Am Samstag versuchte erneut eine Gruppe von Neonazis, einen Durchmarsch durch die Neuruppiner Innenstadt zu veranstalten. Angemeldet wurde dieser von einer Gruppe "nationaler Laubenpieper" als Protest gegen die Auflösung einer "privaten Geburtstagsfeier" (mit 10 vorbestraften Neonazis) durch die Polizei. In ihrem Vorgehen ermutigt fühlten sich die Neonazis offenbar davon, dass ihnen ein solcher Durchmarsch im vergangenen Herbst schon einmal gelungen war.
Damals wurden sie von der Polizei, die dem SPD-geführten Brandenburger Innenministerium untersteht, wie ein Staatsbesuch durch Neuruppin geleitet. Zuvor waren blockierende Antifaschist(inn)en und Neuruppiner Einwohner/innen von der Straße geräumt und z.T. stundenlang eingekesselt, mit Strafverfahren bedroht und quasi erkennungsdienstlich behandelt worden.
Auch in diesem Jahr konnten die Nazis zwar ihre Demo starten, trotzdem kam die braune Meute diesmal nicht so richtig zum Zuge. Schon am Bahnhof wurde das klägliche - aber nicht ungefährliche - Häuflein Neonazis von einer bunten Mischung aus Antifas und Neuruppiner Anwohnern empfangen. Der von den Neonazis - offenbar ernsthaft - erhobenen Forderung nach "nationalen Rückzugsräumen" waren die Gegendemonstrant(inn)en durch das Aufstellen eines Dixieklos samt Wegweisern dorthin entgegengekommen. Von luftig aufgehängten Lautsprechern ertönten Spottlieder und Hohngelächter zum Empfang der braunen "Asylsuchenden". Die Neuruppiner Gartenfreunde machten in einer Rede deutlich, dass sie in ihren Kleingartenkolonien keine Nazis sehen wollen, und kündigten an, dieses Thema demnächst bei ihrem europäischen Dachverband zur Sprache zu bringen.
In der weiträumig abgesperrten Innenstadt zwangen dann mehrere Sitzblockaden die Nazis und ihren Polizeischutz zur Änderung der Route: statt durch bewohntes Gebiet mussten sie über den wenig belebten inneren Stadtring (entlang der Wallanlagen) laufen. Infolge einer etwas größeren Blockade auch dieser Straße - zu der der in Neuruppin geborene Dichter Theodor Fontane (in Fom seines Denkmals) hinablächelte - waren sie dann gezwungen, auf halbem Weg kehrtzumachen. Die Polizei geleitete die verhetzte braune Horde anschließend mit dichtem Spalier zum Bahnhof zurück.
Neuruppin glich am Tage dieser Demonstration übrigens einer belagerten Stadt. Während die Neonazis wohl nicht einmal 50 Leute zusammenbrachten, war die Polizei mit (geschätzt) dem 5-10fachen dieser Anzahl präsent. Hinzu kamen ungemein zahlreiche Polizeifahrzeuge, die der ansonsten eher ruhigen Kleinstadt ein schon fast wendländisches Flair verliehen. Der materielle Aufwand für diese "Gewährleistung der demokratischen Rechte" dürfte also bemerkenswert gewesen sein. Die Nazis bedankten sich dafür mit Sprüchen wie "Klassenkampf statt Demokratie" und spielten Hasslieder, in denen u.a. auch die Polizei ziemlich direkt bedroht wurde. Überhaupt war auffällig, dass sie diverse Anleihen bei linkem Gedanken- und Kulturgut machten, um ihre "Botschaft" unter's (nicht anwesende) Volk zu bringen. So gab es beispielsweise eine gegrölte Hassversion des Lieds "Was wollen wir trinken" (!), das ursprünglich von der (mit der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung verbundendenen) holländischen Gruppe Bots stammt; auch ein T-Shirt mit einem (verfremdeten) Che-Guevara-Bild wurde bei ihnen gesichtet. Mit derartigem Mimikry versuchen sie ja schon seit längerem, bei Jugendlichen Fuß zu fassen.
Einen einzigen positiven Nebeneffekt hatte der ganze Aufmarsch vielleicht: man konnte erleben, wie angenehm Neuruppin in Form einer zusammenhängenden, autofreien großen Fußgängerzone vielleicht sein könnte. Aber dazu braucht man nun wirklich keine Neonazis.
Als nächste Ziele peilen die Neonazis jetzt Wittstock und Neubrandenburg an. Am 1. Mai wollen sie in beiden Städten wieder aufmarschieren. Zumindest in Wittstock dürfte allerdings die Innenstadt diesmal für sie tabu sein, da dort ein Einwohnerfest gegen Rechts geplant ist. Die Neuruppiner AntifaschistInnen machten denn auch schon mal klar, dass sie ihrer Nachbarstadt Wittstock an diesem Tag einen Besuch abstatten werden.
Nähere Infos zum Stadtfest in Wittstock am 1.Mai: http://www.neuruppin-bleibt-bunt.de/?p=487
Son ar Chistr
"Was wollen wir trinken" ist definitiv nicht im Orginal von den Bots. Das ist ein bretonisches Volkslied, mit dem obigen Titel.
Und die Bedrohung der Polizei an sich ist nicht das Problem, genauso wie Kapitalismuskritik nicht per se gut ist. Auf den Ursprung bzw. das ZIel der Kritik kommt es an.
Ansonsten auch weiterhin viel Erfolg bei Euren Aktionen!
Fotos
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