Bundeswehrskandal in Bad Reichenhall

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Erst vorletzte Woche demonstrierten ca. 200 Antifaschist_innen und Antimilitarist_innen auf Initiative des autonomen RABATZ-Bündnis für die „Entnazifizierung und Entmilitarisierung“ des Ortes durch Bad Reichenhall. Genau eine Woche später zeigte sich beim Tag der offenen Tür in der nach dem SS-General Rudolf Konrad benannten Bundeswehrkaserne einmal mehr, wie notwendig antifaschistische und antimilitaristische Interventionen in der kleinen Kurstadt nahe der österreichischen Grenze sind. Im Rahmen des Kinderprogramms ließen Bundeswehrsoldat_innen kleine Kinder mit Waffennachbauten auf ein Miniaturmodell der kosovarischen Stadt Mitrovica schießen.

 

Das RABATZ-Bündnis beschreibt den Modellaufbau in einer Presseerklärung folgendermaßen:

„Beim Tag der offenen Tür in der Bad Reichenhaller General-Konrad-Kaserne hatte die Bundeswehr als „Kinderprogramm“ das Modell einer offensichtlich durch Krieg zerstörten Stadt aufgebaut. Ruinen und kleine Brandherde bestimmten die Szenerie. Zwei Bundeswehrsoldaten ließen unter einem Tarnnetz Kinder mit Waffennachbauten auf die Miniaturstadt schießen. Die Bundeswehr hatte ein Miniatur-Ortsschild für diese Stadt gebastelt: „Klein-Mitrovica“.“



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Als ob das bloße Schießen kleiner Kinder auf das Modell einer vom Krieg zerstörten Stadt nicht schon widerwärtig genug wäre; die Auswahl des Namens „Klein-Mitrovica“ zeigt ganz offen den Zynismus der Veranstalter_innen: Mitrovica war 1999 Schauplatz eines antiziganistischen Pogroms bei dem das gesamte Roma-Viertel des Ortes geplündert und zerstört wurde, ca. 2500 Häuser wurden dabei zerstört, 8000 Einwohner_innen vertrieben. Im Jahr 2004 fanden antiserbische Pogrome ihren Ausgang in Mitrovica, auch dabei wurden viele Häuser zerstört, viele Menschen wurden vertrieben und im gesamten Kosovo mehrere Dutzend Menschen getötet, alles übrigens in Anwesenheit der KFOR Truppen, zu denen auch die in Bad Reichenhall und anderen bayrischen Standorten, z.B. in Mittenwald, stationierten Gebirgsjäger gehörten.

Doch wer glaubt, dass dies die einzigen zynischen Anspielungen gewesen sein die_der irrt: Mitrovica war während der Besatzung Jugoslawiens durch Truppen des nationalsozialistischen Deutschlands und der italienischen Faschist_innen ab April 1943 Stützpunkt der 1.Gebirgs-Division der Wehrmacht, zu der auch Bad Reichenhaller Gebirgsjäger gehörten. Ihr vorrangiges Ziel war die Bekämpfung antifaschistischer Partisan_innen.

Dieser Fall bestätigt wieder einmal, wie bitter notwendig eine kritische Aufarbeitung der Geschichte Bad Reichenhalls aus einer antifaschistischen und antimilitaristischen Perspektive ist. Die Demonstration am 21. Mai war Teil einer Kampagne, die sich genau dieses Ziel gesetzt hat. Die richtete sich vor allem gegen das sog. Kretagedenken, dass alljährlich anlässlich des Jahrestages des deutschen Überfalls auf Kreta stattfindet. Bei dieser Veranstaltung kommen Bundeswehrsoldat_innen, Wehrmachtsveteranen, Alt- und Neonazis zusammen, um der nationalsozialistischen Truppen auf Kreta zu gedenken. Diese hatten Kreta am 20. Mai 1941 überfallen und während der Besatzungszeit zahlreiche Kriegsverbrechen an der kretischen Zivilbevölkerung begangen, z.B. die Zerstörung des Ortes Skines am 1. August 1941 bei der 148 Zivilist_innen ermordet wurden. Im Aufruf zur Demo schrieb das RABATZ-Bündnis:

„Auf Kreta wurde das „Axiom von der Kollektivhaftung der Bevölkerung“ zum ersten Mal angewandt. Diese Vergeltungs-Morde lagen zeitlich vor den Massenliquidationen der Wehrmacht und der SS in der Sowjetunion und Serbien. Viele dieser Vergeltungsaktionen (z.B. Kandanos), bei denen tausende Zivilist_innen ermordet und zahlreiche Dörfer zerstört wurden, sind bis heute weder aufgearbeitet noch wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Die Zerstörung der Ortschaft Skines und die Erschießung von 148 kretischen Zivilist_innen am 1. August 1941 ist hingegen den „Gebirgsjägern“ der 5. Division durch den eigenen „Tätigkeitsbericht“ nachzuweisen:

„Auf Befehl des Kdt. d. Fest. Kreta wird im Westteil der Insel eine Sonderaktion gegen Freischärler durchgeführt. Sie erfasst die Orte Alikianu,Skines, Furnes, Prasses, Meskla. (…) Der Leiter des Unternehmens ist Major Friedmann, Kdr. II/G.J.R. [Gebirgsjäger Regiment] 100. Wegen Freischärlerei, Fledderei oder unerlaubten Waffenbesitzes wurden vom Standgericht abgeurteilt und erschossen: 146 männliche und 2 weibliche Personen. Bei Einschließung der Ortschaft Skines wird gegen die Truppe gefeuert. Als Vergeltungsmaßnahme wird Skines niedergebrannt.”

Wie in Kandanos wurden in Skines die Häuser zerstört und die Menschen mussten ihre Häuser und Felder bis zum Ende der Besatzung verlassen.“



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Die Kreta-Thematik ist in Bad Reichenhall omnipräsent, eine zentrale Brücke wird mit Bezug auf den deutschen Angriffskrieg, „Kretabrücke“ genannt. Während der Kameradenkreis der Gebirgstruppe um Manfred Held im Ort höchste Anerkennung genießt, findet sich im Ort kein Denkmal für die Opfer der nationalsozialistischen Gebirgstruppe, eine Denkmal für die Ermordeten kretischen Zivilist_innen oder für kretische und Bad Reichenhaller Antifaschist_innen sucht mensch vergeblich. Im Rahmen der Demonstration vor zwei Wochen äußerten mehrere Passant_innen zu den Kriegsverbrechen der Wehrmacht: „Die Anderen hätten sich ja nicht wehren müssen!“

Dass in solch einem gesellschaftlichen Klima Pogrome und Kriegsverbrechen kaum auf gesellschaftliche Ächtung stoßen verwundert da nicht mehr. Militaristische Verherrlichung des Krieges, die ungebrochene Solidarität mit den Nazitäter_innen und der immer noch währende Hass auf ihre Opfer bestimmen die gesellschaftlichen Debatten vor Ort und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass trotz 7500 Besucher_innen (laut Lokalzeitung) bisher keine einzige kritische Stimme aus Reichenhall selbst den Skandal beim Tag der offenen Tür thematisiert hat.

Das RABTZ-Bündnis schreibt in ihrer Presseerklärung weiter:

„Die Bundeswehr versucht, schon kleinen Kindern Spaß an Waffen und militärischer Gewalt zu vermitteln. Kindern im Rahmen des Kinderprogramms Waffen in die Hand zu geben und sie auf eine Miniaturstadt schießen zu lassen, ist ein unfassbarer Skandal. Die Bundeswehr hat die Miniaturstadt „Mitrovica“ genannt. Sie verherrlicht damit im Kinderprogramm Pogrome. Dies ist eine widerwärtige Verhöhnung der Opfer.

Wir haben in letzter Zeit mehrfach auf die Verherrlichung von Kriegsverbrechen in Bad Reichenhall aufmerksam gemacht. Durch den neuen Skandal sehen wir uns darin bestätigt, antimilitaristisch und antifaschistisch zu intervenieren. Wir fordern:

  • die sofortige Schließung der nach dem SS-General Rudolf Konrad benannten General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall
  • eine kritische Aufarbeitung der Geschichte Bad Reichenhalls und ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
  • die sofortige Beendigung der Verherrlichung des Nationalsozialismus, der Wehrmacht und der Gebirgstruppe
  • die sofortige Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Gebirgstruppen und ihrer Angehörigen
  • ein dauerhaftes Bleiberecht für alle Menschen, die aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen sind, anstatt der Bagatellisierung der antiserbischen und antiziganistischen Pogrome
  • die sofortige Beendigung von militaristischen Werbeaktionen der Bundeswehr, insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen
  • den sofortigen Rücktritt der für den Tag der offenen Tür verantwortlichen Personen der Bundeswehr.“


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Bleibt abzuwarten, ob dieser Skandal in Bad Reichenhall thematisiert werden wird oder ob er totgeschwiegen wird, die Notwendigkeit von Außen in die militaristische und nazifreundliche Idylle zu intervenieren hat sich allerdings einmal mehr ganz offen gezeigt.

 

Weitere Infos unter badreichenhall.org

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Am 8. Juli 2011 soll das 38. Sommer­bi­wak der 1.​Panzer­di­vi­si­on Hannover statt­fin­den, um die Ver­bun­den­heit mit der Bun­des­wehr zu de­mons­trie­ren.
‚Ori­ent und Ok­zi­dent‘ lau­tet dies­mal der Titel die­ses Fes­tes – Ein un­glaub­li­cher Zy­nis­mus an­ge­sichts des Kriegs­ein­sat­zes in Af­gha­nis­tan. Das wird den han­no­ver­schen Ober­bür­ger­meis­ter nicht daran hin­dern, auch in sei­nem dies­jährigen Gruß­wort zum Som­mer­bi­wak zu er­klä­ren, dies sei eine aus­ge­zeich­ne­te Mög­lich­keit die Be­zie­hun­gen zwi­schen Wirt­schaft, Mi­li­tär und Po­li­tik zu pfle­gen. Und er hat ja recht: hier kommt zu­sam­men, was zu­sam­men ge­hört. Genau des­halb ge­hört das Som­mer­bi­wak ab­ge­schafft. Seit drei Jah­ren ist die Stadt Han­no­ver Mit­ver­an­stal­te­rin des ‚Som­mer­bi­waks‘. Damit ver­klärt auch sie, was im of­fi­zi­el­len Jar­gon „hoch­in­ten­si­ve, multina­tio­na­le, ver­netz­te Ope­ra­tio­nen“ ge­nannt wird, im Klar­text je­doch Krieg ist.

Homepage zum Widerstand gegen Sommerbiwak und Krieg:
http://antimilitarismus.blogsport.de