Im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden gibt es offenbar eine bisher unbekannte rechte Verbindung zwischen dem inhaftierten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und dessen Verteidigung. Nach Recherchen der "Stuttgarter Zeitung" sowie linker Gruppen arbeiten in der Rastätter Kanzlei "Harsch & Kollegen", die Wohlleben vertritt, nicht nur mehrere frühere Mitglieder von Nazi-Bands als Anwälte für verschiedene Fachbereiche.
Wohllebens Verteidigerin - die Urheberrechtsanwältin Nicole Schneiders - war früher gar Mitglied in der Thüringer NPD und dort 2002 und 2003 Wohllebens Stellvertreterin im Vorstand des Kreisverbands Jena, wie die Ostthüringer Zeitung berichtet.
Musikalische Anwaltskanzlei
Einer ihrer Kollegen – der Scheidungsanwalt Steffen Hammer, der laut "Stuttgarter Nachrichten" aber auch Neonazis verteidigt - war nach Recherchen der "Stuttgarter Nachrichten" Sänger der rechtsextremen Band "Noie Werte". Eine frühere Version des Bekennervideos der rechtsextremistischen Terror-Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ist mit Musik von "Noie Werte" unterlegt.
Wohlleben wird Beihilfe zu sechs NSU-Morden vorgeworfen - er soll den Mördern eine Pistole und Munition verschafft haben. Derweil kündigte Schneiders auf der Internetseite der Anwaltskanzlei "Harsch & Kollegen" an, dass ihr Mandant "aufgrund der bislang sehr beschränkt gewährten Akteneinsicht" weiter zu den Vorwürfen schweigen werde.
Kanzleigründer wehrte sich gegen den Ruf des "Nazi-Anwalts"
Ein weiterer Anwalt der Kanzlei, Alexander Heinig, sei als Sänger und Bassist einer rechtsextremen Rockband, "Ultima Ratio", zu hören. Zudem soll ein weiteres Bandmitglied von "Noie Werte" in der Justiz tätig gewesen sein: Der Bassist und Gitarrist Oliver Hilburger habe früher als ehrenamtlicher Richter am Amtsgericht Stuttgart gearbeitet. 2008 sei er aber vom Landesarbeitsgericht von diesem Amt enthoben worden.
Kein unbeschriebenes Blatt ist auch der Kanzleigründer Klaus Harsch, der durch seine Mitgliedschaft in einem Anwaltsverein der CDU nahe steht. Auch er soll mehrfach Nazis verteidigt haben. In einem Verfahren über mehrere Instanzen ließ er allerdings erfolgreich die Kritik aus den Reihen der CDU verbieten, er sei ein "Nazi-Anwalt". Dabei vertrat ihn Nicole Schneiders vor Gericht.
Interessante Details enthüllen die Ergebnisse eines Hacks aus dem Jahr 2006. Damals hatten linke Gruppen das interne Forum der rechtsextremen "Freien Kameradschaften Rhein-Neckar" und des "Aktionsbüros Rhein-Neckar" geknackt und die Beiträge veröffentlicht.
Feinde lieber "nach der Revolution inhaftieren", statt ermorden
Wie die linke Aktionsseite "indymedia.org" berichtet, fänden sich dort auch Forumsbeiträge einer "Nicole", die für sich als "Frau in unserer nationalen Bewegung" warb. Ratsuchende könnten sich "gern mal bei uns in der Kanzlei melden", habe "Nicole" angeboten und die Telefonnummer der Kanzlei "Harsch & Kollegen" genannt.
In ihren Beiträgen riet sie "indymedia" zufolge, keine illegalen Waffen in der eigenen Wohnung zu lagern. Bei Diskussionen über politische Gegner habe sie davon abgeraten, diese zu ermorden. Zitat: "Es wäre sinnvoller, nach einer Revolution zu inhaftieren, anstatt zu töten". Immerhin forderte die Juristin, nach dieser "Revolution" müsse "ein faires rechtsstaatliches Verfahren ... Grundlage auch eines neuen Systems" sein.
Diesem Rat waren die Rechtsterroristen der NSU-Terrorzelle nicht gefolgt: Dem zuletzt in Zwickau lebenden Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt werden neun Morde an Migranten, ein Mord an einer Polizistin sowie zwei Sprengstoffanschläge in Köln zur Last gelegt. Mundlos und Böhnhardt nahmen sich nach derzeitigem Ermittlungsstand Anfang November das Leben, Zschäpe wurde festgenommen.
German Foreign Policy
Von Redaktion German Foreign Policy | – JENA (Eigener Bericht) — Recherchen zum früheren Umfeld der Terrorclique NSU in Jena (Thüringen) enthüllen Verbindungen in Teile des bundesdeutschen Establishments. So wird der mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben von einer Anwältin verteidigt, die vor rund zehn Jahren seine Stellvertreterin im Jenaer Kreisverband der NPD gewesen sein soll.
Ein Kollege aus ihrer Kanzlei ist gemeinsam mit renommierten Politikern aus Baden-Württemberg, darunter ein ehemaliger Landesminister, für eine angesehene Kulturstiftung tätig, ein anderer war Frontmann einer Rechtsrock-Band, deren Songs der NSU als Hintergrundmusik für ein Terrorvideo benutzte. Die Neonaziszene in Jena unterhielt Ende der 1990er Jahre, als der NSU in den Untergrund ging, auch Kontakte zu studentischen Burschenschaften.
Dies galt insbesondere für die Burschenschaft Normannia Jena, die eine Zeitlang das von Wohlleben gepachtete "Braune Haus" nutzte. Sie war mehrere Jahre lang in einem burschenschaftlichen Verband organisiert, dem CDU-Politiker, aber auch in Italien verurteilte Südtirol-Terroristen angehören.
Rechtsschulungen
Aktuelle Recherchen zum früheren Umfeld der Neonazi-Terrorclique NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) konzentrieren sich auf den mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und seine derzeitige Strafverteidigerin. Wohlleben war seit Ende der 1990er Jahre einer der führenden Köpfe der Neonaziszene in Thüringen; ihm wird unter anderem vorgeworfen, 2001 oder 2002 eine Waffe für den NSU besorgt zu haben.
Zu dieser Zeit war Wohlleben auch NPD-Kreisvorsitzender in Jena; seine heutige Anwältin Nicole Schneiders gehörte der Partei damals ebenfalls an, Recherchen einer Stuttgarter Online-Zeitung zufolge als seine Stellvertreterin. Laut dem nicht dementierten Bericht heißt es in einem Polizeivermerk über Schneiders, sie habe "als Jurastudentin Rechtsschulungen (Wie verhalte ich mich gegenüber der Polizei/Justiz) in der Szene" durchgeführt.
Weiterhin werden ihr, heißt es in dem Beitrag — ebenfalls undementiert -, von den Sicherheitsbehörden Äußerungen in einem Neonazi-Internetforum zugeschrieben, die etwa folgenden Ratschlag beinhalten: "Lagert in eurer Wohnung keine Waffen, es sei denn, ihr besitzt (…) einen (…) Waffenschein oder eine Waffenbesitzkarte." Auch die Stellungnahme wird kolportiert, es sei "sinnvoller, nach einer Revolution zu inhaftieren, anstatt zu töten".[1]
Hintergrundmusik
Schneiders arbeitet für die Stuttgarter Kanzlei H3, der außer ihr etwa Rechtsanwalt Klaus Harsch angehört. Harsch gibt an, unter anderem "aktives Mitglied im Arbeitskreis christlich demokratischer Juristen der CDU Mittelbaden" zu sein und sich außerdem als Vorstandsmitglied im "Anwaltsverein Baden-Baden" sowie als "erster Vorsitzender im Kulturwerk für Südtirol" zu betätigen.
Er ist zudem Beisitzer im Vorstand der Josef-Saier-Stiftung, eines gemeinnützigen Vereins, der "das künstlerische Laienschauspiel" fördern will. Im Vorstand der Stiftung trifft Harsch etwa auf den einstigen baden-württembergischen Landesminister Erwin Vetter (CDU), auf den CDU-Landtagsabgeordneten Karl-Wolfgang Jägel, auf den Oberbürgermeister der Stadt Baden-Baden, weitere Politiker sowie einen Vertreter der Daimler AG.
In seiner Kanzlei arbeitet der im baden-württembergischen Establishment wohlgelittene Harsch nicht nur mit der ehemaligen NPD'lerin Schneiders, sondern auch mit einem langjährigen Frontmann einer berüchtigten Neonaziband ("Noie Werte") zusammen. Rechtsanwalt Steffen Hammer war Sänger der letztes Jahr aufgelösten Gruppe, deren Songs als Hintergrundmusik auf dem NSU-Terrorvideo Verwendung fanden.
Über "Noie Werte" urteilte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, als sich 2008 herausstellte, dass ein zweites Bandmitglied als ehrenamtlicher Richter tätig war, deren Auftreten wecke "Assoziationen zum nationalsozialistischen Regime", sei "gewaltverherrlichend" und "von einer verfassungsfeindlichen Ideologie" gezeichnet.[2] Der ehrenamtliche Richter wurde suspendiert.
Im "Braunen Haus"
Die Neonaziszene in Jena unterhielt, als Ende der 1990er Jahre die wegen Bombenbau gesuchte Terrorgruppe mit aktiver Unterstützung ihres Umfeldes abtauchte, auch Kontakte zu studentischen Burschenschaften. Im Mittelpunkt stand zuerst die Burschenschaft Jenensia Jena, eine Verbindung, die damals dem rund 10.000 Männer umfassenden Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) angehörte.
Zu einem Auftritt, der Kontakte zwischen der Burschenschaft und dem "Thüringer Heimatschutz" erkennen ließ — diesem entstammte auch der NSU -, kam es Ende 1999. Damals schützten Aktivisten aus dem "Thüringer Heimatschutz" eine Vortragsveranstaltung der Jenensia Jena mit einem extrem rechten Referenten; weitere Mitglieder der Neonazi-Organisation nahmen — wie schon mehrfach zuvor bei der Jenensia — an der Veranstaltung teil.
Das Ereignis führte dazu, dass elf Burschenschafter wegen ihrer Beziehungen zum "Thüringer Heimatschutz" aus der Jenensia ausgeschlossen wurden; darauf gründeten diese eine neue Burschenschaft, die Burschenschaft Normannia Jena. Als Festredner bei deren Gründungsveranstaltung trat der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer auf.
Die Normannia Jena warb in einer der bedeutendsten Zeitschriften der extremen Rechten um Mitglieder und führte ihre Veranstaltungen eine Zeitlang im von Ralf Wohlleben gepachteten "Braunen Haus" durch.
Volkstumsbezogen
Zugleich war die Burschenschaft Normannia Jena mehrere Jahre lang Mitglied zwar nicht der Deutschen Burschenschaft (DB), aber doch der Burschenschaftlichen Gemeinschaft. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von mehr als 40 Burschenschaften auf dem Rechtsaußenflügel der DB. Diesen Burschenschaften gehören nicht nur zahlreiche Politiker der österreichischen FPÖ, sondern etwa auch der deutschen Unionsparteien an.[3]
Als etwa die Burschenschaft Normannia Heidelberg, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft angehört, im Sommer 2009 den jährlich rotierenden DB-Vorsitz übernahm, da erhielten zwei CDU-Funktionäre zentrale Ämter, unter ihnen ein ehemaliges Landesvorstandsmitglied der Jungen Union in Hessen. Die Burschenschaftliche Gemeinschaft behauptet, es habe "keine freiwillige Abtretung der (deutschen, d. Red.) Ostgebiete stattgefunden"; sie vertrete daher "den volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff ohne Rücksicht auf staatliche Gebilde und deren Grenzen".[4]
Bei internen Veranstaltungen der Burschenschaftlichen Gemeinschaft trafen sich deren Mitglieder mit Vertretern der Normannia Jena, unter anderem bei einer Kneipe während des Burschentages 2009. Nach der Feier folgte ein Streit unterschiedlicher Burschenschafter, ob der Vertreter der Normannia Jena während der Feier ein Parteiabzeichen der NSDAP oder nur eine Preußenfahne als Anstecker getragen habe — oder beides.[5]
"Ohne Opfer geht es nicht"
Nicht wenigen Burschenschaftern aus Mitgliedsbünden der Burschenschaftlichen Gemeinschaft ist eine bestimmte, heute weithin vergessene Form extrem rechter Gewalt nicht fremd: der sogenannte Südtirol-Terrorismus der 1960er Jahre. Damals agitierte eine völkische Autonomiebewegung der Deutschsprachigen im Norden Italiens ("Südtirol") für eine stärkere Abschottung gegen den Rest des Landes.
"Die Italiener" — gemeint waren Italienisch Sprechende — sollten im Süden bleiben, war zu hören. Die Autonomiebewegung griff zu Gewalt; bei Schusswaffen-Attentaten und Sprengstoff-Anschlägen kamen binnen weniger Jahre eine zweistellige Zahl von Menschen ums Leben. An den Taten waren teilweise auch Burschenschafter aus Deutschland und aus Österreich beteiligt.
Einige Burschenschafter aus Bünden, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft angehören, wurden von italienischen Gerichten in diesem Zusammenhang wegen Mordes oder anderer Straftaten verurteilt.Mehrere von ihnen leben heute in Deutschland, manche halten in Burschenschaftshäusern Vorträge über die Ereignisse damals. 1966 äußerste sich ein Burschenschafter aus der Burschenschaftlichen Gemeinschaft zu den Attentaten:
Innerhalb der Burschenschaftlichen Gemeinschaft fand die Normannia Jena, als sie ihre Treffen im "Braunen Haus" des mutmaßlichen NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben abhielt, mehrere Jahre lang eine Heimat.
Quelle: German Foreign Policy
[1] Meinrad Heck: Von Rechts wegen; www.kontextwochenzeitung.de
[2] BVerfG, 2 BvR 337/08 vom 06.05.2008; www.bverfg.de
[3] Die Vorsitzende im Geschäftsjahr 2009/2010 stellt sich vor: Die Burschenschaft Normannia Heidelberg; Burschenschaftliche Blätter 4/2009
[4] Standpunkte der Burschenschaftlichen Gemeinschaft; www.burschenschaftliche-gemeinschaft.de
[5] Die Debatte, in der es unter anderem auch darum ging, ob ein ehemaliger Burschenschafter sich kleide "wie ein Heinrich Himmler-Verschnitt" und ob Burschenschafter einen Verbindungsstudenten mit schwarzer Haut mit den Worten beleidigt hatten: "Husch, Husch, Husch — Neger in den Busch", ist im Internet einsehbar unter linksunten.indymedia.org/de/node/50376
[6] Norbert Burger (Burschenschaft Olympia Wien), zitiert nach: Wolfgang Purtscheller: Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk, Wien 1993. Günter Schweinberger (Burschenschaft Olympia Wien) äußert, Burschenschafter hätten einen Beitrag "im Untergrundkampf gegen die italienischen Besatzer" Südtirols geleistet: "Mitglieder der Burschenschaft Germania Erlangen, Olympia Wien, Bruna-Sudetia Wien und Alania Wien waren in Italien inhaftiert.
Burschenschafter der Breslauer Burschenschaft Raczek zu Bonn, Danubia München, Allemania Königsberg, Olympia Wien und Oberösterreicher Germanen Wien waren in Deutschland eingesperrt. Mitglieder der Burschenschaften Raczek Breslau, Danubia München, Olympia Wien, Brixia Innsbruck und Oberösterreicher Germanen Wien wurden in Abwesenheit in Italien zu verschieden hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Beim großen Grazer Südtirolprozess im Herbst 1965 waren von 27 Angeklagten zwölf Burschenschafter."