechten Szene. Die chaotische und zeitraubende Anreise, das völlige Ausgeliefert-sein gegenüber der Polizei und der breite gesellschaftliche Widerstand gegen ihre Propaganda ließen den 1. Mai zur frustrierenden Erfahrung werden. Auffällig war das harte Durchgreifen der Polizei gegen die Rechten. Im Zuge der Affäre um die Zwickauer Terrorgruppe NSU sind die Sicherheitsbehörden in Zugzwang geraten. Neben den zahlreichen Razzien bundesweit, dem Schlag gegen das Aktionsbüro Mittelrhein oder die Überwachung der Ludwigshafener Naziszene scheint auch das Vorgehen der Polizei auf Demonstrationen eine neue Qualität erreicht zu haben. Doch polizeiliche Repression muss immer kritisch gesehen werden. Nur eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer Ideologie kann deren Propaganda ins Leere laufen lassen.

Bei aller Euphorie und guter Laune in antifaschistischen Kreisen sollte die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, nicht unterschätzt werden. Auch wenn sie am 1. Mai vor allem in Mannheim von der breiten Bevölkerung wie ein gesellschaftlich isolierter Haufen Spinner ausgelacht wurden, haben sie auch hier AnhängerInnen, SympathisantInnen und WählerInnen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann pöbeln, prügeln und morden die Nazis alles, was nicht in ihr rassistisches Weltbild passt. Das darf nicht vergessen werden!

Eine Nachbetrachtung der Proteste gegen die Naziaufmärsche wird separat erfolgen.

 

AK Antifa Mannheim

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Der Ordner im grünen T-Shirt vor dem Transparent "Ring Nationaler Frauen" ist Malte Redeker aus Ludwigshafen.

Unter den "Autonomen Nationalisten" befanden sich auch Faschisten aus Ba-Wü. Auf Bild3 ist das Transpi der "AN Göppingen" zu erkennen. Bei dem zweiten Nazi von rechts am Fronttranspi dürfte/könnte es sich um Daniel Reusch aus Göppingen handeln.

Nazis der "Aktionsgruppe Rems-Murr" waren ebenfalls anwesend.

Beim AN-Block ist in der ersten Reihe ganz rechts auf dem Bild Sebastian Beckmann (aus Speyer) von den Autonomen Nationalisten Vorderpfalz zu sehen.

 

AN-Block

auch auf dem letzen bild, linke seite, ist beckmann zu sehn

wenn du mit links rechts meinst dann schon

Er meint dieses Bild und da ist Beckmann links zu sehen:

 

BFE kesselt AN-Block

Schön, dass in Antifa-Zusammenhängen immer und überall klar ist, dass alle Postenden sich als "er" definieren.

da haste natürlich recht. verpeilt.

auf dem AN block bild ist hinten rechts Ralf Weber zu erkennen, mitglied der Sturmdivision Saar.

unschwer zu erkennen an dem schwarzen shirt mit roter triskele

Das ist er nicht. Ralf Weber ist größer.