Wie wirkt sich das ökonomische Ordnungsprinzip Kapitalismus auf das Herrschaftsverhältnis und die Diskriminierungsform Speziesismus aus? Stabilisiert Speziesismus menschenbezogene Chauvinismen? Welche symbolischen, psychologischen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Eigenarten weisen Speziesismus, Sexismus und Rassismus auf?
Im folgenden Text von Andre Gamerschlag wird der Unity Of Oppression Ansatz vorgestellt und diskutiert weshalb Unterdrückungsmechanismen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können.
Einheit der Unterdrückung und (Über-)Kreuzungen
Theoriegeschichtliche Aspekte des Unity Of Oppression-Ansatzes und forschungsprogrammatische Überlegungen der aktuellen Diskussion um Intersektionalität
Das
Unity Of Oppression-Konzept ist eine Erweiterung der
Dreifachunterdrückungsthese des Black Feminism durch die
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung. Die Diskussion um das Konzept
begann und endete in den 90ern und ist heute fast nur noch von
bewegungshistorischem Interesse. Die aktuelle wissenschaftliche
Diskussion um Intersektionalität (forciert von der Frauen- und
Geschlechterforschung) bietet jedoch Anschlussmöglichkeiten an die
Diskurse der 90er. In diesem Beitrag – ein ausgekoppeltes Kapitel aus
meiner im Erscheinen befindlichen Einführung in die
Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung „In sozialer Bewegung für die
Befreiung der Tiere: Theorie, Praxis, Diskurse“ – zeichne ich die
Entwicklung und die Kerngedanken beider Ansätze nach. (...)
Triple Oppression
Ende der 70er Jahre wurde in den USA vom Black Feminism (namentlich u.a. dem Combahee River Collective) eine neue Diskussion innerhalb der Frauenbewegung angestoßen, die dann auch auf andere Forschungsfelder und politische Bereiche überging. Dabei stand die Kritik an der Homogenisierung (Gleichmachung) von Frauen im Vordergrund (vgl. The Combahee River Collective). Die feministischen Ansätze jener Zeit versuchten mehrheitlich, ein gemeinsames „Wir“ der Genus-Gruppe „Frau“ zu konstruieren. Männer haben immer die Kultur und andere gesellschaftliche Bereiche geprägt und die Geschichte geschrieben. Durch den Feminismus sind auch die Frauen zum Subjekt der Geschichte geworden und können aktiv gestalten. Ein gemeinsames „Wir“, also eine gleichartige Gruppe „Frau“ als Subjekt, erschien notwendig, um den hegemonialen Androzentrismus (vorherrschende männliche Sicht und Weltanschauung) zurückdrängen zu können (so z.B. Schrader-Klebert). Das Combahee River Collective kritisierte diese Homogenisierung, denn sie geht mit der Ausblendung der Unterschiede unter Frauen einher. So arbeiteten die kritisierten feministischen Ansätze mit einem Frauenbild, was nur auf „weiße“ Mittelschichtsfrauen zutrifft. Farbige Frauen (oft gleichbedeutend mit Zugehörigkeit zur Unterschicht) konnten sich mit dem Mainstream-Feminismus nicht identifizieren, weil dieser nicht ihre Problemlagen widerspiegelte. Deutlich wird dies, wenn man fragt, was die „weiße“ Mittelschichtsfrau mit ihrer farbigen Haushälterin zu tun hat. Es kam der Begriff „Triple Oppression“ (Mehrfach-, Dreichfachunterdrückung) auf, um die Überlagerungsmöglichkeit der Benachteiligungen durch Klasse, „race“/Ethnie und Geschlecht zu thematisieren. Die „farbige Frau“, die meist aus der Unterschicht kommt, ist durch alle drei Formen benachteiligt, die Frau aus der Mittelschicht hingegen nur durch ihr Geschlecht.
In Deutschland
wurde Triple Oppression mit unterschiedlicher Ausrichtung diskutiert.
Gleich blieb jedoch der Hintergrund, dass in Konzepten zu Klasse,
„race“/Ethnie oder Geschlecht meistens die anderen Kategorien übersehen
werden. Meulenbelt (1988) zeigt in ihrem Buch „Scheidelinien. Über
Sexismus, Rassismus und Klassismus“, welche Rassismen und
klassenspezifischen Ausblendungen und Benachteiligungen in der
Frauenbewegung existier(t)en. Der Feminismus berücksichtigte zu wenig
die Kategorie Klasse und der Marxismus, sowie die
Ungleichheitsforschung berücksichtigen Geschlecht nur marginal (vgl.
Gottschall: 15). Während die feministische Rezeption der Debatte
zunächst an der Kritik der Homogenisierung anschloss, wurde in
linksradikalen Kreisen daraus eine Kritik am Konzept
„Haupt-/Nebenwidersprüche“. Orthodoxe MarxistInnen bezeichnen den
Klassengegensatz als Hauptwiderspruch. Rassismus und Sexismus werden
dem hingegen als Nebenwidersprüche klassifiziert. Oft geht damit der
Glaube einher, dass die Nebenwidersprüche automatisch aufgehoben
werden, sobald der Klassengegensatz überwunden wurde. Das heißt, so die
vorherrschende Meinung im orthodox interpretierten Marxismus, dass
Sexismus und Rassismus in sozialistischen und kommunistischen Systemen
nicht existieren können. Für diese These gibt es jedoch keinerlei
Belege. Die Arbeiterbewegung und der real existierende
Sozialismus/Kommunismus haben, trotz einiger progressiver
Entwicklungen, eher das Gegenteil gezeigt. Auf der politischen Ebene
wird durch die Einteilung in Hauptwiderspruch und daraus resultierender
Nebenwidersprüche eine Gewichtung der Arrangements bestärkt und
rationalisiert. Wer daran glaubt, dass nur der Klassengegensatz
aufgehoben werden muss, um alle anderen Übel zu lösen, wird sicher
nicht mit gleichem Einsatz gegen Rassismus und Sexismus vorgehen, wie
gegen Kapitalismus und Klassismus1. Erst Ende der 1980er wehrten sich
linksradikale Frauen, aber auch Männer, vermehrt gegen diesen
dogmatischen Dualismus. Innerhalb dieses Diskurses wurde Triple
Oppression zum Schlagwort für die gleichwertige Anerkennung und
Thematisierung von Rassismus, Sexismus und Kapitalismus/Klassismus. Der
Aufsatz „Drei zu Eins. Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus“ von
Viehmann und GenossInnen (1990) wurde zum zentralen Plädoyer für das
Triple Oppression Konzept in der linken Diskussion. Seit den 1990ern
ist die Gleichberechtigung der drei Achsen mehr oder weniger
vorherrschend im Gedankengut in diesen Kreisen.
Unity Of Oppression
Möglicherweise
war es die Band Consolidated, die 1991 auf ihrem Album „Friendly
Fascism“ den Begriff „Unity Of Oppression“ prägte. Ihre Interpretation
des Begriffes, das zeigt der Songtext, zielte auf die Vereinigung der
Emanzipationsbemühungen verschiedener Minderheiten, die Seite an Seite
kämpfen sollten. In Anlehnung an Consolidated führte die Vegane
Offensive Ruhrgebiet (VOR) ihn im selben Jahr in die deutsche Diskussion
(in linksradikalen und tierrechtlerischen Kreisen) ein, um darüber –
ebenso wie beim Triple Oppression-Konzept – eine Kritik an der Trennung
Haupt-/Nebenwidersprüche zu transportieren. Anders als Consolidated
interpretierte die VOR die „unity“ nicht im Sinne, dass Minderheiten
ihre Kämpfe verbinden sollten, sondern in dem Sinne, dass es nicht
darum geht einzelne Formen von Herrschaft abzulehnen, sondern
Unterdrückung und Herrschaft als Ganzes (unity) zu betrachten und zu
bekämpfen. Die Trennung in Hauptwiderspruch und Nebenwidersprüche führt
mit dazu, dass Speziesismus von vielen Linken nicht anerkannt wird.
Diese Verkennung äußert sich in Kommentaren wie z.B. „Ich find das ja
nicht schlecht mit den Tieren. Aber erst einmal muss man doch etwas an
den menschlichen Problemen verändern“. 1995 erschien ein
Vorbereitungspapier der Gruppe Radikale Antipatriarchale
TierrechtlerInnen (RAT), welches als Diskussionsgrundlage für eine
Arbeitsgruppe auf dem Autonomie-Kongress2 1995 diente. Hier wird die
Kritik expliziert: „Während die Theorie [der Triple Oppression]
durchaus die Komplexität von Unterdrückung darstellt und eine
Ausweitung immerhin möglich macht, wird in der Praxis oft alles auf
diese drei Unterdrückungsverhältnisse reduziert. Damit wird
letztendlich ein neuer ‚Hauptwiderspruch‘ geschaffen“ (RAT). Nicht nur
der Speziesismus bleibt unbeachtet, auch andere menschenbezogene
Unterdrückungs- und Benachteiligungsformen wie „ageism“ (aufgrund von
Alter), „lookism“ (aufgrund des Aussehens) oder „ableism/bodyism“
(aufgrund von Nicht-/Fähigkeiten) werden nicht integriert (ebd.).
Ebenso wie der VOR (aber auch der TAN) ging es den RAT nicht um eine
Verlagerung der Grenzen zwischen Haupt- und Nebenwidersprüchen, sondern
um die Auflösung dieser Einteilung3. Anstatt die politische Brisanz im
Patriarchat, Rassismus oder Kapitalismus zu suchen, sollte das
Augenmerk allgemein auf Unterdrückung gelegt werden. „Deshalb ist es
notwendig, jede Form von Unterdrückung einzeln zu benennen und sie
nicht unter Oberbegriffe zu subsumieren. Wenn ein Oberbegriff für
Unterdrückungsverhältnisse überhaupt gebraucht werden sollte, dann kann
er nicht Triple Oppression, sondern müßte Unity of Oppression heißen.“
(ebd.) Ich möchte noch einmal anmerken, dass TAN, RAT und VOR ihre
Forderungen nach Abschaffung des Haupt-/Nebenwidersprüche-Dualismus an
die Anerkennung des Speziesismus als Form der Unterdrückung knüpfen.
Für die TAN hatte der Unity Of Oppression-Begriff mehrere Quellen bzw.
Vorüberlegungen. Sie sahen ein, dass Speziesismus nicht unbedingt mit
der Überwindung des Kapitalismus aufhört und daher eines eigenständigen
Befreiungskampfes bedarf. Die zweite Quelle ist der Triple Oppression
Ansatz (nach Viehmann und GenossInnen), der die Verwobenheit von
Unterdrückungsmechanismen und Befreiungen analytisch aufzuzeigen
versucht. Und zuletzt war ihnen wichtig, auch „neue“ menschenbezogene
Benachteiligungen und Herrschaftsmechanismen zu berücksichtigen. (vgl.
V-Gruppe: 71)
Quasi als Fazit der drei genannten Punkte formulierte eine Gruppe der TAN:
„Der ‚unity-of-oppression‘-Ansatz versucht aufzuzeigen, welche
verschiedenen Interessengruppen und Unterdrückungsformen es gibt und
ist so formuliert, daß es sowohl die Eigenständigkeit, als auch
Verwobenheit, Überschneidungen und Abhängigkeiten aufzeigt. Aus
anarchistischer Sicht heißt dies in Kurzform ‚keine Herrschaft‘
auszuüben, das heißt diese zu bekämpfen. Der Ansatz
‚unity-of-oppression‘ ist somit ein Äquivalent zum (um z.B. Tierrechte)
erweiterten anarchistischen Ansatz [sic!], mit dem Unterschied, daß es
sich mehr auf Analyse und Beschreibung konzentriert.“ (ebd.)
Sie
erachteten den Ansatz für wichtig, weil er zwei Wege öffnet. Einerseits
können Personen, die sich bisher nur mit Tierrechten befasst haben,
durch Unity Of Oppression auch für andere Benachteiligungen
sensibilisiert werden. Andererseits sollte mit dem Konzept versucht
werden, die Idee der Tierrechte an Linksradikale zu vermitteln. (ebd.:
71f)
Intersektionalität
2002
stellten Lejeune und Lindenbaum fest, dass der Ansatz nach seiner
frühen Ausformulierung nicht weiter ausgebaut und gefestigt wurde und
dass er scheinbar nicht als Aufruf zu Forschungstätigkeiten verstanden
wurde. Außerdem bliebe die Frage offen, ob eine Auflistung möglichst
vieler verschiedener Unterdrückungs- und Benachteiligungsformen
perspektivisch und politisch Sinn macht. Nötig sei eine Rückbesinnung
auf den Gedanken „einer Herrschaftskritik, welche auf der Einsicht in
die strukturelle Äquivalenz aller Unterdrückungsformen gründet.“ (81).
Korrekt ist, dass es unter dem Label Unity Of Oppression keine
tiefgreifenden Ausformulierungen oder Analysen gibt. Dennoch gibt es
Arbeiten, etwa von Carol J. Adams oder Birgit Mütherich, die in das
Bild einer Forschung der Unity Of Oppression passen, unabhängig davon,
ob die ForscherInnen selber diesen Namen verwenden. Die vermisste
Forschungstätigkeit findet unter einem anderen Label statt,
Intersektionalitätsforschung. In diesem Ansatz wird auch die Frage
verhandelt, welchen Nutzen die Aneinanderreihung verschiedener
Benachteiligungsformen hat. Leider fehlt hier jedoch die Betonung der
politischen Forderung der Unity Of Oppression. Im deutschen
Intersektionalitäts-Diskurs wird selten darauf verwiesen, dass alle
Formen von Unterdrückung und Benachteiligung gleichwertig thematisiert
und tabuisiert werden müssen. Diese Forderung wird jedoch im
politischen Bereich von einigen Gruppen gestellt.
Bisher
habe ich nur versucht die politische Dimension zu rekonstruieren, die
mit Triple Oppression und Unity Of Oppression assoziiert wird. Nun soll
noch eine forschungspragmatische Dimension dargestellt werden. Diese
manifestiert sich vorwiegend in akademischen Diskursen und Theorien,
wird jedoch auch im besagten politischen Aufsatz von Viehmann deutlich.
Dabei geht es um die Analyse der gegenseitigen Beeinflussung
verschiedener Formen der Benachteiligung und Ungleichheit. Auch in die
US-amerikanische Forschung hielt Triple Oppression Einzug. Hier wurde
auf der Ebene des Individuums breit untersucht, wie sich die
Überlappung mehrerer Benachteiligungen in den Erfahrungen und
Biographien von Einzelpersonen niederschlägt. Neben der Triade „Race“,
Class, Gender wurden teilweise Ethnicity und Sexuality (Objektwahl,
Sexualorientierung) als weitere Kategorien hinzugezogen.
1987
prägte die Juristin Kimberlé Crenshaw die Begriffe „intersectionality“
und „intersectionality analysis“ und verband damit das Bild einer
Kreuzung, an der sich verschiedene Achsen (Benachteiligungen und
Ungleichheiten) treffen (vgl. Klinger/Knapp: 34). Dieser Begriff ist
inzwischen in NGOs, der UN und auch der EU institutionalisiert und
verweist im politischen Kontext, ebenso wie das Triple
Oppression-Konzept im ursprünglichen Kontext in den USA, auf multiple
Diskriminierung (ebd.). „Wissenschaftsprogrammatisch [steht es] für das
umfassende Programm einer integralen Analyse von Achsen strukturierter
Ungleichheit und kultureller Differenz“ (ebd.: 35). Unter integraler
Analyse soll eine gleichwertige Betrachtung der verschiedenen Achsen
verstanden werden. Konzepte und damit arbeitende Forschungen, die eine
Kategorie hervorheben und andere nur marginal betrachten, werden
hingegen als „additiv erweitert“ bezeichnet. Hier stehen weitere
Kategorien nicht mit im Mittelpunkt und werden nur als kleiner Zusatz
beachtet (etwa: „Die sozialen Lagen der Berufsgruppen X, Y, Z sind so
und so, Frauen und MigrantInnen haben es noch einmal etwas
schlechter.“). Worin unterscheidet sich strukturierte Ungleichheit von
kultureller Differenz? Kulturelle Differenz verweist auf Unterschiede
zwischen Menschen, die keine Ungleichheit und Benachteiligung
darstellen, aber meist dazu führen. Es geht also um Benachteiligung
aufgrund von Gruppenzugehörigkeit. Hierunter lassen sich z.B.
Diskriminierungen von Behinderten, MigrantInnen und
Nicht-Heterosexuellen fassen. Außerdem verweist der Begriff kulturelle
Differenz auf eine gleichwertige Anerkennung unterschiedlicher
Lebensstile und Identitäten. Helma Lutz findet in einer empirischen
Studie allein 14 menschenbezogene bipolare Differenzierungslinien wie
Kultur, Religion und Behinderung (vgl. ihren Artikel von 2001).
Strukturierte Ungleichheit verweist hingegen auf die Tatsache, dass
Mechanismen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (teilweise durch Gesetze
u.a. institutionalisiert) eine quantitativ messbare Benachteiligung
entlang gewisser Achsen verursachen. Ein Indikator dafür ist oft das
Einkommen. Die Tatsache, dass Frauen in Deutschland im
Gesamtdurchschnitt 23% weniger verdienen als Männer, ist z.B. eine
Frage strukturierter Ungleichheit und nicht der kulturellen Differenz.
Werden Frauen hingegen auf der sprachlichen Ebene herabgewürdigt,
handelt es sich um eine Diskriminierung aufgrund kultureller Differenz
und nicht um strukturierte Ungleichheit.
Die Ungleichheitsforscherin4 Leslie McCall unterscheidet drei
intersektionelle Zugangsweisen (vgl. Klinger/Knapp 2007: 36f):
Anti-kategoriale Zugangsweisen richten sich gegen die (absolute)
Gültigkeit der Kategorien. Hierunter fallen z.B. der
Sozialkonstruktivismus und der Dekonstruktivismus, die zur
Entnaturalisierung von „race“ und Geschlecht beigetragen haben.
Intra-kategoriale Zugangsweisen betrachten die Differenzen und
Ungleichheiten innerhalb einer Kategorie. Damit sind die frühen
Diskussionen gemeint, die auch unter dem Label Triple Oppression und
Homogenitäts-Frage geführt wurden. Und zuletzt versuchen
inter-kategoriale Zugänge die Verhältnisse und Wechselwirkungen
zwischen den Kategorien zu bestimmen. Die
IntersektionalitätsforscherInnen Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli
Knapp (2007) plädieren für eine Programmatik, die alle Zugangsweisen
beachtet, also sowohl die Differenzen innerhalb einer Gruppe, als auch
deren Konstruktionscharakter, als auch den Versuch einer Bestimmung der
Zusammenhänge (zwischen den verschiedenen „Achsen strukturierter
Ungleichheit und kultureller Differenz“). An dieser Programmatik können
diverse Forschungsfelder andocken. So gibt es z.B. den Versuch
Behinderung, Sexualität und Geschlecht intersektionell zu betrachten,
also eine gemeinsame theoretische Perspektive von Disability Studies5
und Queer Studies6 (Raab). Ebenso können auch die Human-Animal Studies
anknüpfen, wenn auch mit einer Reihe von Einschränkungen. Vor allem
Konzepte auf der Ebene der Anerkennungs- und Differenzpolitik7 oder das
Konzept des „doing difference“8 (Fenstermaker/West) können auch auf
Tiere übertragen werden. Schwerer wird es, wenn es um die Ebene
strukturierter Ungleichheit geht. Da Intersektionalität mit einem
anthropozentrischen Gesellschafts-Begriff arbeitet, dessen Subjekt „der
Mensch“ ist, wird Spezieszugehörigkeit nicht als strukturierendes
Merkmal aufgefasst. Speziesismus betrifft „nur“ nichtmenschliche Tiere,
welche keine Gesellschaftsmitglieder seien (obwohl sie
zwangsvergesellschaftet9 wurden) und somit hat er keine Auswirkungen
auf die „wirkliche“ anthropozentrische Gesellschaft. Ich persönlich
kann mir auch nicht vorstellen, wie Spezies als Strukturkategorie zu
denken sein könnte. Die Überlegung wäre vielleicht etwas für die
TheoretikerInnen der bzw. aus dem Umfeld der TAN. Auch wenn die
speziesistische Wissenschaft keine Anknüpfungspunkte auf der
Struktur-Ebene für die Human-Animal Studies vorsieht, so können die HAS
ihrerseits doch auf Zusammenhänge von Speziesismus und anderen Formen
der Benachteiligung oder Herrschaft verweisen. Intersectionality kann
ein Paradigma werden, innerhalb dessen sich ein Teil der neuen
soziologischen, sozialpsychochologischen, kulturanthropologischen, etc.
Human-Animal Studies verorten kann. So würde ich folgende Fragen
antispeziesistisch-intersektionell bezeichnen: Wie wirkt sich das
ökonomische Ordnungsprinzip Kapitalismus auf das Herrschaftsverhältnis
und die Diskriminierungsform Speziesismus aus? Stabilisiert
Speziesismus menschenbezogene Chauvinismen? Welche symbolischen,
psychologischen und kulturellen Gemeinsamkeiten und Eigenarten weisen
Speziesismus, Sexismus und Rassismus auf? (...)
Andre Gamerschlag
Fußnoten:
(1) Kapitalismus bezeichnet ein sozioökonomisches Prinzip zur
Organisation von Arbeit/Produktion und Ressourcenverteilung. Klassismus
wird als Herrschafts- oder Benachteiligungsform begriffen, wie auch
Sexismus und Rassismus, die sich aus der kapitalistischen
Produktionsweise ergibt.
(2) Ostern 1995 fand in Berlin der „Autonomie-Kongress der
undogmatischen linken Bewegungen“ statt, um über die Bewegungen, über
„revolutionäre“ Politik und konkrete Kampagnen und Strategien zu
sprechen. Eine Dokumentation des Kongresses erschien 1997 unter
gleichem Namen im Unrast Verlag (Münster).
(3) Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass alle drei Gruppen eine
Linie vertreten. Während das Verhältnis zwischen TAN und VOR
freundschaftlich-solidarisch war, hatte sich die RAT auf der
Tierrechtswoche ’95 diskreditiert und verlor das Vertrauen der TAN.
(4) Die Ungleichheitsforschung beschäftigt sich mit den Ursachen für
soziale und ökonomische Ungleichheit und mit den sich ändernden
Bedingungen durch den Strukturwandel.
(5) Disability Studies ist ein Forschungsfeld, was sich mit Fragen der
Behinderung und den Lebensumständen von Behinderten befasst. Es ist eng
verknüpft mit der Geschichte der internationalen Behindertenbewegung.
(6) Queer Studies erforschen und hinterfragen Geschlechter- und
Sexualitätskategorien, sowie die damit verbundenen Normen, Strukturen,
Identitäten, Macht- und Benachteiligungsformen. Es ist eng verbunden
mit einer dekonstruktivistisch-feministischen Subkultur und Bewegung.
Die Queer-Bewegung versucht die Trennung Mann/Frau und
homo/heterosexuell subversiv aufzuweichen.
(7) Politiken und Philosophien, die eine Anerkennung alternativer
Lebensformen und Kulturen fordern. Differenzen (z.B. eine andere
Hautfarbe) sollen nicht negativ bewertet werden, sondern gleichwertig
nebeneinander existieren. Vgl. z.B. Multikulturalismus-Diskurs.
(8) Dieses Konzept beschreibt das Erzeugen und Interpretieren von
Differenzen als interaktiven Prozess. In direkten Interaktionen zeigen
sich Menschen z.B. ihr Geschlecht an, indem sie sich entsprechend
darstellen. Dazu bedienen sie sich gesellschaftlicher Normvorstellungen
über typische Denk- und Verhaltensweisen, sowie Gestik, Mimik,
Kleidungsstil, etc. In diesem Konzept findet sich wieder der Gedanke,
dass das „Andere“ (Geschlecht, Ethnie, Spezies, etc.) als Gegenpol zum
Eigenen konstruiert wird.
(9) „Vergesellschaftet“ bedeutet, dass sie in gesellschaftliche
Bereiche eingebunden sind. Das betrifft vor allem die ökonomische
Sphäre durch ihre „Arbeit“ als Lieferanten für Eier, Milch, etc. und
zuletzt durch die Akkumulation von Körpermasse, welche in Fleisch
umgesetzt wird.
Literatur:
AutorInnenkollektiv (1997): Autonomie Kongress der undogmatischen
linken Bewegungen. Münster: Unrast Verlag.
Combahee River Collective, The (1979): A Black Feminist Statement, In:
Hull, Gloria/Scott, Patricia/Smith, Barbara (Hg.) (1987): All the Woman
are white, all the Blacks are Men but some of us are brave. Black woman
studies. Old Westbury NY: Feminist Press.
Gottschall, Karin (2000): Soziale Ungleichheit und Geschlecht.
Kontinuität und Brüche, Sackgassen und Erkenntnispotentiale im
deutschen soziologischen Diskurs. Opladen: Leske + Budrich Verlag.
Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli (2007): Achsen der Ungleichheit –
Achsen der Differenz: Verhältnisbestimmung von Klasse, Geschlecht,
„Rasse“/Ethnizität, In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudurn-Axeli/Sauer,
Birgit (Hg.): Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse,
Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag.
S.19ff.
Lejeune, Martin/Lindenbaum, Henry (2002): Ferien auf den Bahamas –
oder: Geschichte unseres Scheiterns, in: Tierrechts-Aktion-Nord (Hg.):
„My Brother’s Keeper“ Zur Tierrechtsbewegung – Meinungen, Gedanken,
Erfahrungen. Hamburg: Tierrechts-Aktion-Nord. S.74ff.
Lutz, Helma (2001): Differenz als Rechenaufgabe? Über die Relevanz der
Kategorien Race, Class und Gender, in
Lutz,Helma/Wenning, Norberg (Hg.): Unterschiedlich verschieden.
Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske+Budrich.
S.215-230
Meulenbelt, Anja (1988): Scheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und
Klassismus. Reinbek/Hamburg: Rowohlt Verlag.
Raab, Heike (2006): Intersectionality in den Disability Studies - Zur
Interdependenz von Disability, Heteronormativität, und Gender. S.5.
Online Im Internet, bei: Universität Hamburg. Zentrum für
Disability-Studies. Online im Internet:
http://www.zedis.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/2007/01/intersectiona....
RAT Radikale Antipatriarchale Tierbefreier-
Innen (1995): Durch Wände sehen – eine Kritik am Triple Oppression
Ansatz und seiner Praxis, in: Diskussions-Papier. Zur Umsetzung des
Unity Of Oppression Ansatzes innerhalb der Veganerinnen-Szene. Berlin:
RAT.
Schrader-Klebert, Karin: [o.J.]: Die kulturelle Revolution der Frau;
In: Anders, Ann (Hg.) (1988): Autonome Frauen. Schlüsseltexte der Neuen
Frauenbewegung seit 1968. Frankfurt/M.: Athenäum.
V-Gruppe [der TAN] (1995): Unity Of Oppression, in: TAN
Tierrechts-Aktion-Nord (Hg.): Abschlußreader der Tierrechtswoche.
Hamburg: TAN-Vor-/Nachbereitungsgruppe. S.71ff.
Viehmann, Klaus u. GenossInnen (1990): Drei zu Eins.
Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus; In: Strobl, Ingrid /
Viehmann, Klaus u. GenossInnen / autonome l.u.p.u.s.-Gruppe (1991):
Drei zu Eins. Berlin: ID-Verlag.
Aus; Tierbefreiung 65
Copy & Paste
Hier wurde einfach ein Artikel aus dem Magazin "Tierbefreiung" (http://www.tierbefreier.de/tierbefreiung/65/unity_of_oppression.html) kopiert!
na und?
da sich vermutlich niemand auf das archiv der zeitschrift tierbefreiung verirrt, ist dieser crosspost ein beitrag zur antispediskussion und ein infotext im vorfeld der infotour von andre gamerschlag kommende woche.
also besser nicht motzen, sondern durchlesen und kommende woche mitdiskutieren.
Nicht mehr aktuell
Der zudem aus dem Jahr 2009 stammt und nicht mehr aktuell ist. So hat etwa die ehemalige TAN sich inzwischen umbenannt und eine neue politische Agenda erarbeitet, welche mit den im obigen Text wiedergegebenen Positionen der TAN nicht mehr kompatibel ist (vgl. unseren Bericht Assoziation Dämmerung: Gesellschaftstheorie, Ideologiekritik und Klassenkampf).
Andre Gamerschlag hat inzwischen andere Text zum Thema ausgearbeitet; erst vor kurzem hat er uns geschrieben: "Die zwei Artikel in der Tierbefreiung finde ich inzwischen sehr schlecht." Wenn der Autor und Vortragende bei der Infotour inzwischen selbst dieser Meinung ist, eignet sich obiger Text tatsächlich nicht gut als Infotext im Vorfeld der Infotour von Andre Gamerschlag in der kommenden Woche.
Andre Gamerschlag hat uns folgenden Text zur Vorbereitung auf seinen Vortrag geschickt:
Unity-Of-Oppression, Intersektionalität und die Verwobenheit von Speziesismus mit menschenbezogenen Herrschaftsformen
dann postet doch den aktuellen text beim nächstenmal rechtzeitig
stellt sich die frage, warum ihr den text, den andre euch geschickt hat nicht veröffentlicht habt?
wäre ja vielleicht sinnvoll, dann einen text für die aktuelle diskussion zu nehmen, auf den der autor sich selbst positiv bezieht.
deratige infos sollten nicht zurückgehalten werden!
schade
Von Zurückhalten kann nicht die Rede sein
Es stimmt, es ist sinnvoll, einen Text für die aktuelle Diskussion heranzuziehen, auf den der Autor sich selbst positiv bezieht. Warum aber hätten wir den Text (nochmals) veröffentlichen sollen? Er ist schon lange frei im Internet zugänglich, beispielsweise hier:
https://www.libertaeres-netzwerk.info/tierrechtsgruppe/texte/unity-of-op...
Sobald auf unserem Blog die ausführliche Ankündigung des Vortrags von Andre Gamerschlag in Tübingen erfolgt, wird in diesem Rahmen auch ein Verweis auf den Text stattfinden. Diese ist bisher deshalb noch nicht veröffentlicht worden, weil in der Zwischenzeit weitere aktuelle Artikel die Ankündigung unter "Neues" bereits schon wieder nach unten verschoben hätten.
Verschoben
Danke für den Hinweis, wir haben den Artikel in die Crossposting-Rubrik verschoben. Er kann natürlich trotzdem gerne kommentiert werden.
Vortrag zu Intersektionalität und Speziesismus
Vortrag von Andre Gamerschlag:
Montag, 24.10.2011 um 19 Uhr
Universität Freiburg
Platz der Universität 3
KG 1 Raum 1132
Diskussion Grundlagen(texte)
Da in diesem Artikel auch ein (positiver) Bezug auf den Ansatz von Birgit Mütherich gemacht wird, erlaube ich mir hier den folgenden Verweis zu platzieren: http://linksunten.indymedia.org/de/node/49072