Occupy Frankfurt - ich lieb dich, ich lieb dich nicht....Eine Zwischenbilanz
Kaum jemand kannte die Gruppe Occupy Frankfurt, die für den 15. Oktober 2011 zu einer Demonstration vor der Europäischen Zentralbank/EZB aufgerufen hatte. Den wenigsten waren Inhalte und Forderungen bekannt. Niemand wusste, was es zu bedeuten hat, wenn die Initiatoren ankündigten: Wir sind gekommen, um zu bleiben. Niemand kam, weil er/sie das Flugblatt, die Erklärungen der Gruppe gut fand. Was eigentlich für einen Flop spricht, wurde ein Herbstmärchen: Über 8.000 Menschen folgten diesem Lockruf, eine Überraschung für die Initiatoren und für viele, die die politische Landschaft - gerade in Frankfurt - kennen. Dementsprechend viele ›Unverdächtigte‹ kamen, Menschen, die noch nie auf die Straße gegangen sind, die ihre Unzufriedenheit gegenüber der Politik und den Banken zum Ausdruck bringen wollten. Die üblichen Verdächtigen, die bekannten politischen Akteure blieben deutlich in der Minderheit und im Hintergrund. Aufgrund dieser Just-in-time-Demo war fast alles improvisiert, sympathisch, erfrischend naiv, aufgeschlossen, ungewiss und vielsagend.
Wer die Querelen in Frankfurt (und auch anderswo) unter den politisch Aktiven leid ist, die endlosen Diskussionen über den richtigen unverkürzten, antikapitalistischen Weg, der mindestens 20 rassistische, deutsch-nationale, antisemitische Schnittmengen, Affinitäten, Konnotationen glaubhaft aus dem Weg räumen muss, bevor der erste Schritt gemacht werden darf, der war zufrieden und atmete auf. Endlich neue Leute, eine neue Unbeschwertheit, eine neue Unverkrampftheit. Anstatt auf 100 Stoppschilder zu achten und 88 No-Go-Regeln zu befolgen, durften fast alle fast alles sagen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war der Umstand, dass die ZuhörerInnen der ›asamblea‹ (der Versammlung) die Arme kreuzten und damit ihren Unmut zum Ausdruck brachten.
Neben all dem Neuen, Unbedarften und Frischen, gab es auch viel Bekanntes: Die kleine Gruppe der Initiatoren hatte eine vage Idee und musste folglich auf viel Bewährtes zurückgreifen. Also übernahm ATTAC-Frankfurt gut 80 Prozent des Programmes, bis die asamblea vorbei war und Attac fast eingepackt hätte, weil die Übergabe an ›Occupy Frankfurt‹ mangels realer Existenzen fast gescheitert wäre. Danach war eigentlich auch schon Schluss, bis auf den Aufruf, Zelte aufzubauen, die vom Ordnungsamt unter der Auflage genehmigt wurden, dass keine Heringe in den sensiblen Rasen gerammt werden dürfen. Nun sind fünf Tage vergangen. Die 7.900 Menschen sind wieder zurück im Alltag und ca. 50 - 70 aufgeschlagene Zelte zeugen noch von jenem wundersamen Ereignis. Es finden Vollversammlungen statt, es gibt Arbeitsgruppen, es gibt viel Alltägliches zu erledigen, vor allem, weil es zunehmend kälter und unfreundlicher wird. Die Stimmung vor Ort wird als gut beschrieben, die Polizei findet die CamperInnen »schon sehr lieb« und das Ordnungsamt hat das Zeltlager vor der EZB bis zum 29.Oktober genehmigt. Und noch sind fast jeden Tag drei bis vier Fernsehkameras da, um etwas Neues zu berichten. Auch die FR hat ›Occupy Frankfurt‹ ins Herz geschlossen, berichtet von ganz drinnen und ganz nah und schließt ihren zweiseitigen Bericht vom 20. Oktober mit den Worten: »Occupy hat keine Strukturen, keine Hierarchie, noch keine gemeinsamen Ziele. Und auch Steffi glaubt, dass es noch Zeit brauche, das sich die Bewegung erst finden müsse.«
Ist ‚Occupy Frankfurt‘ etwas ganz Neues, die Frucht vergangener Proteste, die Saat, die nun, mit neuem Schwung und neuen Gesichtern aufgeht?
Vor zwei Jahren gab es in Frankfurt zwei große Demonstrationen, mit über 10.000 Beteiligten, unter dem Motto: ›Wir bezahlen nicht für eure Krise‹. Man war sich einig, dass man nicht für das Destaster der Banken und der sie schützenden Politiker bluten wollte. Die Ziele und Forderungen reichten von der Zähmung bis zur Überwindung des Kapitalismus, also von einem guterzogenen bis zu gar keinem Kapitalismus. Doch bevor sich die Beteiligten einigen konnten, wie man für das eine oder andere sorgen kann, waren sie wieder verschwunden. Lag es an der fehlenden Zeit, an den üblichen Verdächtigen, an der fehlenden Konsequenz, selbst dafür zu sorgen, dass das nicht länger geschieht, was man partout nicht will?
Vor genau einem Jahr wollte die Georg-Büchner-AktivistInnen eine Finanzzentrale in Frankfurt für einen kompletten Arbeitstag blockieren. Der Kern der Idee war, nicht mehr von A nach B zu laufen, mit Forderungen, die sich nicht einlösen, indem man sie unentwegt ruft. Es ging darum, nicht länger auf Banken zu schimpfen, um sie herumzulaufen, also sie in Ruhe (weitermachen) zu lassen, sondern einen Fuß in die Tür zu stellen, sie zu stören, sich ihnen in den Weg zu stellen, zumindest für einen Tag. Die meisten Beteiligten waren davon überzeugt, dass die Zeit dafür reif ist, dass es vielen unter den Nägeln brennt, den vielen Klagen, Analysen, Aufforderungen, den vielen: Man müsste endlich.... auch Taten folgen zu lassen. Das Konfrontationsniveau war bewusst auf die Teilnahme vieler ausgelegt: Die Präsenz von 5.000 und X sollte den Geschäftsbetrieb einer großen Finanzzentrale für einen Tag unterbinden, indem man alle Eingänge und Zugänge zu diesem Finanztempel blockiert. Alle waren sich sicher, dass das eine machbares Anliegen ist, wenn doch so viele davon überzeugt sind, dass man die Macht der Banken brechen müsse - nicht mit Versprechungen, mit Forderungen, mit Apelles, sondern indem man die eigenen Bekundungen ernst nimmt. Dennoch gelang es nicht, die allgemeine Erkenntnis, die weitverbreitete Unzufriedenheit in eine konkrete Teilnahme umzuwandeln. Die Blockade wurde abgesagt. Lag es daran, den Grünstreifen der vielen Forderungen und Appelle zu verlassen? Lag es daran, dass die meisten die Macht der Banken gar nicht selbst brechen, sondern brechen lassen woll(t)en (von einer guten, also einsichtigen Regierung, einer besseren Opposition)? Lag es an einer verkürzten Kapitalismuskritik oder an zu viel Kapitalismuskritik? Lag es daran, dass wir die ›Unverdächtigen‹ nicht erreichen, nicht gewinnen konnten, also all jene, die heute Occupy Frankfurt so sympathisch erscheinen lassen?
Kann man von Occupy Frankfurt lernen? Ist Occupy Frankfurt die Antwort auf das Scheitern aller vorangegangener Proteste?
Occupy Frankfurt ist nicht deshalb ein Erfolg, weil es aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, sondern weil es mit alldem nichts zu tun hat oder zu tun haben will. Weder beziehen sie sich die Initiatoren darauf, noch sind sie eine Antwort darauf. Occupy Frankfurt steht vor all den Problemen, die anderen Protestbewegungen Kopf und Kragen gekostet haben. Das Problem ist doch nicht, 10.000 Menschen auf die Straße zu bringen, die unzufrieden sind. Wer das will, muss nur all das aufzählen, was unzufrieden macht, und sich den zahllosen Appellen, es müsse sich endlich etwas ändern, anschließen und hinzufügen, dass alle anderen lügen und uns bislang verarscht haben. Dann muss man noch alle (etablierten) Parteien blöd finden und darauf verweisen, dass wir 99 Prozent sind und kraftlos darunter leiden. Dagegen ist nicht einzuwenden. Schließlich ist jeder Schritt aus der Vereinzelung besser, als die Vereinsamung der Unzufriedenheit. Das ist aber auch nicht neu, schon gar kein Neuanfang. Das Problem ist also nicht, die Unzufriedenheit sichtbar zu machen, sondern aus der Ohnmacht dieser Unzufriedenheit auszubrechen, aus Opfern Handelnde zu machen, denen mit Taten zu begegnen, denen man Tatenlosigkeit vorhält, die, die machen, was sie wollen, daran hindern, dass sie dies fortgesetzt, ungestraft und folgenlos tun können. Das Problem ist nicht, einen genehmigten Ort des Protestes zu finden, sondern den genehmigten Ort des Protestes zu verlassen! Nun wird immer wieder gesagt, die ›Bewegung‹ sei jung, brauche Zeit, müsse sich finden und formulieren, um aus der Repräsentanz der Unzufriedenheit eine Bewegung der Unzufriedenen zu machen. Wer ihr das Fehlen von Zielen und Konsequenzen vorhalte, ersticke die Bewegung im Keim. Diese Mahnung zur Geduld ist sympathisch ... und irreführend. Denn die Zweifel an Occupy Frankfurt kommen nicht vom Hochsitz der wahren Erkenntnis, sondern aus zurückliegenden Erfahrungen. Wie will man die Macht der Banken, der Finanzwirtschaft brechen, außer in Beschwörungen und Worten? Wie will man verhindern, dass die Krise der Ein-Prozent-Elite auf die 99 Prozent abgewälzt werden? Will man einen guten, also gezügelten Kapitalismus, der auch für das letzte Drittel genug übrig lässt? Und wenn man die Finanzkrise nicht für einen Exzess hält, sondern für eine immanente Krise des Kapitalismus, dann stellt sich die Frage nach einer anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung! Wer von Letzterem überzeugt ist, muss nicht nur eine exzellente Kapitalismuskritik haben, sondern auch eine Vorstellung davon, wie das ganz Andere aussehen könnte und wie wir ohne Spiderman und Timebandit dort hinkommen. Wie will man aus dem Momentum einer Demonstration eine dauerhafte Struktur machen, die direkte Demokratie nicht nur gut findet, sondern praktiziert? Auf all diese Fragen hat weder Occupy Frankfurt, noch die vorangegangenen Protestbewegungen eine Antwort gefunden. Occupy Frankfurt steht also nicht wo ganz anders, sondern vor all diesen ungelösten, angerissenen Fragen. Es macht also keinen Sinn, dies Occupy Frankfurt vorzuwerfen, sondern gemeinsam die Fragen öffentlich zu diskutieren - im Wissen um all die Erfahrungen, die vor Occupy Frankfurt gemacht wurden.
Occupy Frankfurt - der außerparlamentarische Arm der ›Realwirtschaft‹?
Occupy Frankfurt hat nicht nur unter den Beteiligten viel Sympathien. Die 8.000 Menschen sind nicht auf die Straße gegangen, weil Occupy Frankfurt ihnen die Augen geöffnet hat, sondern weil sie von den vielen Leitmedien buchstäblich auf die Straße getrieben wurden. Während die Protestbewegung ›Wir zahlen nicht für eure Krise‹ , die Georg-Büchner-Initiative weitgehend verschwiegen wurden, holten die Leitmedien die Facebook-Aktion aus dem Internet ins Fernsehen und in die Leitartikel der Printmedien. Noch am Abend zuvor durfte ein Sprecher von Occupy Frankfurt im Nachtmagazin der ARD in aller Ruhe und ohne Unterbrechungen für das Anliegen werben. Das lag nicht nur daran, dass der Sprecher jung und tadellos war und einem Peer Steinbrück aus dem Herzen gesprochen hat. Es hat auch etwas damit zu tun, dass Occupy Frankfurt in einer gravierend anderen politischen Situation agiert. Sie könnten so etwas wie der außerparlamentarische Arm einer Fraktion der politischen Klasse sein, die die Macht der Banken reduzieren möchte, bevor diese den Kapitalismus selbst unter sich begräbt. Parteiübergreifend formulieren politische Schwergewichte, dass die Finanz-Märkte nicht länger die Politik vor sich hertreiben dürften, dass die Billionen an Verluste aus der Finanzwirtschaft, die erst verstaatlicht und nun zu Staatskrisen führten, das kapitalistische Projekt als Ganzes gefährden. Lassen wir einmal beiseite, ob diese Initiativen innerhalb der politischen Klasse ernst gemeint sind bzw. ob sie die politische Macht haben, den systemischen Banken etwas aufzuzwingen. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Fraktion ganz sicher die Drohung der ›Straße‹ braucht, um sich Gehör zu verschaffen. Zurzeit werden nicht nur unter ATTAC und ›alternativen‹ Wissenschaftlern Forderungen erhoben, die vor zwei Jahren noch für unrealistisch und weltfremd, heute für machbar und notwendig gehalten werden: Das Verbot von Derivaten, die Einführung einer Spekulationssteuer, die Trennung von Investmentbanking und Kreditbanken, die Erhöhung der Eigenkapitalquote von Banken. Selbst die weitere Verstaatlichung von Banken wird diskutiert. All dies tut ein Teil der politischen Klasse nicht, um den Kapitalismus abzuschaffen, sondern um ihn sicherer zu machen. Die Frage innerhalb von Protestbewegungen: was will man eigentlich und wem spielt man (ungewollt) in die Karten, ist nicht neu, aber sie bekommt eine machtpolitische Brisanz. Die Diskussion darüber, ob die politische Klasse das Gewicht der verschiedenen Kapitalfraktionen (Finanzkapital versus Industriekapital) neu austarieren kann, ob das tatsächlich gewollt ist und ob es überhaupt möglich ist, müsste also eröffnet werden. Wer hätte z.B. vor 20 Jahren gedacht, dass der ›Atomstaat‹ der 80er Jahre tatsächlich bereit und willens ist, auf Atomenergie langfristig zu verzichten! Wer also heute und morgen die Macht der Banken brechen will, muss sich nicht nur die Diskussionen innerhalb der Protestbewegungen in Erinnerung rufen, sondern auch die politischen Machtverhältnisse.
Also was tun?
Zweifellos wäre es mehr als sinnvoll, die vielen Gedanken, Überlegungen, die vor Occupy Frankfurt und mit Occupy Frankfurt im Raum stehen, zu diskutieren, zu strukturieren, die verschiedenen Ansätze von einem gezähmten bis hin zu gar keinem Kapitalismus vorzustellen, durchzubuchstabieren und miteinander ins Gespräch zu bringen. Da es kalt wird und eine solche Diskussion gute Bedingungen bräuchte, könnte man eine solche ›Volksuni‹ genau dorthin verlegen, wo unser Geld schon längst ist: in eine der vielen ungenutzten Konferenzräume der Banken. Theorie und Praxis wären so auf eine unkomplizierte Art und Weise miteinander in Kontakt.
Wenn man direkte Demokratie will, und die Ad-Hoc-Plenen in der Taunusanlage nur für eine temporäre und provisorische Angelegenheit hält, muss man andere, dauerhafte Strukturen ins Leben rufen. Obwohl so gern und vielsagend auf die Bewegung der Indignados (Empörten) in Spanien geschaut wird, so laut und offen sollte man auch darüber reden, warum sie von den zentralen Plätzen verschwunden ist. Dann gäbe es Zeit und Raum, darüber zu diskutieren, ob eine dezentrale Struktur aus den Stadtteilen heraus und in den Stadtteilen verankert, ein beständiger Versuch wäre, der Willkürlichkeit und Zufälligkeit von Entscheidungen eine tatsächliche Beteiligung aller ›Empörten‹ entgegenzusetzen.
Wie könnte man sich der Bank, dem Übermächtigen, denen, die angeblich too big to fail (zu groß, um zu fallen) sind, nähern, wenn man sich eingesteht, dass man gar nicht so recht weiß, wie man an sie herankommen kann? Die bittere Erfahrung mit dem Schauspielhaus ist ein guter Wink in die richtige Richtung. Die Schauspielhaus-Direktion lehnte eine Unterstützung von Occupy Frankfurt mit der Begründung ab, sie werde auch von Banken mitfinanziert. Deshalb wolle man in diesem Konflikt neutral bleiben….ein auch künstlerisch nicht gerade gelungene Rede für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kunst. Es gibt zahlreiche Orte, Institutionen, Einrichtungen und Wohltätigkeiten, die ohne das Geld der Banken nicht existieren können. Dieser Spur des Bankensponserings nachzugehen, wäre eine ganz konkrete Erfahrung, herauszufinden, wo überall Bank drin ist, ohne dass es draußen drauf steht. Dieser Lernpfad würde nicht nur das weit verzweigte Machtgefüge der Banken aufzeigen. Es böte auch die direkte Möglichkeit, mit den devoten EmpfängerInnen in Kontakt zu treten – ein Ritt in die Moderne feudalistischer Wohltätigkeiten.
Sympathietest
Am Ende könnte durchaus eine Blockade eines Finanzzentrums stehen. Schließlich gäbe kein besseres Mittel, die große Sympathie der Leitmedien und vieler Politiker dadurch auf die Probe zu stellen: Finden sie es alle nur gut, dass die Unzufriedenheit einen genehmigten und störungsfreien Platz hat oder kann man ihr jahrelanges Klagen darüber, dass die (erpresserische) Macht der Finanzwirtschaft gebrochen werden muss, beim Wort nehmen?
Wolf Wetzel Oktober 2011
Ex-Georg-Büchner-Initiative
Wer sich in Aufrufe, Texte und Analysen rund um die AG Georg Büchner einlesen möchte, dem sei hierhin verwiesen: http://wolfwetzel.wordpress.com/category/04-texte/ag-georg-buchner/
verkürzte Kapitalismuskritik und struktureller Antisemitismus
Occupy – Eine Bewegung zwischen verkürzter Kapitalismuskritik und strukturellem Antisemitismus.
Ein Artikel zum Thema von mir auf: http://bea.blogsport.de/2011/11/08/occupy-eine-bewegung-zwischen-verkuer...