Ein Castor fährt nach Tripolis?

Ein Castor fährt nach Tripolis?

Einige kritische Randbemerkungen zum Aufruf der Antifaschistischen Jugend Dortmund bezüglich der Demonstration gegen Polizeigewalt am 19. März. Vorweg: ich finde das Anliegen der Demo berechtigt und und unterstützenswert, bin jedoch der Ansicht, dass einige Unzulänglichkeiten im Aufruf nicht unkommentiert gelassen werden sollten.

 

In Ägypten und Tunesien haben in den letzten Wochen hunderte im Kampf gegen Unterdrückung und Armut ihr Leben gelassen, Libyen befindet sich im Bürgerkrieg, die Opferzahlen gehen in die Tausender. Dass man diese Ereignisse im Rahmen einer Demonstration gegen Polizeigewalt würdigen kann, und sollte, steht außer Frage. Was die AJD jedoch in der diesbezüglichen Aktualisierung des Aufrufes schreibt gibt zu denken. So heißt es dort:

 

Waren es im letzten Jahr noch Aktionen wie Stuttgart 21 oder der Castortransport die unter Repression litten, sind es zu Beginn 2011 dutzende Tote in Tunesien und Ägypten die im Kampf für ein besseres Leben erschossen wurden.“

 

Für die Genoss_innen aus Dortmund scheint es also prinzipiel das Gleiche zu sein, ob ein paar in „friendly fire“ geratene Schwaben beim „bewachen“ ihres Stadtparks von der Polzei verprügelt werden oder ob auf dem Tahir Platz Regimetreue Milizen in die Menge schießen. Jenseits jedes Realitätsprinzipes werden die beiden großen deutschen Repressionsereignisse vom letzten Jahr auf eine Stufe gestellt mit den gesamtgesellschaftlichen Umstürzen in Nordafrika. Dass, während man letztes Jahr im Wendland auf den Schienen saß, in Ägypten und Tunsien Opositionelle noch von der Geheimpolizei gefoltert und ermordet wurden, findet in dieser undifferenzierten und maßlosen Einschätzung keine Berücksichtigung.

 

Eben diese falsche Wahrnehmung von gesellschaftlicher Realität wiederholt sich im Aufruf, wenn sich deutsche Aktivist_innen zu den Hauptopfern staatlicher Behörden stilisieren:

 

Gewalt durch Polizisten, unter der besonders AntifaschistInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, aber auch Fußballfans, Bürgerinitiativen und Jugendliche zu leiden haben, zeigt sich in vielen Varianten.

 

Freundlicherweise werden neben den tapferen Recken der Antifa auch noch ein paar weitere Mitglieder der Volkgemeinschaft in diese Aufzählung aufgenommen. Zuletzt hätte sich regional auf der Gedenkdemo für Mohammed Sillah in Remscheid die Möglichkeit geboten etwas Nachhilfe in Sachen „Haupt- und Nebenwidersprüche des demokratischen Westens“ zu nehmen. Noch nicht einmal Dominique Koumadio, der 2006 in Dortmund von einem Bullen erschossen hielt man für erwähnenswert. Diese Kritik betrifft natürlich nicht nur die AJD, sondern eine ganze Reihe an Antifas aus dem Ruhrgebiet, die bei jeder coolen Black-Bloc Demo herumspringen, sobald jedoch Aktionen über den eigenen Szenetellerrand hinausgehen mit Abwesenheit glänzen. Aber vllt. waren die Aktivist_innen zu dem Zeitpunkt auch nur gerade wegen eines akuten „Freiraumkampfes“ verhindert...

 

International sehen diese Mittel noch schlimmer aus – es wird scharf geschossen.

 

Dass es anderswo womöglich ETWAS schlimmer aussieht wird also doch noch eingeräumt. Scharf geschossen jedoch wird auch in Deutschland, siehe z.B. Dennis J., der Neuajahr 2009 von einem Berliner Bullen in Schönfließ erschossen wurde, ohne dass von ihm eine Gefahr ausging. Aber es war eben kein politischer Aktivist, womit sich der Verdacht erhärtet, dass es hier v.A. Um die Solidarität mit dem eigenen Laden geht. Schließlich kommen nicht abstammungsdeutsche und andere „soziale Randgruppen“ doch noch mit 2 Sätzen zu ihrer Würdigung:

 

Doch die Polizei geht nicht nur gegen politische Aktivisten mit Gewalt vor.
Auch soziale Randgruppen wie MigrantInnen, Obdachlose oder Drogensüchtige haben unter Polizeibrutalität zu Leiden.“

 

Nicht nur? Na dann..

 

Man könnte noch einiges anmerken, z.B. dass die Geschehnisse wie die in Stuttgart sehrwohl als „nicht rechtens“ berwertet werden könnten, dies die jedoch die Problematik des prügelnden Rechsstaat nicht auflöst, schließlich ist es ja gerade die subtile, strukturelle Repression, die allgegenwärtig ist. Zu diesen und anderen Fragen kann man jedoch durchaus verschiedene Antworten haben, die diskursiv erläutert werden können.

In den oben kritisierten Punkten ging es jedoch darum krassen Realitätsverlust und Ignoranz gegenüber den Hauptopfern von Repression zu problematisieren.

 

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Das Beispiel Libyen zeigt doch gerade dass ein Atomausstieg noch kein Ausstieg aus der Repression ist, auch wenn er dafür unter Umständen Türöffner sein kann. Wo betont wird dass Antirepression hier und dort ein Kampf sind geht es damit nicht um eine mutmaßliche Differenzierung von Haupt- und Nebenopfern sondern um die offensichtliche Feststellung dass die politischen Ziele der dortigen Aufständischen mehr mit denen der hiesigen gemeinsam haben als mit denen von Wulff oder Merkel. Maßlos ist so zu tun als ob die Aufständischen dort die öffentliche Observationsfolter gegen politische Aktivisten nicht ebensogut kennten. Rücksichtslos ist nur den maroden Überwachungsstaat dort zu verurteilen aber nicht den schneidigen hier. Realitätsverlust ist nicht wahrhaben zu wollen dass ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Stuttgarter Polizeibrutalität sich sämtliche Terrorwarnungen der globalisierten Geheimpolizei überschlugen. Wegen ein paar Briefbombern mit Observationstrupp oder weil Umweltaktivisten sich auch vom krassesten Observationsdruck nicht zermürben lassen?

Wer vom Totalitarismus der Demokratie nicht reden mag sollte auch von der Festung Europa schweigen...