Der syrische Aufstand

Banyas, 17. April 2011

Der unerwartete Aufstand
Am 16. März 2011 versammelten sich 150 Menschen vor dem Innenministerium in Damaskus und forderten  die Freilassung poltischer Gefangener. Organisiert wurde der Protest von den Angehörigen politischer Gefangener, deren Zahl zum damaligen Zeitpunkt auf mehrere Tausend geschätzt wurde. Die Demonstranten protestierten schweigend und hielten Photos ihrer gefangenen Verwandten und Freunde in die Höhe, bevor sie von Bullen mit Schlagstöcken angegriffen und auseinander gejagt wurden. Bereits am Vortag hatten sich 200 Menschen in der Innenstadt von Damaskus zu einem über Internetdienste organisierten Protest versammelt. Sie riefen Parolen gegen die Baath Partei, bevor sie nach wenigen Minuten von den "Sicherheitskräften" massiv angegriffen wurden.

 

In Deera und Banjas kommt es am darauffolgenden Freitag zu Demonstrationen, gegen die mit Wasserwerfern und Tränengas vorgegangen wird. Von Anfang an setzen die "Sicherheitskräfte"  Schusswaffen gegen die zu diesem Zeitpunkt noch überschaubaren Demonstrationen ein, in Deera werden fünf Menschen erschossen. An dem Trauerzug für zwei der Getöteten nehmen Zehntausende teil, obwohl die "Sicherheitskräfte" Teile der Stadt absperren, um die massenhafte Teilnahme an den Trauerzügen zu unterbinden. In der Hauptstadt Damaskus, in Homs, Aleppound Deir al-Zor gehen in Solidarität mit den Demonstranten in Deera Tausende auf die Strasse.

Die Anfangssphase der Proteste kennt noch keine Parolen gegen Assad II.,   es wird  die  Abschaffung des seit 1963 herrschenden Notstandgesetzes und Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert und immer wieder  «Aljom mafi Khof» (heute gibt es keine Angst mehr) gerufen, eine Losung die sich bis heute behauptet.

 

Dsa Regime macht wahlweise Islamisten, "Palästinenser", bewaffnete Kriminelle, "die Zionisten" oder US- amerikanische Geheimdienste (die wirklich einige syrischen Oppositionsgruppen unterstützen, diese existieren allerdings nur im Ausland und haben keinerlei Einfluss auf die Geschehnisse in Syrien) für die Proteste verantwortlich.

Politische Analysten aus dem Westen prophezeien die Aussichtslosigkeit und das baldige Ende der Proteste, das Regime sitze zu fest im Sattel, die Geheindienste allmächtig, das Militär loyal, die bürgerliche Mittelschicht in Aleppo und Damaskus stehe zu Assad und Syrien sei sowieso nicht mit Ägypten oder Tunesien zu vergleichen.

Im April muss das Militär in Deera, Dschabla und dem Hauptstadt-Vorort Duma mit Panzern einrücken, um die Lage unter Kontrolle zu bringen, es wird erstmalig von bewaffneten Widerstand berichtet. Täglich kommt es mittlerweile in weiten Teilen der Landes zu Protesten, an den Freitagen ziehen landesweit Hunderttausende nach den Mittagsgebeten auf die Strasse.
Das Regime , dessen Sturz die Massen mittlerweile offen fordern, macht immer wieder diffusse Reformversprechen und lässt gleichzeitig auf die Demonstrationen und Trauerzüge schiessen.
Es gibt Berichte über erste desertierende Soldaten. Die Zahl der Toten geht zu diesem Zeitpunkt schon in die Hunderte, die allermeisten wurden auf Manifestationen erschossen, es werden zunehmend Razzien mit Massenverhaftungen durch geführt. Folter, auch an Minderjährigen ist in den Gefängnissen und Internierungslagern an der Tagesordnung.

 

Im Mai zieht die syrische Regierung die Kandidatur für einen Sitz im UNO Menschenrechtsrat zurück. In der Stadt Homs geraten Teile  der Stadt unter die Kontrolle der Aufständischen, die mit dem Einsatz von Artillerie reagiert. Aufgrund der Massaker, die unter den Protestierenden angerichtet werden, weichen diese in die Dunkelheit aus. Ganze Ortschaften versammeln sich zu nächtlichen Manifestationen, um es den Scharfschützen des Regimes zu erschweren, sie abzuknallen. Es gibt erste Berichte über den Einsatz von iranischen Revolutionsgradisten und Hizbulllah Aktivisten auf der Seite des Regimes, die später auch von desertierten syrischen Soldaten bestätigt werden.

Auch die Menschen in den kurdischen Gebieten Syriens beteiligen sich massenhaft an den Protesten, betonen dabei aber immer wieder, dass es ihnen nicht um eine Abstaltung ihrer Gebiete gehe, sondern um mehr Demokratie und Autonomie. Im palästinensichen Flüchtlingslager   Yarmouk bei Damaskus protestierten tausende Palästinenser gegen ihre politischen Vertreter und das syrische Regime. Sie wollen nicht länger von Assads Regime instrumentalisiert werden.
http://uprising.blogsport.de/2011/06/09/der-palaestinensiche-aufstand/

 

In der der Türkei findet im Juni 2011 eine Konferenz oppositioneller Gruppen statt, dabei werden zentrale gemeinsame Momente vereinbart: Keine allgemeine Bewaffnung der Aufständischen, keine Intervention von Aussen, keine religiöse Spaltung.

Immer mehr Menschen aus der Grenzregion zur Türkei fliehen in die Türkei, nachdem ihre Ortschaften von Einheiten  der syrischen Armee besetzt wurden und es zu Massakern und Fetsnahmen kommt. Die Desertationen nehmen zu, die Deserteure bilden eigene Einheiten, die sich gegen die Übergriffe der "Sicherheitskräfte" zur Wehr setzen. Zunehmend werden als "linientreu" geltende Sondereinheiten, die  unter dem Befehl eines Bruders von Assad II stehen, eingesetzt.
Das Muster ist stets dasselbe: Rebellierende Ortschaften werden umzingelt, Strom-und - Wasserversorgung werden gekappt, die Internet-und Telekommunikationsverbindungen unterbrochen, dann wird die Stadt oder das Dorf gestürmt.

Widerstand wird niedergeschossen, anschließend kommt es zu massiven Razzien. Wenn die Sondereinheiten die Orten wieder verlassen, um den Widerstand in einem anderen Ort  niederzuschlagen, strömen die Menschen teilweise wieder auf die Strasse, Barrikaden werden wieder errichtet. Unter Umständen  müssen die Armeeeinheiten dann wieder umkehren, um die Lage erneut unter ihre Kontrolle zu bringen.

Im Juli 2011 gelingt es ihnen in Hama, trotz des massiven Einsatzes von Panzern und schweren Geschützen , nicht mehr, die Situation in der Stadt  zu beruhigen. Sie müssen sich zurück ziehen.
In der Stadt, in der Assad I. 1982 eine Revolte niederschlug, und in der damals geschätzte 20.000- 30.000 Menschen vom Regime nieder gemetzelt wurden, übernehmen Basiskommitees die Kontrolle der Stadt.
http://uprising.blogsport.de/2011/07/24/syrien-eine-reportage-aus-dem-befreiten-hama/

Erst Anfang August kann das Regime die Stadt wieder einnehmen. Gegen die hochgerüsteten Truppen, die ihren Angriff wochenlang vorbereitet hatten, haben die Aufständischen keine Chance. Sie verfügen nur über ein sehr bescheidenes Waffenarsenal, an vielen Stellen kämpfen sie mit Steinen und Molotoccocktails gegen Panzer. Trotzdem benötigen die Regierungstruppen mehrere Tage, um den Aufstand niederzuschlagen. Allein am ersten Tag der Angriffe werden über einhundert Menschen getötet.

 

Nachdem die Proteste im Fastenmonat Ramadan (August) weitergehen, ohne dass es zu einer entscheidenen Wende durch ein grundsätzliches Einlenken des Regimes oder zu  einer weiteren Ausdehnung der Proteste kommt, bilden sich imer mehr regionale Widerstandgruppen, die bewaffnet vorgehen. Auch die desertierten Soldaten haben sich in eigénen Einheiten organisiert, die Zahlenanagaben hierzu schwanken allerdings erheblich. Weiterhin kommt es in allen Landesteilen zu Protesten , fast täglich werden dabei Menschen erschossen.

 

Der ungeliebte Aufstand

 

Die Stellungnahmen aus der westlichen radikalen Linken zu dem Aufständen und Revolten in Nordafrika und Nahost sind rar gesät und beschränken sich vor allem auf die Anfangsphase.
http://uprising.blogsport.de/2011/03/03/eine-stellungnahme-aus-frankreich/

Nur wenige Gruppen und Zusammenhänge versuchen sich in Informations-und- Unterstützungsarbeit, bzw. versuchen in einen Dialog mit den Akteuren der aufständischen Prozesse zu treten.
http://www.aut-goe.de/Revolte/Revolte.html

Ganz sicher ist die Diskussion in der radkalen Linken nach Dekaden der "Solidarität" mit den trikontinentalen Befreuungsbewegungen" und anschliessender Ernüchterung, Enttäuschung und Selbstkritik mit dem Zwischenspiel "Antiglobalisierungsbewegung", ganz generell auf den Hund gekommen.

In Zeiten gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit scheint überhaupt die Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand hinaus zu sehen, kurz gesagt, sehr gelitten zu haben.
Nichts desto trotz wird nach Athen geeasyjets und in Polen oder Malmo der Naziaufmarsch von Hamburger, Bremer oder Berliner Linksradikalen mitblockiert. Wo man vor allem seine eigenen Erwartungen wiederzutreffen hofft. 
Auf den ersten Blick verwirrende und widersprüchliche politische und soziale Prozesse mögen sich einfachen gut/böse Kategorien verweigern, entlassen uns jedoch nicht aus der Notwendigkeit, uns auf reale politische und soziale Abläufe einzulassen.
In dem Aufstand in Syrien sind nicht die im Ausland präsenten Organisationen und Interlektuellen diejenigen, die die Dynamik bestimmen und auch nicht die wenigen Organisationsansätze, die schon seit Jahren im bescheidenen Rahmen Opposition im Lande selbst repräsentieren.

Der Druck, die Empörung, die Auflehnung, kommt immmer von der "der Strasse", wie auch die Gespräche und Interviews mit Aktivisten und Aktivistinnen belegen.
"Der Aufstand" schafft sich seine eigenen Strukturen, seine eigene Verfassheit, seine eigene Legitimität. http://uprising.blogsport.de/2011/08/27/eine-reportage-aus-homs/

 

Es geht nicht darum, unangenehme Tendenzen auszublenden oder etwas zu idealisieren, diesen Kardinalsfehler gilt es gerade nicht zu wiederholen. Im Homs oder Hama wird nicht der "neue Mensch" geschaffen, nicht eine "andere Welt ist möglich" behauptet.
Es geht um einen grossen Teil der Gesellschaft, der den Kampf gegen seine Unterdrückung aufgenommen hat, der sich selbst durch das tägliche Massakrieren nicht von der Strasse vertreiben lässt.

Und der im übrigen vor allem die verarmten Schichten der Bevölkerung umfasst.
Nicht umsonst stützt sich Assad II Macht bisher neben der Treue der Eliteneinheiten vor allem auf die städtische Mittelschicht von Aleppo und Damaskus.

 
Im übrigen gilt es mit den Zerrbildern des antimuslimischen Diskurses zu brechen, die auch in mannigfaltender Gestalt in der Linken Einzug gehalten haben.


Es gibt z.B. die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu den sehr aktiven Gruppen, die in Solidarität zum Aufstand in Syrien in der BRD entstanden sind, in denen sich vor allem  Menschen mit einem syrischen Migrationshintergrund engagieren. Zu den Demonstrationen dieser Gruppen hatten wir schon in der Vergangenheit in kritischer Solidarität mobilisiert.

 

Der Aufstand in Syrien verdient unsere Solidarität, über die Form dieser Solidarität muss die Debatte in der Linken eröffnet werden.

 

Wir grüssen die Botschaftsbesetzer von Wien, Hamburg, Genf und Berlin

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Danke für die Reflexionen über die kaum vorhandene Solidarität und Internationalität von Menschen, die sich in Deutschland als "links" definieren.

 

Noch eine Meinung zu diesem Umstand:

Viele Revolten, Unruhen und Proteste in anderen Teilen der Welt dienen dazu, sich der eigenen politischen Identität hier zu vergewissern. D.h. "...das was die da tun, bestätigt nur meine Meinung und die Wichtigkeit meiner Person...".

Die Menschen woanders sind egal und dienen nur der Projektion und Selbstvergewisserung.

Besonders schön ist der hype von "occupy". Was jetzt in Deutschland passiert ist, dass die Verstaubten und Ewig-Erfolglosen (warum nur?) die "occupy"- Bewegung okkupieren.

für den guten Artikel.