Am 25. Februar wird es in Dessau eine antirassistische Demonstration unter dem Motto „den rassistischen Konsens brechen, Dessauer Verhältnisse angreifen“ geben. Getragen wird diese Demonstration von regionalen Antifa-Strukturen und einem breiten Bündnis antirassistischer und antifaschistischer Gruppen und Initiativen. Mit diesem Text wollen wir noch einmal detailliert auf die rassistische Grundstimmung und die Probleme antirassistischer und antifaschistischer Arbeit innerhalb einer Provinz eingehen, die lieber zur Ruhe kommen will, statt ihre eigenen rassistischen Tendenzen klar zu benennen. Wir möchten unsere Beweggründe für diese Demo und unsere Bitte um Unterstützung noch einmal offen legen und damit auch einen Anstoß für ein gemeinsames Umdenken innerhalb einer ignoranten und durch Erkenntnis-Resistenz dominierten Dessauer Gesellschaft geben.
Den rassistischen Konsens brechen, …
In
den letzten 2 Monaten wurde in Dessau eine gefährliche Mischung aus
Polizeigewalt, rassistischen Tendenzen innerhalb der Bevölkerung und
einem eklatanten Fehlverhalten von Seiten der Dessauer
Stadtverwaltung offensichtlich. Die Ergebnisse waren verletzte
Demonstranten nach einem rechtlich unhaltbaren Gewaltexzess der
Polizei auf einer Gedenkdemonstration, mehrere rassistische
Volks-Mob-Demonstrationen und rassistische Hasstiraden ganz
„normaler“ Rassist_Innen. Nach unserer Analyse war es das
Zusammenspiel dieser 3 Akteure - Polizei, Stadt und einem breiter
Teil der Bevölkerung, bis hin zu dem verharmlosenden Verhalten des
„Netzwerks Gelebte Demokratie“, welche in Dessau eine neue
Dimension rassistischer Tendenzen haben sichtbar werden lassen.
Es
wurde ein „Konsens“ gebildet, welcher in erster Linie dazu
diente, Geschehenes zu verharmlosen, zu vertuschen oder schnell vom
Tisch zu bekommen. Sei es der Polizeiangriff auf die Oury-Jalloh-Demo
am 07.01. oder die Tatsache, dass die gleiche Polizei Sprechchöre
wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ und andere
rassistische Parolen, während des ersten Volks-Mobs, erst am Tag
danach durch Medienberichte mitbekommen haben will, obwohl diese
nachweislich direkt vor dem Polizeirevier und in Begleitung von
Beamten gerufen wurden.
Eine
weitere Unmöglichkeit ist die Tatsache, dass die Stadt Dessau-Roßlau
aktiven Protest gegen eine Wiederholung des ersten Volks-Mobs am
21.01. verhinderte, indem sie antirassistischen Akteur_Innen
versicherte, keine Anmeldung für eine weitere Veranstaltung
zuzulassen und sie damit dazu drängte, Gegenanmeldungen für diesen
Tag zurückzuziehen. Am Abend des 21.01. allerdings gab es den 2.
Volks-Mob mit abermals mehr als 300 Menschen und einer maßgeblichen
Beteiligung von organisierten Neonazis und rechten Hooligans. Mit
Ronny Besch war der Anmelder dieser Manifestation einer rassistischen
Eintracht auch noch kein Unbekannter, sondern vielmehr ein zu
mehreren Jahren Haft verurteilter Nazischläger, dem von der Stadt
Dessau-Roßlau an diesem Abend eine nach allen rechtlichen Grundlagen
rechtswidrige Demonstration ermöglicht wurde.
Doch
diese im „besten“ Falle Unfähigkeit öffentlicher Institutionen
und Netzwerke bis hin zum Oberbürgermeister sind in Dessau
keineswegs im Mittelpunkt der Diskussionen. Auch wird in dieser Stadt
eher selten über die 4 „tragischen“ Todesfälle seit 2000
gesprochen, von denen mit Alberto Adriano im Jahr 2000 und
Hans-Joachim Sbrzesny 2008 gleich zwei klare Nazimorde zu benennen
sind. Ganz zu schweigen von Mario Bichtermann, der 2002 in der
gleichen Polizeizelle wie Oury Jalloh unter bis heute ungeklärten
Umständen ums Leben kam.
Dialog
in einer „ruhigen“ Stadt voller rassistischer Gewalttaten?!
In
Dessau selbst dreht sich dieser Tage alles darum, für Ruhe zu
werben. Ruhe für einen Dialog, der eigentlich nicht gewünscht
scheint, da mensch innerhalb eines Dialogs von den eigenen
Versäumnissen im Umgang mit den rassistischen Tendenzen der
Bevölkerung sprechen müsste. Interessant ist auch, dass dieser
artikulierte Wunsch einen Dialog führen zu wollen, erst nach den
Angriffen der Polizei gegen die Oury Jalloh Demo oder den 2 Volks-Mob
Demos in die Öffentlichkeit getragen wurde - und immer mit dem
Zusatz, es müsse Ruhe in Dessau einkehren, um diesen Dialog führen
zu können. Alleine der Fakt einer kritischen Beobachtung
antifaschistischer Gruppen und Initiativen bis hin zur friedlichen
Besetzung des Dessauer Rathauses scheinen in Dessau die nötige Ruhe
zu stören um zum „normalen“ Alltag zurückzukehren und den
„Dialog“ fortzuführen, der seit Jahren kaum hörbar und in aller
Ruhe wohl kaum zu etwas geführt hat, das den rassistischen Tendenzen
etwas hätte entgegen setzen können.
Das Netzwerk „simulierte“ Demokratie und dessen demokratische Definitionsmacht.
Um
die Versäumnisse aller Dessauer Akteure verstehen zu können, muss
mensch auch einen genaueren Blick auf die internen personellen
Verstrickungen und Überschneidungen innerhalb der verschiedenen
Netzwerke und Institutionen werfen.
So
beispielsweise das „Netzwerk Gelebte Demokratie“, einem Bündnis
verschiedenster Akteure aus Parteien, Menschen aus dem BGR Dessau,
Gewerkschaften, Kirchen, verschiedenen Einzelpersonen, der Polizei
und vor allem auch der Stadt Dessau. Besonders Interessant ist auch
die gerade in den letzten Wochen federführende Beteiligung eines
Staatsanwalts, der insbesondere in die rechtlichen Bewertungen der
Polizeiangriffe auf die Oury-Jalloh-Demonstration involviert ist. So
scheint es wenig verwunderlich, dass insbesondere die symbolische und
friedliche Besetzung der öffentlichen Räumlichkeiten eines Rathaus
als undemokratische und extremistische Inbesitznahme von
Privatbesitz, durch junge Menschen, die teils nicht mal aus Dessau
waren, diffamiert wurde.
Auf die Forderungen nach Aufklärung und
Transparenz insbesondere im Fall Oury Jalloh wurde in diesem
Zusammenhang nicht eingegangen. Viel mehr war es wichtig, die
Extremismuskeule zu schwingen. So wurde die Besetzung zum Anlass
genommen, den Aufruf zu erneuern, die Geschehnisse in Dessau nicht
für „Extremismus jeder Couleur“ zu nutzen. Es wurde dafür
geworben, Ruhe in die Stadt zu bringen und einen Dialog zu führen.
Dass die Forderungen nach Aufklärung des Todes von Oury Jalloh und
die Freigabe der Videos des Polizeiangriffs auf die Gedenkdemo für
ihn, längst überfällig waren und bis dato nicht vom Netzwerk
gestellt wurden, zeigt welchen Inhalt ihr gewünschter Dialog haben
sollte. Eben nicht den einzig notwendigen, nämlich zwischen den
Betroffenen Opfer-Initiativen, antirassistischen Gruppen und
bürgerlichen Strukturen und den kritisierten staatlichen
Institutionen, die das mehrfache Fehlverhalten der Polizei noch
deckelten.
Auch
kritische Wortmeldungen zu den Volks-Mob-Demos waren beim Netzwerk
eher selten zu hören/lesen. Es wurde weder von Fehlverhalten der
Stadt. noch von der Beteiligung einer Vielzahl Dessauer Bürger_innen
und schon gar nicht von den rassistischen Parolen gesprochen oder
geschrieben. Es sollte alles eher klein gehalten werden, da es ja
auch um den Ruf Dessaus geht.
Die absolute Spitze der Arroganz
seitens des Netzwerks war schließlich die Übernahme von Forderungen
der Besetzer_Innen, insbesondere nach Freigabe der Videos - natürlich
anders als die Besetzer_Innen - -auf „demokratische“ Weise,
vorbereitet von eben dem Staatsanwalt, der auch an einer möglichen
Freigabe beteiligt ist. Dies zeigt auf anschauliche Weise, wie
Demokratie gelebt oder vielleicht doch nur simuliert wird?!
Natürlich
sei an dieser Stelle gesagt, dass wir uns keines Falls gegen all die
Menschen stellen, die es ernst meinen mit ihrem Kampf gegen Rassismus
und Nationalismus. Und von diesen gibt es auch im Netzwerk eine
Reihe. Leider sind in den letzten Wochen viele Wortmeldungen mit der
Unterschrift „Netzwerk gelebte Demokratie“ veröffentlicht
worden, die eher den Stempel hier von uns kritisierter Akteure
innerhalb dieses Bündnisses trugen und aus diesem Grund einfach
kritisiert werden müssen. Allen Menschen mit dem ernsthaften Wunsch,
die Probleme dieser Provinz offensiv anzugehen, bieten wir unsere
solidarische Zusammenarbeit an. Leider kann dies nicht mit Personen
funktionieren, die schon auf Grund ihrer direkten Funktion bspw. in
Stadtverwaltung oder Repressionsorganen wie der Justiz zwangsläufig
in Interessenkonflikte geraten müssen.
Die Grünen als Speerspitze jeglicher Proteste
Zum
Abschluss unserer kritischen Auseinandersetzung mit den regionalen
Akteuren muss selbstverständlich auch die Partei Bündnis 90/Die
Grünen genannt werden. In den letzten Jahren war es neben anderen
vor allem diese Partei, die sich in Dessau am wahrnehmbarsten gegen
den jährlichen Naziaufmarsch gestellt hat. In diesem Zusammenhang
muss klar gesagt werden, dass eine Zusammenarbeit antifaschistischer
Gruppen der Region mit den Grünen durchaus möglich war. Am Beispiel
der aktuellen Entwicklungen in Dessau allerdings zeigen sich klar die
Probleme im Umgang mit den aktuellen Geschehnissen in Dessau auch bei
den Grünen.
So
war es diese Partei, die nach dem ersten Volks-Mob die Mobilisierung
der zu diesen Demonstrationen aufrufenden Gruppe gerade in sozialen
Netzwerken teilte und auf eine augenscheinliche Vereinnahmung mit der
Möglichkeit des Lenkens der Proteste fokussierte. Klare Analysen der
Widerlichkeit dieser rassistischen Demonstrationen ließen jedoch bis
heute auf sich warten, obwohl gerade die Grünen auch bei beiden
Volks-Mob Demos zugegen waren. Öffentlich blieb es auch inhaltlich
dabei, die Linie des Netzwerkes in Sachen „klein halten“ zu
teilen und auf keinen Fall Stellung zu beziehen.
In
den vergangenen Jahren hatten die Grünen in der Region bei einer
Reihe von Aktionen linker Strukturen wenig Berührungsängste. Leider
gab es aber mittlerweile mehrfach Situationen, in denen sie sich im
Zweifelsfall dann trotzdem nicht immer solidarisch verhielten,
sondern sich teilweise auch schon mal von möglichen
„linksextremisten“ abgrenzten. Über die Beweggründe wollen wir
an dieser Stelle nicht zu sehr spekulieren, zumal dieses Verhalten
von den jeweiligen, sehr unterschiedlichen Parteimitgliedern abhängig
war und ist. Der fahle Beigeschmack von versuchter Vereinnahmung,
bspw. im Landtagswahlkampf 2011, und falsch verstandener Loyalität
gegenüber dem Netzwerk bleibt leider. Zugutehalten können wir nur,
dass es wieder Gesprächsangebote gibt, was hoffen lässt.
Nur
laute Kritik kann gehört werden
An
diesen Beispielen zeigt sich die Unfähigkeit, die Tragweite der
Dessauer Verhältnisse zu begreifen und über die jeweiligen eigenen
Profilneurosen hinaus einfach zu versuchen einen untragbaren Zustand
beim Namen zu nennen. Aktuell scheint es in Dessau weniger um die
eigenen Probleme mit Rassismus und rechten Strukturen zu gehen,
sondern vor allem darum, welche Struktur sich als erste von
„Extremismus“ und Gewalt distanzieren kann. Es geht offenbar
nicht darum, von Rassismus betroffenen Menschen zu zeigen, dass sie
nicht alleine sind, es geht um Dialoge. Zwischen wem diese Dialoge
geführt werden sollen / müssen, erschließt sich dem einfachen
Betrachter hingegen kaum.
Auch
wir als Organisator_Innen der Antira-Demo am 25.02. sehen uns nicht
als die Instanz, welche einzig und allein die richtige Analyse
abgegeben hat. Allerdings sind wir von unserer Kritik durchaus
überzeugt und teilen vor allem die Forderungen der Initiativen
„Aufklärung und Transparenz“ und „in Gedenken an Oury Jalloh“
nach Aufklärung der skandalösen Geschehnisse in Dessau. Uns ist
durchaus bewusst, dass in dieser Stadt der Aufruf zu unserer Demo an
vielen Punkten, gezielt und gewollt falsch verstanden wurde, denn wer
davon ausgeht, dass wir mit der Wortwahl „rassistischer Konsens“
die absolute Mehrheit der Dessauer Bürger_Innen meinten, kann
entweder als naiv bezeichnet werden oder versucht gezielt etwas zu
verklären, was eigentlich glasklar ist.
Wenn es in einer Stadt mit 20jähriger, kontinuierlicher, rechter Gewalt, mit zwei Nazimorden, mit diversen Polizeiskandalen besonders in Sachen Rassismus und der Ignoranz rechter Straftaten bis hin zu ungeklärten Toten, und jährlichen Nazidemos, zu zwei rassistischen Volks-Mobs mit jeweils bis zu 400 Menschen kommt, sind das mindesten zwei zu viel. Diese Mobs und ihre Rezeption in der Dessauer Öffentlichkeit zeugen von einem verankerten Rassismus innerhalb Dessaus. Zumal danach lieber um Ruhe in der Stadt geworben wird, statt lautstark Protest zu äußern. Wenn das Tantra von der „gelebten Demokratie“ wenigstens ansatzweise ernst gemeint ist, wird nach dem 25.02. vielleicht doch mehr gesagt werden, als dass da wieder „Extremisten“ von auswärts nach Dessau gekommen sind.
Wir
sind gespannt!
Fickt das System
Tantra heißt in dem Fall Mantra ...
und abgesehen davon ist der Rundumschlag, allen alles verdeutlichen zu wollen in sich widersprüchlich.
Man kann nicht einerseits von Analyse schreiben und andererseits diese bei bürgerlichen Parteien vermissen (!)wollen(!).
Die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse zielt auf die Beseitigung der Mißverhältnisse welche erst zur Analyse zwingen, der Zwang dem bürgerliche Gruppierungen sich hingegen ausgesetzt sehen innerhalb des Charaktermasken-zirkus zu bestehen läuft jeglicher Analyse zuwider, deshalb kennen diese Leute nur den "Dialog" (mit den Verhältnissen als Verhältnisse). "Dialog" in deren Sinne ist also Chiffre für Befriedung, und niemals analytisch.
Aber grammatikalisch werdet ihr immer besser, Ossis.