Politische Landgewinne - Eine Analyse der Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben und ihrer Folgen

dreckiges atomgeschaeft

Fast 126 Stunden war der Castor-Transport von La Hague nach Gorleben unterwegs – deutlich länger als jeder andere Transport zuvor. Aber letztendlich zählen nicht zeitliche Rekorde, sondern die politische Wirkung der Proteste. Zwar gilt auch die Zeit als Gradmesser für die Ablehnung der aktuellen Atommüll-Politik, aber dabei spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle.
Wichtig ist der gesellschaftliche Rückhalt der Proteste. Dass der DGB-Vorsitzende Michael Sommer in Dannenberg sprechen wollte – und nur wegen einer Erkrankung absagen musste – ist eine neue Qualität in der Geschichte des Gorleben-Konflikts.

 Inhaltlich hat auch die evangelische Kirche in den letzten Monaten klar Position gegen Gorleben bezogen. Und dass ein bundesweiter Umweltverband wie der BUND, der mit Abstand die meisten seiner knapp 500.000 Mitglieder in Bayern hat, durch seinen Bundesvorsitzenden Hubert Weiger auf der Kundgebung eine klare Absage an den Standort Gorleben formuliert, ist auch nicht selbstverständlich.

 

Castor-Protest der Rekorde

Wichtig ist die Zahl der Demonstrierenden. Bei der Großdemo in Dannenberg am 26. November waren 23.000 Menschen. Gleichzeitig waren bereits 2.500 AktivistInnen an der Schienenstrecke zwischen Lüneburg und Dannenberg unterwegs. Damit war dies die zweitgrößte Protestveranstaltung im Wendland in fast 35 Jahren Streit um Gorleben. Nur im Ausnahmejahr 2010, kurz nach dem Laufzeitverlängerungs-Beschluss des Bundestages, waren die Zahlen noch größer.

Betrachtet man zusätzlich die Zahl derjenigen, die sich in der Nacht zum Sonntag an der großen „WiderSetzen“-Sitzblockade bei Harlingen beteiligt haben, so zeigt sich Erstaunliches: Wieder waren fast 5.000 auf den Castor-Schienen – genauso viele wie im Rekordjahr 2010. Darüber hinaus hat die Zahl der effektiven Ankettaktionen auf der Strecke noch einmal zugenommen. Zwischen Lüneburg und Hitzacker waren mit Greenpeace, einer freien AktivistInnen-Gruppe und der Bäuerlichen Notgemeinschaft mit ihrer Betonpyramide gleich drei Aktionen länger als zehn Stunden nicht zu räumen.

Und das war nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt sprach die Polizei-Einsatzleitung von über 100 Blockadeaktionen auf der Strecke. Diesmal fing das sogar schon in Frankreich an. Die Abfahrt am Verladebahnhof Valognes verzögerte sich um eineinhalb Stunden, weil schon dort einige hundert AktivistInnen die Gleise stürmten.

Die Öffentlichkeit hat verstanden, dass es da ein Problem gibt

All diese Zahlen sind aus einem Grund etwas ganz Besonderes: Die breite Öffentlichkeit, die Medien und die Politik haben damit nicht gerechnet. Viele dachten, mit dem Bundestagsbeschluss zur Stilllegung von acht AKW sei die Zeit der Anti-Atom-Proteste vorbei. Sie wurden nun eines Besseren belehrt. Für uns kam das nicht so überraschend, denn schließlich waren im Sommer 56 Prozent der Bevölkerung für einen deutlich schnelleren Atomausstieg, als das, was dann beschlossen wurde.

Gleichzeitig befeuerte natürlich der Gorleben-Konflikt die Proteste. Im Wendland glaubt niemand das Märchen vom Neustart der Endlagersuche, denn im Salzstock von Gorleben werden Tag und Nacht weiter Fakten geschaffen. Und auch für diejenigen, die aus der ganzen Republik ins Wendland gereist sind,  ist völlig klar, dass das Gorleben-Projekt endlich aufgegeben werden muss.

An dieser Stelle waren die Proteste sehr erfolgreich: Es ist in diesen Tagen gelungen, einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, warum das Gerede von der weißen Landkarte nicht stimmt und warum der Standort Gorleben ungeeignet ist. Nachdem am Anfang noch viele JournalistInnen verständnislos fragten, warum wir denn jetzt noch immer demonstrieren, wurde das von Tag zu Tag besser verstanden und in den Medien vermittelt.

Kretschmann trifft auf Unverständnis

Klar gab es auch Kommentare, die uns vorwarfen, wir hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt und würden aus rein nostalgischen Gründen nicht davon lassen können, gegen den Castor zu demonstrieren. Befeuert wurde dies durch die Aussagen des grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der die Sinnhaftigkeit der Proteste in Zweifel zog. Doch dies fiel am Ende eher auf Kretschmann zurück. Ich habe selten bei einer Demo-Rede mehr Applaus bekommen, wie für folgende Passage auf der Kundgebung am 26.11. in Dannenberg:

„Lieber Winfried Kretschmann. Genau das haben wir schon einmal gehört, vor zehn Jahren, von Jürgen Trittin. Und wir wissen, wie es damals ausgegangen ist: Viele sind im guten Glauben an den Ausstieg nicht mehr demonstrieren gegangen. Und so wurde der gesellschaftliche Raum freigegeben für die Laufzeitverlängerungs-Pläne der Atomkonzerne. Lieber Winfried Kretschmann. Es ist der grünen Partei unbenommen, den gleichen Fehler zweimal zu machen. Aber verlang doch bitte nicht von uns, dass wir genauso bescheuert sind.“

Übrigens: Eine ganze Reihe von grünen Parteimitgliedern ließen sich erfreulicherweise von Kretschmann nicht abhalten, an den Protesten teilzunehmen.

Jede/r Verletzte ist eine/r zu viel


Ein weiteres Thema in der Berichterstattung waren spektakuläre Randerscheinungen der Proteste: Eine kleine Gruppe hielt sich nicht an die Absprachen, dass es rund um den Castor keine Aktionen geben soll, die Menschen gefährden oder verletzen. Daraus machten manche Medien gar einen „Krieg um den Castor“, obwohl diese Bilder in keiner Weise repräsentativ für den breiten, bunten und gewaltfreien Widerstand im Wendland waren.

Jede/r Verletzte ist eine/r zu viel, egal ob unter den AktivistInnen oder der Polizei. Aber wieso ist eigentlich niemand aufgefallen, dass sich in diesem Jahr, das angeblich von so roher Gewalt geprägt war, die Zahl der verletzten PolizeibeamtInnen nicht erhöht hat? Wer hat registriert, dass die angeblich abgebrannten Polizeiautos nur einige Lackschäden durch Feuerwerkskörper davongetragen haben? Und wem ist aufgefallen, dass die Polizei – auch aus der Sicht neutraler BeobachterInnen – in manchen Situationen extrem provoziert hat, was in der aufgeheizten Stimmung alles andere als deeskalierend wirkte?

Am Ende nutzen solche Bilder und Schlagzeilen nur denjenigen, die nicht über Atommüll diskutieren wollen. Glücklicherweise ist diese Diskussion aber nicht aufzuhalten. Der SPD-Bundesparteitag hat gerade beschlossen, den Standort Gorleben bei der neuen Endlagersuche aus dem Topf zu nehmen, weil er schlicht ungeeignet ist. Damit sind die SozialdemokratInnen derzeit sogar radikaler als die Grünen, die aus Rücksicht auf Winfried Kretschmann nur einen Baustopp in Gorleben fordern.

Historische Verschiebungen

Dass die SPD hier die Grünen überholt hat, ist in der Atompolitik eine historisch neue Situation. Ebenfalls historisch ist, dass nach fast 35 Jahren Betonkopf-Politik pro Gorleben die CDU in Lüchow-Dannenberg nach herben Verlusten bei der letzten Kommunalwahl und angesichts der großartigen Castor-Proteste einen Kurswechsel vollzieht. Maßgebliche Parteimitglieder fordern das Aus für das Endlagerprojekt. Entscheidend wird nun, ob der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister seine bereits vorsichtig begonnene Abkehr von Gorleben in handfeste Politik münden lässt. Schließlich will er Anfang 2013 Landtagswahlen gewinnen. Und dabei könnte maßgeblich sein, was er gemeinsam mit dem Bund und den anderen Ländern in Sachen Endlagersuchgesetz auf den Weg bringt.

Wenig begriffen hat Norbert Röttgen. Der hat direkt nach Ankunft der Castor-Behälter im Zwischenlager verkündet, dass in Gorleben unbeirrt weitergebaut wird. Der Minister, der gerne so geschmeidig tut, erweist sich als Betonkopf.

Deshalb ist die wichtigste Erkenntnis nach dem längsten Castor aller Zeiten: Der durch den Protest erlangte politische Landgewinn nutzt uns nur dann etwas, wenn wir jetzt dranbleiben. Bis Sommer 2012 soll das neue Endlagersuchgesetz stehen. Und je nachdem, was darin festgelegt wird, steht und fällt der Standort Gorleben. Und so lange Gorleben im Topf bleibt, wird es keinen vernünftigen Umgang mit dem strahlenden Erbe geben.

Es gibt noch viel zu tun…

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"Bundesverdienstkreuz für die Castor-Gegner!" schlägt die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar vor. "Vielleicht ist es an dieser Stelle einmal angebracht, danke zu sagen. Der Dank gebührt den Zigtausenden Demonstranten, die bald in der dritten Generation gegen Atomkraft auf die Straßen und Felder gehen. Sie lassen sich mit Tränengas besprühen oder von Wasserwerfern ummähen, werden von Polizeiknüppeln grün und blau geschlagen und harren auch bei Sturm, Frost und Regen aus - um letztlich doch zusehen zu müssen, wie die Castoren im Zwischenlager Gorleben ankommen. .... Der Ausstieg II war nur möglich, weil die gesellschaftliche Mehrheit klar gegen Atomkraft ist. Daran hat die Beharrlichkeit der Anti-Atom-Bewegung einen gehörigen Anteil. Dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung sich genötigt sieht, die Kernkraft aufzugeben, ist ein Erfolg der Bewegung. ....  Nicht die Politik, sondern der Protest hat das Land verändert. Hätte Japan so eine Bewegung gehabt, es wäre vielleicht nie zum GAU von Fukushima gekommen. Es wäre schön, wenn die Grünen das nicht wieder wie einst Jürgen Trittin und jetzt Winfried Kretschmann vergessen, wenn sie demnächst im Bund wieder mitregieren sollten.

Die Atomgegner haben sich in einem ganz klassischen Sinne um das Wohl des Landes verdient gemacht. Dafür gebührt jedem Teilnehmer der Bewegung das Bundesverdienstkreuz. Mindestens."

Der Präsi setzt sich anstelle der Castorgegner_innen ins Knast und verteilt von da aus seine Trostpreise für ausgeschiedene Fussballer

So freundlich der Kommentar auch sein mag, er enthält auch den Satz, "Schließlich muss der Atommüll ja nun irgendwo hin und im Moment gibt es zumindest noch keinen besseren Ort", der massenhaft Protest erfordert. Mir suggeriert der Satz, dass Gorleben ja doch irgendwie gehen könnte, wenn nichts besseres gefunden  würde. Da hat der Autor was Grundsätzliches nicht kapiert: dass Gorleben eine geologische Katastrophe ist. Die Zeitung sollte massenhaft mit Protestbriefen eingeflutet werden.

 

Ist ja schön, dass die bürgerlichen Sesselpupser mal was Positives über "die langhaarigen Chaoten" der Antiatombewegung zu lesen bekommen, aber ich denke, die meisten Protestierer würden auf so was, wie das Bundesverdienstkreuz dieses verlogenen Staates scheissen.

ob es sich um das Bundesverdienstkreuz, das Grabkreuz, das Christkreuz, oder das Hakenkreuz handelte... Menschen wie wir taten immer gut daran auf Kreuze zu verzichten. Nur auf ein Kreuz konnten viele Demonstranten vor einigen Tagen im Wendland leider nicht verzichten, das Rote Kreuz.

Du machst Dein X auf der Strecke und nicht aufm Stimmzettel.

 

http://www.castor.de/diskus/sonst/dasx.html

"Eine kleine Gruppe hielt sich nicht an die Absprachen, dass es rund um den Castor keine Aktionen geben soll, die Menschen gefährden oder verletzen."

Unsinn. Hunderte haben bewußt mit militanten Aktionen dazu beigetragen, die Castor-Strecke und die polizeilichen Versorgungswege zu sabotieren. Dies ist Teil des Widerstands ("ja, wir stören!"), ob nun von Bewegungsmanager_innen wie Jochen Stay gewollt oder nicht.

Es ist ja schön, dass sich die linksreformisitische Politprominenz auch mal wieder auf den castorzug aufspringt, dadurch werden ja die massen erreicht?!

 

Was Herr Stay allerdings vergisst, ist dass es weder der BUND noch die Gewerkschaften waren, die den Zug aufhielten, 126h lang!

 

Mögen die doch sabbeln was sie wollen.

 

Entschlossene Aktivist_innen haben den Zug mit vielfältigen Aktionen aufgehalten! ob bunt oder dunkelbunt, durch ihre Vielfalt ist die Bewegung im Wendland so erfolgreich!

 

Wenn Herr Stay jetzt probiert diese Bewegung zu spalten in gut und böse, gewälttätig und gewaltfrei, erliegt er einem großen Fehler!

 

Für die gegenseitige Solidarität unterschiedlicher Aktionsformen des Widerstands!