Burka-Pride in Brüssel

Burka-Pride an der Uni in Brüssel

sprache macht (nicht nur) normal -  Widerständiges Spielen mit Kategorien: Burka-Pride in Brüssel

Am 07.02.2012 kommt es an der Université libre de Bruxelles zu einem Burka1-Pride2. Ein Pride, der also nicht auf der Straße stattfindet, sondern während einer universitären Debatte über dieExtreme Rechte.Die in Frankreich bekannte Essayistin Caroline Fourest wird geladen, um über Frankreichs Lage zu berichten. Sie hatte ein Buch über das Phänomen Marine Le Pen, die Vorsitzende der rechts-nationalen französischen Partei 'Front national', veröffentlicht. Allerdings befasst sie sich nicht nur auf kritikwürdigeweise damit, sondern hat u.a. einen Artikel mit dem Titel „War on Eurabia“ verfasst, indem sie behauptet, dass Europa zum Schauplatz eines islamistischen Eroberungszuges werde.3

Die „Université Libre de Bruxelles“ (ULB) lädt sie ein, um mit Hervé Hasquin ein 'Gespräch unter Demokrat_innen' zu führen – das ist auch der Grund, warum die Anfrage abgelehnt wurde, andere Stimmen einzuladen, um eine kontroverse Debatte zu führen: Es solle ohne die 'Extreme Rechte' über diese gesprochen werden.


Ablauf4

 

Nach zwischenfallfreien zwanzig Minuten Konferenz, die sich nun dem Ende neigt, kommen Rufe aus dem Publikum, die das Podiumsgeschehen unterbrechen.

Caroline Fourest erklärt die Zwischenrufe zu Zensurversuchen der 'Rechten', die wütend sind, weil sie hier kritisiert werden: „Es ist normal, dass sie sich aufregen. Das hier ist eine Debatte über die Extreme Rechte und Sie sind von der Extremen Rechten, das ist normal.“ „Aber wir sind links“ – ruft eine der protestierenden Personen. „Wenn sie nicht aufhören, die Debatte zu stören, sind sie nicht würdig, an der ULB zu sein,“ führt ein anderes Podiumsmitglied aus, „es ist unmöglich, sie schreien, sie hören die Argumente nicht an. Unerträglich! Sie sabotieren eine Debatte im Interesse des Gemeinwohls. (…) Hören Sie zu und seien sie einverstanden oder auch nicht, womit auch immer! Aber ernsthaft, versuchen sie nicht eine Debatte an der ULB zu verhindern, denn damit verletzen sie fundamentalerweise die Werte dieses Hauses! Und das lassen wir nicht zu!“ Jubel und Rufe.

Den Hinweis, dass sie doch zur universitären Gemeinschaft gehörten und sich deshalb an die Regeln halten sollten, beantworten die Rufenden mit „Nein“ und unverständlichen Kommentaren. (…) Der Gesprächsführer auf dem Podium spricht zum Publikum: „Was werfen sie denn dem bisher Geäußerten vor? Jetzt höre ich ihnen zu!“ Er sagt es fast vorwurfsvoll, scheint unfähig, sich vorzustellen, warum der dominanten Art, mit Kategorien umzugehen, Faschismus oder Rassismus vorgeworfen werden könnte. Im Gegensatz zu seiner Stimme, werden die der Protestierenden nicht durch ein Mikrophon verstärkt. Beginnende Antwortversuche, unterbricht er mit der erneuten Aufforderung: „Machen sie schon, was sind ihr Argumente?!“ „Solltest du uns nicht nach vorn einladen? Die Zeit der Kolonialisierung ist vorbei!“- kommt es von einer protestierenden Person zurück. „Ich höre keine Argumente,“ sagt er und ignoriert die Aufforderung, aufs Podium eingeladen zu werden, um auf Augenhöhe zu diskutieren. „Schmeißt sie raus!“ - fordern Stimmen unweit von der filmenden Kamera. „…Die Extreme Rechte ist im Gegensatz hierzu laizistisch.“ Unverständlich spricht Frau Fourest weiter, Rufe überschlagen sich. Ein weiterer Podiumsgast steht auf: „Hören Sie, ich würde gern, dass wir zuhören.“ Buhrufe. Dann wird die iniziierende Person des Burka-Prides an der ULB zur Erklärung auf die Bühne gebeten. Jetzt beginnen etwa fünfzig Menschen im Publikum, sich zu verschleiern, es wird geklatscht und wiederholt „Burka-Blabla, Burka-Blabla“ gerufen. Souhail Chichah kommt mit schwarzem Kopftuch auf die Bühne. In dieser alles anderen als gesetzten Lage, soll er sich jetzt erklären. Als er das Mikrophon erhält, beginnt er den Chorus noch mal aufzufordern: „Bruka-blabla, Burka-blabla!“ Teile der Menge stimmen ein. Das Video auf der Internetseite der Tageszeitung „Le Soir“ ist hier geschnitten und setzt wieder ein mit Bildern verhüllter Menschen im Publikum, die aufstehen, klatschen, tanzen, teilweise ihre Kopftücher schwingen. Das längere Video auf youtube ist an dieser Stelle nicht geschnitten und hier fährt er fort: „Verneinen wir sowohl Islamophobie von rechts als auch von links“ … nach drei schwerverständlichen Sätze fällt sein Mikrophone mysteriöser weise aus. In beiden Aufnahmen ist dann wieder zu hören, wie Souhail Chichah davon spricht, an der „Universität….zu zeigen, dass Brüssel keine Islamophobie will.“ Buhrufe und begeistertes Klatschen mischen sich. In der youtube-Variante können wir dann außerdem sehen, wie kurz darauf wieder Caroline Fourest ins jetzt funktionierende Mikrophon spricht: „Sie intervenieren hier gerade gegen Menschen, die Rassismus bekämpfen! Sie sind die Extremist_innen, mein Herr, sie sind von der Extremen Rechten, Sie sind das, die Extreme Rechte! … Schreiben Sie, argumentieren sie, aber stören sie nicht eine organisierte Debatte.“ Sie verbeugt sich und geht.

 

Reaktionen


Auszüge aus dem Artikel, der dieses Video von „Le Soir,“ einer großen frankophonen belgischen Tageszeitung, am darauffolgenden Tag begleitet, sollen hier beispielhaft die aufgeheizte mediale Berichterstattung illustrieren:

Eine Handvoll Besessene, gekleidet in Kufiyas und Burkas, haben am Dienstag Abend eine Debatte an der ULB über die Extreme Rechts zum Schweigen gebracht. Die Universitätsautoritäten zeigen sich 'sehr bestürzt' über dieses 'Attentat gegen die Redefreiheit' im Herzen der Universität von Brüssel, einem Tempel der Debatten über Ideen.“ Es heißt, „[hasserfülltes Geschrei“, gegrölte Slogans wie „Burka-Blabla“ und Beleidigungen und Schimpfwörter, wendeten sich gegen Caroline Fourest, der ‚Islamophobie‘ unterstellt wurde].“5

Darauf Bezug nehmend beschreibt Souhail Chichah in einer Stellungnahme6, die diverse belgische und französische Intellektuelle unterzeichnet haben, wie noch am Abend nach dem Burka-Pride

Beleidigungen, rassistische Äußerungen, Rassismus- und Antisemitismus-, Integrismus7- und Islamophobieanschuldigungen aus allen Richtungen ertönten. Die offizielle Berichterstattung spricht von einer Bande fundamentalistischer Muslim[inn]en, die Caroline Fourest gehindert habe, sich mitzuteilen. [Hier fand Zensur statt, Demokratie wurde verhindert und das in einer pluralistischen und offenen Debatte].“ 

Er weist außerdem auf die Tradition des universitären Unruhestiftens bei Kundgebungen hin – viele solcher historischen Momente werden aus heutiger Perspektive als völlig legitim angesehen. Zumal der Gesuch, die Konferenz von vornherein pluralistisch zu organisieren und mit Fourest über Rassismus und Islamophobie zu diskutieren, abgewiesen worden war. Es sei absurd Caroline Fourest als unterdrückte, zensierte Rednerin darzustellen, da sie als „Multi-Expertin“ zu diversen Themen zu Wort käme.

Sollten die Agierenden des Burka-Prides 'islamistische Integristinnen' sein? Schwierig, das zu behaupten, da sie aus verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen kamen. Des Weiteren verträgt es nicht unbedingt mit islamistischen Sittenvorstellungen, dass Männer Burkas und Kopftücher als Zeichen für Protest tragen. Auch [würden Islamistinnen] nicht geneigt sein mit der Analogie von Burka (-Pride) und Gay(-Pride) zu spielen.“

Aufgrund seiner Sichtbarkeit in diesem Protest verliert Souhail Chichah jetzt möglicherweise seinen Posten an der ULB.

In einem anderen Kommuniqué8 heißt es, dass die Art der Reaktionen auf den Burka-Pride gezeigt habe, wie die Universität zu einem Instrument konservativer Kräfte geworden ist - daran ändere auch eine 'demokratische' Fassade nichts. Nach den arabischen Aufständen und der Occupy-Bewegung nun in Reaktion auf die Sparpolitiken eine dritte „Dekolonisierungswelle“ begonnen habe. Das alles seien Baustellen eines neuen Universalismus, „der Zeit brauchen wird sich zu entwickeln, da erst alte Formen von Universalität, die bisher den Kolonialismus begleitet haben, dekonstruiert werden müssen. Besonders die Universalität eines „Humanismus“, der dem Menschen eine spezielle Verschiedenheit vom Rest der Lebendigen unterstellt, und eine Universalität von Bürger[innen]schaft, die alle anderen (Lebens-)Formen, die nicht an national[staatlich]e Rahmen gebunden sind, in den Schatten stellt.“9

 

Relevanz


Ich denke, dass diese Art des widerständigen Umgehens mit Kategorien viel Potential hat und als Inspration auch für den nicht-frankophonen Kontext relevant sein kann. Islamophobie bleibt ja nicht an Grenzen stehen. Die Protestform der Verhüllung, der Uminterpretation von stigmatisierten Symbolen, kann sehr wirksames Mittel sein – erstmal zu Irritation, aber vielleicht auch für mehr. Hier wurde die abwertende, dominante Interpretation der Burka als Sinnbild der ‚Unterdrückung der Frau durch den Islam‘ untergraben – Menschen aus verschiedensten sozialen und kulturellen Hintergründen, auch nicht nur weiblich sozialisierte, verhüllten sich und wehren sich so gegen Islamhass, egal ob von ‚links‘ oder ‚rechts.‘ Wenn hier 'Linke' oder auf jeden Fall Nicht-Rechte mutwillig diese Diskussion stören, dann macht das nur deutlich, dass vereinfachenden Kategorisierung von (extrem) rechts oder (extrem) links, die sich ursprünglich auf die Sitzordnung der französischen verfassungsgebenden Nationalversammlung von 1789 bezog, zwar im dominanten politischen Mediendiskurs noch meist fraglos verwendet wird, aber bei genauerer Betrachtung die heutige Sachlage keineswegs klarer macht.

Die gegenwärtigen Proteste, die sich in verschiedensten Formen mehr oder weniger sichtbar an vielen Orten der Welt vermehren, zeigen, dass die Perspektiven auf das Politische, das Ethische, im Begriff sind sich zu ändern bzw. sich ändern müssten, um der gegenwärtigen Komplexität dieser Welt gerecht zu werden. Auf lange Sicht muss es darum gehen, dass 'die eine Perspektive' an Dominanz verliert, die immer noch gleichmachend und scheinheilig behauptet im 'Namen des Volkes' oder 'aller' zu sprechen, obwohl diese/s sich auf verschiedenste Weise dagegen wehren/t.10

 


1  Burka kommt von dem arabischen قع‎, und bezeichnet ein Kleidungsstück zur Verhüllung des gesamten Körpers.

 

2  Pride heißt Stolz, so geht es in solcher Art Demonstrationen darum, sich stolz zu zeigen, statt sich einer dominant gemachten Stimatisierung von Lebensweisen und Symbolen zu ergeben. Als Auftakt Prides gilt eine Revolte von Homosexuellen, als Reaktion gegen gewalttätige Polizeirazzien in der Christopher Street in New York im Jahr 1969. Statt sich selbst mit verinnerlichter Homophobie zu quälen, fand nicht ohne Humor eine queere Aneignung statt.

 

3 Erschienen am 2.5.2005 im Wallstreet Journal, im Internet zu finden unter: http://www.jewishtoronto.com/page.aspx?id=97015&fb_source=message, Stand: 25.03.2012.

4 Bei der Darstellung der Ereignisse stütze ich mich auf zwei Videoaufnahmen. Eine von 7:33min wurde auf der Internetseite von LeSoir (http://www.lesoir.be/actualite/belgique/2012-02-08/ulb-caroline-fourest-...) veröffentlicht. Eine ausführlichere von 34:31 min findet sich auf youtube (http://www.youtube.com/watch?v=RStww-MPFCc&feature=related).

 

5  http://www.lesoir.be/actualite/belgique/2012-02-08/ulb-caroline-fourest-n-a-pas-pu-s-exprimer-sur-l-extreme-droite-895845.php

 

6  Zu finden auf Facebook: « ULB : de la « burqa pride » à l’inquisition?» [dts : ULB : vom Burka-Pride zur Inquisition?] http://www.facebook.com/note.php?note_id=10150575571262443

 

7  Integrismus/Integralismus meint eine Weltsicht, die fundamental auf religiösen Überzeugungen beruht.

 

8 Zu finden auf Facebook unter dem Titel: „De quoi Decolonize est-il le signe ?“ [dts.: Wovon müsste das Zeichen dekolonialisiert werden?], Autorinnenschaft unklar, http://www.facebook.com/notes/hécate-de-la-nuit/de-quoi-decolonize-est-il-le-signe-/253242048100316, Stand: 18.3.2012

 

9 Autorinnenschaft unklar, „De quoi Decolonize est-il le signe ?“ [dts.: Wovon müsste das Zeichen dekolonialisiert werden?], http://www.facebook.com/notes/hécate-de-la-nuit/de-quoi-decolonize-est-il-le-signe-/253242048100316, Stand: 18.3.2012

 

10 http://bxl.indymedia.org/articles/3969 Falls Bedarf an einer Übersetzung von diesem unglaublich guten Artikel besteht, meldet euch! Dann würde ich mich mal hinsetzen.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Wer die Burka unbedingt verteidigen möchte, soll dies doch bitte in Afghanistan tun. Auf den Bildern trägt übrigens niemand Burka, sondern höchsten Niqab. Erstmal vernünftig mit dem Islam beschäftigen, bevor man so einen unreflektierten Scheiss schreibt wie hier.

im 1. Bild sind drei Frauen mit Burka.

 

deine Vorurteile gegen Kleidungsstücke hat übrigens nichts mit marxistischer Religionskritik zu tun. Denn du sagst uns nichts zur gesellschaftlichen Funktion der Religiosität.

Bei einer/m deutschen Metropolenlinken, die/der es aber noch nicht einmal zuwege bringt, Kristina Schröder zu kritisieren, ist der Hinweis darauf aber ohnehin Verschwendung. Dir reicht es völlig aus die Unterdrückung der Frau auf Kulturen und Ländern zurückzuführen als tatsächlich Kritik zu denken und zu formulieren.

.

Nochmal: Im 1. Bild sind 3 Frauen mit Niqab, nicht mit Burka. Wenn man keine Ahnung hat..

Burka = jilbab oder abaya + hijab (Kopftuch) + niqab (Schleier)

 

du meinst vermutlich den chadri, der chador + Niqab mit vergitterter Augenpartie ist, z.B. hier:

http://photography.nationalgeographic.com/photography/enlarge/afghan-wom...

 

Mit Burka gibt es also 3 Frauen und mit Hijab + Niqab 2 Frauen

ein kleidungsstück das die menschliche mimik vollständig verbirgt ist mehr als nur symbol, ist viel mehr isolation.

wer jenes kleidungsstück zum symbol der selbstbestimmung erheben möchte, hat von dem streben nach autonomie nicht mehr im kopf als den fetischhaften gebrauch der hasskappe.

Woher willst du wissen, dass man das Kleidungsstück den Frauen aufgeherrscht hat und sie es nicht freiwillig tragen?

RELIGION IST NIE FREIWILLIG

 

warum sollte irgendein vernünftiger mensch freiwillig mit soner scheiße rumlaufen?

 

rechte islamhasser sind scheiße, aber religiöse vollpfosten sind mindestens genauso scheiße und anti-emanzipatorisch

 

für mehr allgemeine religionskritik!

(A)

Stell dir doch lieber die Frage, warum ausgerechnet Frauen das auch noch befürworten, z.B. die iranische Vizepräsidentin Nasrin Soltankhah oder Zeynab al Ghazali in Äygpten. Die werden nicht dazu gezwungen. Das ist deren Meinung.

 

Gerade was die Religionskritik angeht, erkennt man den enormen und damit zutiefst schädlichen Einfluss der Antideutschen. Marx hat die Religion in seinem Werk "Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie" behandelt. Darin setzt sich Marx mit Hegels "Grundlinien der Philosophie des Rechts" auseinander, insb. mit dem Thema der Sittlichkeit.

Von diesem Bezug ist nichts mehr geblieben: Zur Funktion der Sittlichkeit (Religion) wird nichts mehr gesagt, abgesehen von einer sehr vulgären Version, dass es Männern nützt. Die Wandlungen der Sittlichkeit vom religiösen hin zum säkularen Bezug wird ignoriert. Deshalb fällt es offensichtlich vielen sehr schwer Kristina Schröder und Ursula von der Leyen zu kritisieren.

 

Auf diesem marxistischen Niveau - ich möchte damit nicht sagen, dass andere Theorien nicht ebenso gut wären - behandelt in der Linken bis auf ganz wenige Einzelpersonen das Patriarchat fast niemand. Gerade beim Islam ist mir überhaupt keiner und keine bekannt.

"Stell dir doch lieber die Frage, warum ausgerechnet Frauen das auch noch befürworten, z.B. die iranische Vizepräsidentin Nasrin Soltankhah oder Zeynab al Ghazali in Äygpten. Die werden nicht dazu gezwungen. Das ist deren Meinung." – Na und? Dann ist es halt deren Meinung. Und sie ist Scheiße. Warum sollen ausgerechnet diese zwei Befürworterinnen emanzipatorisch/liberal/whatever sein – weil sie Frauen sind? Merkst du, dass deine Verallgemeinerung uncool ist? Diese "Kronzeugen"-Argumentsweise zieht mit ein paar Burka-liebenden Frauen ebensowenig wie mit antizionistischen Israelis oder rassistischen Schwarzen.

Und wenn es Millionen Frauen sind, die "freiwillig" Burka/Niqab tragen: mit Mehrheiten zu argumentieren, war schon immer bedenklich. Dann könntest du auch den Nationalsozialismus damit legitimieren, dass er sich demokratisch etablierte. Schalte lieber mal dein Hirn ein.

Deine Reaktion zeigt, dass du nichts von dem, was ich skizziert habe, verstanden hast. Es wäre sinnvoller gewesen, du hättest dir die angesprochenen Bücher von Marx und Hegel angeschaust, als hier das exakte Gegenteil zu vertreten.

 

Deine moralische Schlussfolgerungen haben nichts mit Marx oder Hegel zu tun und auch nicht mit Marx nüchterner Analyse der Verhältnisse. Du bist es, der Moslems vorschreibt, was der Islam ist, wie sie ihre Religion leben und wie sie sie zu leben haben. Dich interessiert es überhaupt nicht wie es in der Realität ist. Ob fortschrittlich - emanzipativ ist das vollkommen falsche Wort in diesem Zusammenhang - oder konservativ oder schließlich auch vollkommen ohne Anspruch auf Gesellschaftlichkeit, das kann man nicht daran festmachen, ob eine Frau Burka trägt oder nicht. Denn über das Motiv trifft das keine Aussage und auch nicht über die gesellschaftliche Funktion. Du möchtest das aber machen, rein an einem Kleidungsstück festgemacht und auf Basis deiner reaktionären antideutschen Ideologie.

...weshalb mein letzter Besuch auf linksunten schon so lange her ist.

 

Burka my ass!

Alter Schalter. So einer ähnliche Rhetorik bedient sich auch Fourest, also dann geht doch nach Afghanistan.

Die Sache ist aber, dass die Burka gar nicht für alle Menschen ein Problem ist. Sondern, dass es die dominante westliche Perspektive ist, die sie zum zwingenden Problem macht. Klar, kann sie ein Zeichen von patriarchaler Unterdrückung sein. KANN.

Genauso wie auch Make-Up und Diäten ein Zeichen von Unterwerfung unter ein Schönheitsdiktat sein können, hier sehr vereinfacht illustriert: http://nedmartin.org/v3/amused/male-dominated-culture

Das heißt nicht, dass nicht auch lesbische Frauen und sämtliche andere möglichen Geschlechter und Identitäten in der westlichen Welt vom Schönheitsdiskurs geprägt werden.

Aber warum interessieren die Menschen in der westlichen Welt sich plötzlich so für die Unterdrückung "der Frau" - „woanders“?

So wird ein ziemlich positives Bild von Europa/Usa gestützt: Hier gibt es die "Gleichberechtigung" schon.

Es ist immer einfacher, "fremde" Unterdrückungsmechanismen zu erkennen!

Hagen Rether veranschaulicht das am Beispiel von 70.000 Frauen, die jährlich in katholischen Ländern an illegalisierter Abtreibung sterben,

Millionen bleiben davon verstümmelt zurück (…). Interessiert uns das? (…) Kommt ein[e] deswegen auf die Idee den Vatikan zu bombardieren? Im Traum nicht. Warum auch? […Auch] Kondomverbote sind nichts anderes als ein Todesurteil (…) Wie viele Leute krepieren am Kondomverbot? Ja, du, im Koran steht nichts über Burka-Zwang. Ja und in der Bibel steht nichts über Kondom-Verbote. Ich weiß nicht, ob 70.000 Frauen jedes Jahr von Burkas erdrückt werden. Keine Ahnung, vielleicht ist das ja so. Aber all das interessiert uns nicht, (…) die katholischen Gesetze greifen still und leise. Das ist einfach unspektakulär, das ist kein Attentat. Da gibt’s doch deswegen keine Wirtschaftssanktionen gegen den Vatikan. Und wenn eine Frau im Iran gesteinigt wird, dann läuft das direkt bei NTV über den Nachrichtenticker und [mensch] sitzt angewidert und fassungslos vor dem Fernseher. Ich würde mir wünschen, dass die diese Abtreibungsopfer, die 70.000 bei NTV durch den Ticker jagen, das sind 190 pro Tag. Das wäre der letzte Arbeitstag für [die Chefredakteurin] (…). Wir popeln lieber bei den anderen rum. Wenn sich jed[e um ihre] eigenen Fundamentalist[inn]en kümmern würde, wär für alle gesorgt.“1

 

Klar, das widerspricht nicht deiner These vom unterwerfenden und dumm-folgsammachenden Charakter von Religionen. So oder so, befinden wir uns nun aber in einem auch christliche und inzwischen islamisch geprägten Kontext. Mit zu einfachen gegen-die-Wand-Argumenten kommen wir meines Erachtens nicht weiter. Stattdessen wäre es ziemlich hilfreich, sich darüber bewusst zu werden, dass wir nicht der Nabel der Welt sind, dass wir nicht alles verstehen, dass wir aber Gespräche suchen können und damit unser Verständnis von verschiedenen Perspektiven auf diese Welt erweitern können. Das heißt nicht, dass wir alles akzeptieren müssen. Aber es werden sich niemals alle "links" nennen oder "antikapitalistisch", trotzdem sind einige von denen mit im Boot beim Kampf um unterdrückende und ausbeuterische Mechanismen, z.B. von Medien, z.B. von Staaten, z.B. von Firmen, z.B. von Schlagenden, ...

In "Classer, Dominer" zeigt Christine Delphy, dass die patriarchalen Mechanismen, die ‚Frauen’ zu ‚Anderen’ machen, gleichen in Vielem denen, die eine minderwertige homogene Gruppe von z.B. Musliminnen erzeugen. Einmal wird das Geschlecht zum entscheidenden Unterschied erklärt, im rassistischen Fall ist es die „Rasse“ oder die Herkunft2 (der Vorfahren). Das heißt, den Kampf um nicht-patriarchalen und nicht-islamophoben Umgang mit Kategorien können verschiedenste Menschen gemeinsam führen.

 

Wem nützt du, indem du die Burka, Niqa oder was auch immer verurteilst? Oder gar verbieten willst (im Namen der Autonomie)? Wem tut das gut? So wurden schon Kriege gerechtfertigt, die du sicherlich auch nicht unterstützt. Oder? Eine westliche Arroganz, die sagt, dass 'Frauen' zwar "freiwillig" stundenlang Haar frisieren und auf Highheels stöckeln, aber niemals freiwillig hinter einem Tuch verschwinden würden. "Wir" kennen "die Frauen", oder? Das ist wieder nur ein Sprechen-über diese Menschen, statt sie selbst das Wort ergreifen zu lassen.

Noch eine Aktion, die gut deutlich macht, wie sie aussehen könnte "Miss global Unterworfen" http://www.youtube.com/watch?v=2-SvxEYLFTM

Vielleicht einfach mal weniger (ver)urteilen und mehr damit auseinandersetzen, wofür wir kämpfen wollen?

 

1 Diese Zitate basieren auf Mitschriften während Rethers Programms am 12.02.2012 in Berlin.

2 Delphy, Classer, Dominer, 2008, S. 194.