Wir sind die Generation der Aufgegebenen und Verratenen. Angeschwemmt an den Stränden der Gegenwart aus 150 Jahren gescheiterter Erhebungen, Treibgut vom Schiffbruch der Arbeiterbewegung, dem Untergang von hundert politischen Projekten. Aber es sind nicht nur unsere einstmaligen Freunde die von uns gegangen sind. Heute fliehen sogar unsere Feinde vor uns, selbst das Kapital verlässt uns: nichts mehr von seinen Minimalversprechungen, dem Recht sich ausbeuten zu lassen, dem Recht seine Arbeitskraft zu verkaufen. Fallengelassen wie wir sind, grüßen wir die Welt mit äußerster Hemmungslosigkeit. Es gibt keinerlei plausible Angemessenheit von Mittel und Zweck mehr, keine Möglichkeit unsere Aktionen von vernunftmäßigen oder praktischen Kriterien leiten zu lassen. Das gegenwärtige Zeitalter der Sparmaßnahmen hat zur Folge dass selbst die kärglichsten Forderungen der Sozialdemokratie es nötig machen nach den Steinen zu greifen. Verraten von der Demokratie, verraten von den Technokraten des Sozialismus, verraten vom stumpfen Idealismus der Anarchie, verraten vom stoischen Fatalismus der kommunistischen radikalen Linken. Wir sind nicht die 99%. Wir sind überhaupt kein verfluchter Prozentsatz. Wir zählen nicht. Wenn wir irgendwelchen Einfluss haben dann nur dadurch dass wir Gegner jeder Mehrheit sind, „Feinde des Volkes.“ So wie es in dem alten Lied heißt, wir möchten es nicht länger ertragen ein Nichts zu sein und Wege finden Alles zu werden.
Auch wenn es eine elementare Eigenschaft des Kapitalismus ist, dass jede Generation die ihm zum Opfer fiel die Möglichkeit seines Fortbestands über den Zeitraum weniger Jahrzehnte als unwahrscheinlich wenn nicht grotesk einschätzte, ist der Unterschied zwischen uns und den anderen dennoch dass es in unserem Fall halt so ist. Heutzutage können nicht einmal mehr diejenigen die noch dazu bereit sind dem Kapital die Füße zu küssen ein überzeugendes Bild von einer auf Märkten und Einkommen basierenden Zukunft vermitteln, und all die Phantasieszenarien mit fliegenden Autos und hilfreichen Robotern erscheinen geradezu irrsinnig lächerlich. Nein, die Zukunft präsentiert sich nur als Ruin, als Apokalypse, als brennendes Metall in der Wüste. Es ist einfacher sich das Ende jeglichen Lebens auf der Erde vorzustellen als den eigenen Lebensabend.
Daher sind Vorbehalte gegen den impliziten Etatismus der Kämpfe gegen die Sparmaßnahmen unbegründet. Bis auf ein paar verspätete Aktivisten und Medienideologen verstehen alle ganz genau dass die keynesianische Karte längst gezückt wurde, verspielt mit Kriegen und „Rettungspaketen“, und ihrem eigenen monströsen Erfolg zum Opfer gefallen ist. Es wird keine Wiedergeburt des Sozialstaats geben, keine „Neuindustrialisierung“ der Gesellschaft. So viel ist offensichtlich: Wenn es zu einer Konsolidierung des Staates kommen wird dann als protofaschistischer Sparstaat. Auch gibt es keine „Linke“ in irgendeinem plausiblen Sinn mehr, als politische Kraft welche bestrebt wäre die bestehende Welt unter veränderten Bedingungen zu verwalten, im Namen der Arbeiter oder des Volkes. Selbst diejenigen Radikalen die aus Frust über die Feigheit der parlamentarischen Opposition sich dazu berufen sehen „die Linke zu zerstören“ müssen feststellen dass die Distinktion von diesem alten verblichenen Feind die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Existenz darstellt. Es gibt keine Linke mehr: nur noch die breite geistlose Masse in der Mitte und einige widerständige und planlose Bewegungen an den Rändern.
Die Aussichtslosigkeit des Vorhabens den Staat von seinem derzeitigen Kurs abzubringen, die Einsicht dass auch die behutsamste Reform des Systems kollektive Gewalt von geradezu revolutionärer Wucht erfordern würde, das dämmernde Bewusstsein dass wir doch bescheuert wären so weit zu gehen und uns dennoch mit weniger als der Revolution zufriedenzugeben - diese Zutaten verleihen vielen Kämpfen gegen die Sparmaßnahmen eine merkwürdige Verzweiflung und Intensität. Und dennoch findet sich unsere Hoffnung in gerade dieser Hoffnungslosigkeit, in der Tatsache dass sich in der derzeitigen Phase der Kämpfe Zwecke und Mittel völlig voneinander gelöst haben. Taktiken genügen nicht einmal mehr ihren eigenen Ansprüchen. Als Antwort auf eine vorgeschlagene Anhebung des Rentenalters in Frankreich verbarrikadieren die Schüler ihre Schulen, Wanderblockaden bringen die Polizei durcheinander, Aufstände entzünden ein Stadtzentrum nach dem anderen. In Britannien und Italien schließen sich den Bildungsstreiks zehntausende Jugendliche an die keine Chance haben eine Universität zu besuchen, und erst recht kein Interesse, wenn wir schon dabei sind. Es gibt kein vorstellbares politisches Kalkül mehr, welches Ideen und Taktiken, Denken und Handeln in Einklang bringen könnte. Glauben wir denn, die französischen Jugendlichen machten sich tatsächlich irgendwelche Sorgen was ihnen geschehen könnte wenn sie das Rentenalter erreichen? Erwartet irgendein junger Mensch von der derzeitigen Gesellschaftsordnung noch sie würde so lange Bestand haben? Nein, sie sind hier um die Dinge zu beschleunigen, bis zum Zusammenbruch zu beschleunigen. Es ist leichter sich das Ende der Welt vor Augen zu führen als die Rente. Denn alles ist besser als das hier.
Für die neo-leninistischen Philosophen, die in den Gemäuern der untergehenden Universitäten ihre Grüppchen gründen, bedeutet eine derartige Unmöglichkeit Zwecke und Mittel zu harmonisieren nichts weiter als eine Blockade bzw. ein Hindernis. Wo ist das revolutionäre Programm in der ägyptischen Revolution, fragen sie, wo ist die Programmatik auf den Straßen von Britannien oder Griechenland? Wer wird diese Körper bei ihrem letzten Gefecht gegen die Paläste der Macht überwachen und strafen? Diesen Denkern zufolge kann lediglich eine Idee die Vertrauenswürdigkeit der Körper gewährleisten. Allein eine Idee – der Gedanke des Kommunismus, wie manche sagen – kann aus diesen Körpern eine angemessene Vermittlungsinstanz zwischen Mitteln und Zwecken machen. Aber der Kommunismus ist weder eine Idee noch ein Idealismus – er bedeutet die Emanzipation unserer Körper von der Unterordnung unter Abstraktionen. Zum Glück sind wir launische, treulose und flatterhafte Subjekte. Wir tun uns schwer damit zuzuhören. Für uns wird der Kommunismus materiell greifbar sein oder er wird nichts sein. Er wird eine Palette unmittelbarer Handlungen und unmittelbarer Genugtuungen bedeuten, oder nichts. Sollten wir zu Selbstdisziplin und Organisation gelangen, dann werden diese aus dem resultieren was wir tun nicht was wir denken.
Unter der „Idee“ verstehen die Philosophen so etwas Ähnliches wie „die Partei.“ Sie haben vor sich selbst und ihre Ideen als Struktur und Gesellschaftsform alternativlos zu machen. Damit beabsichtigen sie das altbewährte Bündnis von Intelligenz und Arbeiterbewegung zu bekräftigen. Aber es gibt keine Intelligenz mehr, und schon gar keine nennenswerte Arbeiterbewegung. Die gesamte – aus dem Christentum hervorgegangene – Struktur von Pflicht und Verpflichtung auf der die klassischen Programmparteien aufbauten existiert nicht mehr, denn das Kapital benötigt nicht länger die Hilfestellung der Moral. Wir können für uns selbst aktiv werden, wir können gemeinsam mit anderen aktiv werden, aber es ist nicht mehr möglich aus Pflichtgefühl für eine Sache aktiv zu bleiben.
Unsere Disziplinlosigkeit bedeutet auch dass von allen politischen Ideen nur die eine, die von ihrem Wesen her dazu bestimmt ist nichts weiter als eine Idee, ein Ideal, zu bleiben, hier irgendwelchen Absatz finden kann: die Demokratie. Von Tunesien bis Ägypten, von Spanien bis Griechenland, von Madison bis zur Wallstreet, immer und immer wieder ächzt die „Bewegung der Platzbesetzungen“ unter der unerträglichen Last dieses Schlagworts. Demokratie, der Begriff für die Bezauberung der Bevölkerung mittels ihres eigenen Abbilds, mittels ihres eigenen Potentials zur unbegrenzten Lastenabwälzung. Demokratie, ein Entscheidungsfindungsverfahren welches so sehr zur politischen Heilslehre verkommen ist dass die Form selbst, die Form der Entscheidung zu ihrem höchsten Zweck wird. Wir entscheiden uns demokratisch, demokratisch zu sein! Das Volk erwählt sich selbst!
In diesem Zeitalter – der Epoche von Sparstaat und Elendsverwaltung – findet radikale Demokratie ihren idealen Ort auf dem städtischen Platz. Der Platz ist die materielle Verkörperung ihrer Ideale – ein leerer Platz für eine leere Form. Mittels des Platzes greift die radikale Demokratie auf ihren Entstehungsmythos zurück, die agora, die Versammlungsstätte des antiken Griechenland welche auch als Marktplatz diente (so dass die Redewendungen „Ich kaufe ein“ und „Ich spreche in der Öffentlichkeit“ nahezu identisch waren). Diese Plätze sind jedoch nicht die von sozialen und wirtschaftlichen Vereinbarungen belebten Marktplätze, sondern saubergeputzte Flächen, ausgedehnte Ergüsse aus Beton und Nichtigkeit, eventuell mit ein paar Springbrunnen hier oder dort. Dies sind Räume welche abgesteckt wurden durch die Trennung des Politischen vom Wirtschaftlichen, vom Markt. Nirgendwo ist dies klarer erkennbar als in der aktuellen Phase der „Bewegung der Platzbesetzungen“ – Occupy Wallstreet – welche versuchte, wenngleich kleinlaut und eher unaufrichtig, die wirkliche agora, den tatsächlichen Ort des Austauschs zurückzuerobern, und sich in einem kleinen schmucken Park am Rande der Wallstreet wiederfand, zusammengepfercht von Polizei. Das ist es wozu der Versuch die neue Welt auf den Trümmern der alten aufzubauen heutzutage führt – ein Plenum umzingelt von Bullen.
Wenn es irgendeinen Hoffnungsschimmer in diesen Kundgebungen gibt, dann liegt er in den Formen gegenseitiger Solidarität die hierin existieren, den Versuchen welche Menschen wagen um für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Bereits jetzt sehen wir wie die Besetzungen an ihre selbstauferlegten Grenzen gedrängt und in Konflikte mit der Polizei verwickelt werden, trotz ihres erklärten Pazifismus und Demokratismus. In all ihrer Widersprüchlichkeit sind die Platzbesetzungen ein Ausdruck der derzeitigen Entfremdung von Mitteln und Zwecken. Genauer gesagt, sie schaffen eine Situation in der Mittel eher verdrängt als ausgeschlossen werden, und zum Gegenstand einer unbestimmten Symbolisierung werden, so dass die Treffen schließlich einen späteren Moment der Erhebung vorwegnehmen oder darstellen oder ankündigen. Im schlimmsten Fall sind sie undurchschaubare Mechanismen der Selbstentlastung. Im besten Fall zwingen sie ihre Teilnehmer dazu sich selbst das zu nehmen wovon sie sich lediglich berechtigt sehen es einzufordern.
Wie weit sind wir von Ägypten entfernt, dem vermeintlichen Ausgangspunkt dieser Ereignisse. Dort war die ursprüngliche Versammlung ein Akt symbolischer Gewalt, in bewusster Entscheidung, von dem jeder wusste dass er zu einer Konfrontation mit dem Staat und seiner Gewalt führen würde. Und doch blieb auch dort die Trennung von der Wirtschaft – von den Methoden der Befriedigung unserer Bedürfnisse – der Revolution von Anfang an eingeschrieben. Mit anderen Worten, der ägyptische Aufstand wurde nicht in die Sphäre des Politischen abgelenkt sondern ging von ihr aus. Und alle weiteren Instanzen der „Bewegung der Platzbesetzungen“ wiederholen diese ursprüngliche Verschiebungsleistung, ob von Pazifismus und Demokratismus verstümmelt wie in Spanien, oder ihren Forderungen in materieller Form Ausdruck verleihend wie in Griechenland.
Das setzt die Platzbesetzungen in Bezug nicht nur zur gesamten Entwicklungsgeschichte des orthodoxen Marxismus, von Lenin über Mao, die die Eroberung der Staatsmacht zum zentralen Ausgangspunkt machte, sondern auch zu ihrem augenscheinlichen Gegenteil in diesem historischen Moment: Den Aufständen von Athen und London und Oakland, welche die Namen von Oscar Grant, Alexis Grigoropoulos oder Mark Duggan tragen, und Polizei und Staatsmacht sowohl als Ursache als auch als Wirkung, Provokation und Gegenstand des Zorns behandeln. Wenngleich die Plünderungen welche derartige Ausbrüche immer begleiten bereits den Weg zu robusteren Enteignungen weisen, unterliegen selbst diese Aufstände, auch wenn sie als unmittelbarste widerständige Aktivitäten erscheinen, einer Symbolisierung, einer negativen Symbolisierung die in aller Ausführlichkeit ausdrückt was sie will, und in Botschaften aus Feuer und Glasbruch mitteilt was sie nicht will: dies nicht, jenes nicht. In Griechenland waren ihren Grenzen bereits erkennbar – es reichte nicht einmal aus alle Banken und Polizeidienststellen abzufackeln. Selbst dann noch kamen sie in eine Lichtung, auf einen Platz, der durch ihre eigenen unnachgiebigen Verhandlungen freigemacht worden war, wo Verhandlung selbst zur Grenze wurde. Was nun? Was werden wir jetzt tun? Wie machen wir weiter?
Zwischen dem Platz und dem Aufstand, zwischen der süßlichsten Affirmation und der dunkelsten Negation – dort finden wir uns wieder. Zwei Wege stehen uns offen: jeder davon führt auf seine Weise vom flammenden Herz dieser Angelegenheit weg. Auf der einen Seite die Bedächtigkeit, die auf ihrer endlosen Suche nach einem gemeinsamen Nenner schließlich bei der einzig möglichen Forderung angelangen muss: Der Forderung nach dem Bestehenden, nach dem Status quo. Auf der anderen Seite die Sehnsucht, die keinen Gegenstand hat, welche in der Welt nichts vorfinden kann was ihren Ruf nach Vernichtung beantwortet.
Ein Feuer erlischt, weil es seinen Brennstoffvorrat aufgezehrt hat. Ein anderes, weil es keinen Brennstoff, keinen Sauerstoff mehr finden kann. In beiden Fällen mangelt es an einer konkreten Bewegung zur Befriedigung unserer Bedürfnisse außerhalb von Lohn und Markt, Geld und Zwang. Die Versammlung wird real und verliert ihren lediglich theatralischen Charakter, sobald sich ihr Diskurs der Befriedigung der Bedürfnisse zuwendet, sobald sie dazu gelangt Häuser und Gebäude zu übernehmen, sich Güter und Ausrüstung anzueignen. Ebenso gelangen die Aufstände zu der Einsicht dass die beste Zerstörung von Warenform und Staat darin besteht Voraussetzungen zu schaffen die für derartige Dinge gänzlich unfruchtbar sind, gänzlich unwirtlich für Arbeit und Herrschaft. Wir erreichen das indem wir eine Situation herbeiführen wo es, einfach gesagt, genug von dem gibt was wir brauchen, keinen Ruf zur „Sparsamkeit“ und zum „Maßhalten“, keine Notwendigkeit gegeneinander abzuwägen was eine Person nimmt und eine andere beiträgt. Das ist die einzige Möglichkeit wie ein Aufstand überleben und die Rückkehr von Markt, Kapital und Staat (oder jeder anderen auf Klassengesellschaft und Herrschaft beruhenden Wirtschaftsweise) abwenden kann. In dem Moment wo wir uns als unfähig herausstellen die Bedürfnisse aller zu befriedigen – der Jungen und der Alten, der Starken und der Schwachen, der Hingebungsvollen und der Beiläufigen – schaffen wir eine Situation in der es nur noch eine Frage der Zeit ist bis die Leute eine Rückkehr der alten Herrschaftsverhältnisse akzeptieren. Die Aufgabe ist ganz einfach und doch von monströser Schwierigkeit: In einer Zeit der Krise und des Zusammenbruchs müssen wir Wege finden unsere Bedürfnisse zu befriedigen und unsere Wünsche zu erfüllen, die weder von Lohn noch von Geld abhängen, weder von Zwangsarbeit noch von Verwaltungsentscheidungen, und wir müssen dies leisten während wir uns gegen alle verteidigen die uns dabei im Wege stehen.
Erforschen & Zerstören, 2011
Übersetzung aus dem Amerikanischen von einem Teilnehmer der Occupy-Frankfurt-Eröffnung
http://www.bayofrage.com/from-the-bay/plazariotcommune/
ääh
und wass soll mir das jetzt sagen?
außer, dass einem von fliegenpilzen eh vor allem schlecht wird und die dinger kaum törnen.
viel glück!
das ist doch offensichtlich.
um zu wissen was sonst passieren kann, musst du da erst andere fragen?
guter text
guter text, danke fürs übersetzen