Wer produziert denn heute noch?

Fahrradtaxi in Kuba (2007)

In der taz vom 14.02.2012 las ich einen Artikel über die wirtschaftlichen Reformen in Kuba. In dem Artikel bemängelt der kubanische Schriftstelle Leonardo Padura die Tatsache, dass in den letzten Monaten zwar zahlreiche neue Betriebe in Kuba gegründet worden sind, diese aber kaum etwas produzieren würden. Alle vermieten Zimmer, kopieren CD´s oder eröffnen Schönheitssalons und Restaurants. Kaum jemand baut aber Lebensmittel an, baut Möbel oder Maschinen.

 

Den Artikel lese ich nach einem langen Spaziergang von Friedrichshain über Kreuzberg nach Neukölnn in einem Cafe. Ich überlege. Wer produziert hier eigentlich noch? Logisch – ich bin durch Wohnbezirke gegangen in denen es logischerweise sehr viele Dienstleistungsbetriebe gibt. Imbissbuden, Bars oder Friseursalons. Kinos, Internetcafes und "Späties" finden sich an fast allen Ecken dieser Stadt. Produzierendes Gewerbe habe ich allerdings kaum gesehen. Warum auch? Die Produkte wären ohnehin nicht konkurenzfähig mit der Massenware aus Fernost.


Ich komme ins grübeln. Wo arbeiten eigentlich meine Freunde und Bekannten? Sie arbeiten in der Werbebranche, als JournalistInnen, in der Forschung oder in Verwaltungen. Sie desginen, planen oder lehren. Ich kenne kaum Schreiner, Landwirte oder Schlosser.

Welchen Wert schaffen wir mit unserer tagtäglichen Arbeit? Welche essentiellen Werte sind wir überhaupt noch fähig selbst zu schaffen? Wie schaffen wir es überhaupt unsere essentiellen Bedürfnisse zu befriedigen wenn sich kaum jemand von uns um die Befriedigung dieser Bedürfnisse kümmert?

Es sind aber nicht nur die Lohnsklaven in Fernost die unsere Bedürfnisse befriedigen. Es gibt sie noch. Die Produkte die auf unserem Kontinent hergestellt werden. Getränke oder Nahrungsmittel werden zumindest größtenteils noch hier produziert. Bei den Getränken sind es aber größtenteils Maschinen, die die eigentliche Arbeit übernehmen. Für die Produktion von Frischgemüse holen wir uns billige Arbeitskräfte aus Nordafrika oder Osteuropa. Die Weiterverarbeitung wird wieder größtenteils von Maschinen erledigt. Konkurenzfähig sind diese Produkte allerdings auch nur weil die Europäische Union mehr 50 Milliarden € pro Jahr an Agrarsubventionen ausschüttet, von denen auch die verarbeitenden Betriebe enorm profitieren.

Warum also das alles? Warum arbeiten wir überhaupt noch? Was für einen Wert generieren wir eigentlich durch unsere Arbeit? Ist sie überhaupt noch mehr als eine blose Beschäftigungstherapie? Warum zum Geier stehen wir eigentlich jeden morgen auf?

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Ich verstehe nicht ganz den Unterschied den du machst zwischen Dienstleistungen und "produzierendem Gewerbe". Auch wenn du fragst "Welchen Wert schaffen wir mit unserer tagtäglichen Arbeit?" implizierst du, dass Dienstleistungen nicht wertbildend sein könnten. So ist es doch aber so, dass die Arbeit , die Dienstleister leisten nicht von den Produkten die sie dazu anwenden getrennt sehen kannst. Ein Friseur verändert mit seiner Arbeitskraft und den notwendigen "Rohstoffen" (Haarspray, Shampoo etc) und den benötigten Arbeitsmitteln ein Produkt (Die neue schicke Frisur). Er produziert diese so zu sagen und befriedigt damit auch ein Bedürfnis, sonst würde ja niemand Geld dafür ausgeben. 

 

Und natürlich ist die Arbeit hier mehr als eine "Beschäftigungstherapie. Aber natürlich frage auch ich mich "warum zum Geier" ich jeden morgen aufstehe!

Ich stelle nicht in Frage, dass ein Wert durch Dienstleistungen gebildet wird, sondern was für ein Wert. Das fällt mir äusserst schwer zu beschreiben oder zu kategorisieren. Ich glaube aber, der springende Punkt ist eher das Missverhältnis, dass sich in meiner Umgebung zwischen Dienstleistungen und produzierendem Gewerbe herausgebildet hat.

Ist es nicht seltsam, dass wir die Güter, die wir täglich nutzen, kaum noch selbst herstellen. Also selbst nicht auf das Individuum bezogen, sondern auf das soziale Umfeld oder die geografische Region.

Schau dich mal außerhalb Berlins im Rest von Deutschland um, dann wirst du finden dass da noch viel produziert wird. Ein Ludwigshafen, Wolfsburg oder Dingolfing ist natürlich dann nicht so sexy wie ihr. Und am meisten produzierendes Gewerbe findest du in den ganzen namenlosen Kleinstädten mit unbekannten Firmen, ich wette dass auch deine Getränkeabfüllmaschine aus einer solchen stammt.

"Warum zum Geier stehen wir eigentlich jeden morgen auf?"

Vielleicht weil überflüssige, also nicht der menschlichen Reproduktion dienende Arbeit, erfunden werden muss, damit der Laden weiterläuft und sich Niemand die Frage stellt: "Was machen wir da eigentlicht?"

Dieses interessante Zitat stammt aus einem Text von Hans-Jürgen Krahl, geschrieben 1969 od. 1970.

"Verinnerlichung ökonomischer Gewalt heisst vor allem: die Internalisierung der Arbeitsnormen ins Zeitbewusstsein, das Bewusstsein der Lohnarbeiter über ihre objektive Stellung im Produktionsprozess und damit die Erinnerung an Ausbeutung auszulöschen, die Bildung von Klassenbewusstsein zu verhindern. Die Vernichtung des wie auch immer religiös kanalisierten emanzipatorischen Zeitbewusstseins lässt die Lebenszeit zur Arbeitszeit werden. Darauf beruht also das zentrale Naturgesetz der kapitalistischen Entwicklung. 

Arbeitszeit ist verdinglichte Zeit, auf ihr Gegenteil, den Raum, rein quantitative Ausdehnung reduziert. Die emanzipatorische Lebenszeit wäre aber mit der kapitalistischen Produktionsweise nicht nur religiös kanalisiert, sondern als geschichtlich qualifizierte Zeit der Freiheit - Konstituens der Individualität - möglich. Arbeitszeit ist deren Gegenteil - entzeitlichte und ontologisierte Zeit. Es liegt im Interesse des Kapitals, dass die Herabsetzung der Arbeitszeit und die darin implizierte Möglichkeit einer Befreiung von gesellschaftlich überflüssiger Arbeit den Arbeitern als unmöglich sich darstellt. Zeit - das Medium des Lebens und der Geschichte - wird zu ihrem Gegenteil, einem blinden Naturgesetz. Nicht erfüllen die Menschen ihr Wesen in der Zeit, sondern die Zeit subsumiert sich schicksalhaft naturwüchsig die Menschen - so wie die Kantische Natur, der Hegelsche Weltgeist, das Selbstbewusstsein. Zeit - das was nicht dinglich ist - erscheint als verdinglicht, im Geld; Zeit - das was nicht natürlich ist (dreidimensional) erscheint als naturwüchsig; Zeit, der Inbegriff qualitativer Veränderungen erscheint als unveränderliche - bloss auszufüllende - Form. Die Vernichtung emanzipatorischen Zeitbewusstseins durch ausserökonomische Zwangsgewalt, die Verdinglichung der Lebenszeit zur rein quantitativen Arbeitszeit ist eine Bedingung der Möglichkeit des allgemeinen Wertgesetzes, des sich verwertenden Werts dessen Qualität die reine Quantität der Arbeitszeit, reine Grösse ist."

 

und 

 

"Die in der kapitalistischen Gesellschaftsformation vorgebildeten, zentralisierten, bürokratisierten und totalitären Herrschaftsverhältnisse würden sich als der technologischen Rationalität instrumenteller Vernunft des automatisierten Maschinenwesens durchaus angemessen erweisen. Das heisst, das strategische Ziel, für das Marx und Engels kämpften, die Sozialisierung der Produktionsmittel, ist nicht mehr als eine allerdings unabdingbare Bedingung der Möglichkeit einer vernünftigen Gesellschaft, aber garantiert sie nicht. Schliesslich gelingt es dem Kapitalismus, zu einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise selbst zu gelangen und sich in diesem Widerspruch durch eine ungeheure Expansion abstrakter Arbeit und Vermehrung der Arbeitszeit auch in die Freizeit totalitär zu reproduzieren"

"Vielleicht weil überflüssige, also nicht der menschlichen Reproduktion dienende Arbeit, erfunden werden muss" - nein. Niemand ist gezwungen, zum Frisör oder in den Schönheitssalon zu gehen. Vielleicht möchtest du deine Argumentation noch auf "schaffendes" und "raffendes" Kapital ausweiten, Hans-Jürgen?

 

So, jetzt gehe ich zum Frisör. Das nenne ich Freiheit.

Weder in meinem Zweizeiler, noch in dem Zitat von Hans-Jürgen Krahl steht etwas von "schaffendem" und "raffendem" Kapital. Es ist der Pawlowsche Reflex, der an jeder Kapitalismuskritik aus der Antideutschen Ecke kommt.

Na ja, zeigt der Finger auf den Mond schaut der Dumme auf den Finger.

Lass dir beim Friseur einen "anständigen" Haarschnitt verpassen, der deiner inneren Haltung entspricht.

Nun ja, als Handwerker und Dienstleister, der in vielen Betrieben Maschinen repariert, kann ich das nicht teilen. Es wird nach wie vor sehr viel produziert, und das auch noch günstiger als in Fernost. Das liegt an einer sehr guten Infrastruktur und an immer noch gut ausgebildeten Menschen. Klar, wenn man Deine Route entlang geht, kann man das nicht bemerken. Aber daraus zu schließen, dass es überall so ist zeugt von absoluter Ahnungslosigkeit. Doch die Welt ist häufig so, wie man sie sehen will.