Am Mittwoch, 18. April 2012 gegen 16:00 Uhr Lokalzeit entfernten FBI-Beamte einen Server aus einer Anlage, die gemeinsam von Riseup Networks und May First/People Link in New York genutzt wird. Der beschlagnahmte Server wurde vom European Counter Network ("ECN") betrieben, dem ältesten unabhängigen Internet-Service in Europa; u.a. bot er die Möglichkeit eines anonymen Remailerdienstes (Mixmaster), und der war ein Ziel der FBI-Ermittlungen bezüglich der Bombendrohungen gegen die Universität Pittsburgh.
"Die Firma, die die Anlage betreibt, hat bestätigt, dass der Server in Zusammenhang mit einem Durchsuchungsbefehls, der auf Verlangen des FBI ausgestellt worden ist, entfernt wurde", sagte der Direktor von May First/People Link, Jamie McClelland. "Die Server-Beschlagnahme ist nicht nur ein Angriff auf uns, sie ist ein Angriff gegen alle Internet-user, die auf anonymisierte Kommunikation angewiesen sind."
Betroffen von dieser Beschlagnahme waren AkademikerInnen, KünstlerInnen, HistorikerInnen, feministische Gruppen, Schwulenrechtegruppen, community-Einrichtungen, Dokumentations- und Software-Archive und Gruppen für Redefreiheit. Auf dem Server befand sich auch die mailing-Liste "cyber rights" (die älteste Diskussionsliste von Italien, in der das Thema besprochen wird), eine mexikanische Soli-Gruppe für MigrantInnen und andere Gruppen, die indigene Gruppen und ArbeiterInnen in Lateinamerika, der Karibik und Afrika unterstützen. Insgesamt wurden über 300 email-Konten, zwischen 50 – 80 mailing-Listen und mehrere andere Webseiten mit dieser Aktion aus dem Internet entfernt. Niemand von ihnen wird verdächtigt, in die anonymen Bombendrohungen verwickelt zu sein. Die beschlagnahmte Maschine enthielt keine riseup-Mailaccounts, Listen oder andere user-Daten. Die Daten gehörten eher zu ECN.
"Das FBI greift zu einer Holzhammermethode, indem es die Dienste für hunderte user wegen der Aktionen einer einzelnen anonymen Person abschneidet", sagte Devin Theriot-Orr, ein Sprecher von Riseup. "Noch dazu handelt es sich um eine irreführende Aktion, denn es ist unwahrscheinlich, dass auf dem Server irgendeine Information gefunden werden kann, die etwas mit der Quelle der Droh-mails zu tun hat."
"Wir sympathisieren mit der community der Universität von Pittsburgh, die sich wochenlang mit dieser beängstigenden Störung herumschlagen mußte. Wir lehnen solche bedrohenden Aktionen ab. Aber die Beschlagnahme dieses Servers wird diese Bombendrohungen nicht stoppen. Die einzige Auswirkung ist, dass sie auch e-mails und Webseiten von tausenden Menschen unterbricht, die nichts damit zu tun haben", fährt Herr Theriot-Orr fort. "Darüberhinaus ist das bestehende Netzwerk anonymer Remailer von der Beschlagnahme dieser Maschine nicht betroffen. Deshalb können wir uns nur wundern, warum die Behörden zu einer derart drastischen Aktion gegriffen haben, obwohl sie wussten, dass der Server keine brauchbaren Informationen enthielt, die ihnen bei den Ermittlungen weiterhelfen könnten."
Das FBI hat den Server angeblich beschlagnahmt, weil auf ihm ein anonymer Remailer betrieben wird, Mixmaster genannt. Anonyme Remailer werden dazu verwendet, emails anonym zu versenden, oder pseudo-anonym. Wie andere Anonymisier-Dienste, z.B. das Tor-Netzwerk, werden diese Remailer breit dazu eingesetzt, die Identität von MenschenrechtsaktivistInnen zu schützen, die sich und ihre Familien großer Gefahr aussetzen, wenn sie über Menschenrechtsverletzungen berichten. Remailer sind auch wichtig für InformantInnen in Unternehmen, Demokratie-AktivistInnen, die unter repressiven Regimes arbeiten müssen, and andere, die wesentliche Informationen weitergeben, die ansonsten nicht bekannt würden.
Die Mixmaster-Software ist speziell darauf ausgelegt, die Spuren von emails unmöglich verfolgen zu könnnen. Das System zeichnet keinerlei Verbindungsdaten auf, keine Details darüber, wer eine mail geschickt hat oder wie sie geroutet wurde. Und zwar deshalb, weil das Mixmaster-Netzwerk speziell so programmiert ist, einer Zensur zu widerstehen, und die Privatsphäre und Anonymität zu unterstützen. Leider missbrauchen manche Menschen das Netzwerk. Aber im Vergleich zu den legitimen userInnen ist die Missbrauchsrate sehr niedrig. Deshalb gibt es für das FBI keinen seriösen Grund, diesen Server zu beschlagnahmen, denn sie werden keinerlei Informationen über den/die VerfasserIn [der Bombendrohungen] finden. Es handelt sich eindeutig um eine extra-legale Bestrafung und um einen Angriff auf die Redefreiheit und Anonymität im Internet, und das soll einen abschreckenden Effekt auf andere Provider von anonymen Remailern oder irgendwelche anderen Anonymisierungsdienste haben.
Mangels anderer Spuren braucht das FBI etwas, das es vorzeigen kann, um in diesem Fall Fortschritte zu vermitteln, und das hat bedeutet, dass sie einen Server beschlagnahmen, damit sie stolz zeigen können, dass sie etwas unternehmen. Aber dieser Vorfall zeigt, dass sie auf der Stelle treten, und dass sie in Kauf nehmen, Unbeteiligte zu stören, nur um ihre Karrieren zu befördern.
Zu den betroffenen Organisationen
May First/People Link (mayfirst.org) ist eine fortschrittliche politische, von den Mitgliedern betriebene Organisation, die das Konzept von "Internet Dienstanbietern" in einer kollektiven und gemeinschaftlichen Weise neudefiniert. Die Mitglieder von May First/People Link sind AktivistInnen, die ein Führungskollektiv wählen, das die Organisation leitet. Wie bei einer Kooperative zahlen die Mitglieder Beiträge, kaufen die Ausrüstung und teilen diese dann für Webseiten, emails, email-Listen und andere Internet-Zwecke.
Riseup Networks (riseup.net) stellt online-Kommunikationswerkzeuge für Leute und Gruppen zur Verfügung, die an einem befreienden sozialen Wandel arbeiten. Riseup schafft demokratische Alternativen und praktiziert Selbstbestimmung, indem wir uns eigene, sichere Kommunikationsmittel schaffen.
ECN (European Counter network – ecn.org) ist der älteste unabhängige Provider in Europa, er stellt freie email-Konten, mailing-Listen und websites für Organisationen, AktivistInnen und Bewegungen zur Verfügung, die sich mit Menschenrechten, Redefreiheit und Informationsfreiheit in Italien und Europa beschäftigen. ECN ist antifaschistisch und arbeitet für eine gerechte und gleichberechtigte Gesellschaft. Vor Jahren schon, noch ehe Seiten wie youtube und vimeo existierten, hat ECN eine Plattform namens NGV geschaffen, auf die Leute unabhängig produzierte Videos über Menschenrechtsverletzungen hochladen konnten. Heute arbeitet ECN vorwiegend mit antifaschistischen und anti-Nazi-Bewegungen in ganz Europa zusammen, indem es Platz und Ressourcen für politische und soziale Zentren zur Verfügung stellt.
Fragen
Frage: Ermöglichen es Mixmaster bzw. anonyme Remailer im allgemeinen nicht Kriminellen, schlimme Sachen anzustellen?
Antwort: Kriminelle können bereits schlimme Sachen anstellen. Weil sie bereit sind, Gesetze zu übertreten, haben sie bereits eine Menge Möglichkeiten, die die Privatheit eher garantieren, als Mixmaster. Sie können Handys stehlen, sie verwenden, sie wieder wegwerfen; sie können in Computer in Korea oder Brasilien eindringen und diese für ihre Zwecke mißbrauchen; sie können spyware, Viren und andere Techniken einsetzen, um die Kontrolle über buchstäblich Millionen von Windows-Maschinen auf der ganzen Welt zu erlangen.
Mixmaster möchte Schutz für einfache Menschen bieten, die sich an das Gesetz halten. Nur Kriminelle haben jetzt Privatheit, und das müssen wir ändern.
Manche AnwältInnen der Anonymität erklären, dass es sich nur um einen Austausch handelt – dass mensch den Missbrauch in Kauf nimmt, um den Gebrauch zu ermöglichen – aber es handelt sich um mehr. Kriminelle und andere schlechte Menschen sind motiviert, sich bezüglich guter Anonymisierung weiter zu bilden, und viele von ihnen sind bereit, dafür auch zu bezahlen. Wenn mensch fähig ist, die Identität von unschuldigen Opfern zu stehlen und zu verwenden, fällt es mensch noch leichter. Andererseits haben "normale Menschen" gar nicht die Zeit oder das Geld, um draufzukommen, wie mensch online die eigene Privatsphäre schützen kann. Das ist die schlimmste aller vorstellbaren Welten.
Also ja, theoretisch könnten Kriminelle Mixmaster verwenden, aber sie haben bereits bessere Möglichkeiten, und es scheint unwahrscheinlich, dass sie davon abgehalten werden, schlimme Sachen zu machen, indem Mixmaster der Welt vorenthalten wird. Gleichzeitig können Mixmaster und andere Privatheitsmaßnahmen dazu beitragen, physische Verbrechen wie Stalking und so weiter zu bekämpfen. Siehe dazu auch die "Fragen und Antworten" bei tor.
Frage: Wie arbeiten Mixmaster bzw. anonyme Remailer?
Antwort: Anonymisierungs-Remailer arbeiten, indem sie sich mit anderen Anonymisierungs-Remailern in einer Kette verbinden, und jeder in dieser Kette entfernt die Informationen aus dem mail-Header; so wird es verunmöglicht, den wahren Absender ausfindig zu machen. Das Tor-Projekt führt eine Liste typischer user dieses und anderer Anonymisierungs-Systeme, die Mixmaster-homepage ebenso.
Ein Mixmaster-Remailer ist ein anonymisierender Internetdienst, der e-mails annimmt und weiterleitet (Remailer). Hierbei werden vor der Weiterleitung der Nachricht alle Informationen, die auf die Herkunft und den Absender schließen lassen, entfernt. Die Mixmaster-Software verarbeitet ausschließlich verschlüsselte e-mail in einem ganz bestimmten Format. […] Das heutige Mixmaster-Nachrichtenformat ist seit 1995 im Internet gebräuchlich. Die Software lässt sich auf verschiedenen Betriebssystemen installieren. […]
Mixmaster sind gegen fast alle bekannten Angriffe resistent. Bisher ist lediglich ein theoretischer Ansatz [um den Absender ausfindig machen zu können] bekannt.