Ein Reisebericht eines Ahnungslosen im Land der Revolution.
Der Flug war lange schon gebucht. Ausspannen wollte ich eigentlich. Die Arbeit und andere Verpflichtungen für ein paar Wochen beiseite schieben. Das Reiseziel Ägypten hatte ich eher zufällig gewählt. Ein Freund arbeitete gerade dort, es ist warm und die Flüge waren günstig. Wer hätte auch schon vor ein paar Monaten gedacht, dass in der "gefestigten Demokratie" (O-Ton: Hillary Clinton, 25.01.2010) etwas passieren würde. Nun gut – nach dem Sturz von Ben Ali in Tunesien hatten zwar einige Experten* Ägypten als nächsten Schauplatz der arabischen Revolution vorhergesagt, aber Hosni Mubarak hatte in den letzten 30 Jahren ja so einiges überstanden.
Am Ende des Berichts kann ein Interview mit einem Aktivisten aus Ägypten nachgehört werden [en,07.02.2011].
Egal – umbuchen oder zu Hause bleiben kam für mich nicht in Frage. Revolution im Urlaub kann ja auch spannend sein. Die ersten paar Tage war auch von Revolution nichts zu spüren. Die vor allem russischen Feriengäste handelten fleissig die Preise der Souvenirs runter oder holten sich am Strand einen Sonnenbrand. Alles schien seinen gewohnten Gang zu nehmen.
Ich hatte mich bei ein paar jungen Ägyptern eingenistet und genoss meinen Chey und ab und an eine Shisha.
Lange hielt ich es aber nicht am Roten Meer aus. Ein bisschen Kultur muss ich schon mitnehmen – schliesslich spring ich ja nicht alle Tage im Land der Pharaonen herum. Auf ging es also mit klapprigen Bussen und Zügen in Richtung Niltal.
Dort erreichten mich dann auch am 25.01. die ersten Berichte von Protesten in Cairo und Alexandria. Die Polizei ging mit brutaler Gewalt gegen die Protestierenden vor. Facebook und Twitter waren zu dieser Zeit nicht mehr zu erreichen. In Aswan soll es eine Demonstration mit rund 2000 Menschen gegeben haben, wie mir ein Bekannter vor Ort erzählt. Schon zu diesem Zeitpunkt schreibt der Guardian aus England von den grössten Protesten seit Generationen.
Die Situation verschärft sich auch in kleineren Städten entlang des Nils. Für Freitag wurde im ganzen Land zu einem „Tag der Wut“ mobilisiert. Schon in der Nacht war das komplette Internet lahmgelegt worden. Außerdem brach in Cairo das Mobilfunknetz komplett zusammen bzw. wurde lahmgelegt. Trotzdem versammeln sich hunderttausende ÄgypterInnen im ganzen Land nach dem Mittagsgebet um ihre Wut über das Vorgehen der Polizei zu zeigen. In Cairo und Alexandria kam es erneut zu Straßenschlachten zwischen Protestierenden und der Polizei. Ich befinde mich zu dieser Zeit in einem Bus in Richtung Rotes Meer. Es ist verdammt schwer, an irgendwelche Informationen zu gelangen. Die wichtigste Informationsquelle der lokalen Bevölkerung, das Fernsehen, bleibt mir verschlossen, weil ich kein Arabisch verstehe.
Gerüchten zu Folge erteilt der Innenminister den Befehl, die Demonstrierenden wenn nötig auch mit scharfer Munition im Zaum zu halten. Der Polizeichef verweigert diesen Befehl, woraufhin sich die Polizei im ganzen Land von den Strassen zurückzieht. Parteibüros der NDP und Polizeistationen gehen in Flammen auf. Massenhaft werden Waffen aus den Polizeiarsenalen entwendet und in der Stadt verteilt. Familien versuchen ihre Angehörigen aus den Gefängnissen zu befreien. Geheimpolizei fährt in Zivil durch die Straßen und schießt Maschinengewehrsalven in die Luft, um Angst zu verbreiten. Gerüchte über Überfälle und Plünderungen machen die Runde.
Ich bekomme zahlreiche Anrufe von ÄgypterInnen, die sich Sorgen um mich machen. Das ganze Land versucht irgendwie an Informationen zu gelangen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die internationalen Nachrichtensender (Al Jazzeera, Al Arabiya, BBC Arabic etc.) Das Informationsministerium erzwingt zwar recht bald die Abschaltung von Al Jazeera vom „Nilesat“ Satelliten, aber die Zensur funktioniert nicht ganz, weil viele über den „Hotbird“-Satelliten unzensiert weiter sehen können. Das nationale Fernsehen berichtet gar nicht oder nur sehr zurückhaltend über die anti-Mubarak Proteste und wird von den meisten ÄgypterInnen nur bei den Reden von Mubarak oder bei den Auftritten seiner Gehilfen benutzt.
Am Samstag beginnen die Menschen in Cairo sich langsam in Nachbarschaftsbrigaden zu organisieren, um ihre Häuser und Angehörigen zu verteidigen. Wie mir ein Bekannter aus Cairo berichtet dienen als Waffen meist Messer, Knüppel oder Gürtel. Allerdings sind auch viele Schusswaffen aus den verlassenen Polizeistationen im Umlauf. Alle 50 Meter werden Autos angehalten und kontrolliert. Viele Ausländer verlassen Ägypten, weil ihnen die Lage zu brenzlig wird. Es werden Ausgangssperren verhängt und das Militär rückt in die großen Städte des Landes ein.
Das Militär ist bei fast allen ÄgypterInnen gerne gesehen. Für die Protestierenden sind die Polizisten die Handlanger des Regimes – die Soldaten aber sind eine hoch angesehen, neutrale Einheit, die Sicherheit geben soll. Für mich als Außenstehender völlig unverständlich. Schließlich ist Mubarak selbst ein Militär und als Präsident auch der oberste Heeresführer.
Am Samstag beginnen auch die ersten Telefone in Cairo wieder zu funktionieren. Das Internet bleibt für eine komplette Woche lahmgelegt. Die Banken bleiben bis Sonntag, den 6. Februar geschlossen.
Nach den großen Protesten am Freitag kündigt Mubarak an, eine neue Regierung einzusetzen. Damit versucht er die Protestierenden zu beruhigen. Das wenige Tage später vereidigte Kabinett setzt sich aber aus vielen bekannten Gesichtern zusammen. Außerdem ernennt Mubarak zum ersten Mal in seiner 30-jährigen Amtszeit einen Vizepräsidenten.
Ungeachtet dieser Beschwichtigungsversuche halten die Demonstrierenden weiterhin den zentralen Platz in Cairo (Tahrir Square) besetzt und verlangen den sofortigen Rücktritt von Hosni Mubarak.
Ich bin mittlerweile wieder in Hurghada angekommen und habe mich wieder bei meinen Freunden niedergelassen. Wir schauen den ganzen Tag die verschiedenen Nachrichtenkanäle auf Arabisch, Englisch, Deutsch und Spanisch, um auf dem laufenden zu bleiben. Außerdem telefonieren wir regelmäßig mit Menschen in Cairo und diskutieren die neuesten Ereignisse.
Für Dienstag, den 1. Februar, wurde trotz ausgeschaltetem Internet für einen „Eine Million Menschen Marsch“ mobilisiert. Tatsächlich kamen allein in Cairo über eine Million Menschen zusammen und auch in anderen Städten des Landes kam es zu riesigen Demonstrationen. Um 23 Uhr wandte sich dann Mubarak mit einer Fernsehansprache an die Öffentlichkeit. Er versprach bei der nächsten Präsidentschaftswahl im September 2011 nicht mehr zu kandidieren und mit dem Parlament über eine Verfassungsänderung zu debattieren. Ausserdem kündigte er eine Untersuchung der vergangenen Parlamentswahlen an, die sowohl in Ägypten als auch international als gefälscht gelten.
Die Reaktionen auf diese Rede waren sehr unterschiedlich. Einige brachen gerührt in Tränen aus. Andere bejubelten den vermeintlichen Sieg der Protestierenden. Wieder andere forderten ungerührt den sofortigen Rücktritt des Präsidenten.
Auch in unserer kleinen Wohnung waren die Einschätzungen gespalten. Nach und nach setzte sich aber die Erkenntnis durch, dass außer Versprechungen und Emotionen nichts greifbares in der Rede vorhanden war. Wer sollte denn garantieren, dass nicht der ungeliebte Sohn von Mubarak im September kandidieren wird? Wer soll die Wahlen überwachen, um eine faire Wahl zu garantieren? Wie sollen die versprochenen Verfassungsänderungen konkret aussehen? Für viele war es nach einigem Überlegen klar – mit vagen Versprechungen wollten sie sich nicht begnügen.
Am Mittwoch nach der Ansprache wurde das Internet in Ägypten wieder freigeschalten. Außerdem wurden in vielen Städten des Landes Pro-Mubarak Demonstrationen organisiert. In Hurghada am Roten Meer beispielsweise zog die Demonstration mit einigen Dutzend Fahrzeugen und etwa 600 Menschen die Touristenmeile hoch und runter und ließ sich bereitwillig von den verbliebenen Touristen fotografieren. Für die Tourismusindustrie, in der ein grosser Teil der Bevölkerung arbeitet, sind die Proteste ein Desaster. Reisewarnungen und fliehende Touristen führen schon heute zu Zwangsurlaub und Entlassungen.
Die Pro-Mubarak-Kundgebungen werden von der langsam wiederkehrenden Polizei begleitet und scheinen recht gut zu geplant zu sein. In Cairo und Alexandria greifen die Pro-Mubarak-Leute die Protestierenden mit Steinen, Molotovcocktails und Knüppeln an. Die Behörden berichten von 1200 Verletzten und mind. 13 Todesopfern am Mittwoch und Donnerstag. Interessant dabei ist, dass die Massenproteste am Dienstag völlig friedlich waren. Diejenigen also, die vorgeblich für den „Sicherheitsgarant“ Mubarak demonstrieren, streuen selbst Angst und Zerstörung in den Straßen von Cairo.
Am Freitag den 4. Februar folgen, trotz Szenen massiver Gewalt, wieder Hunderttausende dem Aufruf zum Protest und versammeln sich auf dem Platz der Freiheit (Tahrir Square) im Zentrum der Hauptstadt. Alle, die zu der Demonstration wollen, werden mehrfach von den Freiwilligen kontrolliert. Polizisten und andere Angestellte des staatlichen Sicherheitsapparat werden nicht zur Demonstration durchgelassen.**
Präsident Mubarak ist noch immer im Amt. Während ich am Samstag morgen meine Tasche packe um zum Flughafen zu gehen, höre ich die Meldung von einem Sprengstoffanschlag auf eine Gas-Pipeline die von Ägypten nach Israel führt. Ist das der nächste Hase, den das Mubarak-Regime aus dem Hut zaubert, um weiter an der Macht zu bleiben?
* Was muss Mensch eigentlich können um Experte oder Expertin zu sein? Bin ich nun auch Experte?
** Auf der ägyptischen ID ist die Berufsbezeichnung vermerkt.
Ein Interview mit einem Aktivisten aus Ägypten (07.02.2011, englisch):
FRN: Ägypten - Hoffnung trotz massiver Spaltung und Repression
Ein Beitrag von Radio Dreyeckland:
http://www.freie-radios.net/44134