Malalai Joya und Mathis Chiroux: Erstickte Stimmen unter dem Tränengas der Polizei in Strasbourg
Malalai
Joya (31) ist jüngstes Mitglied des afghanischen Parlaments. Sie ist
eine von 68 Frauen, die 2005 in das Unterhaus der Nationalversammlung
(Wolesi Jirga) mit 249 Sitzen gewählt wurden. Nachdem sie sich gegen
die Fundamentalisten und früheren Warlords im Parlament gewandt hatte,
wurde sie im Mai 2007 suspendiert. Malalai Joya steht der Gruppe
»Organization for Promoting Afghan Women’s Capabilities« (OPAWC) im
Westen ihres Landes vor. Sie hat mehrere Mordanschläge überlebt und
kann in Afghanistan nur mit bewaffneten Wächtern reisen.
Matthis
Chiroux wollte sich am 4. April bei der Auftaktkundgebung der
Anti-NATO-Demonstration in Strasbourg öffentlich bei der afghanischen
Aktivistin für seine Beteiligung an der Besetzung ihres Landes
entschuldigen. Die Veranstaltung wurde jedoch durch einen
Tränengasangriff der französischen Polizei gesprengt. So trafen sich
die beiden am folgenden Tag auf dem Podium des Kongresses »No NATO – No
War«:
Matthis
Chiroux: Hallo, alle. Mein Name ist Matthis, und ich bin immer noch
Sergeant in der US-Armee, hoffentlich nicht mehr lange. Und hier ist
Malalai Joya aus Afghanistan. 2005 habe ich für kurze Zeit geholfen,
Malalais Land zu besetzen, und das war Unrecht. Es war ein Fehler. Ich
hätte nicht da sein sollen. Ich hätte diese Unterdrückung ihres Volkes
nicht unterstützen dürfen. Ich möchte dir sagen, Malalai, wie sehr ich
die Gewalt bedauere, die meine Armee deinem Volk, deinem Land angetan
hat. Ich möchte mich bei dir für die Rolle entschuldigen, die ich dabei
gespielt habe. Ich war im Unrecht, und ich werde dir zeigen, daß mein
Land und der Rest der Welt zu einem Punkt kommen können, wo sie Unrecht
zugeben, sich entschuldigen und eine Art Versöhnung anbieten können.
Ich
habe nicht viel zu geben, Malalai, aber ich würde dir gern dieses
kleine Symbol für meine Versöhnung und unsere gute Freundschaft
anbieten, die auf diesem Kongreß geschlossen worden ist. Diese
Freundschaft wird bestehen, und hoffentlich können die Freundschaft von
Malalai und mir als Vorbild für andere Menschen in anderen Ländern
dienen.
Ich
möchte Malalai diese Brosche geben. Die Taube ist ein internationales
Symbol für den Frieden. Ich möchte sie dir gern schenken, Malalai, und
dich bitten, sie als ein Zeichen unserer Versöhnung anzunehmen. Wenn
amerikanische und andere Soldaten zu demselben Ort kommen könnten,
wissend, daß sie Unrecht getan haben, und sich bei dem Volk, dem sie
Unrecht getan haben, entschuldigen und Freundschaft suchen könnten,
dann können wir Frieden haben, und es macht nichts, was unsere
Regierungen tun.
Malalai
Joya: Ich bin sprachlos vor Dankbarkeit, mein lieber Bruder. Ich habe
nichts an dich weiterzugeben als die Liebe meines Volkes. Ich gebe sie
an dich, und ich gebe meinem Volk auch deine Liebe weiter. Und ich
möchte dir sagen, daß es deine Regierung ist, die sich vor allem bei
großen Menschen wie dir entschuldigen muß: Sie betrügen euch, und sie
benutzen euch für keine gute Sache; sie benutzen euch für einen Krieg,
der nur zum Leiden meines Volkes beiträgt. Und es ist eure Regierung,
die sich beim afghanischen Volk dafür entschuldigen muß, daß sie in
sein Land eingedrungen ist und ihm eine Mafiaregierung von Warlords und
Drogenbossen aufgezwungen hat. Nicht nur beim afghanischen Volk,
sondern ebenso beim Volk des Irak, dessen Land sie besetzen ließ und
das sie betrügt. Und jetzt führen sie auch Krieg in Pakistan. Die
US-Regierung muß sich vor allem bei den friedliebenden Menschen ihres
Landes entschuldigen.
Ich
war gestern bei der Demonstration. Ich wollte dort im Namen meines
Volkes sprechen, um die falsche Politik der US-Regierung und besonders
die der NATO aufzudecken, weil die Regierungen ihrer Mitgliedsländer
seit sieben Jahren der verheerenden Politik der USA gefolgt sind, einer
Politik, die ein Hohn auf jegliche Demokratie ist. Bitte erheben Sie
alle, so laut Sie können, Ihre Stimme gegen die Kriegstreiberei Ihrer
Regierung und auch gegen die USA, die besetzen und besetzen möchte.
Bitte erheben Sie Ihre Stimme gegen die falsche Politik der
Obama-Regierung, die jetzt mehr Truppen nach Afghanistan senden und um
ihrer eigenen strategischen Gewinne willen Kompromisse mit den brutalen
Taliban und anderen Terroristen eingehen möchte, was meinem Volk mehr
Konflikte und Krieg bringen wird.
Quelle: junge Welt, Wochenendbeilage, 18./19.4.09
AutorIn: Malalai Joya / Mathis Chiroux
Sergeant Matthis Chiroux apologizes to Malalai Joya - YouTube vi
This is a video of the apology of Sergeant Matthis Chiroux to Afghan activist Malalai Joya in Strasbourg on April 5, 2009:
http://www.youtube.com/watch?v=pcFT1y-Fo80